Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung
Die Betroffene lebt gemeinsam mit ihrem berufstätigen Vater in geordneten Wohnverhältnissen. Der Vater der Betroffenen arbeitete bis 14.00 Uhr, danach kümmerte er sich um seine Tochter, er geht in der gemeinsamen Freizeit mit ihr einkaufen, wandern oder spazieren. Er erledigt alle erforderlichen Behördenwege für sie. Die Betroffene bezieht die erhöhte Familienbeihilfe, über ein eigenes Einkommen verfügt sie nicht.
Die adipöse Betroffene leidet an einer Intellegenzminderung mit Verhaltensauffälligkeit und Impulsdurchbrüchen sowie einer Persönlichkeitsstörung.
Am 10. 3. 2005 wurde sie für die Dauer von zwei Monaten wegen Suiziddrohungen und Hörens imperativer Stimmen, die den Suizid befehlen würden, stationär aufgenommen. Eine Beschäftigungstherapie wäre sinnvoll, um die Betroffene zu motivieren. Sollte die Betroffene länger ohne Beschäftigung bleiben, besteht die Gefahr einer Chronifizierung der Erkrankung, was weitere Aktivitätsabnahme und zunehmende Ängstlichkeit, die Wohnung zu verlassen, zur Folge hätte. Der Zustand wird dadurch erschwert, dass die Betroffene derzeit alle Bemühungen zur Aktivierung mit Selbstmorddrohungen verhindert. Das Erstgericht bestellte Mag. Melanie R***** zur Sachwalterin mit folgendem Wirkungskreis (§ 273 Abs 3 Z 1 ABGB):
„Personensorge, insbesondere das Bemühen darum, dass die gebotene ärztliche und soziale Betreuung für .... gewährt werde."
Die Bestellung eines Sachwalters sei ausschließlich für die Gewährleistung der Personensorge gemäß § 282 Abs 2 ABGB erforderlich, zumal der Vater der Betroffenen nicht in der Lage sei, seine Tochter ausreichend zu motivieren.
Das von der bestellten Sachwalterin angerufene Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Sachwalterbestellung verstoße einerseits aufgrund der derzeit im Familienkreise nicht gewährten, dringend benötigten sozialen und ärztlichen Betreuung nicht gegen das Subsidiaritätsprinzip und sei andererseits im Sinne der Rechtslage nach dem KindRÄG 2001 auch ausschließlich für die Personensorge zulässig. Dem Zulassungsausspruch begründete das Rekursgericht mit fehlender höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage, ob 1. die Personensorge ausschließlich Aufgabe eines Sachwalters sein könne, 2. dieser Begriff einer näheren Definition bedürfe.
Die Sachwalterin bekämpft in ihrem Revisionsrekurs diesen Beschluss mit dem Abänderungsantrag, das Sachwalterschaftsverfahren einzustellen, hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Betroffene hat keine Revisionsrekursbeantwortung erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und im Sinne einer Aufhebung zur Klarstellung des Wirkungskreises berechtigt.
§ 282 ABGB verpflichtete in seiner vor dem KindRÄG 2001 geltenden Fassung jeden Sachwalter, die erforderliche Personensorge, insbesondere auch die ärztliche und soziale Betreuung, sicherzustellen, soweit das Gericht nichts anderes bestimmte. Damit war klargestellt, dass jede Bestellung eines Sachwalters auch die Sicherstellung der erforderlichen Personensorge umfasste (RIS-Justiz RS0049114; Stabentheiner in Rummel ABGB3 § 282 Rz 3; Weitzenböck in Schwimann3 I § 273 Rz 6 mwN in FN 22, Schauer, Rechtssystematische Bemerkungen zum Sachwalterrecht idF KindRÄG 2001, NZ 2001, 275 f). Bei dem Begriff „Personensorge" war zu unterscheiden zwischen
1. den faktischen Maßnahmen der ärztlichen und sozialen Betreuung wie Pflege, Verabreichung von Medikamenten etc;
2. der Vornahme von Vertretungshandlungen im Zusammenhang mit der ärztlichen und sozialen Betreuung, wie insbesondere dem Abschluss von Behandlungsverträgen oder der Einwilligung in medizinische Eingriffe. Unstrittig war, dass die zu 1. genannten tatsächlichen Verrichtungen trotz des umfassend auszulegenden (RIS-Justiz RS0048990) Begriffes der Angelegenheiten iSd § 273 Abs 3 ABGB für sich alleine nicht die Bestellung eines Sachwalters rechtfertigen konnten (Stabentheiner aaO § 273 Rz 2; Weitzenböck aaO; Gitschthaler, Einzelne Probleme des Sachwalterrechts, ÖJZ 1985, 194; Schlemmer in Schwimann2 I § 273 Rz 5).
Der Begriff „Personensorge" findet sich nach der Änderung der Rechtslage durch das KindRÄG 2001 in § 282 ABGB nicht mehr; dessen Abs 2 verpflichtet den Sachwalter nunmehr, „persönlichen Kontakt mit der behinderten Person zu halten und sich darum zu bemühen, dass die gebotene ärztliche und soziale Betreuung der behinderten Person gewährt wird". Diese „Bemühungsverpflichtung" bedeutet im Gegensatz zu der nach § 282 Satz 2 aF ABGB aufgetragenen Sicherstellung der Personensorge nur mehr ein entsprechendes Engagement des Sachwalters zur Erreichung der Betreuung (Stabentheiner aaO 1. Ergänzungsband § 282 Rz 3), besteht unabhängig vom Wirkungsbereich des bestellten Sachwalters (AB 366 BlgNR 21. GP) und räumt dem Sachwalter für sich alleine in diesem Bereich keine rechtlich relevanten Befugnisse, insbesondere Vertretungsbefugnisse ein (Weitzenböck aaO § 282 Rz 2; Stabentheiner aaO 1. Ergänzungsband § 282 Rz 3; Schauer aaO). Die „Personensorge" ist nach der neuen Rechtslage nurmehr dann und nur mehr soweit Aufgabe eines Sachwalters, wenn und soweit dies im Bestellungsbeschluss ausgedrückt wird (Weitzenböck aaO).
§ 123 Abs 1 Z 2 AußStrG 2005 fordert die Umschreibung der Angelegenheiten, welche der Sachwalter zu besorgen hat. Um Zweifel auszuschließen, welche bei der Ausübung des Amtes des Sachwalters entstehen können, und durch die Umschreibung des Aufgabenkreises die Grenzen der Handlungsfähigkeit des Behinderten aufzuzeigen, ist eine möglichst präzise Umschreibung des Wirkungskreises des Sachwalters im Bestellungsbeschluss notwendig (Feil, AußStrG, § 123 Rz 2). Der Revisionsrekurs bemängelt in diesem Zusammenhang zutreffend die zu pauschal und unpräzise gefasste Festlegung des Aufgabenbereiches der bestellten Sachwalterin, dem sich hier nicht eindeutig entnehmen lässt, was von dem (dem nunmehrigen Gesetzestext entnommenen) Bemühen um die gebotene ärztliche und soziale Betreuung umfasst ist. Unklar bleibt nämlich, ob die Sachwalterin hier in einer Art „Mediatorfunktion" nur vermittelnd zwischen der Betroffenen/deren Vater und sozialen bzw sozialmedizinischen Einrichtungen tätig werden bzw motivierend auf die Betroffene einwirken soll, die Unterstützung derartiger Einrichtungen in Anspruch zu nehmen, oder ob ihr als Vertreterin der Betroffenen weitreichendere Befugnisse zukommen, wie der Abschluss von Behandlungsverträgen, die Organisation einer Gesprächs-/Beschäftigungstherapie oder ähnliches. Im letzteren Fall wären allerdings therapeutische Maßnahmen gegen den Willen der Betroffenen, deren Notwendigkeit nach der Aktenlage indiziert wäre, nur bei fehlender Einsichts- und Urteilsfähigkeit der Betroffenen zulässig (Schauer aaO; vgl Barth, Medizinische Maßnahmen bei Personen unter Sachwalterschaft, ÖJZ 2000; vgl. Hopf/Weitzenböck, Schwerpunkte des Kindschaftsrechts-Änderungsgesetzes 2001, II, ÖJZ 2001, 530; Weitzenböck aaO Rz 3).
Ob eine allfällige Einräumung weitreichenderer Kompetenzen der Sachwalterin im aufgezeigten Sinn eine Ergänzung des Verfahrens erfordert, bleibt der Beurteilung der Vorinstanzen vorbehalten. Aus den dargelegten Erwägungen war dem Revisionsrekurs im Sinne einer Aufhebung zur Klarstellung des Wirkungskreises der Sachwalterin Folge zu geben.
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