OGH 7Ob230/11s

OGH7Ob230/11s28.3.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** M*****, vertreten durch Dr. Robert Müller und Mag. Gregor Riess, Rechtsanwälte in Hainfeld, gegen die beklagte Partei J***** M*****, vertreten durch Dr. Peter Eigenthaler, Rechtsanwalt in Lilienfeld, wegen Räumung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Berufungsgericht vom 1. September 2011, GZ 21 R 172/11v-15, womit das Urteil des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 30. Mai 2011, GZ 2 C 1119/10g-11, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 528,66 EUR (darin enthalten 55,78 EUR an USt und 194 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien sind Brüder. Ihr Vater war Eigentümer eines Wohnhauses. Er gestattete ihnen im Jahr 1983, zum bestehenden Wohnhaus einen Zubau zu errichten, der je eine Wohnung für die Streitteile zwischen denen damals ein gutes Einvernehmen herrschte, bieten sollte. Wegen der Wohnbauförderbestimmungen war abgesprochen, dass nur der Kläger als Bauführer auftreten sollte. Beide Parteien arbeiteten bei der Errichtung des Zubaus mit. Sie bezogen die Wohnungen Ende 1987/Anfang 1988. Der Kläger bewohnte mit seiner Tochter die Räume im Erdgeschoß des Zubaus, der Beklagte und seine Familie jene im Obergeschoß, wobei hier die Wand zum Altbau durchbrochen und eine Verbindung zum schon davor vom Beklagten als Schlafzimmer benutzten Raum im ersten Stock des Altbaus hergestellt wurde. Beide Wohnungen haben einen eigenen Eingang.

Im Jahr 1987 begründeten der Kläger und der Vater Wohnungseigentum. Dergestalt, dass das Wohnungseigentumsobjekt des Klägers den gesamten Zubau (somit auch die vom Beklagten bewohnten Räumlichkeiten im Obergeschoß und den Keller) sowie einen Raum im Erdgeschoß (Schlafzimmer) des alten Hauses umfasst (Wohnung 2). Das Wohnungseigentumsobjekt des Vaters, das der Beklagte nach dessen Tod im Erbweg erwarb, besteht aus dem alten Haus (mit Ausnahme des Schlafzimmers im Erdgeschoß) „und diversen Nebenanlagen“. Die Wohnung im Erdgeschoß des alten Hauses bewohnte bis zu ihrem Tod die Mutter der Parteien. Den Keller nutzten von Beginn an beide Parteien gemeinsam. Sie trugen die Betriebskosten und die Kosten für die Heizung jeweils zur Hälfte. Für den Zubau und die beiden Wohnungen besteht eine gemeinsame Heizungsanlage, die sich im Keller des Zubaus befindet.

Vor einigen Jahren ging der Kläger eine Lebensgemeinschaft ein. Zunächst herrschte zwischen den Parteien und ihren Partnerinnen ein gutes Einvernehmen, das sich jedoch im Laufe der Zeit sehr stark verschlechterte.

Der Kläger begehrt die Räumung der vom Beklagten im Obergeschoß des Zubaus benutzten Räumlichkeiten sowie des Kellers. Die Benützung sei ihm nur vorläufig und unentgeltlich gestattet worden. Nach Widerruf benutze der Beklagte das Objekt titellos.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage. Es gebe eine verbindliche Benützungsvereinbarung. Der Ausbau und die Errichtung der Wohnung sei ausschließlich von ihm finanziert worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Zubau sei von den Parteien mit der Absicht errichtet worden, im Ober- und im Erdgeschoß je eine Wohnung für jede Partei und ihre Familie zu schaffen. Nur aus „formellen“ Gründen habe der Kläger am Zubau allein Wohnungseigentum erworben. Die bereits vor Begründung des Wohnungseigentums mit dem Beklagten getroffene Vereinbarung, wonach ihm eine unbefristete Nutzung des Obergeschoßes zukomme, schließe eine titellose Benutzung aus.

Das Berufungsgericht änderte das angefochtene Urteil ab und gab dem Klagebegehren zur Gänze statt. Es liege keine unbefristete Benützungsvereinbarung „im eigentlichen Sinn“ vor, weil diese nur unter Miteigentümern geschlossen werden könne. Als der Zubau errichtet worden sei, seien die Parteien nicht Miteigentümer gewesen. Nach Errichtung des Rohbaus sei das Wohnungseigentum zwischen dem Vater und dem Kläger begründet worden. Eine Benützungsvereinbarung „im eigentlichen Sinn“ hätte nur zwischen dem Vater und dem Kläger getroffen werden können. Der Beklagte könne aus einer Benützungsvereinbarung kein Wohnrecht ableiten. Dieses entspringe vielmehr dem familienrechtlichen Naheverhältnis zum Kläger (und vormals auch zum Vater). Familienrechtliche Wohnverhältnisse seien aber jederzeit widerrufbar. Daran ändere auch nichts, dass der Beklagte Rechtsnachfolger des Vaters geworden sei. Dessen Wohnungseigentumsobjekt liege im Altbau.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle Rechtsprechung zur Frage, „inwieweit eine erst nachträglich (im Erbweg) entstandene Miteigentumsgemeinschaft Auswirkungen auf die rechtliche Qualifikation bereits zuvor getroffener Vereinbarungen haben kann (schlüssige Bestandsänderung?)“.

Dagegen richtet sich die Revision des Beklagten mit dem Antrag, das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen.

Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, sie ist auch berechtigt.

Das kennzeichnende Merkmal eines Prekariums ist darin zu erblicken, dass eine Verbindlichkeit des Verleihers zur Gestattung des Gebrauchs nicht besteht, weil der Gebrauch der Sache bloß gegen jederzeitigen Widerruf überlassen wird (RIS-Justiz RS0020524, RS0019221, RS0019212). Eine Bittleihe wird nicht vermutet (RIS-Justiz RS0019200). Lassen konkrete Umstände auf eine aus dem natürlichen Zusammengehörigkeitsgefühl unter Familienangehörigen entstandenes Wohnverhältnis schließen, so ist es Sache des Benützers der Wohnung, konkrete Umstände darzulegen und zu beweisen, die einen unzweifelhaften Schluss auf das Vorliegen eines Rechtstitels zur Wohnungsbenützung zulassen (RIS-Justiz RS0020500).

Eine Räumungsklage ist abzuweisen, wenn die Benützung auf vertraglicher Grundlage erfolgt, wobei es ohne Belang ist, welchem Vertragstypus die Vereinbarung zu unterstellen ist (RIS-Justiz RS0010310). Es kommt auf die Absicht der Parteien hinsichtlich der Wirkung des Vertrags an (6 Ob 136/97m mwN).

Aus den Feststellungen ergibt sich unzweifelhaft, dass zwischen den Parteien von Beginn an die gemeinsame Errichtung des Zubaus mit je einer Wohnung für jede von ihnen mit gemeinsamen Mitteln und die gemeinsame Kellerbenutzung vereinbart war. Nur nach außen sollte der Kläger als alleiniger Bauwerber und dann als Wohnungseigentümer (hinsichtlich des Zubaus) neben dem Vater (hinsichtlich des Altbaus) auftreten. Im Innenverhältnis zwischen den Parteien war jedoch die Benützung der Räumlichkeiten, wie sie nach Errichtung des Zubaus tatsächlich erfolgte, abgesprochen. Der Beklagte benützt sie damit nicht auf Grund eines familienrechtlichen Verhältnisses, sondern auf Grund der Vereinbarung zwischen ihm und dem Kläger und sohin nicht titellos. Die Räumungsklage ist daher - wie das Erstgericht zutreffend erkannt hat - abzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.

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