Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidung des Berufungsgerichts wird aufgehoben.
Die Sozialrechtssache wird zur ergänzenden Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Der Kläger erlitt am 24. März 2004 als Zimmerer einen Arbeitsunfall, bei dem er sich eine Verletzung des zweiköpfigen Oberarmmuskels und des Armnervengeflechts links, eine Prellung des linken Schultergelenks, des Brustkorbs und des Hüftgelenks zuzog. Aufgrund dieses Unfalls wurde ihm vorerst eine Versehrtenrente von 65 % der Vollrente zuerkannt. Mit Bescheid der beklagten Partei vom 8. 3. 2006 wurde die vorläufige Versehrtenrente ab 1. 5. 2006 entzogen und ausgesprochen, dass ein Anspruch auf Dauerrente nicht besteht. Mit Urteil des Landesgerichts Linz als Arbeits- und Sozialgericht vom 19. 6. 2008 wurde das Begehren auf Gewährung einer Versehrtenrente als Dauerrente abgewiesen.
Mit Bescheid der beklagten Partei vom 13. 1. 2010 wurde auch der neuerliche Antrag des Klägers vom 12. 11. 2009 auf Gewährung einer Versehrtenrente abgewiesen. Dagegen richtet sich das auf Zuspruch einer Versehrtenrente im gesetzlichen Ausmaß gerichtete Klagebegehren.
Der Kläger brachte zusammengefasst vor, dass sich sein Gesundheitszustand nicht zum Besseren gewendet habe.
Die beklagte Partei beantragte die Klageabweisung und brachte vor, die Restfolgen des Arbeitsunfalls würden die Leistungsfähigkeit des Klägers nicht mehr in einem rentenbegründenden Ausmaß beeinträchtigen.
Das Erstgericht stellte folgenden Sachverhalt fest:
Der Kläger leidet seit dem Arbeitsunfall unter einem komplexen regionalen Schmerzsyndrom, das zu einer Minderung der Erwerbsfähigkeit im Ausmaß von 15 % führt. Hinsichtlich dieser Unfallfolgen ist im Vergleich zu den Vorbefunden bzw zu den dem abweislichen Urteil vom 19. Juni 2008 zugrundeliegenden Feststellungen keine Änderung eingetreten. Neben dem komplexen regionalen Schmerzsyndrom leidet der Kläger vermehrt an unfallunabhängigen psychischen Faktoren im Sinne einer dissoziativen Störung. Diese Störung hat sich verschlechtert, die unfallskausalen Folgen sind hingegen unverändert.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich ging es davon aus, dass mangels einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse iSd § 183 Abs 1 ASVG das Rentenbegehren gemäß § 203 Abs 1 ASVG nicht berechtigt sei.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und erkannte die beklagte Partei schuldig, dem Kläger ab 12. 11. 2009 eine Versehrtenrente in Höhe von 100 % der Vollrente samt Zusatzrente zu gewähren und dem Kläger eine vorläufige Leistung von 1.500 EUR zu erbringen. Das Mehrbegehren auf Gewährung der Versehrtenrente ab 1. 5. 2006 wurde abgewiesen. Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei, weil eine Tatsachenfrage, nämlich jene der Unfallkausalität der psychischen Beeinträchtigung des Klägers, entscheidend sei. Das Berufungsgericht erachtete das Ersturteil insofern als mangelhaft, als es sich mit der Frage der behaupteten psychischen Unfallfolgen nicht ausreichend auseinandergesetzt habe. Die Feststellung, dass die psychische Störung nicht unfallkausal sei, gebe die Ergebnisse des gerichtlichen Sachverständigengutachtens nur unvollständig wieder. Das Berufungsgericht traf daher nach Beweisergänzung durch Erörterung des Sachverständigengutachtens folgende ergänzenden bzw abweichenden Feststellungen:
„Eine dissoziative Störung ist eine Erkrankung, die aufgrund psychischer Beschwerden körperliche Folgen nach sich zieht. Im Fall des Klägers trat eine funktionelle Lähmung auf, ebenso eine Gedächtnisstörung. Üblicherweise ist eine derartige Störung Folge einer Kränkung oder Traumatisierung. Es kann sich dabei um Traumata, die in der Vergangenheit - z.B. in der Kindheit liegen - handeln oder z.B. um ein Sexualtrauma. Eine der möglichen Ursachen kann auch ein nicht gewährtes Pensionsansuchen oder eine hinter den Vorstellungen des Betroffenen zurückbleibende Feststellung der Minderung der Erwerbsfähigkeit sein. Im Fall des Klägers steht fest, dass das Rentenverfahren ursächlich mit der dissoziativen Störung in Verbindung zu bringen ist. Da zu Beginn des Verfahrens derartige Störungen kaum aufgetreten sind und die Störung immer mehr und deutlicher in den Vordergrund gerückt ist, je länger das Verfahren dauerte, ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Störung nicht auf ein Kindheitstrauma oder andere Ursachen wie z.B. Partnerkonflikte zurückzuführen ist, sehr hoch. Ohne den Unfall und das daran anschließende Gerichtsverfahren wäre eine derartige Störung nicht aufgetreten. Eine Alltagskränkung hätte sicherlich nicht ausgereicht, eine derartige Störung im vorhandenen Ausmaß hervorzurufen. Der Kläger demonstriert quasi mit den körperlichen Ausfällen, dass sein wahrer Gesundheitszustand viel schlechter sei, als dies in Prozenten der Minderung der Erwerbsfähigkeit ausgedrückt werde. Er versucht über diesen Weg, indirekt und unbewusst, seine Rechtsmeinung durchzusetzen.
Wenn man die Lähmungen und den partiellen Gedächtnisverlust als unfallskausal miteinbezieht, beträgt die Minderung der Erwerbsfähigkeit 100 %. Es könnte zwar sein, dass aufgrund der erfolgreichen Durchsetzung des Rentenbegehrens eine Besserung des Zustands eintritt, jedoch könnte es bei Entziehung der Rente nicht nur zu einem Rückfall in den derzeitigen Zustand, sondern sogar zu einer massiven Verschlechterung kommen, etwa zu Bettlägrigkeit und Übergreifen der Lähmung auf andere Körperregionen.“
Rechtlich ging das Berufungsgericht davon aus, dass eine im Gefolge des Unfalls auftretende Begehrungsneurose oder Rentenneurose grundsätzlich in einem adäquaten Kausalzusammenhang mit dem Unfall stehe. Dies allerdings mit der Einschränkung, dass ein ursächlicher Zusammenhang dort abzulehnen sei, wo sich der vom Unfall Betroffene den seinen Krankheitserscheinungen zu Grunde liegenden Wunschtendenzen bewusst ist. Seien die Gründe für die Vorstellung, krank zu sein, dem Bewusstsein des Klägers entzogen, oder sei er infolge besonderer Veranlagung außer Stande, diesen Wunschtendenzen zu begegnen, sei die Kausalkette zwischen dem Unfall und den Krankheitserscheinungen als geschlossen anzusehen. Die Feststellungen böten für die Annahme einer solch bewussten Produktion von Begehrungsvorstellungen jedoch keine Anhaltspunkte. Das Unfallereignis sei daher als kausal für die dadurch hervorgerufene Begehrungsneurose des Klägers zu werten. Da eine Alltagskränkung nicht ausgereicht hätte, eine derartige Situation im vorhandenen Ausmaß hervorzurufen, sei das Unfallereignis nicht bloße Gelegenheitsursache für die beim Kläger aufgetretenen Beschwerden. Diese Beschwerden seien deshalb zur Gänze dem Risikobereich der Unfallversicherung zuzurechnen. Dem Kläger sei der Beweis gelungen, dass die bei ihm im Zusammenhang mit dem Unfall aufgetretene dissoziative Störung mit hoher Wahrscheinlichkeit durch den Unfall ausgelöst worden sei. Hingegen sei der beklagten Partei der ihr obliegende Beweis misslungen, dass diese Störung innerhalb absehbarer Zeit mit gleicher Wahrscheinlichkeit durch andere Ursachen hervorgerufen worden wäre.
In ihrer dagegen gerichteten außerordentlichen Revision beantragt die beklagte Partei, der Oberste Gerichtshof möge die Revision zulassen und das Urteil des Berufungsgerichts in ein klageabweisliches Urteil abzuändern.
In der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung beantragte der Kläger, der Revision keine Folge zu geben.
Die Revision ist im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags berechtigt.
Die Revisionswerberin macht zunächst geltend, das Berufungsgericht habe es unterlassen, die Verhältnisse, die der früheren Entscheidung zu Grunde lagen, mit jenen zu vergleichen, die zum nunmehr maßgeblichen Datum gegeben sind. Weiters macht sie im Wesentlichen geltend, auch in der gesetzlichen Unfallversicherung seien die aus einem Prozessverlust resultierenden psychischen Beeinträchtigungen grundsätzlich vom Rechtsunterworfenen zu tragen bzw hinzunehmen. Aus dem Titel „psychische Unfallfolgen aufgrund Prozessverlusts“ entstünde nicht sogleich wieder ein entsprechender Entschädigungs- oder Regressanspruch gegen den obsiegenden Versicherungsträger. Die vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen seien zudem nicht geeignet, die Erwerbsunfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bzw den Zuspruch der Vollrente zu begründen, weil die beim Kläger in Form einer dissoziativen Störung bestehenden körperlichen und seelischen Beschwerden nur sehr vage dargestellt seien. Es sei nicht nachvollziehbar, inwiefern diese eine gänzliche Erwerbsunfähigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bedingen.
Rechtliche Beurteilung
Dazu ist auszuführen:
1. Grundsätzlich steht die Rechtskraft eines Bescheids der neuerlichen Prüfung der Grundlagen dieser Entscheidung im Leistungsstreitverfahren entgegen. Ausnahmen bestehen nur für Fälle, in denen nach dem Zeitpunkt der Entscheidung eine maßgebliche Änderung des Sachverhalts eingetreten ist, wie etwa in den Fällen, die die §§ 99 und 183 ASVG im Auge haben. Nur eine nach dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt eingetretene wesentliche Änderung im Tatsächlichen durchbricht die Rechtskraft. Haben sich hingegen die der rechtskräftigen Vorentscheidung zugrunde liegenden maßgeblichen Tatsachen nicht wesentlich geändert, bildet eine allenfalls unrichtige Einschätzung der Minderung der Erwerbsfähigkeit in der rechtskräftigen Vorentscheidung keinen Anlass für eine Neueinschätzung, weil dem eben die Rechtskraft entgegensteht (10 ObS 78/05a mwN).
2. Zu Recht zeigt die Revision auf, dass das Berufungsgericht zur Beurteilung der Frage der wesentlichen Änderung der Verhältnisse iSd § 183 ASVG keine Feststellungen über jenen Tatsachenkomplex getroffen hat, der dem Urteil des Erstgerichts vom 19. 6. 2008 zugrunde lag, mit dem das Begehren des Klägers auf Gewährung einer Versehrtenrente als Dauerrente (rechtskräftig) abgewiesen wurde. Die im Verfahren erster Instanz getroffene Feststellung, hinsichtlich des komplexen regionalen Schmerzsyndroms sei keine Änderung eingetreten, bezieht sich allein auf die körperlichen Unfallfolgen. Im Hinblick auf die vom Berufungsgericht getroffenen - von den erstgerichtlichen Feststellungen abweichenden - Feststellungen zu den psychischen Unfallfolgen bedarf es jedoch weiterer Ergänzungen. Insbesondere mangelt es an einer Feststellung dazu, ob und allenfalls in welcher Schwere bereits zu dem für die Vorentscheidung maßgeblichen Zeitpunkt 19. 6. 2008 eine dissoziative Störung vorgelegen war; gegebenenfalls ob es seither zu einer Verschlechterung dieser Störung gekommen ist. Die Feststellung, „die Störung sei immer mehr und deutlicher in den Vordergrund gerückt, je länger die Verfahren dauerten“, ist jedenfalls nicht ausreichend präzise, weshalb im fortgesetzten Verfahren zunächst in dieser Richtung ergänzende Feststellungen zu treffen sind.
3. Sollte tatsächlich eine wesentliche Änderung der Verhältnisse (Verschlechterung) in Bezug auf die beim Kläger vorliegenden psychische Störung gegenüber dem Zeitpunkt 19. 6. 2008 eingetreten sein, stellt sich die Frage des ursächlichen Zusammenhangs dieser Störung mit dem Arbeitsunfall.
Dazu kann schon jetzt grundsätzlich ausgeführt werden:
3.1. Für den Unfallbegriff nach § 175 Abs 1 ASVG nicht relevant ist, ob die Körperschädigung durch eine physische oder eine psychische Wirkung (zB Nervenschock) hervorgerufen wurde (10 ObS 224/98h, SZ 71/107, SSV-NF 12/89). Auch Vorgänge im psychischen Bereich können Unfallursache und Unfallfolge sein (RIS-Justiz RS0110322; Tomandl, SV-System 13. Erg-Lfg 310/2; Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung Bd 1 § 8 Rz 394).
3.2. Ganz allgemein können psychische Folgen eines Arbeitsunfalls grundsätzlich als „Erstschaden“, vor allem in Form von äußeren psychischen Einwirkungen auftreten (RIS-Justiz RS0110322), aber auch in Form von „Sekundärschäden“ etwa infolge eines körperlich-organischen Erstschadens zB als depressive Reaktion auf schwere, andauernd schmerzhafte Verletzungsfolgen (Ricke in Kasseler Kommentar SGB VII Vor § 26 Rz 8).
3.3. Zu Beeinträchtigungen, die auf einer durch die Körperverletzung ausgelösten seelischen Störung des Betroffenen beruhen und von der Begehrensvorstellung nach einer Lebenssicherung oder der Ausnutzung einer vermeintlichen Rechtsposition geprägt sind („Begehrungsneurose“, „Rentenneurose“) vertrat der Oberste Gerichtshof zum Allgemeinen Schadenersatzrecht in der Entscheidung 2 Ob 702/50, SZ 24/113, unter Hinweis auf die deutsche Rechtsprechung die Ansicht, ein Kausalzusammenhang zwischen Unfall und Begehrungsneurose sei ausschließlich dann anzunehmen, wenn der Verletzte sich der seinen Wunschtendenzen zu Grunde liegenden Krankheitserscheinungen nicht bewusst ist oder infolge besonderer Veranlagung außer Stande sieht, diesen Wunschtendenzen zu begegnen (RIS-Justiz RS0030821). Für den Bereich der privaten Unfallversicherung schloss der deutsche Bundesgerichtshof nach der Adäquanztheorie eine Schadenersatzpflicht für Gesundheitsstörungen psychoneurotischen Ursprungs nicht aus, verneinte aber einen Schadenersatzanspruch für diese Krankheitserscheinungen dann, wenn sie durch einen dem Geschädigten zumutbaren Willensakt hätten überwunden werden können (BGH NJW 1956, 1108; Krasney in Becker/Burchardt/Krasney/Kruschinsky, Gesetzliche Unfallversicherung § 8 Rz 396).
3.4. Dieselbe Rechtsansicht wurde für den Bereich der (österreichischen) gesetzlichen Unfallversicherung vom Oberlandesgericht Wien als seinerzeitiges Höchstgericht in den Entscheidungen SSV 17/82 und SSV 1/229 vertreten. Es wurde ausgesprochen, dass bei der Beurteilung des ursächlichen Zusammenhangs psychogener Beschwerden mit einem Arbeitsunfall ein strenger Maßstab anzuwenden sei. Psychogene Überlagerungen oder Aggravationstendenzen könnten nur dann eine Minderung der Erwerbsfähigkeit begründen, wenn sie einen nicht mehr beherrschbaren Ausfluss eines psychischen Krankheitszustands darstellen (SSV 17/82). Nur dann, wenn ein Verunglückter wirklich nicht befähigt sei, seiner psychischen Veranlagung entgegen zu wirken, werde der Unfall als wesentliche Ursache der psychogenen Minderung der Erwerbsfähigkeit angesehen werden müssen, bzw wenn diese ohne den Unfall voraussichtlich nicht oder doch nicht in absehbarer Zeit eingetreten wäre (SSV 1/229).
3.5. Nach der Rechtsprechung des deutschen Bundessozialgerichts ist ein rechtlich wesentlicher Zusammenhang jedenfalls dann zu verneinen, wenn die psychische Reaktion wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist, die zB mit der Tatsache des Versichertseins oder mit persönlichen Lebenskonflikten in Zusammenhang stehen (BSG 19. 6. 1979, 5 RJ 122/77).
3.6. Festzuhalten ist, dass die noch in der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs 2 Ob 702/50, SZ 24/113, verwendeten Begriffe „Begehrungs- und Renten-neurose bzw Rentenhysterie“ heute überholt sind. Sie entsprechen nicht mehr den wissenschaftlich anerkannten Diagnosestandards nach ICD-10 bzw DSM IV und sollen daher für sozialmedizinische Fragestellungen keine Anwendung finden (Mehrtens/Valentin/Schönberger, Arbeitsunfall und Berufskrankheit8, 147).
4. Aus diesen Grundsätzen ergibt sich für den vorliegenden Fall:
4.1. Es bedarf zunächst ergänzender Feststellungen, aus denen sich in eindeutiger Weise ergibt, ob die beim Kläger aufgetretene dissoziative Störung als psychische Reaktion wesentlich die Folge des Arbeitsunfalls oder aber wesentlich die Folge wunschbedingter Vorstellungen ist, die mit der Tatsache des Versichertseins oder mit persönlichen Lebenskonflikten im Zusammenhang stehen. In letzterem Fall wäre ein rechtlich relevanter Zusammenhang zum Arbeitsunfall zu verneinen. Die bisher zur Ursache der Störungen getroffene Feststellungen, „das Rentenverfahren sei ursächlich mit der dissoziativen Störung in Verbindung zu bringen“ und „die Wahrscheinlichkeit sei sehr hoch, dass die Störung nicht auf ein Kindheitstrauma oder andere Ursachen wie z.B. Partnerkonflikte zurückzuführen sei“ bedarf daher einer Präzisierung im vorgenannten Sinn. Eine weitere Frage in diesem Zusammenhang könnte dann sein, ob auch der Verlauf der dissoziativen Störung noch - rechtlich wesentlich - auf die ursprüngliche Reaktion zurückzuführen ist oder Begehrensvorstellungen oder sonstige aus der Psyche des Klägers heraus wirkende Kräfte so sehr in den Vordergrund getreten sind, dass sie für deren weiteren Verlauf die rechtlich allein wesentliche Ursache sind.
4.2. Gegebenenfalls wird im fortzusetzenden Verfahren auch festzustellen sein, ob der Kläger in der Lage ist, seine Begehrenshaltung und deren Auswirkungen erfolgreich zu bekämpfen. Dazu steht bisher nur fest, der Kläger versuche „quasi über den Weg körperlicher und auch psychischer Beschwerden indirekt und unbewusst seine Rechtsmeinung durchzusetzen“. Im Sinn des von der Rechtsprechung geforderten strengen Maßstabs bedarf es aber eindeutiger Feststellungen dazu, ob der Kläger derzeit imstande ist, seine psychische Störung mittels einer ihm zumutbaren Willensanstrengung zu überwinden und die Kraft aufzubringen, sich wieder als gesund zu betrachten und sich in das Erwerbsleben einzufügen; weiters dazu, ob er zu Beginn des Zeitraums seiner Wunschvorstellungen dazu in der Lage gewesen war.
4.3. Sollte die dissoziative Störung schon zum Zeitpunkt 19. 6. 2008 vorgelegen haben - werden im Sinne der Ausführungen zu oben Pkt 2. auch ergänzende Feststellungen zur zum damaligen Zeitpunkt gegebenen Situation in Bezug auf deren Bekämpfbarkeit zu treffen sein; allenfalls auch dazu, ob seither eine Änderung (Verschlechterung) eingetreten ist.
5. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass eine krankhafte Veranlagung alleinige oder überragende Ursache dann ist, wenn sie so leicht ansprechbar war, dass es zur Auslösung akuter Erscheinungen nicht besonderer, unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zur selben Zeit die Erscheinungen ausgelöst hätte (RIS-Justiz RS0084318; RS0084345). Ein anlagebedingt schon durch alltäglich vorkommende Ereignisse leicht auslösbares Leiden ist nicht vom Unfallversicherungsschutz umfasst (10 ObS 161/09p). Maßgeblich ist somit die Frage, ob das Unfallereignis vom 24. März 2004 und das anschließende Sozialrechtsverfahren ihrer Eigenart und Stärke nach für die dissoziative Störung ursächlich waren, also nicht mit anderen alltäglich vorkommenden auch geringfügigen Ereignissen austauschbar waren. Die bisher zu diesem Themenbereich existierenden Feststellungen, eine „Alltagskränkung“ hätte nicht ausgereicht, um eine derartige Störung im vorhandenen Ausmaß herbeizuführen, könnten darauf schließen lassen, dass beim Kläger kein anlagebedingtes, schon durch alltäglich vorkommende Ereignisse leicht auslösbares Leiden vorlag. Auch zu diesem Thema werden aber noch eindeutige Feststellungen zu treffen sein, um beurteilen zu können, ob die psychischen Auswirkungen des Unfallereignisses und des daran anschließenden Sozialrechtsverfahrens die rechtlich allein wesentliche Ursache waren.
Entsprechend den Ausführungen der Revisionswerberin erweisen sich auch die Feststellungen des Berufungsgerichts über die Minderung der Erwerbsfähigkeit der Kläger auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt als erörterungsbedürftig.
6. Im Hinblick auf gegebenenfalls auftretende Beweisschwierigkeiten kann schon im derzeitigen Verfahrensstadium darauf verwiesen werden, dass auch im Verfahren vor dem Sozialgericht die Regeln der objektiven Beweislast gelten. Ein Anspruch kann nur bejaht werden, wenn die anspruchsbegründenden Tatsachen erwiesen sind. Der Fall einer Beweislastumkehr zugunsten des Klägers ist hier schon deshalb nicht anzunehmen, weil die behaupteten Folgen des Arbeitsunfalls (dissoziative Störung) atypisch sind und somit kein bestimmter Geschehensablauf indiziert ist (RIS-Justiz RS0040266). Der bloße Verdacht eines bestimmten Ablaufs, der auch andere Ursachen als in gleicher Weise möglich erscheinen lässt, reicht für einen Anscheinsbeweis jedenfalls nicht hin. In diesem Zusammenhang ist auch auf die deutsche Lehre und Judikatur hinzuweisen, wonach die Simulationsnähe neurotischer Störungen und die Schwierigkeiten, solche Störungen von Fällen der Simulation und Aggravation klar zu unterscheiden, es gebieten, eine eindeutig abgegrenzte Beweisantwort - vornehmlich von den ärztlichen Sachverständigen - zu verlangen und bei der Beweiswürdigung einen strengen Maßstab anzulegen (Krasney aaO Rz 399; Keller, Rechtsprobleme bei Neurosen im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung und im sozialen Entschädigungsrecht in SGb 1997, 10 f, jeweils mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des BSG). Diese Erwägungen haben im Hinblick auf die Ähnlichkeit der Regelungen auch hier zu gelten.
7. Im Hinblick auf die aufgezeigten rechtlichen Feststellungsmängel erweist sich die Revision im Sinne des eventualiter gestellten Aufhebungsantrags als berechtigt. Es erscheint zweckmäßig, dass das Berufungsgericht das Verfahren vorerst selbst ergänzt und nur im Falle von sich ergebenden Weiterungen die Sache an des Erstgericht zurückverweist.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.
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