OGH 10ObS111/11p

OGH10ObS111/11p8.11.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Fellinger und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Dr. Andrea Eisler (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, vertreten durch Klein, Wuntschek & Partner Rechtsanwälte GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei Steiermärkische Gebietskrankenkasse, 8010 Graz, Josef-Pongratz-Platz-1, wegen Rückforderung des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld (Revisionsinteresse 2.211,90 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 31. August 2011, GZ 7 Rs 44/11m-16, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die beklagte Steiermärkische Gebietskrankenkasse gewährte der Klägerin anlässlich der Geburt ihrer Tochter Klarissa am 3. 5. 2004 für den Zeitraum vom 1. 1. 2005 bis 31. 12. 2005 einen Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld in Höhe von 6,06 EUR täglich, somit insgesamt in Höhe von 2.211,90 EUR. Mit Bescheid vom 24. 9. 2010 widerrief die beklagte Partei die Zuerkennung des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld für den genannten Zeitraum und verpflichtete die Klägerin zum Rückersatz.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren, es werde festgestellt, dass der Widerruf des Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld nicht zu Recht erfolgt sei, nicht Folge. Seiner Entscheidung legte es folgenden, für das Revisionsverfahren relevanten Sachverhalt zu Grunde:

Die Klägerin bezog im Kalenderjahr 2005 Einkünfte aus Notstandshilfe und Krankengeld in Höhe von 4.723,41 EUR. Sie war sich in Bezug auf das Kinderbetreuungsgeld der Existenz einer Zuverdienstgrenze und eines dazu vorhandenen Informationsblattes bewusst. Sie meinte aber, die Zuverdienstgrenze sei höher. Aus diesem Grund verzichtete sie beim Antrag auf Notstandshilfe im Jänner und November 2005 auf die Familienzuschläge. Somit betrug die für 4. 1. bis 31. 1. 2005 sowie für 1. 11. bis 30. 11. 2005 ausbezahlte Notstandshilfe (ohne Familienzuschläge) jeweils 11,07 EUR täglich, während in den übrigen Bezugszeiträumen im Jahr 2005 jeweils 14,95 EUR (inklusive der Familienzuschläge) zur Anweisung gelangten. Weiters bezog die Klägerin vom 29. 4. bis 26. 5. 2005 und vom 3. 7. bis 12. 7. 2005 Krankengeld in Höhe von ebenfalls 14,95 EUR täglich.

In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte das Erstgericht zu dem Ergebnis, dass der maßgebliche Gesamtbetrag der Einkünfte (unter Berücksichtigung von im Zusammenhang mit einer selbstständigen Tätigkeit vorgeschriebenen Sozialversicherungsbeiträgen von 21,27 EUR) 5.453,19 EUR betrage und daher den Grenzbetrag von 5.200 EUR um 253,10 EUR (das entspricht 4,9 %) übersteige. Diese Überschreitung sei aber nicht unvorhersehbar iSd § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung, sondern im vorhinein abschätzbar gewesen, weil sich das Ausmaß der Notstandshilfe aus einer gesetzlichen Regelung, nämlich aus Art 1 § 1 Notstandshilfeverordnung ergebe und sich nach einem vorgegebenen Prozentsatz des Grundbetrags des Arbeitslosengeldes berechne. Die Klägerin sei deshalb zur Rückzahlung des zu Unrecht empfangenen Zuschusses zum Kinderbetreuungsgeld verpflichtet.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin nicht Folge und erklärte die Revision aufgrund der Einzelfallbezogenheit der Entscheidung für nicht zulässig. Es billigte die Rechtsansicht des Erstgerichts (§ 500a ZPO). Die Klägerin wäre in Entsprechung der ihr zumutbaren Erkundungspflicht auch dazu verhalten gewesen, Unklarheiten durch Rückfragen bei der beklagten Partei bzw beim AMS zu beseitigen.

In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin keine erheblichen Rechtsfragen (§ 502 Abs 1 ZPO) geltend.

Rechtliche Beurteilung

1. Voranzustellen ist, dass die Frage der Unvorhersehbarkeit der Überschreitung der Zuverdienstgrenze und auch die Frage des zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nur einzelfallbezogen gelöst werden kann (10 ObS 167/10x; 10 ObS 208/09z; 10 ObS 137/09h). Der Oberste Gerichtshof hat bereits in mehreren - auch vom Berufungsgericht zitierten - Entscheidungen Leitlinien für die Beurteilung der Unvorhersehbarkeit iSd § 1 lit a KBGG-Härtefälle-Verordnung (BGBl II 2004/91) aufgestellt, denen das Berufungsgericht gefolgt ist. Nach diesen liegt das Kriterium der Unvorhersehbarkeit vor, wenn die Überschreitung der Zuverdienstgrenze trotz Anlegung eines zumutbaren Sorgfaltsmaßstabs nicht erkannt werden konnte. Dabei trifft den Leistungsbezieher eine Überprüfungspflicht hinsichtlich der Höhe der zu erwartenden Einkünfte (RIS-Justiz RS0124751). Typischerweise auftretende Einkommensschwankungen können für sich allein keine Unvorhersehbarkeit begründen; diese wäre nur bei außergewöhnlichen, nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge nicht zu erwartenden Vorgängen zu bejahen (10 ObS 208/09z).

2. Dass derartige Umstände vorgelegen wären, die die Vorinstanzen nicht berücksichtigt hätten, zeigt die Revisionswerberin nicht auf:

2.1. Ihr Vorbringen, die Tagessätze der Notstandshilfe hätten sich im Jahr 2005 in unvorhersehbarer Weise „stetig erhöht“, entfernt sich vom festgestellten Sachverhalt. Die unterschiedliche Tagessatzhöhe von 11,07 EUR bzw 14,95 EUR hat ihre Ursache vielmehr allein in den von der Klägerin selbst gestellten Anträgen auf Ausbezahlung der Notstandshilfe inklusive der Familienzuschläge bzw in dem von ihr für Jänner und November 2005 abgegebenen Verzicht auf die Familienzuschläge. Der Grund für diesen Verzicht lag gerade in der Befürchtung, die Zuverdienstgrenze könnte im Falle des Bezugs bzw Weiterbezugs der Familienzuschläge (auch) in diesen Monaten überschritten werden.

2.2. Dem unter Hinweis auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 26. 2. 2009, G 128/08 ua, erstatteten Revisionsvorbringen ist entgegenzuhalten, dass der Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld eine Geldleistung für „sozial schwache“ Eltern ist, weshalb keine Bedenken gegen das Abstellen auf die Einkommenssituation im Anspruchszeitraum bestehen. Weiters hat der Verfassungsgerichtshof in diesem Erkenntnis ausgesprochen, dass es auch ohne subtile Sachkenntnis möglich und zumutbar sei, sich vom Inhalt des § 8 KBGG Kenntnis zu verschaffen. Ging die Klägerin also von der erkennbar unrichtigen Annahme aus, es werde die maßgebliche Einkommensgrenze nicht überschritten und hat sie den Zuschuss zum Kinderbetreuungsgeld in Anspruch genommen, trägt sie das Risiko, dass ihre Annahme nicht zutrifft und sie zur Rückzahlung verpflichtet wird.

Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Klägerin wäre bei Einhaltung der zumutbaren Sorgfalt die Überschreitung der Zuverdienstgrenze erkennbar gewesen, stellt im Hinblick auf die im vorliegenden Fall gegebenen Umstände jedenfalls keine Fehlbeurteilung dar. Nur dann wäre aber eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 502 Abs 1 ZPO gegeben.

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