OGH 1Ob2078/96m

OGH1Ob2078/96m26.7.1996

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr.Schlosser als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker, Dr.Rohrer und Dr.Zechner als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Albert K*****, geboren am 18.April 1990, infolge Revisionsrekurses des Vaters Ing.Anton K*****, vertreten durch Dr.Rosemarie Rismondo, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 27.Februar 1996, GZ 44 R 149/96d-36, in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 26.März 1996, GZ 44 R 149/96d-45, womit der Beschluß des Bezirksgerichts Floridsdorf vom 10.November 1995, GZ 2 P 97/95-7, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern des Kindes wurde mit Beschluß eines Bezirksgerichts vom 20.April 1995 gemäß § 55a EheG einvernehmlich geschieden. Im Scheidungsfolgenvergleich einigten sich die Eltern auf die Obsorge für das jetzt 6jährige Kind. Vater und Kind sind österreichische Staatsbürger, die Mutter ist auch iranische Staatsangehörige. Nachdem der Magistrat der Stadt Wien gegen die Obsorgezuteilung und das vereinbarte Besuchsrecht „aus sozialarbeiterischer Sicht“ keine Einwände, jedoch darauf hingewiesen hatte, die Entscheidung der Mutter, wo sie in Hinkunft mit dem Kind leben werde, werde auch maßgeblich die Kontaktmöglichkeiten zwischen Vater und Kind beeinflussen, genehmigte das Erstgericht insoweit den Scheidungsfolgenvergleich. Schon damals war bekannt, daß die Mutter beabsichtigte, mit dem Kind von Anfang September bis Mitte November 1995 zu ihren Eltern in den Iran zu reisen. Der Vater erteilte der Mutter dazu die von den iranischen Behörden verlangte Zustimmung.

Am 7.November 1995 beantragte der Vater, der Mutter die Obsorge zu entziehen und sie ihm zu übertragen. Die Mutter sei seit 2.September 1995 in Teheran und treffe Anstalten, ständig dort zu bleiben. Es erscheine für die Mutter und insbesondere das Kind äußerst schwierig, ohne gravierende Nachteile im Iran Fuß zu fassen, zumal das Kind ein europäisches Aussehen habe. Die Mutter habe verschiedene behördliche Schritte unternommen, um ihren Daueraufenthalt im Iran zu legalisieren. Wenn sie alle notwendigen Papiere habe, sei es für den Vater nicht mehr möglich, das Kind jemals wieder zu bekommen. Werde der Mutter jedoch vorher das Sorgerecht entzogen, werde das Kind ausgewiesen.

Das Erstgericht entzog der Mutter ohne weiteres Verfahren die Obsorge für das Kind und wies sie dem Vater zu. Die Verbringung des Kindes in den Iran mit der Absicht, es dort aufzuziehen, bedeute zweifellos eine Gefährdung des Kindeswohls. Dazu verwies der Erstrichter auf die Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs - tatsächlich des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien - EFSlg 68.827 und 71.864.

Das Rekursgericht änderte den erstinstanzlichen Beschluß im Sinne einer Abweisung des Antrags des Vaters auf Obsorgezuteilung ab und ließ sich dazu - nach der Wiedergabe des Vorbringens der Mutter - im wesentlichen von folgenden rechtlichen Erwägungen leiten: Nicht die Verlegung des Lebensmittelpunkts eines Kindes ins Ausland selbst werde von der Judikatur als ein Umstand angesehen, aus dem sich die Gefährdung des Kindeswohls ergeben könne, sondern seine Verpflanzung in einen Staat mit restriktiver Gesellschaftsordnung und vergleichsweise niedrigem Lebensstandard. Der durchschnittliche Lebensstandard sei aber im Iran höher ist als in vielen Entwicklungsländern und es seien deutliche Liberalisierungstendenzen bei der staatlichen Durchsetzung der Einhaltung der Gebote des Korans festzustellen. Gerade die Herkunft des Kindes müsse keineswegs zu seiner Diskriminierung in der islamischen Gesellschaft führen, sondern könne auch dazu beitragen, ihm größeres soziales Ansehen und damit höhere Einkommenschancen zu verschaffen. Eine Emigration in den Iran sei nicht grundsätzlich mit einer Gefährdung des Kindeswohls verbunden, sondern müsse auch in diesem Falle eine konkrete Gefährdung im Einzelfall behauptet werden, um einen Obsorgewechsel zu rechtfertigen. Dem Kind solle nicht allein aufgrund seiner Geburt in Österreich die Möglichkeit genommen werden, sein Leben entsprechend der Herkunft seiner Mutter zu gestalten. Es erscheine auch deshalb nicht gerechtfertigt, die in einem Staat herrschenden Lebensverhältnisse generell als das Kindeswohl gefährdend zu bewerten, wenn dieser Staat dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 26.Jänner 1990 beigetreten sei und damit wie auch Österreich die in seiner Präambel dargestellten Grundsätze des Friedens, der Würde, der Toleranz, der Freiheit, der Gleichheit und der Solidarität akzeptiert und erklärt habe, ein Kind solle die Möglichkeit haben, zur vollen und harmonischen Entfaltung seiner Persönlichkeit in der Familie und umgeben von Glück, Liebe und Verständnis aufzuwachsen. Eine Gefährdung des Kindeswohls dürfe daher nicht schon bloß aus der Verpflanzung eines Kindes in den Heimatstaat eines Elternteils abgeleitet werden, zumal seine soziale Verankerung in Österreich infolge des geringen Alters noch nicht so intensiv sei, daß die Auswanderung trotz bleibender Verbundenheit mit der Mutter zu einer schweren psychischen Belastung führen könne. Der anläßlich des Beitritts des Iran zu diesen Abkommen erklärte Vorbehalt, es nur nach Maßgabe des islamischen Rechts anzuwenden, gestatte keine Diskriminierung.

Der von der zweiten Instanz zugelassene Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im Hinblick auf die österreichische Staats- bürgschaft des Kindes ist die inländische Gerichtsbarkeit gegeben (§ 110 Abs 1 Z 1 JN) und auf den vom Vater angestrebten Obsorgewechsel österreichisches Recht anzuwenden (§ 24 IPRG; Schwimann in Rummel 2, § 24 IPRG Rz 2 mwN). Außerhalb des Anwendungsbereichs des Haager Minderjährigenschutzübereinkommens - wie hier - ist das Personalstatut, somit das Recht des Staats, dessen Staatsangehöriger der Minderjährige ist, maßgeblich (ÖA 1992, 126; Schwind, Internationales Privatrecht Rz 266 f).

Die Übertragung der Obsorge auf den anderen Elternteil, die ja mit einer Entziehung der Elternrechte verbunden ist, ist nach ständiger Rechtsprechung (JBl 1992, 639; SZ 65/84 uva, zuletzt 5 Ob 513/95; Pichler in Rummel 2, § 177 ABGB Rz 2; Schlemmer/Schwimann in Schwimann, § 176 ABGB Rz 2) nur dann zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 176 Abs 1 ABGB - somit eine Gefährdung des Kindeswohls - gegeben sind, der Obsorgeberechtigte demnach die elterlichen Pflichten subjektiv gröblich vernachlässigt oder wenigstens objektiv nicht erfüllt oder vernachlässigt hat (SZ 53/142 uva, zuletzt 2 Ob 565/93; Pichler aaO § 176 Rz 1). Die Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als äußerste Notmaßnahme unter Anlegung eines strengen Maßstabs angeordnet werden (SZ 65/84 uva, zuletzt 5 Ob 513/95) und bedarf besonders wichtiger Gründe, die im Interesse des Kindes eine so einschneidende Maßnahme dringend geboten erscheinen lassen, weil andernfalls das Wohl des pflegebefohlenen Kindes gefährdet wäre.

Im vorliegenden Fall fehlen nun nicht nur Feststellungen der Tatsacheninstanzen über die Gefährdung des Kindeswohls, die allenfalls in einer Übersiedlung in ein Land eines anderen Kulturkreises liegen können, sondern auch über die konkreten Lebensumstände, unter denen das Kind jetzt im Iran lebt.

a) Das das Kindeswohl beeinträchtigende Verhalten der Mutter sieht der Vater darin, daß sie nach einer Reise mit dem Kind in den Iran nun auf Dauer dort leben will und auch tatsächlich bereits lebt, somit in der entgegen den Intentionen des Scheidungsfolgenvergleichs erfolgten Übersiedlung mit dem Kind in den Iran. Die Obsorge für das Kind steht der Mutter zu; sie bestimmt daher auch grundsätzlich den Aufenthalt des Kindes (§ 146b ABGB).

Die bisher in Österreich nur spärliche Judikatur behandelte die Wohnsitzverlegung eines Kindes durch den obsorgeberechtigten Elternteil ausländischer Herkunft in den Heimatstaat dieses Elternteils oder einen Drittstaat nicht generell als Gefährdung des Kindeswohls. In der Entscheidung 8 Ob 620/85 (teilweise veröffentlicht in EFSlg 48.311, 49.856) wurde ausgesprochen, wenn die Mutter entgegen der im Scheidungsvergleich mit dem Vater getroffenen Vereinbarung die Kinder ohne dessen Zustimmung und ohne Zustimmung des Pflegschaftsgerichts nach Australien verbracht habe, so möge dies, sofern durch dieses Verhalten das Wohl der Kinder gefährdet worden sei, Anlaß für gerichtliche Maßnahmen iSd § 176 ABGB sein; solange aber derartige Maßnahmen nicht getroffen worden seien, stünden die Elternrechte und damit die Befugnis, den Aufenthalt der Kinder zu bestimmen, allein der Mutter zu. Rekursgerichtliche Entscheidungen erachteten in der von der Mutter durchgeführten Übersiedlung nach (dem früheren) Jugoslawien keine Gefährdung des sieben Jahre alten Kindes, sofern dies nicht zu über die allgemeinen Anpassungsschwierigkeiten hinausgehenden Nachteilen führe (LGZRS Wien EFSlg 38.377). Bei zwei acht und zehn Jahre alten Kindern, die (auch) philippinische Staatsangehörige waren und deren Mutter von den Philippinnen stammte, wurden in einem von der Mutter vorgenommenen Ortswechsel auf die Philippinen, abgesehen von in der Natur der Sache liegenden Umstellungsschwierigkeiten, keine Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung erkannt (LGZRS Wien EFSlg 75.161). Dagegen wurde ausgesprochen, es bestehe die Gefahr, daß der pakistanische Vater die in Österreich geborenen Kinder nach Pakistan bringe, weshalb als vorläufige Maßnahme die Entziehung der Obsorge und die Verpflichtung des Vaters, die Namen der Kinder in seinem Reisepaß streichen zu lassen, berechtigt erschienen (LGZRS Wien EFSlg 71.864). Schließlich wurde in der geplanten Verbringung eines Kindes durch den Vater - beide österreichische Staatsbürger - nach Ägypten, wo das Kind bislang noch nie gelebt hatte, eine akute Gefährdung des Kindeswohls erblickt (LGZRS Wien EFSlg 68.827).

Nach Auffassung des erkennenden Senats stellt der Begriff „Wohl des Kindes“ mit seiner materiellen, geistigen und seelischen Komponente die Einzelfallgerechtigkeit in den Vordergrund und lenkt das richterliche Augenmerk auf die konkreten Umstände des individuellen Falls. Dabei reihen sich auch Ausländereigenschaft, fremdes Recht, Kultur und Religion in die besonderen Umstände des Einzelfalls, die vom Pflegschaftsrichter auch sonst bei reinen Inlandsfällen zu berücksichtigen sind. Grundsätzlich sind neben dem geistigen und seelischen Wohl des Kindes, das sich behütet und geborgen wissen muß, damit es zu einem für die erfolgreiche Bewältigung aller Probleme und Konflikte des Daseins genügend gerüsteten, lebenstauglichen Menschen heranwachsen kann, auch materielle Aspekte im (neuen) Wohnsitzstaat des Kindes nicht ganz zu vernachlässigen. In der Entscheidung EFSlg 51.296 wurde die von der Mutter beabsichtigte Auswanderung mit dem Kind nach Kanada für sich allein nicht als Grund für einen Obsorgewechsel angesehen und dabei auch der materielle Aspekt berücksichtigt, daß die Einwanderungsbewilligung in der Regel nur dann erteilt wird, wenn infolge des Alters und des Berufs der Einwanderungswerber gewährleistet ist, daß diese dort Arbeit finden und nicht dem Staat als Arbeitslose zur Last fallen. Neben dem Interesse des Kindes an möglichst guter Verpflegung und Unterbringung ist bei der Sorgerechtsentscheidung jedenfalls auch dessen Interesse an einer möglichst guten Erziehung, einer möglichst sorgfältigen Betreuung und an möglichst günstigen Voraussetzungen für eine gedeihliche geistig-seelische Entwicklung der Persönlichkeit des Kindes zu berücksichtigen (EFSlg 71.878 ua). Keinesfalls aber ist es möglich, die Staaten nach Art eines Katalogs unter Bedachtnahme auf das dort herrschende Gesellschaftssystem, den allgemeinen Lebensstandard, die vorherrschende Religion und das maßgebliche Wertesystem im vorhinein dahin zu klassifizieren, ob dort das materielle, geistige und seelische Wohl der Kinder ganz allgemein und unabhängig von den konkreten Lebensverhältnissen des obsorgeberechtigten Elternteils und seines sozialen Umfelds gefährdet wäre oder nicht, um davon dessen Berechtigung zur Übersiedlung unter gleichzeitiger Ausübung des Rechts zur Bestimmung des Aufenthalts des Kindes (§ 146b ABGB) abhängig zu machen. Andererseits bedeutet aber der selbstverständliche Respekt vor fremdem Recht und fremder Kultur noch nicht, daß fremde, dem ordre public zuwiderlaufende und deshalb nicht zu tolerierende Rechts-, Kultur- und Moralvorstellungen sowie solche tatsächliche und rechtliche Umstände nicht berücksichtigt werden, die auch generell zu einer Gefährdung, also einer begründeten Bedrohung des materiellen oder psychischen Kindeswohls Anlaß bieten können, sei es nun Krieg, Bürgerkrieg, allgemeine Not, besonders starke soziale Isolierung von Minderheiten, erhebliche Gesundheitsgefährdung durch weit verbreitete Seuchen etc. Aus österreichischer Sicht ungünstigere Lebensverhältnisse oder Entwicklungsbedingungen als in Österreich reichen dazu nicht aus (vgl Coester in Staudinger BGB12, § 1666 Rz 68 mwN). Die Staatsangehörigkeit des Kindes und seine Vertrautheit mit der Sprache und Kultur im fremden Staat müssen mitberücksichtigt werden. Bei einem älteren Kind kann neben dem Abbruch gewachsener sozialer Bindungen nicht nur der Wechsel des Kulturkreises selbst, sondern auch der kulturelle Kontrast zwischen der bisher erlebten Umwelt und den bisherigen Lebensgewohnheiten und -auffassungen zu jenen des neuen Kulturkreises unter Umständen Anlaß zur Annahme der Kindeswohlsgefährdung bieten.

Eine ausbalancierte und kindgerechte Gesamtabwägung all dieser, keineswegs erschöpfend aufgezählter Gesichtspunkten und Risken, bezogen auf ein bestimmtes konkretes Kind, ist vorzügliche Aufgabe des Pflegschaftsrichters, der dazu freilich ausreichende Feststellungen treffen muß, um seine Entscheidung nachvollziehbar zu machen. Der allgemeine Hinweis der zweiten Instanz, der Iran wäre dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes samt Vorbehalten und Erklärungen, BGBl 1993/7, beigetreten, kann in keiner Weise als ausreichend angesehen werden und ersetzt Feststellungen über tatsächliche Verhältnisse keinesfalls; im übrigen behielt sich der Iran anläßlich seines Beitritts zu diesem Übereinkommen das Recht vor, jene Bestimmungen oder Artikel des Übereinkommens nicht anzuwenden, die mit dem islamischen Recht und der in Kraft stehenden innerstaatlichen Gesetzgebung nicht vereinbar sind (BGBl 1994/832).

b) Neben diesen allgemeinen Gesichtspunkten eines Wohnsitzwechsels ins Ausland müssen im vorliegenden Fall aber vornehmlich auch die speziellen konkreten Lebensumstände des Kindes berücksichtigt und dazu gleichfalls entsprechende Feststellungen getroffen werden. Dazu besteht aber umso mehr Anlaß, als dem Obersten Gerichtshof ein Schreiben vom 26.Juni 1996 samt Übersetzung vom 2.Juli 1996 vorliegt, in dem der mütterliche Großvater des Kindes dem Vater berichtet, die Mutter habe gegen den Willen ihrer Eltern wieder geheiratet und das Kind in das Haus dieses Mannes gebracht, der keine Fähigkeit habe, für das Kind Sorge zu tragen. Das Kind habe zu seiner (mütterlichen) Großmutter gesagt, „Retten Sie mich aus diesem Haus und von ... (Gatte der Mutter), er schlägt mich und hängt mich kopfüber auf und andere Sachen“. Dieser Umstand ist relevant. Durch die körperliche Züchtigung der Kinder verstößt nämlich der obsorgeberechtigte Elternteil gegen das dem § 146a ABGB durch Art I Z 5 KindRÄG angefügte, seit 1.Juli 1989 in Kraft befindliche Gewaltverbot, wonach die Anwendung von Gewalt und die Zufügung körperlichen und seelischen Leides unzulässig sind. Es ist damit jede unzumutbare, dem Kindeswohl abträgliche Behandlung untersagt. Das schließt nicht nur die Körperverletzung und Zufügung körperlicher Schmerzen, sondern auch jede sonstige die Menschenwürde verletzende Behandlung aus, selbst wenn das Verhalten vom Kind im konkreten Fall nicht als „Leid“ empfunden werden sollte. Ausdrückliche Absicht der zitierten Novellierung ist die gewaltfreie Erziehung. Die Zufügung von körperlichem und seelischem Leid ist eine rechtswidrige Erziehungsmethode; ein nachhaltiger Verstoß gegen das Gewaltverbot des § 146a ABGB kann einen Obsorgewechsel rechtfertigen (EFSlg 71.846; JBl 1992, 639, je mwN). Eine entsprechende Gefährdung des Kindeswohls kann auch dann vorliegen, wenn die Mutter nicht selbst Gewalt gegen ihr Kind ausübt, sondern diese Gewaltausübung durch einen Dritten - etwa den Ehegatten oder Lebensgefährten - duldet. Der Schutz des Kindes erfordert die Anlegung eines solchen strengen Maßstabs.

Vor einer eingehenden Erörterung all dieser Umstände läßt sich eine Entscheidung über die Berechtigung eines Obsorgewechsels nicht treffen, haben doch Obsorgeentscheidungen eine zukunftsbezogene Rechtsgestaltung zum Inhalt. Sie können nur dann sachgerecht sein, wenn sie auf einer aktuellen bis in die jüngste Gegenwart reichenden Tatsachengrundlage beruhen (EFSlg 68.806 ua). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Kindeswohlgefährdung ist der Zeitpunkt der letztinstanzlichen Entscheidung, sodaß alle während des Verfahrens eintretenden Änderungen zu berücksichtigen sind (Schlemmer/Schwimann aaO § 176 Rz 2 mwN).

Dem Revisionsrekurs ist Folge zu geben.

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