OGH 1Ob64/12m

OGH1Ob64/12m26.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** T*****, vertreten durch Dr. Reinhard Schwarzkogler, Rechtsanwalt in Lambach, gegen die beklagte Partei W***** T*****, vertreten durch Landl Edelmann Ganzert, Rechtsanwaltspartnerschaft in Vöcklabruck, wegen Entfernung, Unterlassung und Wiederherstellung (Gesamtstreitwert 10.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom 1. Februar 2012, GZ 22 R 15/12f-46, mit dem infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Lambach vom 18. November 2011, GZ 2 C 1147/09h-40, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der erste Absatz im Spruch des Ersturteils, das im Übrigen in der Hauptsache bereits in Rechtskraft erwachsen ist, sowie die Kostenentscheidung zu lauten haben:

„Das Begehren, der Beklagte sei schuldig, die Ableitung der aus Richtung Westen und in Richtung der Grundstücke 238/2 und 247/3, je GB ***** S*****, ablaufenden Hangwässer auf die Grundstücke 247/2 und .145 der Klägerin, zu unterlassen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei 4.570,84 EUR (darin 761,81 EUR USt) an Verfahrenskosten aller drei Instanzen binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile sind Eigentümer benachbarter Grundstücke, an die im Westen landwirtschaftlich genutzte Liegenschaften angrenzen. Diese Nachbargrundstücke liegen auf einem flachen Abhang. Von diesen Grundstücken abfließendes Niederschlagswasser bewegt sich entsprechend der Hangneigung in südöstlicher Richtung. Durch die Siedlungstätigkeit in diesem Gebiet wurde insgesamt der natürliche Wasserabfluss wesentlich gestört. Auch das Anwesen der Klägerin und der vorgelagerte Feldrain stellen ein Abflusshindernis dar. Die Ackerfurche vor dem Rain entwässert nun zu rund zwei Dritteln nach Süden auf andere Grundstücke, zu einem Drittel in einen schmalen Bereich im nördlichen Teil der Liegenschaft der Klägerin. Die Entwässerung des südlicher gelegenen (landwirtschaftlich genutzten) Nachbargrundstücks verläuft entsprechend der ursprünglichen Hangrichtung etwa zur Hälfte auf die Liegenschaft der Klägerin, zur anderen Hälfte auf ein anderes Grundstück. Würden der Rain oder eine Hecke entfernt, bewegte sich die Entwässerung quer über das Grundstück der Klägerin. Die Liegenschaft des Beklagten wäre vom Abflussgeschehen nur ganz geringfügig betroffen. Durch die Errichtung des Hauses auf der Liegenschaft der Klägerin wurde der ursprüngliche (südöstliche) Abfluss von den umgebenden Liegenschaften verändert, weil das Oberflächenwasser nicht mehr zur Gänze in der ursprünglichen Richtung abfließen kann. Nun fließt ein Teil nach Süden ab und ein Teil in östlicher Richtung über das Grundstück der Klägerin. Von dort wurde es im nördlichen Bereich ihres Grundstücks vor der Errichtung einer Mauer durch den Beklagten allerdings über einen entlang der ganzen Nordseite des Hauses der Klägerin verlaufenden Traufenweg in Richtung seiner Liegenschaft abgeleitet. Nachdem dieser Traufenweg - soweit er sich auf der Liegenschaft des Beklagten befunden hatte - im Zuge der Bauarbeiten des Beklagten von der Klägerin entfernt worden und an der Grundgrenze vom Beklagten eine Mauer errichtet worden war, wird das vom Grundstück der Klägerin kommende Oberflächenwasser von der Mauer abgehalten, sodass es nicht mehr auf die Liegenschaft des Beklagten gelangen kann. Es bleibt auf der Liegenschaft der Klägerin und führt - jedenfalls bei starken Regenfällen - zu Wasseransammlungen und Verunreinigungen auf dem asphaltierten Vorplatz ihrer Liegenschaft.

Die Klägerin begehrte nun unter anderem - die übrigen Teilbegehren sind nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens -, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Ableitung der aus Richtung Westen ablaufenden Hangwässer auf ein Grundstück ihrer Liegenschaft zu unterlassen. Sie brachte dazu im Wesentlichen vor, bei starkem Regen sei früher das Hangwasser über die Liegenschaft der Klägerin und jene des Beklagten abgeflossen. Durch die Errichtung der Mauer habe er seine Grundstücke gegen abfließendes Hangwasser abgeschottet, was dazu führe, dass sich das Wasser nunmehr ausschließlich auf der Liegenschaft der Klägerin ausbreite.

Der Beklagte wandte im Wesentlichen ein, der Ursprung des Wasserablaufs liege nicht auf seiner Liegenschaft. Der Klägerin sei nie ein Ableitungsrecht in Bezug auf Wasser von ihrer Liegenschaft auf seine Liegenschaft zugestanden. Sie habe vielmehr in der Vergangenheit unzulässig eine Ableitung von Wasser auf sein Grundstück vorgenommen und dadurch eine direkte Zuleitung von Oberflächenwässern geschaffen. Ohne den Traufenweg auf ihrem Grundstück wäre das gesamte von anderen Nachbargrundstücken auf ihre Liegenschaft gelangende Oberflächenwasser über ihr Grundstück abgeflossen, nicht jedoch über die Liegenschaft des Beklagten.

Das Erstgericht gab (soweit für das Revisionssverfahren noch von Bedeutung) dem Unterlassungsbegehren teilweise statt.

Ungeachtet des § 364 Abs 2 ABGB sei der natürliche Wasserablauf vom Nachbargrundstück zu dulden, da der Nachbar nicht verpflichtet sei, Hangwasser einzufangen oder den natürlichen Wasserablauf zu Gunsten des Anrainers zu verändern. Der Beklagte habe durch die Errichtung der Mauer den Abfluss des Oberflächenwassers über sein Grundstück verhindert und damit im Bereich von einigen Metern vermehrt Wasser über das Grundstück der Klägerin abgeleitet. Er habe dies zu unterlassen, wobei es ihm überlassen bleibe, auf welche Art die Verhinderung derartiger Immissionen zu geschehen habe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten gegen diesen Teil des Ersturteils nicht Folge, sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteige, und erklärte die ordentliche Revision für zulässig. Gemäß § 364 Abs 2 ABGB könne der Eigentümer eines Grundstücks dem Nachbarn die von dessen Grund ausgehenden Einwirkungen durch Abwässer usw insoweit untersagen, als sie das nach den örtlichen Verhältnissen gewöhnliche Maß überschritten und die ortsübliche Benutzung des Grundstücks wesentlich beeinträchtigten. Unmittelbare Zuleitung sei ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig. Lediglich die natürlichen Abflussverhältnisse und die damit verbundenen Einwirkungen von einer Nachbarliegenschaft seien hinzunehmen, nicht aber vom Nachbarn gesetzte Tätigkeiten, die unmittelbar auf die Einwirkung von Wasser gerichtet sind. Im vorliegenden Fall habe der Beklagte durch die Errichtung der Mauer eine „Veranstaltung“ im Sinn der Judikatur zu § 364 Abs 2 zweiter Satz ABGB vorgenommen, weil vor deren Errichtung der Abfluss des Oberflächenwassers von der Liegenschaft der Klägerin zumindest zum Teil über die Grundstücke des Beklagten erfolgt sei. Dass nicht tatsächlich Oberflächenwasser von den Grundstücken des Beklagten auf das Grundstück der Klägerin fließt, könne nicht dazu führen, dass man nicht von einer „Veranstaltung“ seitens des Beklagten sprechen könne, zumal das Verhindern des Weiterfließens des Wassers vom Grundstück der Klägerin auf die Grundstücke des Beklagten einer Ableitung von Wasser vom Grundstück des Beklagten auf das Grundstück der Klägerin gleichzusetzen sei; es käme nämlich zum selben Ergebnis, nämlich dazu, dass sich mehr Wasser als früher auf dem Vorplatz vor dem Haus der Klägerin ausbreite. Die Errichtung der Mauer durch den Beklagten stelle zweifellos einen Eingriff in die zuvor bestehenden Abflussverhältnisse dar und sei als unmittelbare Zuleitung im Sinn des § 364 Abs 2 ABGB zu werten, die ohne besonderen Rechtstitel unter allen Umständen unzulässig sei. Auch das Argument, die Klägerin habe zunächst das Wasser ohne Berechtigung in Richtung seiner Grundstücke abgeleitet, könne keinen Rechtstitel dafür bilden, nunmehr durch Errichtung der Mauer das Weiterfließen des Wassers vom Grundstück der Klägerin auf sein Grundstück zu unterbinden. Vielmehr hätte der Beklagte seinerseits eine Unterlassungsklage einbringen müssen, um sich gegen eine allfällige unzulässige Ableitung des Wassers durch die Klägerin zur Wehr zu setzen. Der (richtig) Beklagte sei also in Bezug auf seine vorgenommene Maßnahme nach Ansicht des Berufungsgerichts auch dann verantwortlich, wenn die Ableitung des Oberflächenwassers vom Grundstück der Klägerin allenfalls eine unzulässige direkte Zuleitung dargestellt hätte. Dazu komme, dass in verbautem Gebiet der natürliche Wasserabfluss nicht der sein könne, der vor jeglicher Bebauung gegeben gewesen sei. Schon durch die Errichtung der Häuser auf den Grundstücken der Streitteile sei in den natürlichen Wasserablauf eingegriffen worden. Für die Beurteilung der Frage, ob eine unzulässige unmittelbare Zuleitung vorliege, könne daher immer nur auf den Wasserablauf Bezug genommen werden, der vor der jeweiligen Maßnahme gegeben gewesen sei. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil zur Frage, was unter „natürlichen Ablaufverhältnissen“ in einem Siedlungsgebiet, in dem laufend neue Baumaßnahmen gesetzt wurden und werden, zu verstehen ist, keine höchstgerichtliche Rechtsprechung vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision des Beklagten ist zulässig und berechtigt.

Zutreffend verweist der Revisionswerber darauf, dass die Maßnahmen auf der Liegenschaft der Klägerin, nämlich die Errichtung eines Gebäudes und eines angrenzenden Traufenwegs, durch die auf ihre Liegenschaft gelangendes Oberflächenwasser auf die Grundstücke des Beklagten abgeleitet wurde, eine gemäß § 364 Abs 2 Satz 2 ABGB unzulässige unmittelbare Zuleitung darstellten (vgl RIS-Justiz RS0010635), die er nicht hinnehmen musste. Die Revisionsgegnerin zieht gar nicht in Zweifel, dass im Bereich des Traufenwegs bzw ihrer nördlichen Hauswand das vom Hang auf ihr Grundstück abfließende Oberflächenwasser in Richtung der Grundstücke des Beklagten geflossen ist, vermeint allerdings zu Unrecht, dabei handle es sich um das „natürliche Ablaufverhältnis“. Demgegenüber haben die Vorinstanzen allerdings festgestellt, dass die Oberflächenwässer durch ihr Haus und den anschließenden Traufenweg künstlich auf die Liegenschaft des Beklagten abgeleitet wurden und diese Ableitung nunmehr durch die Errichtung der Gartenmauer verhindert wird; sogar bei Beseitigung des Rains (bzw einer Hecke) - an der westlichen Grundstücksgrenze der Klägerin - wäre die Liegenschaft des Beklagten vom Abflussgeschehen nur ganz geringfügig betroffen gewesen, weil das Hanggefälle in südöstlicher Richtung verläuft.

Wenn die Revisionsgegnerin nun im Ergebnis die Auffassung vertritt, die unmittelbar vor Errichtung der Mauer bestehenden Abflussverhältnisse seien als die „natürlichen Ablaufverhältnisse“ anzusehen, die der Beklagte nicht verändern dürfe, bzw der Beklagte habe durch die „widerspruchslose Akzeptanz“ des Traufenwegs diesen „in das natürliche Abflussverhältnis der Oberflächenwässer integriert“, so vermag der erkennende Senat dem nicht zu folgen. Gleiches gilt für die Auffassung des Berufungsgerichts, der Beklagte hätte sich seinerseits durch eine Unterlassungsklage gegen eine allfällige unzulässige Ableitung des Wassers durch die Klägerin zur Wehr setzen müssen, habe aber keinen Rechtstitel dafür, nunmehr durch Errichtung der Mauer das Weiterfließen des Wassers von ihrem Grundstück auf seines zu unterbinden. Vielmehr war es nach den insoweit eindeutigen Tatsachenfeststellungen der Vorinstanzen die Klägerin, die durch die Errichtung des Gebäudes sowie des Traufenwegs entlang ihrer Hausfront Oberflächenwässer, die ansonsten auf ihrem Grundstück abgeflossen wären, auf die Liegenschaft des Beklagten umgeleitet hat. Warum es unzulässig sein oder gar eine unmittelbare Zuleitung durch den Beklagten darstellen sollte, wenn er dem von der Klägerin künstlich herbeigeführten Wasserabfluss auf sein Grundstück dadurch ein Ende setzt, dass er an der Grundgrenze eine Mauer errichtet, ist nicht zu erkennen. Der Klägerin erwachsen dadurch keine anderen Nachteile als jene, die sie auch hätte, wenn sie von einer Ableitung auf das Grundstück des Beklagten von vornherein Abstand genommen hätte (vgl RIS-Justiz RS0117583). Es ist ihre Sache - und nicht die des Beklagten - entsprechende technische Vorkehrungen zu treffen, wenn sie Beeinträchtigungen durch von fremden Grundstücken auf ihre Liegenschaft gelangende Oberflächenwässer hintanhalten will. Ob sie allenfalls Unterlassungsansprüche gegen andere Oberlieger erheben könnte, durch deren Bautätigkeit die natürlichen Abflussverhältnisse verändert wurden, ist in diesem Verfahren nicht zu prüfen. Dem Beklagten ist hingegen weder eine Veränderung der natürlichen Abflussverhältnisse noch gar eine unmittelbare Zuleitung vorzuwerfen. Wurden auf der Liegenschaft der Klägerin Veränderungen vorgenommen, die zu einem veränderten Ablauf von Oberflächenwässern geführt haben, lagen nicht mehr natürliche Abflussverhältnisse (vgl auch § 39 Abs 1 WRG) vor, die der Beklagte hinzunehmen gehabt hätte.

Auch das noch verbliebene Unterlassungsbegehren ist daher in Abänderung der Entscheidung der Vorinstanzen abzuweisen.

Bei der für alle drei Instanzen zu treffenden (§ 50 Abs 1 ZPO) Kostenentscheidung ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin lediglich mit ihrem auf Entfernung der Mauer gerichteten Teilbegehren erfolgreich war, das sie mit 2.500 EUR bewertet hatte, wogegen der Beklagte die übrigen Begehren (Gesamtwert 7.500 EUR) abwehren konnte. Für das Verfahren erster Instanz steht der Klägerin somit der Ersatz von einem Viertel ihrer Barauslagen von 4.680 EUR zu, wogegen sie dem Beklagten 50 % seiner Kosten zu ersetzen hat. Im Rechtsmittelverfahren ging es nur noch um das Unterlassungsbegehren (Teilstreitwert und damit Bemessungsgrundlage 5.000 EUR), das letztlich abgewiesen wurde. Bei der (saldierenden) endgültigen Kostenersatzbestimmung heben die wechselseitigen Ansprüche auf Barauslagenersatz (Klägerin: 1.170 EUR, Beklagter: 1.166 EUR) einander auf, sodass der Klägerin der Ersatz der übrigen Kosten des Beklagten im Ausmaß von 50 % auf einer Bemessungsgrundlage von 10.000 EUR für das Verfahren erster Instanz und von 100 % auf einer Bemessungsgrundlage von 5.000 EUR für das Rechtsmittelverfahren aufzuerlegen ist. Nicht zu berücksichtigen waren die vom Beklagten verzeichneten Vertagungsbitten (§ 48 ZPO); im Berufungsverfahren ist ein Einheitssatz von nur 180 % angefallen.

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