OGH 5Ob258/11v

OGH5Ob258/11v17.1.2012

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofrätinnen Dr. Hurch und Dr. Lovrek und die Hofräte Dr. Höllwerth und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen 1. P***** G*****, geboren am 15. Februar 2001, 2. R***** G*****, geboren am 26. Juni 2002 und 3. V***** G*****, geboren am 12. Dezember 2004, alle *****, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters P***** G*****, vertreten durch Dr. Thomas Krankl, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27. September 2011, GZ 44 R 443/11i‑193, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Text

Begründung

Die drei mj Mädchen P*****, R***** und V***** sind die Kinder von P***** und S***** G*****. Nach der Scheidung der Eltern blieben die Kinder bei der Mutter. Mit vorläufigem Beschluss vom 29. 8. 2008 (7 P 96/08g‑S 14 des BG Liesing) und rechtskräftigem Beschluss vom 26. 2. 2009 zu 7 P 96/08g‑S 23 des Bezirksgerichts Liesing wurde die alleinige Obsorge für alle drei Kinder der Mutter übertragen. Seither wird zwischen den Eltern ein heftiger und konfliktbeladener Obsorge‑ und Besuchsrechtsstreit geführt.

Am 23. 11. 2010 beantragte der Vater die Übertragung der Obsorge an ihn (ON 108 in Band II).

Das Erstgericht übertrug ‑ soweit für das Revisionsrekursverfahren von Wesentlichkeit ‑ die Obsorge für die mj P***** zur Gänze der Mutter, die für R***** und V***** dem Vater. Während die mj P***** in einem derart engen Verhältnis zur Mutter verhaftet sei, dass eine Obsorgeübertragung an den Vater nicht ihrem Wohl diene, gefährde eine mangelnde Bindungstoleranz der Kindesmutter das Wohl der mj R***** und V*****.

Das Rekursgericht änderte infolge der Rekurse beider Eltern den erstinstanzlichen Beschluss insofern ab, als es den Antrag des Vaters auf Obsorgeentziehung zur Gänze abwies.

Ausgehend von den maßgeblichen Feststellungen beurteilte es die mangelnde Bindungstoleranz der Mutter nicht als ausreichende Begründung für einen Eingriff in die bestehenden Obsorgeverhältnisse, weil diese kein solches Ausmaß erreicht habe, dass sich die Mutter tatsächlich und beharrlich über einen längeren Zeitraum hin ungerechtfertigt geweigert hätte, die Ausübung eines Besuchsrechts durch den Vater zuzulassen. Gegenstand der Entscheidung sei nicht eine Abwägung der jeweiligen Eignung der Eltern, die Obsorge über die Minderjährigen zu übernehmen, sondern werde eine Obsorgeentziehung angestrebt, was allerdings nur zur Abwehr einer konkreten und ernsten Kindeswohlgefährdung als äußerste Notmaßnahme gerechtfertigt sei. Diese Voraussetzungen lägen nicht vor.

Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs nicht für zulässig, weil es sich um eine auf den konkreten Einzelfall bezogene Entscheidung handle.

Der dagegen vom Vater erhobene außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens von Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Zur behaupteten Aktenwidrigkeit ist darauf hinzuweisen, dass es auf Fragen der Erziehungsfähigkeit des Vaters aus noch darzustellenden rechtlichen Gründen nicht ankommt. Überdies hätte der Revisionsrekurswerber für ihn nachteilige Feststellungen bei späterem Ausschluss schon in der Rekursbeantwortung geltend machen müssen (RIS‑Justiz RS0041773 [T7]). Es reicht daher aus, darauf hinzuweisen, dass die behauptete Aktenwidrigkeit nicht vorliegt (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Ungeachtet der Aktenlage, wonach durch rechtskräftige gerichtliche Entscheidung der Mutter bereits seit 26. 2. 2009 die Obsorge über die drei Kinder übertragen ist (ON 23 in Band I), geht der Revisionsrekurswerber weiterhin vom Vorliegen einer Vereinbarung über die gemeinsame Obsorge beider Eltern aus. Eine solche Vereinbarung hätte aber zufolge § 177 Abs 4 ABGB einer hier fehlenden Genehmigung des Gerichts bedurft (3 Ob 192/05i Zak 2005/49, 34).

Zutreffend hat das Rekursgericht erkannt, dass der festgestellte Sachverhalt dahin zu prüfen ist, ob die Voraussetzungen einer Obsorgeentziehung vorliegen. Unter Anlegung eines strengen Maßstabs (RIS‑Justiz RS0047841) darf eine Änderung der Obsorgeverhältnisse nur als äußerste Notmaßnahme angeordnet werden (RIS‑Justiz RS0047841 SZ 65/84 [T10]; RS0085168 [T5]; RS0007101 [T4]). Ein Eingriff in ein bestehendes Obsorgerecht setzt nach § 176 Abs 1 ABGB eine Gefährdung des Kindeswohls durch Verhalten des Obsorgeberechtigten voraus. Eine Gefährdung des Kindeswohls, also des geistigen, seelischen und materiellen Wohlergehens des Kindes (1 Ob 2078/96m EF 81.156) liegt vor, wenn Obsorgepflichten nicht erfüllt oder gröblich vernachlässigt oder sonst schutzwürdige Interessen des Kindes ernstlich und konkret gefährdet werden (RIS‑Justiz RS0048633; 6 Ob 48/10t EFSlg 126.799; 5 Ob 102/10a iFamZ 2010/184 ua). Bloße Unzukömmlichkeiten bei der Besuchsrechtsausübung oder ein Wohnsitzwechsel innerhalb Österreichs reichen dazu nicht aus (vgl Hopf in KBB3 § 176b ABGB Rz 2 mwN).

Das Rekursgericht hat diese leitenden Grundsätze der Rechtsprechung zu § 176 Abs 1 ABGB zugrunde gelegt und in rechtlich einwandfreier Weise eine Verneinung der Kindeswohlgefährdung durch Aufrechterhaltung der Obsorgezuteilung begründet. Der Entscheidung im Einzelfall kommt keine grundsätzliche Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zu (RIS‑Justiz RS0115719 [insbesondere T2; T4; T6; T7]).

Der Vollständigkeit halber ist abschließend noch klarzustellen, dass vorläufige gerichtliche Maßnahmen über die Obsorge iSd § 176 Abs 1 ABGB iVm § 107 Abs 2 AußStrG nur bis zur endgültigen Entscheidung nach § 176 ABGB getroffen werden können (7 Ob 43/03d mwN; 3 Ob 74/09t, Zak 2009/383, 253).

Mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG war der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters zurückzuweisen.

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