OGH 2Ob45/12z

OGH2Ob45/12z28.6.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Y***** K*****, vertreten durch Mag. Pamela Kellermayr, Rechtsanwältin in Micheldorf, gegen die beklagten Parteien 1. D***** R*****, 2. B***** GmbH, *****, und 3. A*****-AG, *****, sämtliche vertreten durch Dr. Erwin Höller und Dr. Reinhold Lingner, Rechtsanwälte in Linz, wegen 11.420,68 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 21. Dezember 2011, GZ 22 R 352/10m-55, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichts Gmunden vom 24. September 2010, GZ 3 C 733/08t-49, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Das Berufungsgericht begründete den Ausspruch über die Zulässigkeit der ordentlichen Revision damit, dass der Bereinigungswirkung einer vergleichsweisen Schmerzengeldabfindung bzw der Mitberücksichtigung von den Parteien nicht näher zum Verhandlungsgegenstand gemachter (psychischer) Unfallfolgen für eine Vielzahl von Fällen eine grundsätzliche rechtserhebliche Bedeutung zukomme und hierzu mit Ausnahme der nur teilweise übertragbaren Entscheidung 2 Ob 150/06g keine jüngere Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs existiere.

Die vom Kläger gegen das Berufungsurteil erhobene Revision ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Weder in der Begründung des zweitinstanzlichen Zulassungsausspruchs noch in der Revision wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan.

Nach den maßgeblichen Feststellungen der Vorinstanzen wurde der 1971 geborene Kläger am 14. 2. 2002 bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt. Die beklagten Parteien haben für die Unfallfolgen einzustehen. Als unfallskausale Dauerfolge verblieb beim Kläger eine erektile Dysfunktion. Der Kläger ist seit 21 Jahren verheiratet. Infolge seiner „Potenzprobleme“ entwickelte sich etwa im Frühjahr 2003 bei ihm eine krankheitswertige leichtgradige Anpassungsstörung, die sich ua in Aggressivität, Schlafstörungen und Nervosität äußert und mittlerweile medikamentös behandelt wird. Im März 2005 nahm der Kläger ein Zahlungsangebot der drittbeklagten Partei an. In dritter Instanz ist noch die Frage strittig, ob die mit der Anpassungsstörung verbundenen psychischen Beeinträchtigungen des Klägers von diesem Vergleich erfasst wurden oder nicht.

Dazu ist auszuführen:

1. Was die Streitteile als Gegenstand der Streitbereinigung angenommen haben, bestimmt sich nach dem übereinstimmend erklärten Parteiwillen (RIS-Justiz RS0017954; Neumayr in KBB³ § 1389 Rz 1) Es gelten die Grundsätze der Vertrauenstheorie (RIS-Justiz RS0014696; Neumayr aaO § 1389 Rz 1), sodass Vergleiche nach den allgemeinen Regeln auszulegen sind. Entscheidend für das Verständnis der wechselseitigen Erklärungen ist der objektive Erklärungswert (2 Ob 83/06d mwN; 2 Ob 150/06g; 2 Ob 70/11z). Die Auslegung eines Vergleichs richtet sich stets nach den Umständen des Einzelfalls und begründet - von Fällen grober Fehlbeurteilung abgesehen - keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 83/06d; 2 Ob 56/07k; 2 Ob 262/08f; RIS-Justiz RS0113785).

2. Nach den Feststellungen des Erstgerichts nahm der Kläger das auf die Zahlung eines globalen Schmerzengeldes „inklusive seelischer Unbill“ gerichtete Anbot der drittbeklagten Partei vom 28. 10. 2004 an, das diese „auf Basis der vorliegenden Gutachten“ an ihn herangetragen hatte. Wie der Kläger in seiner Revision zugesteht, wurde in dem „zusammenfassenden Gutachten“ des unfallchirurgischen Sachverständigen vom 25. 8. 2004 auch auf das Ergebnis des urologischen Gutachtens Bedacht genommen und überdies festgehalten, dass neben den körperlichen Schmerzen auch noch die (ua) aus der verbliebenen körperlichen Behinderung resultierenden seelischen Schmerzen berücksichtigt werden müssten und bei der Bemessung des Gesamtschmerzengeldes „nur global abgegolten werden“ könnten.

Bei dieser Sachlage ist die Auslegung der Vorinstanzen vertretbar, dass nach dem Parteiwillen sämtliche physische und psychische Beeinträchtigungen des Klägers global abgegolten werden sollten und von einem Vorbehalt weiterer Schmerzengeldansprüche im Sinne der Entscheidung 2 Ob 150/06g (vgl auch RIS-Justiz RS0031035) keine Rede sein kann.

3. Der Kläger steht auf dem Standpunkt, der Einbeziehung seiner psychischen Erkrankung in die Bereinigungswirkung des Vergleichs stehe entgegen, dass im Zeitpunkt des „zusammenfassenden Gutachtens“ kein neurologisch-psychiatrisches Gutachten vorgelegen und die Diagnose einer krankheitswertigen Anpassungsstörung erst während des vorliegenden Rechtsstreits gestellt worden sei.

Dem ist zu erwidern, dass sich mangels entgegenstehender Parteienabsicht die Bereinigungswirkung eines allgemeinen Vergleichs auch auf alle Ansprüche, an welche die Parteien nicht gedacht haben, an die sie aber denken konnten, erstreckt (2 Ob 83/06d; 2 Ob 262/08f; 2 Ob 70/11z; RIS-Justiz RS0032453; Neumayr aaO § 1389 Rz 2). Von der vergleichsweisen Bereinigung waren somit sämtliche den Parteien bei Vergleichsabschluss bekannten oder bei Anwendung pflichtgemäßer Sorgfalt erkennbaren Ansprüche des Klägers umfasst (vgl 2 Ob 83/06d; 2 Ob 262/08f mwN), nicht aber die damals nicht vorhersehbaren weiteren Beeinträchtigungen (2 Ob 70/11z; RIS-Justiz RS0032429 [T2]). Dies gründet sich auf die Rechtsprechung, wonach von der Globalbemessung des Schmerzengeldes nur solche künftigen Schmerzen ausgenommen sind, deren Eintritt noch nicht vorhersehbar ist, oder deren Ausmaß nicht so weit abgeschätzt werden kann, dass eine Globalbemessung möglich ist (vgl 2 Ob 233/06p, 2 Ob 242/10y; RIS-Justiz RS0031082, RS0031235). Den Beweis für das Vorliegen dieser Voraussetzungen hätte der Kläger zu erbringen gehabt (vgl RIS-Justiz RS0032504).

Sowohl im erwähnten Gutachten als auch im Vergleichsanbot selbst wurden die mit der verbliebenen körperlichen Behinderung verbundenen „seelischen Schmerzen“ bzw die „seelische Unbill“ des Klägers ausdrücklich thematisiert. Der Beginn der krankheitswertigen Anpassungsstörung wurde mit etwa Frühjahr 2003 festgestellt. Daraus ergibt sich, dass der Kläger bei den Vergleichsverhandlungen bereits seit geraumer Zeit unter der psychischen Erkrankung litt. Feststellungen, wonach dem Kläger die Konsultation eines Facharztes damals nicht zumutbar und die Unfallfolge (als solche) im Rahmen einer fachärztlichen Untersuchung noch nicht erkennbar oder in ihren Auswirkungen noch nicht abschätzbar gewesen wäre, liegen nicht vor. Der Kläger hat auch keine diesbezüglichen Prozessbehauptungen aufgestellt.

Angesichts dieser Umstände begründet es keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung der Vorinstanzen, wenn diese davon ausgingen, auch die mit der körperlichen Dauerfolge verbundenen seelischen Beeinträchtigungen mit Krankheitswert seien von der Bereinigungswirkung des Vergleichs umfasst.

Die Frage, ob auch eine andere Auslegung des Vergleichs vertretbar wäre, erfüllt nicht die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO (2 Ob 83/06d; RIS-Justiz RS0042776 [T2]).

4. Da es somit der Lösung erheblicher Rechtsfragen nicht bedurfte, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 40 und 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht hingewiesen.

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