Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; der erstinstanzliche Beschluß wird wiederhergestellt.
Die verpflichtete Partei hat die Kosten ihres Rekurses selbst zu tragen.
Die Kosten des Revisionsrekurses in Höhe von S 21.861,-- (darin enthalten S 3.643,50 USt) werden als weitere Exekutionskosten der betreibenden Partei bestimmt.
Text
Begründung
Gegenstand des Verfahrens ist die Zwangsversteigerung der 141/4.417tel Anteile der Liegenschaft EZ ***** GB ***** mit denen Wohnungseigentum an der Wohnung Nr 30 und der 14/4417tel Anteile dieser Liegenschaft, mit denen das Wohnungseigentum an der Garage Nr 1 im Haus *****, verbunden ist. Die Einheitswerte zum Stichtag 1.1.1987 betragen für die Wohnung S 329.416,-- für die Garage S 32.707,--. Zubehör ist nicht vorhanden. Nach Schätzung durch den Sachverständigen Baumeister Dipl.Ing.Rudolf Süß bewertete das Erstgericht mit Beschluß vom 30.8.1993 den Schätzwert der Wohnung mit S 2,393.000,--, denjenigen der Garage mit S 199.000,--, teilte aber gleichzeitig mit, daß Anträge, Erinnerungen und Einwendungen gegen die Beschreibung und Schätzung oder den Schätzwert binnen 14 Tagen anzubringen sind.
Der Verpflichtete erhob dagegen Einwendungen, in denen er (im einzelnen) die Unvollständigkeit bzw Unrichtigkeit der Angaben im Schätzungsgutachten zur Ausstattung der Wohnung und eine zu geringe Bewertung aufgrund der derzeit aktuellen örtlichen Marktsituation geltend machte. Schließlich sei bei der Bewertung die Belastung der Wohnung mit einem außerbücherlichen Bestandrecht, nämlich einem Mietvertrag, nicht berücksichtigt worden.
In dem von der betreibenden Gläubigerin - bereits vorher - vorgelegten Entwurf der Versteigerungsbedingungen wird dieses Mietverhältnis nicht erwähnt; vom Ersteher ist ohne Anrechnung auf das Meistbot nur die Dienstbarkeit der Duldung des Betriebes und der Erhaltung einer bestehenden Wasserleitungsanlage zu übernehmen. Der vom Verpflichteten dem Sachverständigen in Kopie übermittelte Mietvertrag vom 25.7.1984 zwischen den Verpflichteten und Monika S***** hat folgende hier wesentlichen Bestimmungen:
"2. Da der Anwartschaftsvertrag am 15.11.1993 von Herrn Karl E***** und Frau Monika S***** gemeinsam .... abgeschlossen wurde, räumt Herr Karl E***** unwiderruflich das Mietrecht als Hauptmieter für Frau Monika S***** in der Wohnung ***** einschließlich der Garage ein.
...
4. Das Mietverhältnis beginnt mit dem Tag der behördlichen Wohnsitzmeldung von Frau Monika S***** an der Anschrift der gegenständlichen Wohnung in ***** und wird auf Lebensdauer von Frau Monika S***** abgeschlossen.
5. Da der Kaufpreis der gegenständlichen Eigentumswohnung von beiden Vertragsteilen gemeinsam je zur Hälfte aufzubringen ist, wird bis zur gänzlichen Begleichung der für den Kauf eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten keine Miete berechnet. Nach Tilgung der Kaufpreisverbindlichkeiten wird ein angemessener und ortsüblicher Mietpreis vereinbart.
6. Für den Fall der Verehelichung der Vertragsteile erklären diese übereinstimmend, daß sämtliche Rechte und Verpflichtungen aus diesem Mietvertrag aufrecht bleiben.
7. Die Kündigung dieses Vertrages seitens des Vermieters ist auf Dauer des Mietverhältnisses nicht rechtskräftig, seitens der Mieterin jederzeit unter Einhaltung einer 6-monatigen Kündigungsfrist möglich.
..."
In der Ergänzung des Schätzungsgutachtens (ON 21) hielt der Sachverständige fest, daß aus dem ihm vom Verpflichtetenvertreter in Kopie übermittelten Mietvertrag hervorgehe, daß die Wohnung an Monika S***** vermietet sei, die anstelle einer Miete die Rückzahlungen der aushaftenden Darlehen für die Eigentumswohnung leiste. Der Sachverständige ermittelte auch einen Verkehrswert unter Berücksichtigung des Mietvertrages, und zwar mit S 345.000,--; dabei legte er zugrunde, das das Bestandverhältnis auf Lebensdauer der am 29.8.1946 geborenen Mieterin abgeschlossen wurde und bis zur gänzlichen Begleichung der für den Kauf eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten, das sind 40 Jahre, keine Miete berechnet wird. Dies ergibt nach den Berechnungen des Sachverständigen einen Wertverlust von S 2,048.000,-- gegenüber dem Verkehrswert der ausbezahlten und unbelasteten Eigentumswohnung von S 2,393.000,--.
Die betreibende Gläubigerin äußerte sich dahin, es liege kein gültiger Mietvertrag bzw ein nichtiger und sittenwidriger Vertrag bzw ein Scheinvertrag vor, der völlig unbeachtlich sei; die Bewertungen unter Berücksichtigung bzw Zugrundelegung dieses Mietvertrags seien unrichtig.
Das Erstgericht beraumte eine Tagsatzung zur Erörterung des Schätzwertes am 23.3.1994 an, bei der der Verpflichtete und seine nunmehrige Gattin Monika E*****, geschiedene S*****, einvernommen wurden.
Mit Beschluß vom 19.4.1994 (ON 30) bestimmte es den Schätzwert mit S 2,393.000,-- (Wohnung) und S 199.000,-- (Garage). Zur Begründung führte das Erstgericht aus, aus den Aussagen des Verpflichteten und der Monika E***** im Zusammenhalt mit dem im Akt erliegenden Mietvertrag vom 25.7.1984 ergebe sich, daß die nunmehrige Gattin des Verpflichteten, Monika E*****, im Sommer 1984 zum Verpflichteten in die zu versteigernde Wohnung gezogen sei. Da sie damals noch nicht mit dem Verpflichteten verheiratet gewesen sei, habe sie auf eine Absicherung ihrer Wohnmöglichkeit in dieser Wohnung für den Fall bestanden, daß dem Verpflichteten etwas zustoße oder ihre Beziehung in Brüche ginge. Zu diesem Zweck hätten sie am 25.7.1984 den im Akt erliegenden "Mietvertrag" geschlossen. Bei diesem Vertrag handle es sich jedenfalls nicht um einen Bestandvertrag, weil es am Erfordernis der Entgeltlichkeit bzw der Bestimmbarkeit des Entgelts fehle. Es sei nämlich bis zum völlig ungewissen Zeitpunkt der gänzlichen Begleichung der für den Kauf eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten überhaupt keine Miete und danach nur ein - ebenso unbestimmter - "angemessener und ortsüblicher Mietpreis" vereinbart worden. Dieser Vertrag würde daher bei einer Versteigerung der Liegenschaft den Ersteher nicht binden, sodaß er keine Verminderung des Verkehrswertes der Wohnung bewirken könne.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Verpflichteten Folge und bestimmte den Schätzwert der 141/4.417tel Anteile, mit denen Wohnungseigentum an der Wohnung verbunden ist, mit S 345.000,--. Das Rekursgericht vertrat die Rechtsansicht, die sich aus dem Vertrag ergebende Verpflichtung der Bestandnehmerin zur Bezahlung der halben Darlehensrückzahlungen stelle ein bestimmbares Entgelt für die Gebrauchsüberlassung da; dies gelte auch für den "angemessenen und ortsüblichen Mietzins", den die Parteien für die Zeit nach Rückzahlung des Darlehens vereinbart hätten. Ob dieser Vertrag sittenwidrig oder wegen der Absicht der Gläubigerbenachteiligung anfechtbar sei oder ob es sich um ein Scheingeschäft handle, könne im Rahmen der Bestimmung des Schätzwertes im Exekutionsverfahren nicht geklärt werden. Zu diesem Zweck müßte der betreibende Gläubiger oder der Ersteher ein streitiges Verfahren einleiten; bis dahin sei im Exekutionsverfahren von der Wirksamkeit des Bestandvertrages auszugehen. Da die Baubewilligung erst nach dem 8.5.1945 erteilt worden sei, handle es sich um ein nach dem MRG kündigungsgeschütztes Mietverhältnis. Der Ersteher trete in den Vertrag einschließlich aller Sonderregelungen sein; er müßte hier also das kündigungsgeschützte Mietverhältnis mit dem vertraglich vereinbarten Entgelt übernehmen. Der Sachverständige habe bei der Schätzung entsprechend § 143 EO, § 3 Abs 3 LBG den Schätzwert der Wohnung sowohl ohne als auch mit Berücksichtigung des Bestandverhältnisses angegeben. Das Gericht könne hingegen nach § 144 EO den Schätzwert nicht alternativ festsetzen; der Schätzwert sei daher dem Sachverständigengutachten folgend unter Berücksichtigung eines - der Höhe nach nicht bestrittenen - Abzugs für das Bestandrecht festzusetzen.
Hinsichtlich der Bestimmung des Schätzwertes für die Garage hob das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf, weil der Wert der Garage unter Berücksichtigung eines Abzugs für das bestehende Bestandverhältnis nicht ermittelt worden sei.
Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil der Oberste Gerichtshof zur Frage, ob eine allfällige Nichtigkeit eines Mietvertrages im Rahmen der Festsetzung des Schätzwertes einer Liegenschaft berücksichtigt werden muß, noch nicht Stellung genommen habe.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs der betreibenden Gläubigerin ist zulässig und berechtigt.
§ 144 Abs 1 EO idF des LBG bestimmt, daß das Gericht "den Schätzwert" durch Beschluß festzusetzen hat. Während bei der Schätzung gemäß § 143 Abs 1 Satz 1 EO idF des LGB zu ermitteln ist, welchen Wert die Liegenschaft bei Aufrechterhaltung der Belastungen und welchen Wert sie ohne diese Belastungen - worunter etwa auch bücherlich nicht eingetragene Bestandrechte fallen (Angst/Jakusch/Pimmer, EO13, Anm 2 zu § 143) - hat, ist die beschlußmäßige Festsetzung mehrerer Schätzwerte durch das Gericht gemäß § 144 Abs 1 EO nicht vorgesehen. Die hier zwischen betreibender Gläubigerin und Verpflichtetem strittige Frage, ob ein Bestandverhältnis gültig zustandegekommen ist und vom Ersteher der Liegenschaft zu übernehmen sein wird, stellt eine Vorfrage für die Festsetzung des Schätzwertes durch das Gericht dar. Ein Ersteher kann - ohne Bindung an die Festsetzung des Schätzwertes gemäß § 144 EO - mit der Begründung, das Bestandobjekt werde ohne Rechtstitel benützt, auf Räumung klagen (vgl ecolex 1993, 236 = ÖBA 1993, 665).
Nach den Tatsachenfeststellungen des Erstgerichtes wurde die Vereinbarung zwischen dem Verpflichteten und seiner nunmehrigen Gattin am 25.7.1984 geschlossen. Aus dem Umstand, daß der Verpflichtete zu dieser Zeit noch nicht Wohnungseigentümer sondern erst Anwartschaftsberechtigter war, ergibt sich nicht, daß die Begründung eines Mietverhältnisses nicht möglich gewesen wäre. Vielmehr steht dem Wohnungseigentumsbewerber gemäß § 23 Abs 2 Z 1 WEG gegen den Wohnungseigentumsorganisator der unabdingbare Anspruch zu, daß ihm die zugesagte Wohnung oder sonstige Räumlichkeit zur Nutzung übergeben wird, sobald sie beziehbar ist. In einem solchen Fall, in dem die Nutzung einem anderen als dem Eigentümer zusteht, ist jener anstelle des Eigentümers zur Vermietung berechtigt (Würth in Rummel, ABGB2, Rz 8 zu §§ 1092 bis 1094). Der Abschluß eines neuen Mietvertrags nach Erlangung der Wohnungseigentümerstellung war keineswegs erforderlich.
Der Umstand, daß der Verpflichtete gemeinsam mit seiner nunmehrigen Ehegattin in der Wohnung wohnt, legt die Prüfung nahe, ob es sich hier nicht um einen Mietvertrag, sondern um ein familienrechtliches Wohnverhältnis handelt. Familienrechtliche Wohnverhältnisse unterscheiden sich durch das Fehlen vertraglicher Bindung vom Bestandvertrag, die Rechtsstellung der Benützer hängt von der Art ihrer Beziehungen zum Verfügungsberechtigten an der Wohnung ab. Dieser kann mangels familienrechtlicher Ansprüche das Wohnverhältnis jederzeit notfalls auch durch Räumungsklage beenden, außer dies wäre aus besonderen Gründen sittenwidrig; dabei muß aber stets im Einzelfall geprüft werden, ob eine Bindungsabsicht bestand, was umso eher anzunehmen ist, wenn ein Konnex zu einer früheren Unterhaltsverpflichtung fehlt (Würth in Rummel2 Rz 7 zu § 1090 mwN).
Im vorliegenden Fall spricht gerade das Vorliegen einer schriftlichen Vereinbarung gegen die Annahme einer solchen Wohnungsbenützung rein faktischer Natur (vgl auch Binder in Schwimann, ABGB, Rz 59 ff zu § 1090). Gerade für den Fall der Scheidung wurde hier entgegen der Ansicht der betreibenden Gläubigerin Vorsorge getroffen und der Ehegattin auch in diesem Fall das Weiterbestehen der Wohnmöglichkeit aus einem Vertragsverhältnis gesichert. Aus dem Umstand, daß eine Anzeige des Mietvertrags beim Finanzamt unterblieb und der Mietvertrag erst im Zuge des Zwangsversteigerungsverfahrens vorgelegt wurde, ergibt sich nicht, daß hier keine gültige Vereinbarung vorliege. Dem Verpflichteten stünde grundsätzlich die Möglichkeit zu, auch nach Einleitung des Zwangsversteigerungsverfahrens einen Mietvertrag abzuschließen (ecolex 1993, 236 = ÖBA 1993, 665). Allein ein solcher Mietvertrag liegt hier nicht vor.
Der Mietvertrag unterscheidet sich durch das Entgelt von der unentgeltlichen Leihe. Der Unentgeltlichkeit steht es gleich, wenn bloß ein Anerkenntniszins oder ein so niedriges Entgelt zu entrichten ist, daß es gegenüber dem Wert der Nutzung nicht ins Gewicht fällt (Würth in Rummel2, Rz 3 zu § 1090 mwN). Das Entgelt braucht nicht auf Geld oder wiederkehrende Leistungen zu lauten, sondern kann auch in einmaliger Kapitalzuwendung, Erbringung von Naturalleistungen oder Arbeitsleistungen bestehen und bereits im vorhinein erbracht worden sein (Binder in Schwimann, Rz 23 zu § 1090 mwN).
Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.
Bei der Beurteilung, ob eine entgeltliche Vereinbarung vorliegt, die als Mietvertrag zu qualifizieren wäre, ist von den Feststellungen auszugehen, die das Erstgericht auf Grund vor ihm abgelegter Zeugen- und Parteiaussagen getroffen hat. Insoweit ist die Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters durch das Rekursgericht ausgeschlossen (SZ 66/164). Danach war Zweck der Vereinbarung nicht der Abschluß eines Mietvertrages, sondern die Absicherung der Wohnmöglichkeit der nunmehrigen Gattin des Verpflichteten für den Fall, daß dem Verpflichteten etwas zustoße oder ihre Beziehung in Brüche ginge. Keiner dieser Fälle liegt vor.
Es sollte bis zur gänzlichen Begleichung der für den Kauf eingegangenen Darlehensverbindlichkeiten "keine Miete berechnet" werden; derzeit wird auch keine Miete berechnet. Zur Absicherung der Aufwendungen wäre der nunmehrigen Gattin des Verpflichteten die Einverleibung eines nachrangigen Pfandrechtes möglich gewesen. Die vorliegende Vereinbarung wurde aber gerade nicht deshalb abgeschlossen, um vorrangige Pfandgläubiger ihre Sicherheit zu nehmen, sie bezog sich einzig auf das Innenverhältnis des Verpflichteten mit seiner jetzigen Gattin.
Nach den vorliegenden Tatsachengrundlagen kann somit im Exekutionsverfahren bei der Festsetzung des Schätzwertes davon ausgegangen werden, daß die Vereinbarung zwischen dem Verpflichteten und seiner nunmehrigen Ehegattin mangels Entgeltlichkeit und mangels eines auf den Abschluß eines Mietvertrages gerichteten erklärten Willens nicht als Mietvertrag zu qualifizieren ist.
Dieser Umstand war bei der Festsetzung des Schätzwertes für die Wohnung zu berücksichtigen; in einem solchen Fall hat ein Abzug für das Bestandrecht zu unterbleiben. Diese Vorgangsweise war auch bei der Garage, für die ein gesonderter Schätzwert festgesetzt wurde, einzuhalten, weil hier gleiche vertragliche Vereinbarungen über die Benützung vorliegen.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO, §§ 40, 50 ZPO; § 74 EO.
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