OGH 4Ob14/11d

OGH4Ob14/11d15.2.2011

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der wiederaufnahmeklagenden Partei MMag. Dr. L***** A*****, vertreten durch Rechtsanwälte Mandl GmbH in Feldkirch, gegen die wiederaufnahmebeklagte Partei Gemeinde L*****, vertreten durch Mag. Marie Rose Eberle, Rechtsanwältin in Bregenz, wegen Wiederaufnahme des Berufungsverfahrens AZ 1 R 341/09v des Landesgerichts *****, über den Rekurs des Wiederaufnahmeklägers gegen den Beschluss des Landesgerichts ***** vom 14. Jänner 2010, GZ 1 R 413/09g-3, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Der Kläger erhob beim Landesgericht ***** eine Wiederaufnahmeklage gegen das zu 1 R 341/09v dieses Gerichts ergangene Berufungsurteil. In Bezug auf einen der Richter des Rechtsmittelsenats bestehe der Verdacht einer strafbaren Handlung (§ 530 Abs 1 Z 4 ZPO). Dieser Richter übe anwaltliche Tätigkeit aus, wobei er die Infrastruktur des Gerichts nutze. Insbesondere sei er zweimal für Privatpersonen bei der Rechtsvertreterin des Wiederaufnahmeklägers eingeschritten und habe bei einer Vertragsabwicklung als Treuhänder für einen anderen Anwalt fungiert. Es liege nahe, dass er dafür ein Entgelt oder andere Vorteile angenommen und diese Nebenbeschäftigungen nicht gemeldet habe. Die Vertreterin des Wiederaufnahmeklägers habe sich darüber bei der Justizverwaltung beschwert, was aber folgenlos geblieben sei. Daher sei der Richter in allen Rechtsangelegenheiten, die von der Vertreterin des Wiederaufnahmeklägers geführt würden, befangen. Der Wiederaufnahmegrund des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO setze eine strafrechtlich erhebliche Amtspflichtverletzung des Richters voraus. Diese liege vor; der „Kausalzusammenhang“ zwischen der Amtspflichtverletzung und der bekämpften Entscheidung sei, wie sich aus den Gesetzesmaterialien ergebe, gegenüber den anderen Wiederaufnahmegründen „gelockert“. Es handle sich um einen „Spezialfall“ der richterlichen Befangenheit, der dadurch gekennzeichnet sei, dass die Befangenheit so weit gehe, den Richter zu einer strafbaren Amtspflichtverletzung zu veranlassen. Es „liege nahe“, dass beim genannten Richter nicht davon „ausgegangen werden“ könne, dass er sein Richteramt stets nach objektiven Gesichtspunkten ausüben könne; seine Tätigkeit als Rechtsvertreter rufe die „Vermutung der Befangenheit“ in Ausübung seines Dienstes hervor. Das Gericht sei verpflichtet, den Richter im Hinblick auf die von ihm mehrfach übernommenen Rechtsvertretungen, die dabei erfolgte Nutzung der Gerichtsinfrastruktur, die Übernahme einer Treuhandschaft und den Verdacht der Vorteils- bzw Geschenkannahme bei der Staatsanwaltschaft anzuzeigen.

Das Landesgericht ***** wies die Klage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurück. Die in § 530 Abs 1 Z 4 ZPO als Wiederaufnahmegrund genannte Amtspflichtverletzung müsse für die Entscheidung kausal gewesen sein. Der Kausalzusammenhang sei nur insofern gelockert, als auch Amtspflichtverletzungen erheblich sein könnten, die sich in einem früheren Verfahrensstadium ereignet hätten. Die in § 539 Abs 1 ZPO vorgesehene Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens setze voraus, dass der Wiederaufnahmekläger den Vorwurf des strafbaren Verhaltens konkretisiert habe; er müsse daher das tatsächliche Geschehen behaupten, das die Amtspflichtverletzung begründe. Im konkreten Fall habe der Kläger nicht dargestellt, inwieweit die behaupteten strafbaren Handlungen für die Berufungsentscheidung oder das erstinstanzliche Verfahren kausal gewesen sein könnten. Er stütze die Klage daher nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund, weswegen sie ohne Einleitung eines strafrechtlichen Ermittlungsverfahrens zurückzuweisen sei.

In seinem gegen diese Entscheidung gerichteten Rekurs machte der Kläger unter anderem geltend, dass die daran beteiligten Richter selbst befangen gewesen seien. Der Senat stellte die Akten daher zunächst dem Erstgericht mit dem Auftrag zurück, zunächst über die Befangenheit zu entscheiden (4 Ob 67/10x). Nach Rechtskraft der die Befangenheit verneinenden Entscheidung legt das Erstgericht die Akten nun neuerlich zur Entscheidung über den Rekurs vor.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist zulässig (RIS-Justiz RS0044587; Jelinek in Fasching/Konecny² § 533 ZPO Rz 38), aber nicht berechtigt.

1. Die Wiederaufnahmeklage ist nach § 538 Abs 1 ZPO unter anderem dann zurückzuweisen, wenn sie nicht auf einen gesetzlichen Anfechtungsgrund gestützt ist. Das trifft zu, wenn sich der behauptete Sachverhalt unter keinen Wiederaufnahmegrund einordnen lässt oder in keinem Zusammenhang mit der angefochtenen Entscheidung steht, der Wiederaufnahmewerber also auch bei Zutreffen seiner Behauptungen die Aufhebung oder Abänderung der Entscheidung nicht erreichen könnte (RIS-Justiz RS0044504; zuletzt etwa 8 Ob 11/09i). Das Gericht hat daher die Schlüssigkeit der Wiederaufnahmeklage zu prüfen (RIS-Justiz RS0044631). Das gilt auch im Verfahren über eine auf § 530 Abs 1 Z 4 ZPO gestützte Wiederaufnahmeklage; das Verfahren ist nur dann nach § 539 Abs 1 ZPO zur Einleitung einer strafrechtlichen Ermittlung zu unterbrechen, wenn der Kläger ein tatsächliches Geschehen behauptet, das den Tatbestand dieser Bestimmung erfüllt (RIS-Justiz RS0044604, RS0103696).

2. Der Wiederaufnahmegrund nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO liegt vor, „wenn sich der Richter bei der Erlassung der Entscheidung oder einer der Entscheidung zugrunde liegenden früheren Entscheidung zum Nachteil einer Partei einer nach dem Strafgesetzbuch zu ahndenden Verletzung seiner Amtspflichten schuldig gemacht hat“. Schon aus diesem Wortlaut ergibt sich, dass die strafbare Amtspflichtverletzung für das Zustandekommen der Entscheidung kausal gewesen sein muss (7 Ob 302/04v). Das Kausalitätserfordernis ist nur insofern gelockert, als schon eine Amtspflichtverletzung bei einer Entscheidung in einem früheren Verfahrensstadium ausreicht (Jelinek in Fasching/Konecny 2 § 530 Rz 89 mwN).

3. Im vorliegenden Fall behauptete der Kläger in seiner Klage ausschließlich strafbares Verhalten außerhalb des konkreten Verfahrens, insbesondere die Nutzung gerichtlicher Infrastruktur für private Zwecke und die pflichtwidrige Annahme von Vorteilen oder Geschenken. Für das Verfahren selbst leitete er daraus nur den „Verdacht der Befangenheit“ ab. Befangenheit als solche ist aber kein Nichtigkeits- oder Wiederaufnahmegrund (RIS-Justiz RS0041972, RS0042070; Jelinek in Fasching/Konecny 2 § 530 Rz 90). Die Wiederaufnahme nach § 530 Abs 1 Z 4 ZPO setzt vielmehr voraus, dass die Befangenheit im konkreten Verfahren zu einer strafbaren Amtspflichtverletzung geführt hat (Jelinek in Fasching/Konecny 2 § 530 Rz 90).

4. Dass der Richter seine Befugnis im konkreten Fall wissentlich (§ 302 StGB) in einer bestimmten Weise missbraucht hätte, behauptete der Kläger in seiner Klage nicht. Damit war diese, wie schon das Erstgericht zutreffend erkannt hat, unschlüssig. Das Vorbringen in einer nach dem angefochtenen Beschluss eingelangten „Ergänzung der Klagserzählung“, das konkretere Vorwürfe enthält, kann im Rekursverfahren ebensowenig berücksichtigt werden wie die diesbezüglichen Neuerungen im Rekurs. Zudem beschränkt sich der Kläger auch hier auf die Behauptung, dass der Richter „vielleicht“ wissentlich gehandelt habe. Damit fehlt es weiterhin an der ausreichend bestimmten Behauptung eines Amtsmissbrauchs und damit des geltend gemachten Wiederaufnahmegrundes. Der bloße Verdacht strafbaren Verhaltens („vielleicht“) erfüllt den Tatbestand des § 530 Abs 1 Z 4 ZPO noch nicht (vgl zu § 530 Abs 1 Z 7 ZPO, 5 Ob 552/94 und 9 Ob 359/97b).

5. Aus diesen Gründen muss der Rekurs des Klägers scheitern. Zur Klarstellung ist allerdings festzuhalten, dass eine mit Unschlüssigkeit begründete Ab- oder (wie hier) Zurückweisung dem Einbringen einer schlüssigen Klage - vorbehaltlich des Ablaufs der Klagefrist - nicht entgegensteht (RIS-Justiz RS0041402).

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