OGH 7Ob86/11i

OGH7Ob86/11i6.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und gefährdeten Partei G***** M*****, vertreten durch Dr. Josef M. Danler, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen den Beklagten und Gegner der gefährdeten Partei R***** M*****, vertreten durch Dr. Heinrich Schmiedt, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen einstweiligen Unterhalts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs und den Rekurs der klagenden und gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 22. Februar 2011, GZ 2 R 324/10a-53, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Kitzbühel vom 20. August 2010, GZ 5 C 2/09k-47, teilweise bestätigt und teilweise - einschließlich des davon betroffenen Verfahrensteils - als nichtig aufgehoben und der Sicherungsantrag teilweise zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 402 Abs 4 EO iVm § 78 EO und § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

2. Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.117,08 EUR (darin enthalten 186,18 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der Beklagte ist italienischer Staatsbürger, die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin. Die Streitteile schlossen am 18. 12. 1997 vor einem Standesamt in Italien die Ehe. Sie lebten bis Ende 2006 in Italien und zogen dann in eine Wohnung nach K*****. Bis zum Jahr 2007 war dort ihr Hauptwohnsitz. Die Klägerin behielt ihn bis Ende August 2009 bei, der Beklagte hingegen zog am 27. 9. 2008 aus der gemeinsamen Wohnung aus und übersiedelte wieder nach Italien.

Die Klägerin verfügt über kein eigenes Einkommen und war seit der Eheschließung 1997 nicht mehr berufstätig. Sie ist auch aus gesundheitlichen Gründen derzeit nicht in der Lage, einer Arbeit nachzugehen. Sie lebt nunmehr „unentgeltlich“ bei einer Bekannten in G***** und bezieht Sozialhilfe in der Höhe von monatlich 508 EUR.

Der Beklagte hat seit Oktober 2008 krankheitsbedingt aus seiner Tätigkeit in der Immobilienbranche kein Einkommen. Er lebt vom Verkaufserlös einer Liegenschaft.

Am 17. 2. 2009 brachte der Beklagte beim Landesgericht Florenz den Antrag auf gerichtliche Trennung von der Klägerin ein. Diese Trennung lässt die Ehe aufrecht. Die Ehescheidung kann nach italienischem Recht erst nach dreijähriger Trennung beantragt werden. Auf Antrag der Klägerin setzte das Landesgericht Florenz mit Beschluss vom 23. 11. 2009 für sie einen einstweiligen Unterhalt von monatlich 400 EUR ab 1. 11. 2009 fest.

Verbunden mit ihrer bereits vorher am 14. 1. 2009 beim Erstgericht eingebrachten Unterhaltsklage begehrt die Klägerin, den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts in der Höhe von monatlich 3.300 EUR ab Antragstellung zu verpflichten.

Der Beklagte wendet ein, dass bereits im italienischen Verfahren der einstweilige Unterhalt der Klägerin festgesetzt worden sei.

Das Erstgericht verpflichtete den Beklagten zur Zahlung eines einstweiligen Unterhalts für den Zeitraum vom 1. 9. 2009 bis 31. 10. 2009 (also für zwei Monate vor dem Zeitraum, auf den sich die Entscheidung des Landesgerichts Florenz bezieht) in der Höhe von monatlich 462 EUR und ab dem 1. 11. 2009 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Unterhaltsverfahrens in der Höhe von monatlich 62 EUR (zusätzlich zum bereits durch die Entscheidung des Landesgerichts Florenz festgesetzten Betrag). Das Mehrbegehren wies es ab.

Das Rekursgericht bestätigte (über Rekurse beider Parteien) den Ausspruch des Erstgerichts über die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt für den Zeitraum vom 1. 9. 2009 bis 31. 10. 2009 sowie die Abweisung des Mehrbegehrens für diesen Zeitraum. Den Antrag, für den Zeitraum ab 1. 11. 2009 bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren 5 C 2/09k des Bezirksgerichts Kitzbühel einen einstweiligen Unterhalt von 1.524 EUR zu bezahlen - soweit die Teilabweisung von 1.776 EUR noch nicht in Rechtskraft erwachsen ist - wies es zurück. Das österreichische Gericht sei zwar nach Art 27 EuGVVO das zuerst angerufene Gericht, dennoch habe aber das Landesgericht Florenz auf Antrag der Klägerin eine Entscheidung über ihr einstweiliges Unterhaltsbegehren ab 1. 11. 2009 gefällt, die in Rechtskraft erwachsen sei. Insofern hindere die Rechtskraft der Entscheidung die Geltendmachung eines einstweiligen Unterhalts auch in Österreich für denselben Zeitraum. Es sei nicht bekannt, von welchen Tatsachen das Landesgericht Florenz bei seiner Entscheidung über den Unterhaltsanspruch der Klägerin ausgegangen sei; sie habe aber im vorliegenden Verfahren weder behauptet, noch bescheinigt, warum sie trotz bestehenden Unterhaltstitels berechtigt sein solle, einen darüber hinausgehenden Antrag in Österreich aufrecht zu erhalten. Die Entscheidung des Erstgerichts verstoße für den Zeitraum ab 1. 11. 2009 gegen das Einmaligkeitsgebot und sei daher in diesem Umfang als nichtig aufzuheben. Im Übrigen sprach das Rekursgericht aus, dass der Unterhaltsanspruch nicht nach italienischem Recht, sondern im Hinblick auf das fehlende gemeinsame Personalstatut der Streitteile und den letzten gemeinsamen Aufenthalt in K***** nach österreichischem Recht zu beurteilen sei. Den gerügten Verfahrensmangel erster Instanz verneinte es. Eine Rechtshilfeeinvernahme in der Schweiz zur Abklärung der Einkommensverhältnisse des Beklagten sei in einem Provisorialverfahren nicht durchzuführen. Es handle sich dabei nicht um ein parates Bescheinigungsmittel.

Das Rekursgericht sprach aus, dass hinsichtlich des bestätigenden Teils der Entscheidung keine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zu lösen sei.

Die Klägerin erhob einen außerordentlichen Revisionsrekurs (gegen den bestätigenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts) und einen Rekurs (gegen den die Klage zurückweisenden Teil der Entscheidung des Rekursgerichts) mit dem Antrag, eine einstweilige Verfügung im Umfang von monatlichen Unterhaltsleistungen in der Höhe von 1.462 EUR ab 1. 9. 2009 zu erlassen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Zu 1.:

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO unzulässig.

Die Entscheidung des Rekursgerichts, dass eine Person, die im Rechtshilfeweg vernommen werden muss, kein „parates“ Bescheinigungsmittel und daher ein Rechtshilfeersuchen im Provisorialverfahren nicht vorzunehmen ist, hält sich im Rahmen der Judikatur (RIS-Justiz RS0005246, RS0005376, RS0005289). Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 402 Abs 4 EO iVm § 78 EO und §§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO).

Zu 2.:

Der Rekurs ist jedenfalls zulässig, weil das Rekursgericht unter Wahrnehmung eines (nicht bereits vom Erstgericht behandelten) Nichtigkeitsgrundes den Antrag zurückwies (vgl RIS-Justiz RS0043774). Er ist aber nicht berechtigt.

Die Klägerin stützt sich im Rekurs im Wesentlichen darauf, dass die EuGVVO auf den Unterhaltsanspruch nicht anwendbar sei (es handle sich um eine Frage der ehelichen Güterstände) und daher die italienische Entscheidung in Österreich nicht anerkannt werde. Außerdem sei das italienische Gericht für die Entscheidung über den einstweiligen Unterhalt nicht zuständig gewesen.

Die EuGVVO ist ausdrücklich auf Unterhaltssachen anwendbar und regelt in Art 5 Z 2 EuGVVO die Zuständigkeit dafür. Nicht hingegen ist die EuGVVO nach ihrem Art 1 Abs 2 lit a auf „die ehelichen Güterstände“ anzuwenden. Dies sind Fragen, die während der Ehe oder nach deren Auflösung zwischen den Ehegatten untereinander wegen solcher Rechte an und auf Vermögen entstanden sind, die sich aus der ehelichen Beziehung ergeben. Auch wenn der EuGH den Begriff „eheliche Güterstände“ sehr weit auslegt, so sind damit jedenfalls nicht die gesondert in der EuGVVO audrücklich geregelten Unterhaltssachen gemeint (vgl G. Kodek in Fasching/Konecny, Art 1 EuGVVO Rz 106).

Ob nun das Landesgericht Florenz zu Recht oder zu Unrecht seine Zuständigkeit in Anspruch genommen hat, ist nach Rechtskraft der Entscheidung nicht mehr erheblich. Einstweilige Verfügungen, die nach einem kontradiktorischen Verfahren ergangen sind, sind als Entscheidungen nach Art 32 EuGVVO in den Mitgliedstaaten anzuerkennen und nach Maßgabe der Art 38 ff EuGVVO zu vollstrecken (RIS-Justiz RS0121907). Eine vollstreckbare Entscheidung begründet die Einrede der Rechtskraft (RIS-Justiz RS0041327). Auch Art 32 EuGVVO stellt nicht auf die Rechtskraft, sondern auf die (vorläufige) Vollstreckbarkeit ab (Rassi in Fasching/Konecny 2, Art 32 EuGVVO Rz 32). Die materielle Rechtskraft einer Entscheidung ist von Amts wegen zu beachten, bei Identität des Streitgegenstands ist der Antrag zurückzuweisen (vgl Rassi aaO Art 33 EuGVVO Rz 8 mwN). Auch im Provisorialverfahren ist das Prozesshindernis der rechtskräftig entschiedenen Streitsache (§ 411 ZPO) zu beachten (vgl RIS-Justiz RS0005661). Es können daher nicht gleichzeitig zwei idente Sicherungsanträge anhängig gemacht werden (4 Ob 333/00z, 4 Ob 36/03b je mwN).

Die Frage der Rechtkraft ist nach den Vorschriften des Ursprungslandes zu beurteilen (vgl Rassi in Fasching/Konecny 2, Art 33 EuGVVO Rz 8; G. Kodek, in Czernich/Tiefenthaler/Kodek 3, Europäisches Gerichtsstands- und Vollstreckungsrecht, Art 33 EuGVVO Rz 6; Leible in Rauscher, EuZPR/EulPR [2011], Art 33 Brüssel I VO Rn 4). Beide Parteien gehen im Revisionsrekursverfahren davon aus, dass die nach einem kontradiktorischen Verfahren ergangene Entscheidung des Landesgerichts Florenz in Rechtskraft erwachsen ist.

Das Rekursgericht hat zutreffend erkannt, dass damit dem vorliegenden Antrag der Klägerin - soweit er inhaltsgleich mit ihrem Antrag vor dem Landesgericht Florenz und der darauf fußenden rechtskräftigen und vollstreckbaren Entscheidung ist - die Einrede der rechtskräftig entschiedenen Sache entgegensteht.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf §§ 402 Abs 1, 78 EO iVm § 52 ZPO.

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