OGH 10ObS9/12i

OGH10ObS9/12i14.2.2012

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Fellinger und Dr. Hoch sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Susanne Jonak (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei T*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Lichtenwagner, Rechtsanwalt in Rohrbach, gegen die beklagte Partei Oberösterreichische Gebietskrankenkasse, Gruberstraße 77, 4020 Linz, wegen Rückforderung von Kinderbetreuungsgeld (Revisionsinteresse 2.194,03 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 14. Dezember 2011, GZ 12 Rs 188/11w-11, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Der Kläger bezog für seine am 5. 6. 2006 geborene Tochter Lisa vom 1. 1. 2007 bis 31. 5. 2007 Kinderbetreuungsgeld in Höhe von insgesamt 2.194,03 EUR.

Mit Bescheid vom 24. 6. 2011 widerrief die beklagte Oberösterreichische Gebietskrankenkasse die Zuerkennung des Kinderbetreuungsgelds und verpflichtete den Kläger zum Rückersatz. Der nach § 8 KBGG für das Jahr 2007 maßgebliche Gesamtbetrag seiner Einkünfte von 14.881,40 EUR habe die (damals geltende) Zuverdienstgrenze von 14.600 EUR [um 281,40 EUR] überstiegen.

Das Erstgericht wies das dagegen erhobene (amtswegig umformulierte) Klagebegehren ab und verpflichtete den Kläger zur (Rück-)Zahlung der zu Unrecht bezogenen 2.194,03 EUR in 31 Monatsraten.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

In seiner außerordentlichen Revision zeigt der Kläger keine Rechtsfragen von erheblicher Bedeutung auf:

1. Nach § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung gelten - für Anspruchsüberprüfungen der Kalenderjahre 2002 bis 2007 (§ 49 Abs 15 KBGG) - nur Fälle einer geringfügigen und zugleich unvorhersehbaren Überschreitung der Zuverdienstgrenze als Härtefälle.

2. Die Ansicht der Vorinstanzen, es liege eine geringfügige, nicht jedoch unvorhersehbare Überschreitung der Zuverdienstgrenze vor, weil es dem Kläger bei objektiv zumutbarer Sorgfalt möglich gewesen wäre, die Höhe seiner Einkünfte verlässlich zu beurteilen, steht im Einklang mit der Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0124751).

3. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass die Fragen der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nur einzelfallbezogen gelöst werden können (10 ObS 111/11p; 10 ObS 167/10x; 10 ObS 208/09z; 10 ObS 137/09h). Der Oberste Gerichtshof hat bereits in vielen - auch im Berufungsurteil zitierten - Entscheidungen Leitlinien für die Beurteilung der Unvorhersehbarkeit iSd § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2004/91) aufgezeigt, denen das Berufungsgericht gefolgt ist.

4. Nach diesen Grundsätzen liegt das Kriterium der Unvorhersehbarkeit vor, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Dabei trifft den Leistungsbezieher eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte (RIS-Justiz RS0124751 [T3]). Daher können typischerweise auftretende Einkommensschwankungen für sich allein keine Unvorhersehbarkeit begründen; diese wäre nur bei außergewöhnlichen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwartenden Vorgängen zu bejahen (10 ObS 208/09z; 10 Ob 111/11p).

5. Dass die Vorinstanzen solche Umstände nicht berücksichtigt hätten, zeigt der Revisionswerber nicht auf:

5.1. In der Zulassungsbeschwerde beruft er sich allein darauf, es läge keine einheitliche Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Rechtsfrage vor, ob eine Überschreitung der Zuverdienstgrenze „von gerade 1,9 % [um 281,40 EUR] vorhersehbar ist“ und macht geltend, die vom Berufungsgericht zitierten Entscheidungen beträfen Überschreitungen in wesentlich höherem Ausmaß.

Diesen Ausführungen ist kurz zu erwidern, dass auch die außerordentliche Revision eines Vaters gegen die Verpflichtung zur Rückzahlung von (sogar doppelt so viel) Kinderbetreuungsgeld (insgesamt 4.431,65 EUR) infolge einer (noch geringeren) Überschreitung der Zuverdienstgrenze (um 257,59 EUR) erst jüngst, nämlich zu 10 ObS 66/11w, mangels erheblicher Rechtsfrage zurückgewiesen wurde.

5.2. Auch die weiteren Rechtsmittelausführungen weisen aber - zusammengefasst - lediglich auf typischerweise auftretende Einkommensschwankungen hin, die für sich allein - wie bereits ausgeführt - eine Unvorhersehbarkeit nicht begründen können, selbst wenn sich der Kläger auf eine unrichtige Auskunft „einer fachkundigen Person“ verlassen hat:

Der Kläger beruft sich darauf, er habe (wenn man die aufgelisteten Monatsstunden auf die Arbeitswoche umlegt) - anstelle von 19,5 bis 22,5 Wochenstunden - im Mai 2007 25,5 Wochenstunden „bezahlt bekommen“ und hätte daraus erkennen sollen, dass es zu einem Mehrverdienst komme, der zur Überschreitung der Zuverdienstgrenze führe. Diese Erhöhung stelle jedoch eine tägliche Mehrarbeitszeit von nicht einmal einer Arbeitsstunde dar. Eine einstündige Mehrarbeit möge wohl in einem System relevant auffallen, das „genau stundenmäßig vertraglich vorgegeben wurde“, etwa im Lehrberuf; eine Relevanz im Baugewerbe - wie beim Kläger als Baggerfahrer, mit im Zuge der Durchführung von Baggerarbeiten anfallenden Arbeitszeiten, Stehzeiten, Anfahrtszeiten und Ruhezeiten - könne jedoch nicht in einem solchen Ausmaß angenommen werden, dass dem Kläger in diesem Monat zu erkennen gewesen wäre, dass es zu einer Überschreitung der Zuverdienstgrenze nach dem KBGG kommen werde. Der Kläger habe seinem Arbeitgeber die genauen Daten des Zuverdienstes zum Kinderbetreuungsgeld bekannt gegeben und von dessen Seite bestätigt erhalten, „dass es zu keiner Überschreitung der Zuverdienstgrenze kommt“, worauf er sich habe verlassen können. Aus den Lohnzetteln der Monate Jänner bis April 2007 sei die Überschreitung nicht zu ersehen. Die Überschreitung sei erst durch den Monatslohn Mai 2007, der erst nach Ende des Bezugs des Kinderbetreuungsgelds erstellt und ausgefolgt worden sei, eingetreten. Dies sei für den Kläger - auch angesichts einer etwaigen Mehrarbeit im Mai 2007 von weniger als einer Stunde pro Tag - nicht vorhersehbar gewesen.

5.3. Die bekämpfte - gegenteilige - Beurteilung der Vorinstanzen steht im Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach nicht einmal eine durch eine unrichtige Rechtsauskunft oder durch eine (dem Kläger nicht vorwerfbare) unrichtige Berechnung des maßgebenden Gesamtbetrags der Einkünfte hervorgerufene geringfügige Überschreitung der Zuverdienstgrenze eine „unvorhersehbare“ Überschreitung der Zuverdienstgrenze iSd § 1 lit a KBGG-Härtefälle-VO (BGBl II 2004/91) darstellen könnte (10 ObS 31/11y; 10 ObS 37/11f).

5.4. Soweit sich der Kläger darauf beruft, er habe sich auf die Auskunft seines Arbeitgebers als „fachkundige Person“, der er die relevanten Fakten bekannt gegeben habe, verlassen, ist das Vorbringen inhaltlich auf mangelndes Verschulden gerichtet, weil - wie er meint - auch dieser Umstand das Kriterium der Unvorhersehbarkeit ihrer Überschreitung begründe. Dabei wird jedoch übersehen, dass er gemäß § 31 Abs 2 zweiter Satz KBGG auch dann zum Ersatz des unberechtigt Empfangenen verpflichtet ist, wenn sich ohne sein Verschulden aufgrund des von der Abgabenbehörde an die Gebietskrankenkasse übermittelten Gesamtbetrags der maßgeblichen Einkünfte ergibt, dass die Leistung nicht oder nicht in diesem Umfang gebührt hat (10 ObS 31/11y; 10 ObS 167/10x mwN). Dass die Leistung der Mehrarbeitsstunden für den Kläger nicht vorhersehbar gewesen wäre, wird auch von ihm nicht behauptet.

5.5. Die Überschreitung der Zuverdienstgrenze durch eine vom Kläger selbst begehrte Auszahlung eines Entgelts (hier: für geleistete Mehrarbeit) war demnach für ihn auch dann nicht „unvorhersehbar“, wenn er sich dabei auf eine Auskunft seines Arbeitgebers als „fachkundige Person“ verlassen hat (vgl 10 ObS 31/11y; 10 ObS 167/10x mwN).

Die außerordentliche Revision ist daher mangels erheblicher Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO als unzulässig zurückzuweisen.

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