OGH 7Ob114/11g

OGH7Ob114/11g6.7.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schaumüller, Dr. Hoch, Dr. Kalivoda und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. W***** U*****, vertreten durch Niederbichler Rechtsanwalt GmbH in Graz, gegen die beklagte Partei H***** AG, *****, vertreten durch Mag. Dr. Hans Herwig Toriser, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen 8.413,76 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 30. März 2011, GZ 2 R 30/11f‑37, womit das Urteil des Bezirksgerichts Villach vom 29. November 2010, GZ 9 C 1374/09a‑32, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin enthalten 124,07 EUR an USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil oberstgerichtliche Judikatur zur Frage fehle, ob der Frostschaden an der vom Versicherungsnehmer (viele Jahre vor Abschluss des Versicherungsvertrags) selbst verlegten, im Hinblick auf die Verlegetiefe nicht ganz den ÖNORMEN entsprechenden Wasserleitung im Sinn des § 61 VersVG als vom Versicherungsnehmer grob fahrlässig herbeigeführt anzusehen sei; weiters, ob Wasserleitungsrohre als „innerhalb des Gebäudes verlegt“ zu beurteilen seien, wenn sie einen Durchgang querten, der zwischen dem Haupthaus und einem als Anbau bezeichneten, gemeinsam mit dem Haupthaus überdachten Nebengebäude gelegen sei. Entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig.

Dem Versicherungsvertrag liegen die ABEV 2004 für die Eigenheimversicherung zu Grunde. Nach deren Art 2.3.2 sind Frostschäden innerhalb der versicherten Gebäude an Zu‑ und Ableitungsrohren versichert. Eine Obliegenheit des Versicherungsnehmers, die Leitungen ÖNORM‑gerecht zu verlegen, wurde nicht vereinbart.

Der beklagte Versicherer releviert in der Revision, dass kein Versicherungsfall vorliege, weil die Rohre, an denen der Frostschaden eingetreten sei, nicht innerhalb des versicherten Gebäudes, sondern unter einem Gang zwischen Haupt‑ und Nebengebäude verlegt worden seien. Die Argumentation der Revisionswerberin, die unter Außerachtlassung von Art 2.3. ABEV 2004 davon ausgeht, dass Art 2.3.2 ABEV 2004 nicht nur Frostschäden an den Rohren, sondern auch Frostfolgeschäden umfasst, übergeht dabei die bauliche Besonderheit im vorliegenden Fall. Es steht fest, dass das Haupthaus mit dem Nebengebäude und dem Gang (unterkellert) eine bauliche, von dem gemeinsamen Dach überdeckte Einheit bilden. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass hier von einem einheitlichen Bauwerk auszugehen ist, zumal Haupt‑ und Nebengebäude versichert sind, ist im Einzelfall nicht zu beanstanden. Dagegen führt die Beklagte nichts ins Treffen, sodass sich weitere Ausführungen zur Auslegung Art 2.3. AEVB 2004 erübrigen.

Weiters macht die Revision geltend, dass dem Kläger grob fahrlässiges Verhalten „bzw eine Gefahrenerhöhung im Rahmen des § 6 VersVG“ vorzuwerfen sei. § 6 VersVG bezieht sich auf die Leistungsfreiheit des Versicherers, wenn eine im Vertrag bestimmte Obliegenheit verletzt wird. Die Leistungsfreiheit des Versicherers tritt nur ein, wenn für diesen konkreten Fall eine Obliegenheitsverletzung a) im Versicherungsvertrag (AVB) vereinbart ist oder b) ausdrücklich im Gesetz normiert ist (RIS‑Justiz RS0080347). Unter Obliegenheitsverletzung ist damit nicht jeder Verstoß gegen Verpflichtungen, die dem Versicherungsnehmer obliegen, zu verstehen. Vielmehr muss es sich um Verletzungen besonderer Pflichten handeln, die unter der Sanktion der Leistungsfreiheit stehen. Eine allgemeine Vernachlässigung von Sorgfaltspflichten des Versicherungsnehmers befreit den Versicherer gemäß § 61 VersVG, und zwar nur bei grober Fahrlässigkeit oder Vorsatz. Bei anderer Ansicht könnte sich ein Versicherungsnehmer nie darauf berufen, dass ihm nicht grobe, sondern nur leichte Fahrlässigkeit zur Last falle (RIS‑Justiz RS0080435). Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass von einer Obliegenheitsverletzung mangels Vereinbarung der Einhaltung bestimmter Normen und Vorschriften nicht auszugehen sei, hält sich im Rahmen der Judikatur.

Die Beklagte könnte daher nur leistungsfrei werden, wenn dem Kläger eine grob fahrlässige Herbeiführung des Versicherungsfalls vorzuwerfen wäre. Auch die Übertretung einer Schutzvorschrift muss an sich noch keine grobe Fahrlässigkeit darstellen. Diese ist dann anzunehmen, wenn sich jemand über grundlegende und leicht erkennbare Vorschriften hinweggesetzt und seine Handlung den Eintritt eines Schadens nicht bloß als möglich, sondern als wahrscheinlich erkennen ließ (RIS‑Justiz RS0031083). Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen; wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS‑Justiz RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit setzt also ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalls herbeizuführen oder zu vergrößern (RIS‑Justiz RS0030324, RS0080414). Bei der Beurteilung, ob grobe Fahrlässigkeit vorliegt, kommt es auf die Umstände des Einzelfalls an. Die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, dass dem Kläger keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten sei, weil er die Rohre nicht, wie es der ÖNORM entsprochen hätte, in einer Tiefe von 1,20 m (oder vergleichbar gut isoliert) verlegt habe, hält sich im Rahmen der Judikatur. Der Kläger hat die Rohre nicht ungesichert, sondern ohnedies mehrfach isoliert verlegt. Der Fußbodenaufbau entsprach einer vergleichbaren Frosttiefeverlegung von 0,8 m bis 1 m statt jener in der ÖNORM vorgegebenen von 1,20 m. Der Kläger war nicht auffallend sorglos, sondern hat nur nicht erkannt, dass seine Maßnahmen nicht ganz ausreichten. Die Installation überdauerte immerhin unbeschadet rund 14 Jahre lang. Es ist vertretbar, dem klagenden Versicherungsnehmer im Einzelfall keine grobe Fahrlässigkeit anzulasten.

Die als erheblich geltend gemachten Rechtsfragen liegen nicht vor.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Der Kläger wies auf die Unzulässigkeit der Revision hin. Durch einen offenbaren Irrtum wurden beim Kostenverzeichnis die jeweils ersten Ziffern der Zahlen nicht ausgedruckt. Dies schadet nicht, weil unzweifelhaft erkennbar ist, dass der volle Zuspruch der tarifmäßigen Kosten begehrt wird.

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