OGH 1Ob636/94

OGH1Ob636/9423.11.1994

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schlosser, Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker und Dr. Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei Dagmar T*****, vertreten durch Dr. Heinz Napetschnig und Dr. Renate Studentschnig, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wider die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei Dr. Tilman T*****, vertreten durch Dr. Karl Waysocher und Dr. Peter Ouschan, Rechtsanwälte in Völkermarkt, wegen Unterhalts, infolge außerordentlichen Revisionsrekurses der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes Klagenfurt als Rekursgerichtes vom 22. Juli 1994, GZ 1 R 229/94-9, womit die einstweilige Verfügung des Bezirksgerichtes Klagenfurt vom 25. Mai 1994, GZ 4 C 43/94-5, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der rekursgerichtliche Beschluß wird dahin abgeändert, daß die vom Erstgericht erlassene einstweilige Verfügung zur Gänze wieder hergestellt wird.

Die klagende und gefährdete Partei hat die Kosten ihrer Rekursbeantwortung und ihres Revisionsrekurses vorläufig, die beklagte Partei und Gegner der gefährdeten Partei die Kosten ihres Rekurses endgültig selbst zu tragen.

Die Revisionsrekursbeantwortung wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Parteien sind Eheleute; ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Der Beklagte (= Gegner der gefährdeten Partei) ist im September 1992 aus der ehelichen Wohnung in seinem Haus ausgezogen, die seither nur mehr von der Klägerin (= gefährdete Partei) mit den beiden minderjährigen Söhnen benützt wird.

Für die Klägerin leistet der Beklagte keinen Unterhalt, für seine beiden Kinder monatliche Unterhaltszahlungen von je S 4.500. Außerdem zahlt er die Bausparkredite für sein Haus zurück (monatlich S 3.736,- -) und bestreitet ferner die Wohnbauförderung vierteljährlich S 6.000,-- bis S 7.000,- -), die Kosten der elektrischen Energie (monatlich S 1.400,- -), die Grundsteuer und die Versicherung des Hauses. Für die übrigen laufenden Kosten, aber auch für die Instandsetzung des Hauses kommt die Klägerin auf.

Diese war früher in der Ordination des Beklagten beschäftigt, der das Dienstverhältnis zum 30.9.1993 aufkündigte. Bis zum 28.4.1994 bezog die Klägerin Arbeitslosengeld, in der Zeit vom 29.4. bis 31.5.1994 wurde ihr auch die Notstandshilfe (täglich S 276,- -) gewährt.

Mit dem auf Leistung eines monatlichen Unterhalts von S 12.000,-- ab 1.5.1994 gerichteten Klagebegehren verband die Klägerin den Antrag auf Bewilligung des einstweiligen Unterhalts von monatlich S 10.000,-- ab diesem Tag. Dazu brachte sie vor, sie erhalte angesichts ihres Unterhaltsanspruchs keine Notstandshilfe. Der Beklagte habe als praktischer Arzt ein monatliches Nettoeinkommen von zumindest S 70.000,- -. Mit der Eheschließung habe sie ihren erlernten Beruf aufgegeben, mit Rücksicht auf die Weiterentwicklung im EDV-Bereich sei sie in diesem Beruf nicht mehr einsetzbar. Sie sei auch nicht mehr vermittelbar.

Der Beklagte trat dem Antrag mit dem Vorbringen entgegen, der Klägerin werde deshalb keine Notstandshilfe gewährt, weil sie ihrer Verpflichtung zur Berichterstattung über das Scheidungsverfahren an das Arbeitsamt nicht nachgekommen sei; sie habe sich selbst zuzuschreiben, daß sie nun einkommenslos sei. Im übrigen habe sie sich um keine andere Stelle bemüht.

Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt.

Es nahm als bescheinigt an, daß der Beklagte ein monatliches Nettoeinkommen von rund zumindest S 50.000,-- erziele. Die Klägerin sei beim Arbeitsamt als arbeitsuchend gemeldet.

Rechtlich meinte das Erstgericht, es könne deshalb nicht gesagt werden, daß sich die Klägerin nicht um eine entsprechende Stellung bemühe. Der Unterhalt sei nach Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft grundsätzlich in Geld zu leisten. Angesichts der Notstandshilfe an die Klägerin und des Einkommens des Beklagten sei der begehrte einstweilige Unterhalt angemessen. Die Leistungen des Beklagten für das Haus könnten nicht zur Gänze der Klägerin angelastet werden, sei doch er selbst ausgezogen, kämen die Leistungen auch seinen Kindern zugute und trügen diese Aufwendungen im übrigen auch zu seiner Vermögensbildung bei.

Das Gericht zweiter Instanz gab dem Antrag auf einstweiligen Unterhalt nur mit dem monatlichen Betrag von S 7.000,-- ab 1.5.1994 statt und wies das Mehrbegehren (von monatlich S 3.000,- -) ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar S 50.000,-- übersteige, der ordentliche Revisionsrekurs aber nicht zulässig sei. Es führte aus, die Notstandshilfe sei ein bei der Unterhaltsbemessung zu berücksichtigendes Einkommen. Voraussetzung für deren Bezug sei unter anderem eine Notlage, wenn also dem Arbeitslosen die Bestreitung der notwendigen Lebensbedürfnisse nicht möglich sei. Unterhaltsansprüche seien für den Bezug der Notstandshilfe ohne Bedeutung. Nur wenn der Arbeitslose mit dem Kläger im gemeinsamen Haushalt lebe, würde die Notstandshilfe in genau geregelter Weise gekürzt; das treffe hier indessen nicht zu. Die Notstandshilfe ersetze demnach das Arbeitseinkommen des Empfängers als Versicherungsleistung mit Rechtsanspruch soweit, als der an sich gebührende Bezug um schematisch zu berücksichtigende Einkommensteile des im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehegatten zu kürzen sei. Lebe dagegen der Ehegatte - wie hier - nicht im gemeinsamen Haushalt mit dem Arbeitslosen, sei dessen Einkommen für den Bezug der Notstandshilfe ohne Einfluß. Daraus folge, daß die Klägerin Anspruch auf deren Bezug habe, wenn auch mit deren Auszahlung aus nicht näher feststellbaren Gründen innegehalten worden sei. Die Notstandshilfe sei somit im monatlichen Betrag von S 8.280,-- bei der Unterhaltsbemessung in Anschlag zu bringen. Der mitverdienende Ehegatte habe Anspruch auf 40 % des Gesamteinkommens unter Abzug seines eigenen Einkommens; der Hundertsatz sei für jede der Unterhaltsverpflichtungen des Beklagten für seine Kinder um jeweils 4 % - Punkte zu kürzen. Vom Gesamteinkommen von S 58.280,-- gebührten der Klägerin daher 32 %, das sei ein Betrag von S 18.650,-- und unter Abzug des eigenen Einkommens ein solcher von S 10.370,- -. Davon seien die Geld- und Naturalleistungen des Beklagten von monatlich etwa S 6.000,-- abzuziehen: Die Aufwendungen für die Ehewohnung beträfen ausschließlich das familienrechtliche Verhältnis zwischen den Eheleuten. Die Klägerin müsse sich die Leistungen schon deshalb in angemessener Weise anrechnen lassen, weil der Beklagte gemäß § 97 ABGB für die Erhaltung der Wohnung Sorge zu tragen habe. Da sie derzeit die Wohnung allein benütze, erscheine es gerechtfertigt, ihr die Hälfte des Aufwands anzulasten, zumal ihr die Vermögensbildung im Rahmen des nachehelichen Aufteilungsverfahrens gleichfalls zugutekommen werde. Berücksichtige man ferner auch noch die Stromkosten, die der Klägerin und den beiden Kindern anteilsmäßig zum Vorteil gereichten, erscheine ein Betrag von monatlich S 7.000,-- als einstweiliger Unterhalt gerechtfertigt.

Der dagegen von der Klägerin erhobene Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Sie bringt vor, angesichts ihres Unterhaltsanspruchs gegen den Beklagten bleibe ihr die Notstandshilfe verwehrt, weshalb das Arbeitsamt auch deren Auszahlung eingestellt habe. Sie sei deshalb - entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes - einkommenslos. Diesen Ausführungen ist beizupflichten:

Gemäß § 33 Abs 1 AlVG kann Arbeitslosen, die - unter anderem - den Anspruch auf Arbeitslosengeld erschöpft haben, auf Antrag Notstandshilfe gewährt werden. Voraussetzung für die Gewährung dieser Notstandshilfe ist aber (§ 33 Abs 2 AlVG), daß der Arbeitslose, sofern er überhaupt die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt sowie arbeitsfähig und arbeitswillig ist, sich in Notlage befindet. Notlage liegt vor, wenn dem Arbeitslosen die Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse unmöglich ist (§ 33 Abs 3 AlVG). Die nähere Beurteilung der Notlage nimmt § 2 NotstandshilfeV vor: Nach deren Abs 1 liegt Notlage vor, wenn das Einkommen des Arbeitslosen und das seines Ehepartners (bzw Lebensgefährten) zur Befriedigung der notwendigen Lebensbedürfnisse nicht ausreicht. Gemäß Abs 2 sind bei Beurteilung der Notlage die gesamten wirtschaftlichen Verhältnisse des Arbeitslosen sowie des mit dem Arbeitslosen im gemeinsamen Haushalt lebenden Ehepartners (Lebensgefährten) zu berücksichtigen. Das Rekursgericht setzt nun diese beiden Bestimmungen nicht in die richtige rechtliche Beziehung, indem es annimmt, das Einkommen des Ehegatten sei nur dann für die Gewährung der Notstandshilfe von Bedeutung, wenn beide Eheleute im gemeinsamen Haushalt leben: Reicht das Einkommen des Arbeitslosen bereits für sich selbst aus, um dessen notwendige Lebensbedürfnisse zu befriedigen, so ist das Vorliegen einer Notlage schon nach Abs 1 zu verneinen; als solche Einkommen sind auch Alimente zu verstehen (Frank/Ullrich, AlVG Anm 1 zu § 2 NotstandshilfeV auf S. 398 der Lieferung April 1994, Ullrich/Ehrenreich, AlVG zu § 3 NotstandshilfeV 35). Diese Auslegung entsprach auch der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 22 Abs 1 AlVG 1958 (VwGH 21.1.1970, Zl 1113/69), welche Bestimmung vom Verfassungsgerichtshof als verfassungskonform beurteilt wurde (VfSlg 3682/1960). Wie der Erlaß des BMS Zl 37.003/17-3/1980 dokumentiert, ist die Berücksichtigung von Unterhaltszahlungen bei Gewährung der Notstandshilfe auch jetzt Praxis der Arbeitsämter. Die Entscheidung RZ 1992/87 = EFSlg 64.914 betraf insofern einen anderen Fall, als dort ausgesprochen wurde, daß tatsächlich bezogene Notstandshilfe den Unterhaltsanspruch mindert. Soweit in dieser Entscheidung allerdings ausgeführt wurde, daß Unterhaltsansprüche als solche auf den Bezug der Notstandshilfe ohne Einfluß sind, kann dies im Hinblick auf die Bestimmungen der §§ 2, 3 NotstandshilfeV nicht aufrecht erhalten werden. Hat demnach der Arbeitslose gegen den - von ihm auch getrennt lebenden - Ehegatten einen jedenfalls durchsetzbaren Unterhaltsanspruch, der ihn der Notlage enthebt, so darf ihm keine Notstandshilfe gewährt werden. Demgemäß hat der Oberste Gerichtshof auch bereits ausgesprochen, daß die Unterhaltspflicht des (dort geschiedenen) Mannes dem Anspruch auf Notstandshilfe vorgeht (EfSlg 57.259). Hat der Arbeitslose hingegen kein eigenes ausreichendes Einkommen, dann ist das Einkommen des Ehegatten bzw des Lebensgefährten bei der Beurteilung der Notlage angemessen anzurechnen, sofern die beiden im gemeinsamen Haushalt leben, gleichviel, ob dem Arbeitslosen gegen den Ehegatten - gegen den Lebensgefährten besteht von vornherein kein solcher Anspruch - überhaupt ein Unterhaltsanspruch zustünde; die Lebensgemeinschaft setzt ohnedies den gemeinsamen Haushalt voraus. Die Auffassung des Rekursgerichtes, für die Gewährung der Notstandshilfe käme dem Unterhaltsanspruch des Arbeitslosen kein Stellenwert zu, würde das wohl untragbare Ergebnis zeitigen, daß der Unterhaltsverpflichtete durch die Notstandshilfe entlastet würde. Ein solches Ergebnis könnte auch mit dem sozialpolitischen Ziel der Bestimmungen über die Notstandshilfe, solche Leistungen nur bei Notlage - wenn also der Arbeitslose seine existentiellen Bedürfnisse nicht anderweitig zu bestreiten imstande wäre - zu gewähren, ganz gewiß nicht in Einklang gebracht werden.

Geht aber die Unterhaltspflicht der Notstandshilfe vor, so hat die Klägerin entgegen der Auffassung des Rekursgerichtes kein bei der Unterhaltsbemessung in Anschlag zu bringendes Einkommen; der Beklagte ist dann aber durch den begehrten Unterhalt mit Rücksicht auf das festgestellte Nettoeinkommen von zumindest monatlich S 50.000,- -, bei Bedachtnahme auf die Unterhaltsverpflichtungen seinen beiden Söhnen gegenüber und unter anteilsweiser Berücksichtigung der für das Haus, in dem sich die Ehewohnung befindet, erbrachten Aufwendungen nicht über das gesetzlich zulässige Maß hinaus beschwert, beträgt der geforderte Unterhalt doch lediglich ein Fünftel seines Einkommens, wogegen bei solchen Verhältnissen etwa 25 % der Bemessungsgrundlage abzüglich erbrachter Leistungen als angemessen erachtet werden. Selbst bei der vom Rekursgericht vorgenommenen Anrechnung der halben Aufwendungen des Beklagten auf das Haus auf den Unterhaltsanspruch ist mit dem monatlichen Betrag die Leistungsfähigkeit des Beklagten noch keineswegs ausgeschöpft.

Deshalb ist die erstgerichtliche einstweilige Verfügung in Stattgebung des Revisionsrekurses wieder herzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 393 Abs 1 EO bzw auf den §§ 402 und 78 EO sowie den §§ 40 und 50 ZPO.

Die Revisionsrekursbeantwortung ist als verspätet zurückzuweisen (§ 402 Abs 1 letzter Satz EO), weil dem Beklagten der Revisionsrekurs bereits am 13.10.1994 zugestellt wurde, er jedoch die Gegenschrift erst am 9.11.1994 - demnach nach Ablauf der 14tägigen Frist - zur Post gegeben hat.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte