OGH 7Ob32/12z

OGH7Ob32/12z25.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** M*****, vertreten durch Mag. Dr. Martin Deuretsbacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei S***** M*****, vertreten durch Mag. Werner Hauser, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterhalt, über die Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 30. September 2011, GZ 42 R 277/11p‑27, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Favoriten vom 21. Februar 2011, GZ 54 C 3/10m‑19, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Beide Revisionen werden zurückgewiesen.

Die Parteien haben die Kosten ihrer Revisionsbeantwortungen jeweils selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts, die Unterhaltsverpflichtung des Klägers für die Zeit von Jänner 2010 bis Februar 2011 sowie ab 1. 3. 2011 (nur) im Hinblick auf die von der Beklagten bezogene Notstandshilfe herabzusetzen. Notstandshilfe sei ebenso wie das von der Beklagten zuvor bezogene Arbeitslosenentgelt als deren Eigeneinkommen zu berücksichtigen. Der Oberste Gerichtshof habe aber in der Entscheidung 1 Ob 636/94 ausgesprochen, dass die Unterhaltspflicht des geschiedenen Mannes dem Anspruch auf Notstandshilfe vorgehe. Habe der Arbeitslose gegen den ‑ auch von ihm getrennt lebenden ‑ Ehegatten einen durchsetzbaren Unterhaltsanspruch, der ihn der Notlage enthebe, so dürfe ihm keine Notstandshilfe gewährt werden. Dass der Unterhaltsverpflichtete durch die Notstandshilfe entlastet werde, sei mit deren sozialpolitischem Ziel nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen. Zu Unrecht ausbezahlte Notstandshilfe könne allenfalls auch zurückgefordert werden. Auf Grund dieser Überlegungen und der „nicht ganz einheitlichen“ Rechtsprechung zur Frage der Anrechnung von Notstandshilfe auf Seiten des Unterhaltsberechtigten sei die ordentliche Revision für zulässig zu erklären.

Entgegen diesem, den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden, Ausspruch des Berufungsgerichts ist sowohl die Revision des Klägers als auch jene der Beklagten mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig. Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung der Revisionen wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Rechtliche Beurteilung

Zur Revision des Klägers:

Der Kläger wendet sich im Wesentlichen gegen die Auslegung des Scheidungsvergleichs durch das Berufungsgericht. Die Aufkündigung des Beschäftigungsverhältnisses der Beklagten mit dem Unternehmen des Klägers stelle eine Änderung der Verhältnisse dar, die entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts eine Neubemessung des Unterhaltsanspruchs der Beklagten, losgelöst von der vergleichsweisen Regelung, erforderlich mache. Damit wird vom Kläger kein tauglicher Grund für die Zulässigkeit seines Rechtsmittels aufgezeigt:

Durch Vergleich festgelegte Unterhaltsansprüche unterliegen ‑ ebenso wie durch gerichtliche Entscheidung festgesetzte ‑ der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher nur im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu bemessen werden (RIS‑Justiz RS0018984; RS0057146). Wurde der Unterhalt ‑ wie hier ‑ in einem Vergleich festgesetzt, so hat sich die Neubemessung an der vergleichsweisen Regelung zu orientieren; allenfalls ist eine ergänzende Vertragsauslegung vorzunehmen (RIS‑Justiz RS0019018; RS0105944). Ob ein (Scheidungs‑)Vergleich richtig ausgelegt wurde, ist - ebenso wie das zutreffende Ergebnis einer ergänzenden Vertragsauslegung - eine Frage des Einzelfalls (RIS‑Justiz RS0113785; RS0042936). Daher setzte ein Einschreiten des Obersten Gerichtshofs eine Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht voraus, die aus Gründen der Rechtssicherheit korrigiert werden müsste. Davon kann hier keine Rede sein:

Der vorliegende Scheidungsvergleich sieht eine monatliche Unterhaltszahlung des Klägers an die Beklagte von 2.000 EUR vor, die bei aufrechtem Beschäftigungsverhältnis der Beklagten im Unternehmen des Klägers ruhen sollte. Die dem Wortlaut des Scheidungsvergleichs entsprechende Meinung des Berufungsgerichts, die Aufkündigung des Beschäftigungsverhältnisses habe ‑ bei gleichbleibenden übrigen Parametern, insbesondere bei weiterhin gleichem Einkommen des Klägers ‑ dessen grundsätzliche Verpflichtung zur Folge gehabt, der Beklagten Unterhalt in Höhe von 2.000 EUR monatlich zu leisten, begegnet daher keinen Bedenken. Der Vorwurf des Klägers, das Berufungsgericht habe die Rechtslage verkannt, ist daher unberechtigt; die angefochtene Entscheidung folgt den in ständiger Rechtsprechung vertretenen Grundsätzen zur Unterhalts‑(neu‑)bemessung nach einem Scheidungsvergleich (vgl etwa 9 Ob 28/10y).

Mangels einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision des Klägers daher als unzulässig zurückzuweisen.

Zur Revision der Beklagten:

Die Beklagte wendet sich weiterhin dagegen, dass die Vorinstanzen die von ihr bezogene Notstandshilfe als ihr Eigeneinkommen bei der Unterhaltsbemessung berücksichtigt haben. Auch sie wirft damit aber, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts, keine erhebliche Rechtsfrage auf:

Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass auch Sozialleistungen, die nicht dem Ausgleich eines bestimmten Mehraufwands für einen Sonderbedarf dienen oder nach gesetzlichen Bestimmungen auf den Unterhalt nicht anrechenbar sind, als Einkommen in die Unterhaltsbemessungsgrundlage einbezogen werden. Unter ausdrücklicher Ablehnung der gegenteiligen Meinung Zankls in Schwimann ABGB3 I, § 66 EheG Rz 25 (8 Ob 164/06k) und mit Zustimmung des übrigen Schrifttums (Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 691; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht5 9 und 27; Purtscheller‑Salzmann, Unterhaltsbemessung 135, E 4) wurde insbesondere auch die Notstandshilfe als Einkommen des Unterhaltsberechtigten qualifiziert (RIS‑Justiz RS0080395; RS0047456 [insb T2 und T5]).

Die Ansicht der Vorinstanzen, die von der Beklagten bezogene Notstandshilfe sei als deren Einkommen zu berücksichtigen, steht demnach im Einklang mit der ständigen, von der Lehre überwiegend gebilligten Rechtsprechung. Zutreffend ist, dass nach oberstgerichtlicher Judikatur der Unterhaltsanspruch dem Anspruch auf Notstandshilfe vorgeht (1 Ob 636/94; 8 Ob 164/06k ua; RIS‑Justiz RS0029034). Dies ändert aber, wie der Oberste Gerichtshof wiederholt ausgesprochen hat, nichts daran, dass tatsächlich bezogene Notstandshilfe den Unterhaltsanspruch mindert (5 Ob 505/91; 6 Ob 642/94; 8 Ob 164/06k; vgl RIS‑Justiz RS0009527). Dass die (oberstgerichtliche) Rechtsprechung zur Anrechnung der Notstandshilfe, wie das Berufungsgericht meint, „nicht ganz einheitlich“ wäre, trifft nicht zu. Die Frage, ob Notstandshilfe mangels einer Notlage wegen eines bestehenden Unterhaltsanspruchs des Hilfeempfängers zu Unrecht bezogen wurde und daher von diesem allenfalls zurückgefordert werden kann, ist nicht im Unterhaltsverfahren zu klären.

Die Beklagte bringt zur Begründung ihrer Ansicht, die von ihr bezogene Notstandshilfe mindere ihren Unterhaltsanspruch nicht, nichts vor, was an der Richtigkeit der gegenteiligen, ständigen oberstgerichtlichen Judikatur und der mit dieser übereinstimmenden Lehrmeinungen zweifeln ließe. Mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO muss daher auch das Rechtsmittel der Beklagten als unzulässig zurückgewiesen werden.

Die Entscheidung über die Kosten der von beiden Parteien erstatteten Revisionsbeantwortungen gründet sich auf die §§ 40, 50 ZPO. Weder der Kläger noch die Beklagte haben auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels ihres Prozessgegners hingewiesen.

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