OGH 9Ob9/12g

OGH9Ob9/12g29.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.‑Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn in der Rechtssache der Klägerin E***** G*****, vertreten durch Dr. Zsizsik und Dr. Prattes, Rechtsanwälte OG in Bruck an der Mur, wider die beklagte Partei Ing. K***** G*****, vertreten durch Mag. Florian Bär, Rechtsanwalt in Kapfenberg, wegen Unterhalt (35.176,56 EUR sA), über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben vom 22. Dezember 2011, GZ 2 R 332/11i‑20, mit dem der Berufung der klagenden Partei gegen das Urteil des Bezirksgerichts Bruck an der Mur vom 14. September 2011, GZ 5 C 59/10v-16, Folge gegeben und die Rechtssache an das Erstgericht zurückverwiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit 2.721,90 EUR (darin 453,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens sowie die mit 4.552,48 EUR (darin 2.593 EUR Barauslagen, 326,58 EUR USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Streitteile sind seit 1985 miteinander verheiratet, haben zwei volljährige Kinder und wohnen in einem Einfamilienhaus.

Die Klägerin geriet ab 2005 in ein Burnout und nahm nach einer dreiwöchigen Kur im Frühjahr 2006 regelmäßige psychologische Betreuung in Anspruch, zu der sie vom Beklagten mit dem PKW gebracht wurde. Er fragte sie nicht über Grund und Fortgang dieser Beratung. Ein Fehlverhalten des Beklagten als Ursache für die psychischen Belastungen der Klägerin steht nicht fest. Im Dezember 2007 nahm sie wieder eine Halbtagsbeschäftigung auf, die sie bis Dezember 2009 ausübte.

Die sexuellen Kontakte zwischen den Streitteilen wurden im Lauf der Ehe immer seltener. Nach einem von der Klägerin initiierten Kurzurlaub in Ungarn 2008 stieg die Frequenz der sexuellen Kontakte nur kurzfristig. Insgesamt empfand sie die Klägerin als zu selten und fühlte sich vernachlässigt und einsam, während dem Beklagten das sexuelle Verhalten der Klägerin von Anfang an als „inaktiv“ vorkam und er sich mit der stetigen Reduzierung der sexuellen Kontakte abfand.

Es steht nicht fest, dass der Beklagte die eheliche Partnerschaft mutwillig grob vernachlässigt, der Klägerin den notwendigen Beistand nicht geleistet, sich ihr gegenüber unanständig oder lieblos benommen hätte oder durch mutwilliges beharrliches Schweigen die eheliche Partnerschaft zerstört hätte. Der Beklagte ist ganz grundsätzlich ein eher wortkarger Mensch, der von selbst nicht viel spricht, wenig aktive Akzente in Diskussionen setzt und in der Gestaltung der ehelichen Gesprächskontakte und der Kontakte zur Verwandtschaft eher inaktiv war und eine gewisse Gleichgültigkeit an den Tag legte. Eine außereheliche Beziehung unterhielt der Beklagte zu keinem Zeitpunkt. Es konnte nicht festgestellt werden, ob und wenn ja wie intensiv die Unzufriedenheit der Klägerin mit dem Sexualleben und mit der Gesprächskultur des Beklagten zwischen den Streitteilen offen angesprochen wurde.

Am 9. 1. 2009 zog die Klägerin aus dem ehelichen Schlafzimmer aus und übernachtet seither im früheren Zimmer der Tochter. Von Jänner bis Ende Mai 2009 unterhielt sie eine außereheliche sexuelle Beziehung zu M***** F*****. Sie war im Schnitt dreimal wöchentlich untertags und auch in der Nacht mit ihm zusammen und verbrachte gelegentlich auch mehrere Tage hintereinander mit ihm. Der Beklagte fand dies gegen Ende Jänner 2009 heraus und bat die Klägerin mehrmals, das Verhältnis zu beenden. Sie hatte jedoch nicht das Gefühl, er werde sich ihren Wünschen entsprechend verändern. Hätte sie dieses Gefühl gehabt, so hätte sie damals die Ehe aufrecht halten wollen.

Der Beklagte begab sich im Mai 2009 auf Kur und hoffte, die Klägerin werde bis zu seiner Rückkehr die außereheliche Beziehung beendet haben. Als er nach seiner Rückkehr feststellen musste, dass sie nach wie vor aufrecht war, „schaltete er im Umgang mit der Klägerin ab“ und ignorierte sie fortan mehr oder weniger. Auch als sie sich nach dem Ende der Beziehung wieder mehr zu Hause aufhielt, fragte der Beklagte nicht nach, weil er beschlossen hatte, in der Frage des Ehelebens keine Schritte mehr zu setzen.

Im Lauf des Jahres 2010 nahm die Klägerin eine weitere außereheliche Beziehung auf, die andauert. Beide Streitteile wohnen nach wie vor im gemeinsamen Haus, der Beklagte ständig, die Klägerin unter der Woche. Zusammentreffen werden nach Möglichkeit vermieden. Der Beklagte bereitet für sich und die beiden Kinder das (Abend‑)Essen zu und kauft auch selbst ein. Die Klägerin kocht und isst alleine. Die Streitteile waschen ihre Wäsche getrennt. Die Putzarbeiten werden überwiegend von der Mutter der Klägerin gemacht. Seit Mai 2010 ist die Klägerin ganztags beschäftigt.

Die Klägerin begehrte für die Zeit vom 1. 9. 2009 bis 31. 8. 2010 Unterhalt in Höhe von 35.176,56 EUR. Der Beklagte habe sich ihr gegenüber jahrelang lieblos, ignorant und teilnahmslos verhalten und keinen Geschlechtsverkehr mit ihr gehabt. Seit seiner ehewidrigen Beziehung im Jahr 2006 sei die Ehe unheilbar zerrüttet.

Der Beklagte bestritt dies, beantragte Klagsabweisung und wandte Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ein, weil die Klägerin jedenfalls seit Jänner 2009 eine außereheliche Beziehung zu M***** F***** eingegangen sei und auch aktuell eine außereheliche Beziehung führe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Ungeachtet der Frage, auf welche anspruchsbegründende Konstellation des § 94 Abs 2 ABGB das Begehren zu stützen sei, habe die Klägerin den Unterhaltsanspruch verwirkt, weil ihre außerehelichen Beziehungen nicht durch ein vorangegangenes Fehlverhalten des Beklagten entschuldbar seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge und hob das Ersturteil zur Verfahrensergänzung bezüglich der Höhe des Unterhaltsanspruchs auf. Ihrer Affaire sei eine zunehmende Entfremdung der Ehegatten vorangegangen, die in erster Linie auf die Wortkargheit, Inaktivität und Gleichgültigkeit des Beklagten zurückzuführen sei. Sein mangelndes Interesse an den Gefühlen der Klägerin werde auch im Zusammenhang mit ihrer Krise im Frühjahr 2006 deutlich, wo er sie nicht über Grund und Fortgang der Behandlung befragt habe. Typisch für ihn sei auch, dass er auf das Ende der ersten Affaire nicht reagiert habe, weil er schon zuvor beschlossen habe, abzuschalten und die Klägerin mehr oder weniger zu ignorieren. Dem Ehebruch der Klägerin komme gerade noch keine solche Bedeutung zu, dass Rechtsmissbrauch vorliege. Der Rekurs wurde zugelassen, da nicht auszuschließen sei, „dass zur Wahrung der Einzelfallgerechtigkeit eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO vorliegt.“

In seinem dagegen gerichteten Rekurs beantragt der Beklagte die Abänderung des Berufungsurteils im Sinne einer Klagsabweisung, hilfsweise „die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an ein Untergericht zurückzuverweisen“.

Die Klägerin beantragt, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig und berechtigt.

Da die Ehe der Streitteile aufrecht ist, richtet sich die Beurteilung des Unterhaltsanspruchs der Klägerin nach § 94 ABGB.

Gemäß § 94 Abs 2 ABGB hat der den gemeinsamen Haushalt führende Ehegatte gegen den anderen einen Anspruch auf Unterhalt, wobei eigene Einkünfte angemessen zu berücksichtigen sind. Dies gilt nach der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts zu Gunsten des bisher Unterhaltsberechtigten weiter, sofern nicht die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs, besonders wegen der Gründe, die zur Aufhebung des gemeinsamen Haushalts geführt haben, ein Missbrauch des Rechts wäre.

Das Berufungsgericht ließ bei seiner Bejahung der Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens die vorrangige Frage ungeprüft, ob die Klägerin den gemeinsamen Haushalt geführt hatte (wozu keine Feststellungen getroffen wurden) oder ob trotz der gemeinsamen Nutzung des Einfamilienhauses von einer Aufhebung des gemeinsamen Haushalts auszugehen ist. Erwägungen dazu sind nur deshalb entbehrlich, weil ‑ wie das Erstgericht zutreffend ausführte ‑ auch bei Bejahung der Voraussetzungen der Anspruch verwirkt ist:

Richtig ist, dass nicht jede schwere Eheverfehlung zur Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens führt. Die gesetzlichen Unterhaltsansprüche erlöschen vielmehr nur in besonders krassen Fällen, in denen die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs wegen des Verhaltens des betreffenden Ehegatten grob unbillig erschiene (RIS‑Justiz RS0009759; RS0009766). Maßgebliches Kriterium ist dabei, ob das dem unterhaltsberechtigten Ehegatten vorgeworfene Verhalten auf einen völligen Verlust oder eine ihm nahe kommende Verflüchtigung des Ehewillens schließen lässt und darauf hinweist, dass der den Unterhalt begehrende Teil nicht nur einzelne aus dem ehelichen Verhältnis entspringende Verpflichtungen missachtet, sondern sich schuldhaft über alle Bindungen aus der ehelichen Partnerschaft hinwegzusetzen bereit ist. Entscheidend ist demnach, ob der den Unterhalt fordernde Teil selbst und aus eigenem Verschulden den Ehewillen (weitgehend) aufgegeben hat und insoweit ein Dauerzustand eingetreten ist (zB 6 Ob 2/05w mwN; 2 Ob 193/06f).

Der Ehebruch und das „fortgesetzte sexuelle Liebesverhältnis“ stellen grundsätzlich schwerwiegende Verletzungen der ehelichen Verhaltenspflichten dar (1 Ob 171/02g; 7 Ob 158/04t; 2 Ob 193/06f). Mit dem EheRÄG 1999 hat der Ehebruch aber seinen Charakter als absoluter Scheidungsgrund verloren. Er muss nunmehr zerrüttende Wirkung haben, um ein tauglicher Scheidungsgrund zu sein. Bei der Verschuldensabwägung im Scheidungsverfahren kommt ihm nicht in jedem Fall höheres Gewicht zu als anderen Eheverfehlungen ‑ es gelten die allgemeinen Grundsätze (Weitzenböck in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 49 EheG Rz 12). Mit dem Hinweis auf die geänderte Rechtslage wurde im Schrifttum mehrfach betont, dass auch die Verwirkung des Unterhaltsanspruchs ‑ um Wertungswidersprüche zu vermeiden ‑ nur (mehr) auf einen Ehebruch gestützt werden könne, der zur Ehezerrüttung zumindest beigetragen hat (vgl 2 Ob 193/06f mwN; 2 Ob 141/10i).

Ähnlich führt Gitschthaler, Unterhaltsrecht2 Rz 596, zur Unterhaltsverwirkung durch Rechtsmissbrauch aus, dass Ehebruch zwar gemäß § 49 EheG als Eheverfehlung zu behandeln sei, für die Annahme einer Verwirkung müsse jedoch noch etwas „dazukommen“, das den Schluss nahe lege, dass sich beim Ehebrecher der Ehewille verflüchtigt habe, und es sittenwidrig erscheinen ließe, dass dieser Ehegatte, der schuldhaft selbst die gebotene eheliche Gesinnung vermissen lasse, finanziellen Vorteil aus der Lebensgemeinschaft ziehe. Dieses „Mehr“ könne durchaus darin gesehen werden, dass der Ehegatte nicht nur einmal die Ehe breche (One‑night‑stand), sondern ein fortgesetztes sexuelles Verhältnis eingehe.

Bei der Beurteilung der Frage des Gewichts von Eheverfehlungen und ihrer Eignung, ein Erlöschen des Unterhaltsanspruchs bei aufrechtem Bestand der Ehe herbeizuführen, darf aber auch das Verhalten des anderen Teils nicht vernachlässigt werden (RIS‑Justiz RS0047080). Selbst ein sonst als besonders schwere Eheverfehlung zu beurteilendes Verhalten begründet daher dann keine Rechtsmissbräuchlichkeit des Unterhaltsbegehrens, wenn die Ehe aufgrund vorangegangener schwerwiegender Ehewidrigkeiten des anderen Teils zerrüttet ist (RIS‑Justiz RS0009766).

Von diesen Grundsätzen ausgehend ist das Unterhaltsbegehren der Klägerin rechtsmissbräuchlich: Die vom Berufungsgericht ins Treffen geführte Entfremdung der Ehegatten vor Aufnahme der ersten außerehelichen Beziehung der Klägerin hat das Berufungsgericht auf seine Wortkargheit, Inaktivität und Gleichgültigkeit zurückgeführt. Nach den erstgerichtlichen Feststellungen ist der Beklagte aber grundsätzlich ein eher wortkarger Mensch, der von selbst nicht viel spricht und auch in der Gestaltung der ehelichen Gesprächskontakte und der Kontakte zur Verwandtschaft eher inaktiv war, ohne dass eine besondere Lieblosigkeit der Klägerin gegenüber feststellbar gewesen wäre. Es liegen keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Beklagte diese Haltung erst in der Ehe entwickelt hätte und es deshalb zu einer Entfremdung der Streitteile gekommen wäre.

Der Umstand, dass der Beklagte die Klägerin während ihrer psychologischen Beratung im Jahr 2006 nicht näher über deren Fortgang befragte, liegt zu weit zurück, um zur Erklärung der ersten außerehelichen Beziehung der Klägerin im Jänner 2009 noch beachtlich zu sein. Es muss daher nicht weiter gefragt werden, ob sich das Unterbleiben von Nachfragen nur mit dem Charakter des Beklagten erklärt.

Damit kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass die Ehe der Streitteile zu jenem Zeitpunkt, als die Klägerin die erste außereheliche Beziehung einging, bereits zerrüttet und folglich für einen Unterhaltsanspruch unschädlich gewesen wäre. Das über fünf Monate fortgesetzte sexuelle Verhältnis der Klägerin, dem der Beklagte zunächst keineswegs mit Gleichgültigkeit, sondern mit Gesprächsversuchen und der Bitte, es zu beenden, begegnete, ist daher im Sinne der Rechtsprechung als schwerwiegende, anspruchsvernichtende Verletzung der ehelichen Verhaltenspflichten zu sehen.

Dass der Beklagte in der Folge seinen Ehewillen aufgab, stellt sich nur als Reaktion auf die erste außereheliche Beziehung der Klägerin dar. In weiterer Folge kam es auch zu keiner Aussöhnung der Streitteile. Daneben spielt es keine Rolle mehr, dass die Ehe zum Zeitpunkt des Beginns der zweiten außerehelichen Beziehung der Klägerin unheilbar zerrüttet gewesen sein mag.

Angesichts dieser Umstände ist das Erstgericht zutreffend zum Ergebnis gekommen, dass die Klägerin ihren Unterhaltsanspruch iSd § 94 Abs 2 zweiter Satz ABGB verwirkt hat.

Dem Rekurs ist daher Folge zu geben und das Ersturteil wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO, wobei der Einheitssatz aufgrund des Streitwerts 50 % beträgt (§ 23 Abs 3 RATG).

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