OGH 11Os164/11v

OGH11Os164/11v19.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. Jänner 2012 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab, Mag. Lendl, Mag. Michel und Dr. Oshidari als weitere Richter, in Gegenwart des Rechtspraktikanten MMag. Krasa als Schriftführer, in der Strafsache gegen Bogdan-Marian A***** und andere Angeklagte wegen des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen der Angeklagten Bogdan-Marian A*****, Liviu-Marius N***** und Radu S***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 19. September 2011, GZ 29 Hv 29/11g-17, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Den Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurden Bogdan-Marian A*****, Liviu-Marius N***** und Radu S***** jeweils des Verbrechens des Raubes nach § 142 Abs 1 StGB (I./) und der Vergehen der Urkundenunterdrückung nach § 229 Abs 1 StGB (II./) schuldig erkannt.

Danach haben sie am 13. Dezember 2010 in Kufstein im bewussten und gewollten Zusammenwirken als Mittäter (§ 12 StGB) - zusammengefasst -

I./ Cengiz K***** durch Versetzen eines Faustschlags und mehrerer Fußtritte, sohin mit Gewalt, eine fremde bewegliche Sache, nämlich eine Geldtasche samt Bargeld im Betrag von 100 Euro, mit dem Vorsatz weggenommen, sich oder einen Dritten durch deren Zueignung unrechtmäßig zu bereichern;

II./ Urkunden, über die sie nicht oder nicht allein verfügen durften, nämlich die e-card und den Aufenthaltstitel des Cengiz K***** mit dem Vorsatz unterdrückt, dass sie im Rechtsverkehr zum Beweis eines Rechts, eines Rechtsverhältnisses oder einer Tatsache gebraucht werden.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richten sich die auf Z 5, 9 lit a, 10 und 11 des § 281 Abs 1 StPO gestützten - gemeinsam und undifferenziert ausgeführten - Nichtigkeitsbeschwerden der Angeklagten. Sie gehen fehl.

Ein Urteil ist nur dann aktenwidrig, wenn es den Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt, nicht jedoch, wenn die getroffenen Feststellungen vom Inhalt der Aussage oder Urkunde abweichen (RIS-Justiz RS0099492; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 467 f).

Dem Vorwurf der Aktenwidrigkeit zuwider (Z 5 fünfter Fall) wurden die - im Übrigen lediglich zusammengefasst referierten - Angaben des Cengiz K***** bei seiner ersten Vernehmung, wonach ihn ein weiterer Mann zwar getreten, aber nicht getroffen habe, in den Entscheidungsgründen richtig und vollständig wiedergegeben (US 7).

Der von der Mängelrüge behauptete Widerspruch (Z 5 dritter Fall) zwischen der Feststellung, wonach sowohl der Erstangeklagte als auch der Zweitangeklagte Cengiz K***** mehrere Fußtritte gegen die Beine versetzt haben (US 5), und den dazu angestellten, von den Beschwerdeführern aber nicht vollständig berücksichtigten beweiswürdigenden Erwägungen der Tatrichter, wonach diese Annahme auf die als glaubwürdig befundenen, jedenfalls hinsichtlich gesetzter Tätlichkeiten die Angeklagten belastenden Zeugenangaben (und zwar nicht nur des Cengiz K*****, sondern auch der unbeteiligten Ingrid L*****) gestützt werden konnte (US 7 ff, 11), ist nicht zu erblicken.

Wer dabei Cengiz K***** konkret geschlagen und wer diesen im Rahmen des gemeinsamen Tatplans getreten hat, ist mit Hinblick auf die als gleichwertig anzusehenden Ausführungshandlungen weder für die Schuld- noch für die Subsumtionfrage von Bedeutung. Ebenso wenig ist von Belang, ob einer der Fußtritte allenfalls sein Ziel verfehlte.

Unvollständig iSd § 281 Abs 1 Z 5 StPO ist ein Urteil dann, wenn das Gericht bei der für die Feststellung entscheidender Tatsachen angestellten Beweiswürdigung erhebliche, in der Hauptverhandlung vorgekommene Verfahrensergebnisse unberücksichtigt ließ (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421).

Der vermissten Erörterung einer der Raubtat vorangehenden, aber nicht mit einer Geldforderung verbundenen Frage nach dem Befinden und der Identität des Tatopfers bedurfte es dem Vorbringen (Z 5 zweiter Fall) zuwider nicht. Ebenso wenig ist es von Entscheidungsrelevanz, ob Liviu-Marius N***** dem Opfer den Faustschlag - wie vom Erstgericht angenommen - sofort oder erst nach diesem Gespräch versetzte.

Die Feststellungen zur subjektiven Tatseite leiteten die Tatrichter aus dem objektiven Tatgeschehen ab (US 11 f). Entgegen der eine Scheinbegründung behauptenden Mängelrüge (Z 5 vierter Fall) ist der Schluss der Tatrichter vom gezeigten Verhalten auf das zugrundeliegende Wollen oder Wissen der Beschwerdeführer ohne weiteres rechtsstaatlich vertretbar, bei leugnenden Angeklagten in aller Regel vielmehr methodisch gar nicht zu ersetzen (RIS-Justiz RS0098671, RS0116882).

Soweit die Beschwerde aus den Verfahrensergebnissen, etwa dem Entgleiten der Geldbörse und der unterbliebenen Wegnahme weiteren Bargelds aus der Hand des Opfers für die Angeklagten günstigere Schlüsse als das Erstgericht zieht (vgl US 5, 11 f), verkennt sie den von einer Schuldberufung verschiedenen Anfechtungsrahmen.

Mit der Bezugnahme auf DNA-Spuren wird kein unberücksichtigt gebliebenes Beweisergebnis aufgezeigt (US 10).

Die vermisste Darstellung der Beweggründe, weshalb die Tatrichter der leugnenden Verantwortung der Angeklagten keinen Glauben schenkten, findet sich auf US 7 ff. Die Bewertung der vom Erstgericht gewürdigten Verfahrensergebnisse entzieht sich einer Anfechtung mit Mängelrüge (Ratz, WK-StPO § 281 Rz 421).

Der gegen die Verurteilung an sich gerichtete Einwand der Angeklagten bekämpft unzulässig die tatrichterliche Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.

Die gesetzmäßige Ausführung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes hat das Festhalten am gesamten im Urteil festgestellten Sachverhalt, dessen Vergleich mit dem darauf anzuwendenden Gesetz und die Behauptung, dass das Erstgericht bei Beurteilung dieses Sachverhalts einem Rechtsirrtum unterlegen ist, zur Voraussetzung (RIS-Justiz RS0099810; Ratz, WK-StPO § 281 Rz 584).

Diesen Anfechtungskriterien wird die Rechtsrüge (Z 9 lit a) nicht gerecht, indem sie - abgesehen davon, dass der Tatbestand des § 142 Abs 1 StGB bei der Wegnahme bzw Abnötigung dolus eventualis genügen lässt - substratlos behauptet, es hätte weiterer Feststellung dahingehend bedurft, wonach es den Angeklagten darauf ankam, dem Cengiz K***** die Geldtasche samt dem darin befindlichen Geld zu rauben, obwohl das Erstgericht gerade diese Feststellung getroffen hat (US 5 letzter Absatz). Die Beschwerde entzieht sich aber auch deshalb einer meritorischen Erwiderung, weil sie die Urteilsannahmen zu einem gemeinsamen, auf Raub ausgerichteten Tatplan der Beschwerdeführer vernachlässigt (US 5) und zudem urteilsfremd das Wissen des Erst- und Zweitangeklagten von der Wegnahme der Geldbörse durch den Drittangeklagten in Zweifel zieht.

Aus welchem Grund es unter dem Blickwinkel des § 142 Abs 1 StGB, der auch die Bereicherung eines Dritten genügen lässt (vgl US 5), zur Strafbarkeit einer Feststellung der Herstellung des Gewahrsams aller drei Angeklagter bedurft hätte, erklärt die Beschwerde nicht.

Als nicht an den dargelegten Anfechtungskriterien orientiert erweist sich auch die in Richtung § 142 Abs 2 StGB zielende Subsumtionsrüge (Z 10), die - entgegen ständiger Judikatur - ohne methodengerechte Ableitung aus dem Gesetz und teilweise in eigenständiger Beweiswürdigung lediglich behauptet, die Faustschläge und Fußtritte ohne Verletzungsfolgen würden dem Gewaltbegriff des § 142 Abs 1 StGB nicht genügen (vgl Eder-Rieder in WK² § 142 Rz 57).

Mit der Bezugnahme auf vom Erstgericht bei Bemessung der Strafe angeblich nicht in Anschlag gebrachte oder nach Ansicht des Beschwerdeführers zu gering gewichtete Umstände erstattet die Sanktionsrüge (Z 11) bloß ein Berufungsvorbringen (RIS-Justiz RS0116960).

Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO).

Die Entscheidung über die Berufungen kommt somit dem Oberlandesgericht zu (§ 285i StPO).

Die Kostenersatzpflicht der Angeklagten beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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