OGH 9ObA97/10w

OGH9ObA97/10w29.8.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf und Hon.-Prof. Dr. Kuras sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Andreas Mörk und Wolfgang Birbamer als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei B***** D*****, vertreten durch die Radel Stampf Supper Rechtsanwälte OG in Mattersburg, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Sauerzopf & Partner, Rechtsanwälte in Eisenstadt, wegen 3.908,99 EUR sA (Revisionsinteresse 3.695,02 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 22. Juli 2010, GZ 8 Ra 59/10w-16, womit das Urteil des Landesgerichts Eisenstadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 4. Februar 2010, GZ 32 Cga 77/09p-11, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof ist bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision an den diesbezüglichen Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2 Z 3 ZPO nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Gemäß § 502 Abs 1 ZPO ist die Revision nur dann zulässig, wenn die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt, etwa weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abweicht oder eine solche Rechtsprechung fehlt oder uneinheitlich ist. Dies ist hier nicht der Fall. Das Klagebegehren kann auf der Grundlage der bereits vorliegenden Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs beurteilt werden. Die Zurückweisung der ordentlichen Revision kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 letzter Satz ZPO).

Ist ein Arbeitnehmer nach Antritt des Dienstes durch Krankheit (Unglücksfall) an der Leistung seiner Arbeit verhindert, ohne dass er die Verhinderung vorsätzlich oder durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat, so behält er seinen Anspruch auf das Entgelt gemäß § 2 Abs 1 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG), BGBl 1974/399, bis zur Dauer von sechs Wochen. Der Anspruch auf das Entgelt erhöht sich auf die Dauer von acht Wochen, wenn das Arbeitsverhältnis fünf Jahre ununterbrochen gedauert hat. Durch jeweils weitere vier Wochen behält der Arbeitnehmer den Anspruch auf das halbe Entgelt. Der Arbeitnehmer ist gemäß § 4 Abs 1 EFZG verpflichtet, ohne Verzug die Arbeitsverhinderung dem Arbeitgeber bekanntzugeben und auf Verlangen des Arbeitgebers, das nach angemessener Zeit wiederholt werden kann, eine Bestätigung des zuständigen Krankenversicherungsträgers oder eines Gemeindearztes über Beginn, voraussichtliche Dauer und Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen. Nach herrschender, hier nicht weiter bestrittener Auffassung genügt auch die Bestätigung eines Vertragsarztes (Drs in ZellKomm EFZG § 4 Rz 4 mwN ua). Kommt der Arbeitnehmer einer dieser Verpflichtungen nicht nach, so verliert er gemäß § 4 Abs 4 EFZG für die Dauer der Säumnis den Anspruch auf Entgelt.

Die Klägerin war ab 10. 1. 2000 mit Unterbrechungen bei der Beklagten als Kosmetikerin und Fußpflegerin beschäftigt. Ab 13. 3. 2008 befand sie sich bei einer Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie wegen einer psychischen Erkrankung in Behandlung und ab dem 14. 3. 2008 wegen dieser Erkrankung im Krankenstand. Die Klägerin kam der Verpflichtung, dem Arbeitgeber die durch den Krankenstand verursachte Arbeitsverhinderung ohne Verzug bekanntzugeben, umgehend nach. Ebenso unstrittig ist, dass die Klägerin der Beklagten eine Bestätigung über den „Beginn der Arbeitsunfähigkeit“ ab 14. 3. 2008 übermittelte. Strittig ist jedoch, ob die Klägerin auch ihrer weiteren Verpflichtung nach § 4 Abs 1 EFZG, auf Verlangen des Arbeitgebers eine Bestätigung über die voraussichtliche Dauer und die Ursache der Arbeitsunfähigkeit vorzulegen, entsprochen hat.

Soweit es um die „Ursache der Arbeitsunfähigkeit“ geht, ist nach der Rechtsprechung nicht die Angabe einer genauen Diagnose erforderlich. Es genügt die Bekanntgabe, dass eine Erkrankung vorliegt (vgl Cerny/Kallab, EFZG4 § 4 Erl 7; Melzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG8 § 8 Rz 250; 9 ObA 236/89 ua). Eine besondere Form der Mitteilung der Arbeitsverhinderung ist nicht vorgesehen (RIS-Justiz RS0119372 ua). Welcher konkreten Formulierung sich der behandelnde Arzt bedient, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab und begründet in der Regel keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO.

Im vorliegenden Fall legte die Klägerin der Beklagten zwei ärztliche Bestätigungen vor. In der ersten Bestätigung vom 13. 3. 2008 wurde von der behandelnden Fachärztin für Neurologie und Psychiatrie erklärt, dass die Klägerin ab 14. 3. 2008 arbeitsunfähig sei (Beil ./1). In der zweiten Bestätigung vom 8. 5. 2008 (Beil ./I) hieß es, dass sich die Klägerin bis auf weiteres im Krankenstand befinde. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin mit diesen beiden ärztlichen Schreiben ihre Arbeitsverhinderung infolge Erkrankung hinreichend bestätigt habe, ist vertretbar, denn für den Arbeitgeber muss nur ersichtlich sein, dass der Arbeitnehmer krankheitsbedingt an seiner Arbeit verhindert ist (RIS-Justiz RS0119372 ua). Die Beklagte machte in erster Instanz auch gar nicht geltend, dass sie im Unklaren darüber gewesen sei, ob die Klägerin infolge Erkrankung oder infolge anderer Gründe an der Arbeit gehindert gewesen sei. Das Vorliegen einer Berufskrankheit oder eines Arbeitsunfalls stand nicht zur Diskussion. Sollte die Revisionswerberin mit ihren Ausführungen meinen, dass sie mangels genauer ärztlicher Diagnose in den vorgelegten Bestätigungen zur Verweigerung der Entgeltfortzahlung berechtigt gewesen sei, dann ist sie auf die vorstehend genannte Rechtsprechung zu verweisen, wonach zur Erfüllung der Mitteilungs- und Nachweispflicht nach § 4 Abs 1 EFZG nicht die Angabe einer genauen ärztlichen Diagnose erforderlich ist.

Richtig ist, dass der Arbeitnehmer - neben Beginn und Ursache der Arbeitsunfähigkeit - auch eine ärztliche Bestätigung über die „voraussichtliche Dauer der Arbeitsunfähigkeit“ beizubringen hat (§ 4 Abs 1 EFZG; 8 ObA 27/04k ua). Im vorliegenden Fall hat die behandelnde Fachärztin in der ersten Bestätigung vom 13. 3. 2008 die Rubrik „Voraussichtliche Dauer“ unausgefüllt gelassen. Insoweit steht fest, dass die Klägerin mehrfach versuchte, ihre Ärztin zu einer diesbezüglichen Angabe zu bewegen, ihr aber von dieser beschieden wurde, dass im vorliegenden Fall das Ende des Krankenstands nicht absehbar sei. Nach der Rechtsprechung kann der Arbeitnehmer grundsätzlich den Angaben und Empfehlungen seines Arztes vertrauen, sofern ihm nicht deren Unrichtigkeit (beispielsweise aufgrund eigener unrichtiger Angaben gegenüber dem Arzt) bekannt ist oder bekannt sein muss (vgl Drs in ZellKomm AngG § 8 Rz 77 mwN; RIS-Justiz RS0028875 ua). Dieser Maßstab gilt selbstverständlich nicht nur für die Krankschreibung als solche, sondern auch für die ärztliche Beurteilung der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit, und zwar sowohl für deren Bemessung als auch für die im Einzelfall allenfalls bestehende Unmöglichkeit einer diesbezüglichen Angabe. Der Senat verwies schon zu 9 ObA 62/02m darauf, dass es in der Natur der Sache liegt, dass von einem Arzt über den künftigen Krankheitsverlauf regelmäßig nur unverbindliche und unsichere Prognosen abgegeben werden können. Dass die Klägerin wusste oder wissen musste, dass die Beurteilung ihrer Ärztin bezüglich der Unmöglichkeit der Einschätzung der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit unrichtig sei, behauptete die Beklagte nicht. Im Übrigen ist hier durch zwei Bestätigungen ohnehin dokumentiert, dass die Klägerin (jedenfalls) vom 14. 3. 2008 bis 8. 5. 2008 (und darüber hinaus „bis auf weiteres“) arbeitsunfähig war. Mehr war bezüglich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit nach der Lage des Falls nicht möglich.

Wie bereits erwähnt, behält der Arbeitnehmer gemäß § 2 Abs 1 EFZG seinen Anspruch auf das Entgelt, sofern ihn nicht ein grobes Verschulden an der Arbeitsunfähigkeit trifft. Im Zusammenhang mit dem allfälligen Fernbleiben des Arbeitnehmers von der ärztlichen Untersuchung beim zuständigen Krankenversicherungsträger bestimmt § 4 Abs 4 Satz 2 EFZG, dass der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nur entfällt, wenn es am Vorliegen eines wichtigen Grundes fehlt. Bezüglich des Entfalls der Entgeltfortzahlung bei Verletzung der Nachweispflicht nach § 4 Abs 1 EFZG fehlt zwar in § 4 Abs 4 Satz 1 EFZG eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Vorliegen (bzw Fehlen) eines wichtigen Grundes. Aus systematischen Erwägungen (arg „Das Gleiche gilt ...“ in § 4 Abs 4 Satz 2 EFZG) ist davon auszugehen, dass es auch bezüglich der allfälligen Verletzung der Nachweispflicht darauf ankommt, ob es dafür einen „wichtigen Grund“ gibt. Die Auffassung des Berufungsgerichts steht mit der auf das Vorliegen eines Verschuldens des Arbeitnehmers abstellenden Lehre und Rechtsprechung im Einklang (vgl Holzer in Marhold/Burgstaller/Preyer, AngG § 8 Rz 36; Melzer-Azodanloo in Löschnigg, AngG8 § 8 Rz 271; 9 ObA 145/08a ua).

Der gegenteiligen Auffassung der Revisionswerberin, wonach der Entfall der Entgeltfortzahlung vom Fehlen eines Verschuldens des Arbeitnehmers unabhängig sei, kann nicht gefolgt werden. Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass die Klägerin jedenfalls ab der zweiten Bestätigung vom 8. 5. 2008 kein Verschulden treffe und daher ab 9. 5. 2008 (Zugang der Bestätigung bei der Beklagten) nicht mehr säumig gewesen sei, ist vertretbar. Eine erhebliche Rechtsfrage wirft diese Beurteilung nicht auf. Soweit es die Zulässigkeit der Revision betrifft, judiziert der Oberste Gerichtshof nämlich schon ganz allgemein, dass die Beurteilung des Verschuldensgrades wegen ihrer Einzelfallbezogenheit regelmäßig nicht als erhebliche Rechtsfrage gewertet werden kann (vgl RIS-Justiz RS0105331 ua).

Zusammenfassend gelingt es der Revisionswerberin nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen. Ihre Revision ist daher zurückzuweisen (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Die Revisionsgegnerin hat nicht auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen (RIS-Justiz RS0035979 ua).

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