OGH 2Ob200/10s

OGH2Ob200/10s30.5.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Sol, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R***** W*****, vertreten durch Dr. Christian Ortner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. P***** K*****, und 2. H***** AG, *****, beide vertreten durch Mag. Christof Brunner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 28.410,06 EUR sA, Rente (Streitwert 28.800 EUR) und Feststellung (Streitwert 5.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei (Revisionsinteresse 31.105,03 EUR) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 5. August 2010, GZ 2 R 123/10w-34, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom 26. April 2010, GZ 5 Cg 215/08k-30, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 1.925,93 EUR (darin enthalten 320,99 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Bei einem am 14. 7. 2007 stattgefundenen Zusammenstoß zweier Paragleiter, die von dem bei der Zweitbeklagten haftpflichtversicherten Erstbeklagten und vom Ehegatten der Klägerin gesteuert wurden, zog sich der letztgenannte nach einem Absturz in steilem Gelände tödliche Verletzungen zu. Der Erstbeklagte war mit seinem Paragleiter - ebenso wie zwei bis drei weitere Piloten - in einem Thermikbart im Uhrzeigersinn gekreist, während der Ehegatte der Klägerin in gerader Richtung direkt auf den kreisenden Pulk zuflog.

Das Erstgericht wies die Schadenersatz- und Feststellungsklage der Ehegattin des Unfallopfers ab. Dieses habe durch das Einfliegen in ein thermisches Aufwindgebiet, in dem bereits Fluggeräte kreisten, gegen § 53 Z 1 und § 11 LVR 1967 verstoßen. Der Erstbeklagte habe sich in einer Vorrangsituation befunden und aus flugtechnischer Sicht eine richtige Abwehrmaßnahme gesetzt, indem er seinen Kreis nach rechts enger gezogen habe. Das Alleinverschulden habe daher das Unfallopfer getroffen.

Das Berufungsgericht gab der gegen 50 % der Abweisung gerichteten Berufung der Klägerin - die restliche Klagsabweisung erwuchs in Rechtskraft - nicht Folge und sprach aus, dass die Revision mangels oberstgerichtlicher Rechtsprechung zu § 53 Z 1 LVR 1967 zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Die Klägerin macht als Verfahrensmangel geltend, dass das Berufungsgericht ohne Beweiswiederholung oder Beweisergänzung in einer Berufungsverhandlung die Feststellungen des Erstgerichts zum Flugverlauf des Unfallopfers übernommen habe. Damit zeigt sie aber keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens als Folge eines Verstoßes gegen § 480 Abs 1 ZPO auf, sondern bekämpft - im Revisionsverfahren unzulässig (RIS-Justiz RS0043371; RS0043125) - inhaltlich die Beweiswürdigung und die Tatsachenfeststellungen. Soweit die Revision neuerlich die Feststellung, das Unfallopfer habe eine Linkskurve vollzogen, als aktenwidrig bekämpft, ist ihr entgegen zu halten, dass der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit nur dann vorliegt, wenn der Akteninhalt in einem wesentlichen Punkt unrichtig wiedergegeben wird, nicht aber dann, wenn das Gericht aufgrund richtig dargestellter Beweisergebnisse zu Feststellungen in eine bestimmte Richtung gelangt (RIS-Justiz RS0043324). In der Übernahme der Feststellungen des Erstgerichts durch das Berufungsgericht kann schon begrifflich keine Aktenwidrigkeit liegen (RIS-Justiz RS0043240).

2. Gemäß § 53 LVR 1967 (vgl nunmehr § 56 LVR 2010) gelten für Segelflugzeuge in Hangaufwindgebieten oder thermischen Aufwindgebieten - unbeschadet der Bestimmungen der §§ 11 bis 16 LVR 1967 - folgende zusätzliche Ausweichregeln:

Z 1: Fliegt ein Segelflugzeug in ein thermisches Aufwindgebiet ein, in dem sich bereits ein oder mehrere Segelflugzeuge befinden, so ist mit dem einfliegenden Segelflugzeug in derselben Richtung zu kreisen, wie mit den bereits in diesem Aufwindgebiet befindlichen Segelflugzeugen gekreist wird.

Z 2: Nähern sich beim Fliegen am Hang Segelflugzeuge in entgegengesetzter oder ungefähr entgegengesetzter Richtung einander, so hat derjenige Pilot seine Flugrichtung nach rechts zu ändern, der den Hang zur Linken hat.

Gemäß § 11 Abs 1 LVR 1967 darf ein Luftfahrzeug nicht in einer solchen Nähe von anderen Luftfahrzeugen betrieben werden, dass eine Zusammenstoßgefahr herbeigeführt wird.

§ 12 LVR 1967 normiert: (1) Steht einem Piloten nach den folgenden Bestimmungen der Vorrang zu, so hat er seine Richtung und seine Geschwindigkeit unverändert beizubehalten; hiedurch wird er jedoch nicht von der Verpflichtung befreit, alle Vorkehrungen zur Verhütung eines Zusammenstoßes zu treffen. (2) Jener Pilot, der nach den folgenden Bestimmungen einem anderen Luftfahrzeug auszuweichen hat, darf dieses Luftfahrzeug nur dann über- oder unterfliegen oder vor ihm kreuzen, wenn ein so großer Abstand besteht, dass jede Zusammenstoßgefahr vermieden wird.

Nach § 13 LVR 1967 haben beide Piloten ihre Richtung nach rechts zu ändern, wenn sich zwei Luftfahrzeuge in entgegengesetzter oder ungefähr entgegengesetzter Richtung einander nähern und eine Zusammenstoßgefahr besteht.

§ 14 LVR 1967 besagt für den Fall der Annäherung zweier Luftfahrzeuge auf kreuzenden Kursen in ungefähr derselben Höhe - abgesehen von hier nicht relevanten Ausnahmen -, dass der Pilot des von links kommenden Luftfahrzeugs auszuweichen hat.

3. Die Klägerin macht angesichts der Hangflugregel des § 53 Z 2 LVR 1967 als sekundären Feststellungsmangel das Fehlen von Feststellungen dazu geltend, ob sich die Kollision innerhalb des Aufwindbandes ereignet habe und wer von den Beteiligten den Hang zu seiner Rechten gehabt habe.

Aus den Feststellungen der Tatsacheninstanzen ergibt sich, dass der Erstbeklagte in einem Pulk im Thermikbart kreiste und weiters, dass sich die Kollision ca 150 Meter von der Hangkante entfernt ereignete und das Unfallopfer die Kollision durch Ausweichen nach rechts oder nach links hätte verhindern können, weil sie sich aus flugtechnischer Sicht im freien Luftraum ereignet hat. Das Unfallopfer flog vom Hang kommend auf den kreisenden Pulk zu; der Hang befand sich nicht neben, sondern hinter ihm, worauf schon das Berufungsgericht hingewiesen hat. Damit liegt aber kein „Fliegen am Hang“ in entgegengesetzter Richtung im Sinne von § 53 Z 2 LVR 1967 und somit kein Anwendungsfall für diese besondere Ausweichregel vor. Nur bei Anwendbarkeit des § 53 Z 2 LVR 1967 tritt diese Vorschrift an die Stelle der allgemeinen Vorrangregeln des LVR (8 Ob 173/76 = RIS-Justiz RS0038476). Die geltend gemachten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor.

4. Die Revision wirft weiter die Frage auf, ob § 53 Z 1 LVR 1967 eine Vorrangregel sei und verneint dies, weil die Bestimmung lediglich besage, dass, wenn ein Segelflugzeug bereits in einem Aufwind kreise, jeder Hinzukommende die gleiche Kreisrichtung einzuhalten habe. Die Regel diene der Minimierung der Kollisionsgefahr zwischen den im Aufwind kreisenden Fluggeräten dadurch, dass sie über möglichst große Zeitabschnitte wechselseitig Sicht aufeinander hätten und durch geringe Relativgeschwindigkeit untereinander auch in den kurzen Abschnitten, wo sie keine Sicht aufeinander hätten, eine Kollisionsgefahr minimiert werden könne. Es stehe jedoch nirgends geschrieben, dass jemand, der kreise, gegenüber anderem Flugverkehr Vorrang genieße. Eine solche Regel wäre auch bedenklich, weil sich dann jedermann Vorrang erzwingen könne, indem er einen Kreis einleite.

Dem ist entgegen zu halten, dass die Bestimmungen des § 53 LVR 1967 grundsätzlich zusätzlich zu den allgemeinen Ausweichregeln in den §§ 11 bis 16 LVR 1967 gelten (Halbmayer-Wiesenwasser, Das österreichische Luftfahrtrecht II, § 53 LVR 1967 Anm 53.0.1.). Schon aus dem Titel des § 53 LVR 1967 („Besondere Ausweichregeln für Segelflugzeuge“) geht hervor, dass der in das Aufwindgebiet Einfliegende den bereits darin kreisenden Luftfahrzeugen auszuweichen hat. Daraus ergibt sich denklogisch ein Vorrang des Kreisenden. Auf dessen Drehrichtung kommt es nicht an, sodass § 14 LVR 1967 insoweit keine Rolle spielt. Der Einfliegende hat den im Aufwindgebiet Kreisenden in jedem Fall auszuweichen. Im Übrigen ist gemäß § 11 Abs 1 LVR 1967 ein entsprechender Sicherheitsabstand einzuhalten.

Dem Erstbeklagten ist folglich keine Verletzung der Vorrang- und Ausweichregeln des LVR 1967 anzulasten, sodass die Vorinstanzen zu Recht vom Alleinverschulden des Unfallopfers ausgegangen sind.

Der Revision der Klägerin war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung gründet auf den §§ 50 und 41 Abs 1 ZPO.

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