OGH 6Ob259/10x

OGH6Ob259/10x28.1.2011

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj S***** W*****, geboren am *****, vertreten durch seinen Vater H***** W*****, dieser vertreten durch Dr. Alfred Boran, Rechtsanwalt in Wien, gegen die drittbeklagte Partei B***** S*****, vertreten durch Dr. Klemens Dallinger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 158.629,87 EUR sA und Feststellung (Streitwert 15.000 EUR), über die außerordentliche Revision der drittbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. September 2010, GZ 12 R 84/10a‑67, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung

Rechtliche Beurteilung

1. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war die am 26. 8. 2002 bei dem am 21. 8. 2002 geborenen Kläger vorgenommene transkutane Messung des Bilirubinwerts fehlerhaft. Anlässlich dieser Untersuchung teilte die Mutter des Klägers der Drittbeklagten auch mit, dass bereits beim älteren Bruder des Klägers Behandlungsbedürftigkeit wegen Neugeborenengelbsucht vorlag. Die von der Drittbeklagten festgehaltene Farbe der Haut „leicht gelblich“ ist nur bedingt für die Diagnose des Vorliegens einer Hyperbilirubinämie geeignet. Das höhere Diagnosemerkmal wäre die Farbe der Skleren (Lederhaut der Augen). Welche Farbe diese bei der Untersuchung des Klägers durch die Drittbeklagte hatten, wurde von der Drittbeklagten nicht dokumentiert. Geht man davon aus, dass die Skleren des Klägers stark gelb verfärbt waren, so hätte dieser Umstand in seiner Diskrepanz zum Messergebnis der Drittbeklagten auffallen müssen, sodass sie eine kapillare Messung im Krankenhaus veranlassen hätte müssen.

2. Die Vorinstanzen haben auch eingehend dargelegt, dass es in der medizinischen Kunst und Wissenschaft sowie in der Ausbildung der Hebammen anerkannt ist, dass die Sklerenfarbe für die Diagnose einer Hyperbilirubinämie von Bedeutung ist.

3. Das Erstgericht hat ausdrücklich die (Negativ‑)Feststellung getroffen, dass nicht mehr festgestellt werden kann, welche Farbe die Skleren des Klägers bei der Untersuchung durch die Drittbeklagte am 24. und 26. 8. 2002 hatten. Das Berufungsgericht verwarf eine gegen diese Feststellung gerichtete Beweisrüge und führte aus, dass das Beweisverfahren für die begehrte Ersatzfeststellung, dass die Skleren des Klägers am 26. 8. 2002 nicht auffällig gewesen seien, keine ausreichende Grundlage biete (Berufungsurteil S 21). Die Richtigkeit dieser Feststellung ist einer Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof, der stets nur zur Beurteilung von Rechtsfragen berufen ist, nicht zugänglich.

4.1. Nach ständiger Rechtsprechung greift bei Verletzung der ärztlichen Dokumentationspflicht in Bezug auf Umstände, die für den Schadenseintritt erheblich sein können, eine Beweislastumkehr Platz (RIS‑Justiz RS0026236). Dass diese Rechtsprechung auch für Hebammen und andere medizinische Berufe gilt, kann keinem Zweifel unterliegen. Der Oberste Gerichtshof hat diese Rechtsprechung auch bereits auf die Dokumentation von Untersuchungsergebnissen angewendet (6 Ob 86/05y; 8 Ob 10/03h). In diesen Entscheidungen hat der Oberste Gerichtshof auch ausgesprochen, dass in einem derartigen Fall als Folge der Verletzung der Dokumentationspflicht hinsichtlich Untersuchungsergebnissen der Beklagte nachzuweisen hat, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung keinerlei auch nur unspezifische Auffälligkeiten vorlagen (8 Ob 134/01s; 8 Ob 10/03h). Diesen Nachweis hat die Revisionswerberin aber nicht erbracht.

4.2. Geht man aber vom Vorliegen verfärbter Skleren aus, so kann keinem Zweifel unterliegen, dass die Unterlassung der rechtzeitigen Behandlung die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts nicht unwesentlich erhöht hat (vgl 1 Ob 226/07b; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger 3 § 1296 ABGB Rz 3). In einem derartigen Fall obliegt dem Beklagten der Nachweis, dass die erwiesene Vertragsverletzung im konkreten Fall für die nachteiligen Folgen mit größter Wahrscheinlichkeit unwesentlich geblieben ist (RIS‑Justiz RS0026768). Auch diesen Nachweis hat die Revisionswerberin nicht erbracht.

5. In der Verneinung der Verjährung durch die Vorinstanzen ist gleichfalls keine im Interesse der Rechtssicherheit vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung zu erblicken (vgl 1 Ob 226/04y; RIS‑Justiz RS0034603). Die Auffassung der Vorinstanzen, dass die Verjährungsfrist nicht zu laufen beginnt, wenn der Geschädigte bzw dessen gesetzliche Vertreter noch keine ausreichende Kenntnis vom Vorliegen eines Kunstfehlers hatten, ist nicht zu beanstanden. In diesem Sinne ist daher unbedenklich, wenn die Vorinstanzen davon ausgehen, dass der Kausalzusammenhang für die Eltern im September/Oktober 2002 noch nicht erkennbar war, sondern die maßgeblichen Zusammenhänge erst durch das von der niederösterreichischen Patienten‑ und Pflegeanwaltschaft in Auftrag gegebene Sachverständigengutachten vermittelt wurden. Dass in früheren Besprechungen mit behandelnden Ärzten auch erörtert wurde, dass die Schäden möglicherweise auf einen Behandlungsfehler zurückzuführen sind, ist den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zu entnehmen.

6. Damit bringt die Revisionswerberin aber keine Rechtsfragen der in § 502 Abs 1 ZPO geforderten Bedeutung zur Darstellung, sodass die Revision spruchgemäß zurückzuweisen war.

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