OGH 1Ob169/11a

OGH1Ob169/11a29.9.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Mag. Wurzer und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Daniel A*****, vertreten durch Mag. Sebastian Feigl, Rechtsanwalt in Amstetten, gegen die beklagten Parteien 1. Engjull L*****, vertreten durch Dr. Walter Eisl, Rechtsanwalt in Amstetten, und 2. J***** GmbH, P*****, vertreten durch Hirtzberger Sacha Katzensteiner Rechtsanwälte GmbH in Krems, wegen 15.471,72 EUR sA und Feststellung (Streitwert: 4.000 EUR), über den Rekurs der zweitbeklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 25. Mai 2011, GZ 14 R 229/10i-66, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 18. Oktober 2010, GZ 24 Cg 59/07k-62, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der Kläger war in der Nacht vom 26. auf den 27. 8. 2006 Gast im Lokal der zweitbeklagten Partei. Der über Vermittlung eines Security-Unternehmens als Türsteher eingesetzte Erstbeklagte, gegen den das Verfahren rechtskräftig abgeschlossen ist, wurde wegen des Vergehens der schweren Körperverletzung nach § 83 Abs 1 und § 84 Abs 1 StGB rechtskräftig verurteilt, weil er den Kläger im Eingangsbereich des Lokals auf den Boden geworfen, ihm mehrere Fußtritte gegen den Körper versetzt und dadurch einen Bruch des linken Wadenbeins sowie des linken Knöchels zugefügt hatte.

Der Kläger begehrte aufgrund der erlittenen Verletzungen Schadenersatz und Feststellung der Haftung für künftige Schäden.

Im zweiten Rechtsgang verpflichtete das Erstgericht die zweitbeklagte Partei zur Zahlung von 15.471,72 EUR sA und stellte ihre Haftung für alle zukünftigen Schäden aus dem Vorfall fest, dies jeweils als Solidarverpflichtung mit dem bereits im ersten Rechtsgang verurteilten Erstbeklagten. Es stellte zusammengefasst noch Folgendes fest:

Zu den Aufgaben des Erstbeklagten als Türsteher gehörte die Durchführung von Ausweiskontrollen und die Kontrolle eintreffender Gäste, um zu verhindern, dass diese alkoholische Getränke in das Lokal mitbringen oder volltrunkene Personen das Lokal betreten. Bei Streitereien zwischen Gästen sollte er schlichtend eingreifen und dabei bei einer Gefahr Dritten gegenüber auch mit geringst möglicher Gewalt einschreiten. Ebenso hatte er handgreiflich zu werden, wenn randalierende Personen zu trennen waren. Zu seinen Aufgaben gehörte es auch, Gäste aus dem Lokal zu bringen, wenn diese für den weiteren Geschäftsbetrieb nicht mehr tragbar bzw diesem nicht mehr förderlich waren, also zu stark alkoholisiert, aggressiv oder sonst unangemessen auftraten. Dazu hatte er ebenfalls, soweit erforderlich, physische Kraft anzuwenden. Diese Aufgaben sollten jeweils eigenverantwortlich und ohne Rücksprache im Einzelfall wahrgenommen werden.

Im Laufe des Abends konsumierte der Kläger diverse alkoholische Getränke und war letztlich erheblich alkoholisiert. Nachdem er beim Tanzen wiederholt unabsichtlich einen anderen Gast angerempelt hatte, versetzte ihm dieser einen Faustschlag ins Gesicht, wodurch er zu Sturz kam. Der Erstbeklagte zog den Kläger vom Boden hoch und versuchte, ihn aus dem Lokal zu bringen. Er fasste ihn hiezu an einem Arm, drehte ihm diesen auf den Rücken und drängte ihn zur Ausgangstür. Während des Hinausschiebens kam der Kläger noch innerhalb des Lokals zu Sturz, ob aus eigener Unachtsamkeit oder durch das Drängen und Schieben des Erstbeklagten kann nicht festgestellt werden. Während der Kläger auf dem Boden lag, versetzte ihm der Erstbeklagte zumindest einen Tritt, und zwar im Bereich des linken Knöchels. Danach zerrte er den nach wie vor am Boden liegenden Kläger aus dem Lokal, wo dieser liegenblieb. Zu diesem Zeitpunkt konnte der Kläger aufgrund der starken Schmerzen am linken Knöchel nicht mehr aufstehen. Es kann nicht festgestellt werden, dass die Verletzungen des Klägers nicht durch den Tritt/die Tritte des Erstbeklagten herbeigeführt wurden. Der Kläger erlitt bei dem Vorfall einen Bruch des linken Außenknöchels mit teilweisem Riss des inneren Seitenbandes.

In seiner rechtlichen Beurteilung ging das Erstgericht von der Unwiderruflichkeit eines schlüssigen Geständnisses der zweitbeklagten Partei zum kausalen Zusammenhang zwischen dem Tritt des Erstbeklagten und den Verletzungen des Klägers aus. Es bejahte einen inneren Zusammenhang zwischen der vertraglichen Schutz- und Sorgfaltspflicht der zweitbeklagten Partei, einen Gast ohne Beeinträchtigung seiner körperlichen Integrität aus dem Lokal zu schaffen, und den Handlungen des Türstehers, die der zweitbeklagten Partei nach § 1313a ABGB zuzurechnen seien.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der zweitbeklagten Partei Folge, hob das angefochtene Urteil zur Verfahrensergänzung auf und ließ den Rekurs an den Obersten Gerichtshof zu. Der Widerruf eines Geständnisses sei in erster Instanz bis zum Schluss der mündlichen Streitverhandlung zulässig. Dies gelte aufgrund des Neuerungsverbots nicht für das Rechtsmittelverfahren. Das Berufungsgericht habe im ersten Rechtsgang das im Umfang der Klagsstattgebung bekämpfte Urteil des Erstgerichts wegen einer mangelhaften Beweiswürdigung aufgehoben. Dieser Begründungsmangel habe den gesamten, vom Erstgericht im ersten Rechtsgang der rechtlichen Beurteilung zu Grunde gelegten Sachverhalt erfasst. Damit sei kein Streitpunkt oder Sachverhaltskomplex abschließend erledigt worden. Das gesamte Verfahren sei in den Stand vor Schluss der Verhandlung erster Instanz getreten, was der zweitbeklagten Partei den (erfolgten) Widerruf der Außerstreitstellung ermöglicht habe. Dieser Widerruf begründe aber weder ein Beweisthemenverbot noch eine Beweislastumkehr. Die im zweiten Rechtsgang getroffenen Feststellungen des Erstgerichts seien aber nicht ausreichend, um die vom Geschädigten zu beweisende Kausalität des Tritts des Erstbeklagten für die Verletzungsfolgen des Klägers zu beurteilen. Dieser sekundäre Verfahrensmangel wäre nur dann nicht relevant, wenn auch die zweitbeklagte Partei an die rechtskräftige strafgerichtliche Verurteilung des Erstbeklagten gebunden wäre. Mangels der Möglichkeit der zweitbeklagten Partei, sich am Strafverfahren zu beteiligen, sei dies nicht der Fall.

Den Ausspruch über die Zulässigkeit des Rekurses begründete das Berufungsgericht mit fehlender Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Bindung des Geschäftsherrn an die strafgerichtliche Verurteilung seines Erfüllungsgehilfen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs des Klägers ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Im Rekursverfahren sind nur die Widerrufbarkeit des Geständnisses im zweiten Rechtsgang und die Bindung der zweitbeklagten Partei an das rechtskräftige Strafurteil strittig.

2. Zum ersten Thema ist auf die zutreffenden Ausführungen des Berufungsgerichts zu verweisen (§ 510 Abs 3 Satz 2 iVm § 528a ZPO).

3.1 Zur Bindung eines Zivilgerichts an eine strafgerichtliche Verurteilung formulierte der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 612/95 = SZ 68/195 folgenden Rechtssatz:

Wirkt die materielle Rechtskraft der strafgerichtlichen Verurteilung derart, dass der Verurteilte das Urteil gegen sich gelten lassen muss, und wirkt dieses für den Rechtskreis des Verurteilten, für diesen aber gegen jedermann, so kann sich niemand im nachfolgenden Rechtsstreit einer anderen Partei gegenüber darauf berufen, dass er eine Tat, deretwegen er strafgerichtlich verurteilt wurde, nicht begangen habe, gleichviel ob der andere am Strafverfahren beteiligt war oder in welcher verfahrensrechtlichen Stellung er dort aufgetreten ist.

3.2 In der Folge hat der Oberste Gerichtshof mehrfach klargestellt, dass ein strafgerichtliches verurteilendes Erkenntnis Dritte, die im Strafverfahren kein rechtliches Gehör hatten, nicht bindet, wie den Haftpflichtversicherer eines KFZ (2 Ob 2070/96t = SZ 69/131; 2 Ob 2178/96z [mwN]; RIS-Justiz RS0074219 [T1]) oder dessen Halter (2 Ob 72/97w = SZ 70/49) nach rechtskräftiger strafgerichtlicher Verurteilung des Lenkers, den Anfechtungsgegner im Anfechtungsprozess im Zusammenhang mit der Frage der Zahlungsunfähigkeit nach strafgerichtlicher Verurteilung des Gemeinschuldners wegen fahrlässiger Krida (2 Ob 250/99z = RIS-Justiz RS0074219 [T11]) sowie den Verein nach einem seinen Obmann verurteilenden Straferkenntnis (3 Ob 300/05x mwN). Die zu 7 Ob 253/00g = SZ 73/200 = ecolex 2001, 746 (Fuchs) bejahte Bindung einer Kommanditgesellschaft an das ihren Komplementär verurteilende Strafurteil beruhe auf der besonderen „materiell- wie auch verfahrensrechtliche[n] Verquickung zwischen der Personengesellschaft einerseits und ihren Gesellschaftern andererseits“ (3 Ob 300/05x). Die Stellung des Obmanns eines Vereins als juristische Person sei jener eines Komplementärs nicht vergleichbar, woran auch die zivilrechtliche Haftung juristischer Personen für die von ihren Repräsentanten bei Ausübung der Vertretungsbefugnis begangenen deliktischen Handlungen nichts ändere, weil sie die Trennung zwischen juristischer Person und dem für sie handelnden Organwalter nicht beseitige (3 Ob 300/05x).

3.3 Nichts anderes hat für das Verhältnis zwischen einem Erfüllungsgehilfen und seinem Geschäftsherrn, der nach § 1313a ABGB für dessen Verschulden haftet, zu gelten. Eine Bindung des Geschäftsherrn, der im Strafverfahren gegen seinen Erfüllungsgehilfen kein rechtliches Gehör hatte, an dessen rechtskräftige Verurteilung verstieße gegen Art 6 Abs 1 Satz 1 EMRK (s dazu auch RIS-Justiz RS0074953) und ist damit im Sinn der herrschenden höchstgerichlichen Judikatur eindeutig abzulehnen.

4. Der Einschätzung des Berufungsgerichts, die Feststellungen des Erstgerichts reichten (neuerlich) zur Beurteilung des Kausalzusammenhangs zwischen dem Verhalten des Erstbeklagten und den Verletzungen nicht aus und das Verfahren sei deshalb ergänzungsbedürftig, kann der Oberste Gerichtshof nicht entgegentreten (RIS-Justiz RS0043414 [T7]).

5. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.

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