OGH 7Ob27/12i

OGH7Ob27/12i25.4.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei X***** Limited, *****, vertreten durch Dr. Dominik Schärmer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. E***** H*****, als Masseverwalterin im Konkurs über das Vermögen von E***** H*****, vertreten durch Doralt Seist Csoklich Rechtsanwalts‑Partnerschaft in Wien, wegen 137.331,91 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 27. Dezember 2011, GZ 3 R 94/11g‑41, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Frachtführer kann sich auf die Bestimmungen der CMR, die seine Haftung ausschließen oder begrenzen oder die Beweislast umkehren, nicht berufen, wenn er den Schaden vorsätzlich oder durch ein ihm zur Last fallendes Verschulden verursacht hat, das nach dem Recht des angerufenen Gerichts dem Vorsatz gleichsteht (Art 29 Abs 1 CMR). Nach ständiger österreichischer Rechtsprechung steht dem Vorsatz die grobe Fahrlässigkeit gleich (RIS‑Justiz RS0073961). Generell gültige Aussagen darüber, welche Maßnahmen ein Frachtführer gegen Diebstähle von Gütern zu treffen hat, können im Hinblick auf die einzelfallbezogen zu beurteilende Sorgfaltspflicht des Frachtführers nicht gemacht werden. Bei der Beurteilung, ob das dem Frachtführer anzulastende Verschulden am Verlust der Fracht durch Diebstahl grob fahrlässig ist, kommt es auf verschiedenste Faktoren an, wie zum Beispiel die örtliche Situation, sonstige örtliche und zeitliche Gegebenheiten, die Relation Wert/Gewicht der Waren, die Höhe des (unter anderem von dieser Relation abhängigen) Diebstahlrisikos, die konkreten Handlungen, die zum Diebstahl und Verbringen der Waren nötig sind. Je eher mit einem Diebstahl grundsätzlich zu rechnen ist, je unauffälliger die Entfernung der Fracht vom Lkw möglich ist, je weniger Vorbereitungszeit nötig ist, um den Diebstahl umzusetzen, je leichter die Waren entfernt und verwertet werden können, desto höher ist die Anforderung an den Frachtführer, die Fracht vor Diebstahl zu sichern, um seiner Hauptleistungspflicht, nämlich der Obhutspflicht, nachzukommen (RIS‑Justiz RS0123681). Höhere Gewalt liegt nicht vor, wenn ein Ereignis nicht außergewöhnlich ist, wie etwa Diebstähle (RIS‑Justiz RS0073830).

Die Rechtsansicht der Vorinstanzen, dass das Abstellen eines LKW auf einer ansonsten leeren und unbeleuchteten „SOS‑Haltestelle“ im Umfeld von M*****, ohne Setzen einer Sicherungsmaßnahme, die den Diebstahl des Transportguts erschwert oder das Risiko der Betretung auf frischer Tat erhöht hätten, sodass der Diebstahl ohne sonstige Beschädigungen nach einfachem Öffnen der Hecktüre erfolgen konnte (es war nicht einmal ein Vorhängeschloss angebracht), ein dem Art 29 CMR zu unterstellendes Verhalten ist, ist nicht zu beanstanden. Selbst wenn man die vom BGH (BGH I ZR 166/04, I ZR 176/08, I ZR 39/09 ua) nach Inkrafttreten des Transportrechtsreformgesetzes seit dem 1. 7. 1998 entwickelten Grundsätze, wonach unter Art 29 CMR Vorsatz und bewusst grob fahrlässiges Verhalten falle, auch für Österreich anwenden wollte (obwohl es keine vergleichbare Gesetzesänderung gab), würde sich hier am Ergebnis nichts ändern. Der Frachtführer hat sich durch das Unterlassen jeglicher Sicherungsmaßnahmen in so krasser Weise über die Sicherheitsinteressen seines Vertragspartners hinweggesetzt, dass sich die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts im Rahmen typischer Geschehensabläufe aufdrängte. Eine Auseinandersetzung mit der von der Revision aufgeworfenen Frage, ob von der bisherigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs zu Art 29 CMR abzugehen und (bloße) grobe Fahrlässigkeit nicht mehr dem Vorsatz gleichzustellen sei, steht hier daher nicht an.

Auch die Rechtsfrage, ob und unter welchen Umständen ein Mitverschulden der Absenderin berücksichtigt werden könnte, kann dahingestellt bleiben, weil sich für die Annahme eines Mitverschuldens keine Grundlage bietet:

Der Umstand, dass überall in der Welt von abgestellten Lastkraftwagen Transportgut gestohlen wird, kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Auch wenn Waren der Absenderin in der Vergangenheit (erst) zweimal (in anderen Ländern) bei einem Transport gestohlen wurden, hat sie keinen Wissensvorsprung gegenüber dem beklagten Frachtführer, der seit 12 bis 15 Jahren ähnliche Transportaufträge in Italien erfüllt hat, auch wenn ihm bis zum damaligen Zeitpunkt noch kein Diebstahl einer Ladung widerfahren ist. Es kam auch nicht hervor, dass den beiden Diebstählen von Waren der Absenderin eine besondere Signifikanz anhaftete. Eine Aufklärung über den Ladungsinhalt war insofern nicht notwendig, als nach den Feststellungen allen Beteiligten klar war, dass es sich um (Marken‑)Textilien der Absenderin handelte.

Die Rechtsfrage, ob bei Berechnung des Schadens nach CMR im Sinn der Judikatur des BGH zu I ZR 39/09 auf die Haftungshöchstsummen gemäß Art 23 Abs 3 und 7 CMR Bedacht zu nehmen ist, auch wenn dem Frachtführer ein bewusst grob fahrlässiges Verhalten anzulasten ist, kann ebenso dahingestellt bleiben. Der klagende Versicherer, an den die Ansprüche der beteiligten Unternehmen abgetreten wurden, kann den Schaden ‑ wie auch die Revision erkennt ‑ nach nationalem Recht geltend machen.

Die Revision wendet gegen den Schadenersatzanspruch nach österreichischem Recht neben dem Mitverschulden nur ein, dass die T***** S.p.A. nicht Empfängerin gewesen sei, womit sie sich über die Feststellungen hinwegsetzt, dass diese Gesellschaft von der Absenderin als Empfängerin im Frachtvertrag bezeichnet wurde. Weiters übergeht sie, dass die Waren bereits im Zeitpunkt des Abschlusses des Frachtvertrags an dieses Unternehmen verkauft waren. Nach § 430 UGB richtet sich der Ersatz nach dem gemeinen Handelswert des Gutes am Ort der Ablieferung. Die Entscheidungen der Vorinstanzen halten sich daher insgesamt im Rahmen der Judikatur.

Es werden keine erheblichen Rechtsfragen geltend gemacht. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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