OGH 8Ob10/03h

OGH8Ob10/03h18.9.2003

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Petrag als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Rohrer, Dr. Spenling und Dr. Kuras und die Hofrätin des Obersten Gerichtshofes Dr. Lovrek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Dr. Hubert K*****, 2.) Andrea K*****, Dipl. Physiotherapeutin, *****, und 3.) Mag. Florian K*****, alle vertreten durch Dr. Heribert Schar ua, Rechtsanwälte in Innsbruck, wider die beklagte Partei Dr. Maria H*****, Facharzt für Gynäkologie und Frauenheilkunde, *****, vertreten durch Dr. Alfred Pribik, Rechtsanwalt in Wien, wegen zu 1. EUR 53.953,16 s.A, zu 2. EUR 13.831,75 s.A und zu 3. EUR 13.831,75 s.A , infolge außerordentlicher Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom 13. November 2002, GZ 16 R 230/02i-64, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 1. Juli 2002, GZ 12 Cg 123/98x-60, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind Kosten des weiteren Verfahrens.

Text

Begründung

Der Nachlass nach der am 19. 4. 1998 an den Folgen eines Karzinoms am rechten Eierstock verstorbenen Patientin der Beklagten wurde dem erstklagenden Ehegatten und der Zweitklägerin sowie dem Drittkläger als deren Kinder jeweils zu einem Drittel eingeantwortet. Die Patientin der beklagten Gynäkologin besuchte deren Ordination bereits ab November 1987 etwa ein bis zweimal jährlich. Dabei führte die Beklagte am 8. 8. 1994 im Rahmen einer routinemäßigen Kontrolle sowohl eine Ultraschalluntersuchung als auch eine Tastuntersuchung der beiden Eierstöcke durch und setzte auf ihrer Karteikarte den Vermerk "US: ob (Ko. re. Ovar 1 Jahr)", das heisst "Ultraschall ohne Befund (Kontrolle rechter Eierstock 1 Jahr)". Im zweiten Rechtsgang wurde nunmehr - im Wesentlichen nur aufgrund der Einvernahme der Beklagten - festgestellt, dass sich damals keine auch nur unspezifische Auffälligkeiten am rechten Eierstock zeigten. Darauf fußend wurde auch festgestellt, dass die Kontrolle des rechten Eierstockes deshalb vermerkt wurde, weil bei einer Untersuchung am 17. 1. 1994 der linke Eierstock vermessen worden war und die Patientin am 8. 8. 1994 fragte, warum hinsichtlich des rechten Eierstockes auf der Karteikarte kein Zahlenwert vermerkt war. Die Beklagte empfahl der Patientin, nach einem Jahr wieder eine Kontrolluntersuchung vornehmen zu lassen. Diese Vorgangsweise war dann lege artis, wenn die Beklagte keine - wenn auch nur unspezifische - Auffälligkeiten am rechten Eierstock wahrgenommen hat. Auch bei nur unspezifischen Auffälligkeiten wäre jedoch eine Kontrolluntersuchung spätestens nach einem halben Jahr anzuordnen gewesen.

Der Erstkläger begehrte zuletzt (AS 121) S 742.164,01 an Schmerzengeld, Begräbnis- und Verlassenschaftskosten und die Zweitklägerin sowie der Drittkläger je S 190.329,01 an Schmerzengeld, Heilungskosten, sowie Kosten von Besuchsfahrten. Sie stützten dies zusammengefasst darauf, dass die beklagte Frauenärztin schon bei der Routineuntersuchung am 8. 8. 1994 gesagt habe, dass sich auf dem rechten Eierstock "etwas befinde", jedoch ungeachtet dieses Umstandes die Kontrolluntersuchung erst im Abstand eines Jahres angeordnet habe. Im Juni 1995 jedoch habe sich dann gezeigt, dass die Patientin bereits ein faustgroßes Eierstockkarzinom gehabt habe, an dem sie dann nach verschiedenen Operationen und Chemotherapien im April 1998 verstarb. Dies sei darauf zurückzuführen, dass infolge der Verletzung der Behandlungssorgfalt durch die Beklagte das Eierstockkarzinom nicht im Frühstadium erkannt und behandelt worden sei. Die Beklagte hätte spätestens innerhalb von drei Monaten Kontrollmaßnahmen, allenfalls sofort eine Computertomographie sowie eine Endoskopie und Abnahme von Tumormarkern verordnen müssen. Daraus, dass die Beklagte eine Kontrolle speziell für den rechten Eierstock angeordnet habe, sei auch zu schließen, dass bereits ein Verdacht bestanden habe, weshalb ein baldiger Kontrolltermin geboten gewesen sei. Das Verhalten der Beklagten sei grob fahrlässig gewesen. Diese habe auch ihre Dokumentationspflicht verletzt. Sie hätte den Tumor erkennen bzw eine frühere Kontrolle veranlassen müssen. Dies hätte auch eine Früherkennung des Tumors ermöglicht. Im Übrigen erstatteten die klagenden Parteien ein umfangreiches Vorbringen zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und wendete im Wesentlichen ein, dass der Ablauf der Behandlung fehlerfrei gewesen sei. Es habe sich um ein sehr rasch wachsendes Karzinom gehandelt, von dem bei ihrer Untersuchung 11 Monate vor der Operation noch keine Anzeichen vorhanden gewesen seien. Die Beklagte habe die Patientin als Privatpatientin besonders sorgfältig untersucht. Die Dokumentationspflicht habe sie nicht verletzt. Auch habe es sich um einen unbehandelbaren Tumor gehandelt, bzw sei der spätere Tumor nicht auf diesen ersten Tumor zurückzuführen. Im Übrigen wendete die Beklagte auch noch Verjährung ein und erstattete ein umfangreiches Vorbringen zur Höhe der geltend gemachten Ansprüche. Im zweiten Rechtsgang wendete die Beklagte auch ein, dass der Vermerk "Kontrolle rechtes Ovar" sich nur auf die psychosomatische Betreuung der Patientin bezogen habe, aber nicht auf den Verdacht einer Erkrankung zurückgehe.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren erneut ab. Es folgerte rechtlich, dass der Beklagten der Nachweis des Nichtvorliegens einer auch nur unspezifischen Auffälligkeit zum Zeitpunkt der Voruntersuchung gelungen sei. Ausgehend davon liege in der Anordnung einer erst nach einem Jahr vorzunehmenden Kontrolluntersuchung keine Verletzung der Regeln der ärztlichen Kunst.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der klagenden Parteien nicht Folge. Es schloss sich im Wesentlichen der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichtes an. Dabei ging es davon aus, dass Auffälligkeiten bei der Kontrolluntersuchung nicht vorlagen.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht als nicht zulässig, da im Wesentlichen nur Fragen der Beweiswürdigung zu entscheiden gewesen seien.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen dieses Urteil erhobene außerordentliche Revision der klagenden Parteien ist zur Wahrung der Rechtssicherheit (vgl § 502 Abs 1 ZPO) zulässig und auch berechtigt. Die Vorinstanzen sind von dem Aufhebungsauftrag des Obersten Gerichtshofes in seiner Entscheidung vom 16. 8. 2001 zu 8 Ob 134/01s (= RdM 2002/4[Juen]) zurgrundegelegten Rechtsansicht abgewichen. Hatte das Berufungsgericht - wie im Anlassfall - über verschiedene Klagebegehren gegen verschiedene Beklagte zu entscheiden, so ist die Zulässigkeit der Revision nach der Höhe des Entscheidungsgegenstands jedes einzelnen Rechtsstreits zu beurteilen, wenn nicht die Voraussetzungen des § 55 Abs 1 Z 2 JN iVm § 11 Abs 1 Z 1 ZPO vorliegen, diese also materielle Streitgenossen sind (vgl allgemein auch Kodek in Rechberger ZPO2 § 502 Rz 1). Dies ist beim Übergang einer Forderung auf mehrere Miterben zu bejahen (vgl RIS-Justiz RS0035470 mwN zuletzt etwa 1 Ob 309/02a).

Vorweg ist aber der Ansicht der Kläger, dass ein Arzt, insbesondere ein Gynäkologe, im Fall einer anlässlich einer (Krebs-) Vorsorgeuntersuchung erkennbaren konkreten Angst der Patientin vor einer Krebserkrankung auch weitergehende Untersuchungen, zB eine Computertomographie vorzunehmen hätte, entgegenzuhalten, dass sie dazu weder ein Vorbringen erstattet haben noch entsprechende Feststellungen getroffen wurden. Im Übrigen haben sich die Untersuchungsmethoden nach dem in Fachkreisen anerkannten Standard zu richten (RIS-Justiz RS0026368; 6 Ob 73/00d). Ein Arzt schuldet dem Patienten das in Kreisen gewissenhafter und aufmerksamer Ärzte oder Fachärzte vorausgesetzte Verhalten (6 Ob 73/00d und Harrer in Schwimann, ABGB2 Rz 28 zu § 1300 mwN). Die Behandlung muss entsprechend den Grundsätzen der medizinischen Wissenschaft und den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgen (RIS-Justiz RS0038202; 1 Ob 532/94). Dass nach diesen Regeln der Kunst alleine die Angst eines Patienten einen Einfluss im Sinne der Erforderlichkeit weiterer Untersuchungsmethoden hätte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen vertritt der Oberste Gerichtshof sogar zur Aufklärungspflicht der Ärzte vor Operationen die Meinung, dass bei einem besonders ängstlichen Menschen die Aufklärung auf ein Minimum beschränkt werden darf und muss, damit ein solcher Patient vor psychischen Pressionen bewahrt wird (RIS-Justiz RS0026468; ua 3 Ob 545/82 = SZ 55/114). Zutreffend sind aber die Ausführungen der Revision, dass die vorliegenden Feststellungen noch nicht der dem Aufhebungsbeschluss des Obersten Gerichtshofes zugrundegelegten Rechtsansicht entsprechen. Im Rahmen der Vorentscheidung vom 16. 8. 2001 zu 8 Ob 134/01s (= RdM 2002/4[Juen]), bei der die Vorinstanzen nur davon ausgingen, dass nicht festgestellt werden könne, dass die Beklagte bei der Kontrolle Auffälligkeiten wahrnahm, hat der Oberste Gerichtshof grundsätzlich daran festgehalten, dass die Beweislast für das Vorliegen eines Behandlungsfehlers und dessen Kausalität für den eingetretenen Schaden den Patienten trifft. Er hat aber aus dem Wesen des Behandlungsvertrages auch die Verpflichtung zur Führung von Aufzeichnungen abgeleitet (vgl auch § 22a ÄrzteG). Der wesentliche Zweck dieser ärztlichen Dokumentationspflicht liegt auch in der Beweissicherung und Rechenschaftslegung. Verletzt nun der Arzt diese Dokumentationspflicht, so hat dies als beweisrechtliche Konsequenz zur Folge, dass dem Patienten zum Ausgleich der durch die Verletzung der Dokumentationspflicht eingetretenen größeren Schwierigkeiten beim Nachweis ärztlicher Behandlungsfehler eine der Schwere der Dokumentationspflichtverletzung entsprechende Beweiserleichterung zuzubilligen ist. Ausgehend von der in § 22a des ÄrzteG 1984 festgelegten Verpflichtung, ua Aufzeichnungen über jede zur Beratung oder Behandlung übernommene Person, insbesondere über den Zustand der Person und die Diagnose zu führen, wurde angenommen, dass dann, wenn der Arzt eine bestimmte auf den einzelnen Patienten bezogene beratende Leistung vornimmt auch die diagnostischen Grundlagen dafür festzuhalten sind. Da hier nun die Beklagte offensichtlich eine auf die konkrete Person der Patientin bezogene Beratung oder zumindest Befundung dahin vorgenommen hat, dass sich diese hinsichtlich des rechten Eierstockes innerhalb eines Jahres einer neuerlichen Untersuchung unterziehen müsse, hätte sie auch die für diese Beurteilung der weiteren Entwicklung wesentlichen diagnostischen Grundlagen festhalten müssen. Zur Festlegung des angemessenen Ausgleichs für diese Dokumentationspflichtverletzung durch die Beklagte hat der Oberste Gerichtshof darauf hingewiesen, dass einer der wesentlichen Inhalte derartiger Vorsorgeuntersuchungen darin besteht, allfällige bösartige Geschehen aufzudecken und der wesentliche Vorwurf an die Beklagte darin liegt, dass dann, wenn bei einer derartigen Untersuchung auch nur unspezifische Auffälligkeiten auftreten, eine Nachkontrolle innerhalb längstens 6 Monaten hätte vorgenommen werden müssen und gerade auf dem rechten Eierstock, den die Beklagte für eine Kontrolle in einem Jahr besonders vorgesehen hat, nach 10 Monaten ein bereits faustgroßes Karzinom vorhanden war. Ausgehend davon wurde ausgeführt, dass die angemessene Beweiserleichterung darin liegt, ".... dass die Beklagte nunmehr nachzuweisen hat, dass zum Zeitpunkt der Untersuchung im August 1994 derartige auch nur unspezifische Auffälligkeiten nicht vorlagen (vgl auch Giesen aaO, 375 f). Kann doch dem Patienten nur dadurch ein Äquivalent für die aus einer konkreten Dokumentation ableitbare Beurteilung, ob ein bestimmter Zustand eine "Auffälligkeit" darstellt oder nicht geschaffen werden."

Nunmehr haben sich sich die Vorinstanzen mit der Feststellung begnügt, dass sich bei der Untersuchung keinerlei Auffälligkeiten "zeigten". Das Erstgericht hat auch seien Beweiswürdigung damit eingeleitet, dass entscheidend sei, ob die Beklagte etwas "wahrgenommen" habe. Genau darauf, ob die Beklagte subjektiv solche Auffälligkeiten wahrgenommen hat, sollte es aber nach dem Inhalt des Aufhebungsbeschlusses nicht - mehr - ankommen. Die getroffene Feststellung wäre jedenfalls dann ausreichend gewesen, wenn der Beklagten keine Dokumentationspflichtverletzung vorzuwerfen gewesen wäre. Im Hinblick auf die Dokumentationspflichtverletzung ist der Oberste Gerichtshof aber davon ausgegangen, dass die Beklagte auch nachzuweisen hat, dass objektiv solche Auffälligkeiten nicht vorlagen. Nur dadurch wird - wie im Aufhebungsbeschluss bereits ausgeführt - ein "Äquivalent für die aus einer konkreten Dokumentation ableitbare Beurteilung, ob ein bestimmter Zustand eine Auffälligkeit darstellt oder nicht geschaffen". Dient die Dokumentation doch auch der Beweissicherung für den Patienten, sodass dieser eben nicht - nur - auf die spätere Parteienaussage des beklagten Arztes angewiesen ist. Wollte man bei der Dokumentationspflichtverletzung die aufgrund der Aussage der Beklagten getroffenen Feststellung ausreichen lassen, dass die Beklagte nichts wahrnahm, so wäre darin kein angemessener Ausgleich des der Patientin durch die Dokumentationspflichtverletzung entstandenen Beweisnachteils hergestellt. Dies zeigt sich im Übrigen gerade an dem vorliegenden Fall, in dem nach den vorliegenden Beweisergebnissen die mittlerweile verstorbene Patientin gegenüber ihren Angehörigen und auch schriftlich wiederholt festhielt, dass die Beklagte ihr gegenüber schon bei der Untersuchung geäußert habe, dass am rechten Eierstock "Etwas" gewesen sei.

Im fortgesetzten Verfahren wird zu erörtern sein, ob die Beklagten den Beweis antritt, dass bei dem 10 Monate nach der Kontrolluntersuchung aufgetretenen bereits faustgroßen Eierstockkarzinom zum Zeitpunkt der Kontrolluntersuchung objektiv noch keine auch nur unspezifischen Auffälligkeiten vorlagen. Sollte dies der Fall sein, wird dazu ein entsprechendes Beweisverfahren (allenfalls onkologisches Sachverständigengutachten) durchzuführen sein. Sollte der Beklagten der Nachweis, dass objektiv zum Zeitpunkt der Kontrolluntersuchung noch keine Auffälligkeiten vorlagen, nicht gelingen, ist von einer Kunstpflichtverletzung der Beklagten auszugehen.

Der Kostenvorbehalt fußt auf § 52 ZPO.

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