OGH 9Ob31/11s

OGH9Ob31/11s29.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Mag. Ziegelbauer sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei P***** B*****, vertreten durch die Lambert Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei Dr. G***** U*****, Rechtsanwalt, *****, wegen Räumung (Streitwert 1.920 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 23. Februar 2011, GZ 18 R 330/10y‑20, womit das Urteil des Bezirksgerichts Wiener Neustadt vom 1. September 2010, GZ 14 C 425/10g‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei und die nachträgliche Urkundenvorlage werden zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass der Oberste Gerichtshof noch nicht zur Rechtsfolge des § 138 Abs 2 EO (vollständige oder teilweise Unwirksamkeit des Mietvertrags) Stellung genommen habe. Dieser Begründung schloss sich der Revisionswerber an. Darüber hinaus seien im gegenständlichen Fall noch weitere erhebliche Rechtsfragen zu klären, „zumal das Berufungsgericht von der herrschenden Lehre abweicht und gegen Gesetze der Logik und der Erfahrung verstößt“. Der Revisionsgegner erstattete zur (Un-)Zulässigkeit der Revision kein besonderes Vorbringen.

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO):

Mietverträge, die der Eigentümer trotz Einleitung des Versteigerungsverfahrens abgeschlossen hat, sind nicht schon allein deshalb unwirksam (vgl RIS‑Justiz RS0008346 ua). Seit der Exekutionsordnungs‑Novelle 2000, BGBl I 2000/59, bestimmt aber § 138 Abs 2 EO, dass ab dem Zeitpunkt der Anmerkung der Einleitung des Versteigerungsverfahrens Rechtshandlungen des Verpflichteten, die die in Exekution gezogene Liegenschaft betreffen und die nicht zur ordentlichen Verwaltung gehören, den Gläubigern und dem Ersteher gegenüber unwirksam sind. Damit ist etwa der Abschluss von Mietverträgen, sofern sie nicht zur ordentlichen Verwaltung dieser Liegenschaft gehören, ab der Anmerkung der Versteigerung gegenüber bestimmten Personen unwirksam. Zweck der Bestimmung ist es, die Möglichkeiten auszuschalten, Zwangsversteigerungsverfahren durch Entwertung der Liegenschaft zu verhindern. Die Effektivität der Exekution soll erhöht und eine Verminderung der Erfolgsaussichten der Exekution durch eine Verringerung der Verkaufschancen hintangehalten werden (vgl RV 93 BlgNR 21. GP 25, 34; 5 Ob 163/06s; 10 Ob 14/11y ua). Der in § 138 Abs 2 EO enthaltene Begriff der ordentlichen Verwaltung ist im Hinblick auf den Zweck dieser Bestimmung auszulegen (RV 93 BlgNR 21. GP 34).

Beim Abschluss eines Mietvertrags durch den Verpflichteten nach Einleitung des Versteigerungsverfahrens handelt es sich um den Hauptanwendungsanfall einer Rechtshandlung iSd § 138 Abs 2 EO. Nicht selten werden nämlich Verkaufschancen vermindert, weil ein Exekutionsobjekt während des Exekutionsverfahrens vermietet wird (RV 93 BlgNR 21. GP 25, 34; vgl Angst in Angst, EO² § 138 Rz 6; Binder in Schwimann, ABGB³ V § 1121 Rz 3; Hinteregger, Rechte des Pfandgläubigers bei Entwertung der Pfandliegenschaft durch Vermietung, ÖBA 2001, 448 [452]; 5 Ob 163/06s; 10 Ob 14/11y ua). Die abweichende Auffassung des Revisionswerbers, wonach der „ganze“ Mietvertrag keine Rechtshandlung sei, weil dem Ersteher nur „das geringste jeweils zum Erfolg führende (Rechts‑)Mittel“ zustehe, vermengt die Frage der Rechtshandlung mit der Frage, ob die Rechtshandlung im Einzelfall dem Zweck des § 138 Abs 2 EO zuwiderläuft.

Richtig ist, dass die zwischen dem betreibenden Gläubiger und dem Verpflichteten strittige Frage, ob ein Bestandverhältnis gültig zustandegekommen ist und vom Ersteher zu übernehmen sein wird, eine Vorfrage für die Feststellung des Schätzwertes sein kann. Eine Bindung des Erstehers folgt daraus jedoch nicht (3 Ob 170/94; 3 Ob 25/00y; RIS‑Justiz RS0061785 ua). Die relative Unwirksamkeit des Mietvertrags ist vom Ersteher nicht im Exekutionsverfahren, sondern im streitigen Rechtsweg durchzusetzen (RV 93 BlgNR 21. GP 34).

Der Kläger geht als Ersteher erkennbar davon aus, dass der nach Einleitung des Versteigerungsverfahrens vom Verpflichteten mit dem Beklagten abgeschlossene Mietvertrag vom 27. 4. 2009 die Liegenschaft durch eine ganze Reihe von den Mieter in unüblicher Weise begünstigenden Klauseln entwerte, sodass nicht mehr von einer Vermietung im Rahmen der ordentlichen Verwaltung gesprochen werden könne. Der Mietvertrag sei daher gegenüber dem Kläger unwirksam. Diesem Standpunkt schloss sich das Berufungsgericht an und verwies in diesem Zusammenhang insbesondere auf die im Mietvertrag enthaltenen Regelungen zum Dachbodenausbau, zur Ablöse, zur Berücksichtigung verjährter Honorarforderungen des Beklagten und zum Bestandzins. Der Revisionswerber geht darauf nicht im Detail ein, verweist aber darauf, dass der Mietvertrag des Beklagten ohnehin dem Mietvertrag der Vormieterin entsprochen habe. Daraus ist für den Revisionswerber nichts zu gewinnen, weil es nach § 138 Abs 2 EO um den Mietvertrag geht, der nach Anmerkung der Einleitung des Versteigerungsverfahrens abgeschlossen wurde.

Ob eine Vermietung noch im Rahmen der ordentlichen Verwaltung erfolgt, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab, die keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO begründen (vgl RIS‑Justiz RS0013564, RS0041383 ua). Dass etwa eine mietvertragliche Regelung des Inhalts, dass der erste Mietzins erst in mehr als fünf Jahren zu zahlen sei, geeignet sein kann, ein Versteigerungsverfahren durch Entwertung der Liegenschaft zu verhindern, ist durchaus vertretbar. Ob sich die wirtschaftliche Lage des Verpflichteten „verbessert“ hat, wenn er einem Gläubiger ein Mietobjekt gegen Verrechnung mit (allenfalls verjährten) Forderungen überlässt, muss hier nicht untersucht werden; die betriebene Forderung wurde offenbar vom Verpflichteten nicht erfüllt und daher die Exekution fortgeführt. Überlegungen des Revisionswerbers zu hypothetischen Sachverhalten, was gewesen wäre, wenn der gegenständliche Mietvertrag nicht abgeschlossen worden wäre, begründen keine erhebliche Rechtsfrage. Die pauschale Behauptung des Revisionswerbers, das Berufungsgericht weiche von der „herrschenden Lehre“ ab und verstoße gegen die „Gesetze der Logik und der Erfahrung“, ist mangels Substantiierung nicht geeignet, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzutun.

Die Behauptung des Revisionswerbers, es sei nicht beachtet worden, dass der Kläger durch das Vorschreiben der „Hauptmiete“, das Zuwarten und die zunächst erfolgte Aufkündigung das Bestehen eines Hauptmietvertrags zugestanden habe, beruht offenbar auf einem Missverständnis. Geht man nämlich davon aus, dass zwischen dem Verpflichteten und dem Beklagten am 27. 4. 2009 ein Mietvertrag bezüglich eines Objekts auf der in Exekution gezogenen Liegenschaft zustandekam, dann trat der Kläger als Ersteher dieser Liegenschaft zunächst in den Mietvertrag ein (§ 1121 ABGB; § 2 Abs 1 Satz 4 MRG; Würth/Zingher/Kovanyi, Miet‑ und Wohnrecht22 § 2 MRG Rz 9 ff; Binder in Schwimann ABGB³ V § 1121 Rz 1 ff; RIS‑Justiz RS0105725, RS0113868, RS0123597 ua). Der Mietzins wurde daher nicht in Anerkennung eines sonst nicht bestehenden Mietverhältnisses vorgeschrieben, sondern es entsprach die Vorschreibung der zunächst gegebenen Vertragslage, bis der Kläger erkannte und sich dazu entschloss, keine Kündigung mehr zu betreiben, sondern gegenüber dem Beklagten die relative Unwirksamkeit des Mietvertrags (siehe dazu 10 Ob 14/11y) gemäß § 138 Abs 2 EO im streitigen Rechtsweg geltend zu machen. Dass der Kläger auf sein diesbezügliches Recht verzichtet hätte, wurde vom Beklagten nicht geltend gemacht.

Angebliche Verfahrensmängel des erstinstanzlichen Verfahrens, die bereits vom Berufungsgericht verneint wurden, können in der Revision nicht mehr erfolgreich gerügt werden (Kodek in Rechberger, ZPO³ § 503 Z 9 mwN ua). Die pauschale Behauptung des Revisionswerbers, dem Gericht sei es unmöglich gewesen, „die Umstände des Einzelfalles festzustellen und somit rechtlich richtig zu beurteilen“, ist nicht geeignet, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuzeigen.

Zusammenfassend ist die Revision des Beklagten mangels Geltendmachung einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO zurückzuweisen.

Die nachträgliche, unmittelbar beim Obersten Gerichtshof erfolgte Urkundenvorlage des Beklagten verstößt gegen den Grundsatz der Einmaligkeit des Rechtsmittels. Jeder Partei steht nur eine einzige Rechtsmittelschrift oder Rechtsmittelgegenschrift zu. Weitere Rechtsmittelschriften und Rechtsmittelgegenschriften, Nachträge oder Ergänzungen sind unzulässig (RIS‑Justiz RS0041666 ua).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Der Revisionsgegner hat nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035979 ua).

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