OGH 1Ob168/10b

OGH1Ob168/10b15.12.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden und durch die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Mag. Wurzer als weitere Richter in der Erlagsache der Antragstellerin E***** Rechtsanwalts-Partnerschaft, *****, gegen die Antragsgegner 1. F*****Gesellschaft mbH, *****, und 2. Anton P*****, der Zweitantragsgegner vertreten durch Themmer, Toth & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Erlags gemäß § 1425 ABGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Zweitantragsgegners gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 22. Juli 2010, GZ 43 R 337/10t-17, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 8. Februar 2010, GZ 3 Nc 6/10z-4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass diese zu lauten haben:

Der Antrag, den Betrag von 390.284,97 EUR gemäß § 1425 ABGB als Gerichtserlag anzunehmen und bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber, wem der Erlagsbetrag gebührt, zu verwahren, wird abgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, dem Zweitantragsgegner die mit 5.492,28 EUR (darin enthalten 210 EUR Barauslagen und 880,38 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin beantragte den gerichtlichen Erlag des im Spruch genannten Betrags gemäß § 1425 ABGB mit dem Vorbringen, sie sei mit der Errichtung eines Kaufvertrags über zwei Liegenschaften, deren Käufer die Erstantragsgegnerin und Verkäufer der Zweitantragsgegner sei, beauftragt worden. Vereinbarungsgemäß sei aus dem Kaufpreis die Lastenfreistellung der umfangreich belasteten Liegenschaften erfolgt, sodass letztlich der Erlagsbetrag auf dem Treuhandkonto verblieben sei. Nach Verbücherung des Kaufvertrags von August 2009 habe eine Rechtsanwaltskanzlei mitgeteilt, dass der Zweitantragsgegner die Liegenschaften bereits im Dezember 2008 an eine dritte Person verkauft habe. Es seien Schadenersatzansprüche gegenüber der Erstantragsgegnerin und dem Zweitantragsgegner angedroht und die Herausgabe der Liegenschaften verlangt worden. Die Antragstellerin sei aufgefordert worden, den Treuhanderlag nicht an den Verkäufer auszuzahlen, was sie mit Schreiben vom 3. 9. 2009 abgelehnt habe. Da im Ausmaß des erliegenden Kaufpreises sowohl die Käuferin als auch die antragstellende Treuhänderin eine Schadensminderungspflicht gegenüber der dritten Person treffe, weil weitere Mittel, aus denen die Forderung des Dritten befriedigt werden könne, nicht zur Verfügung stünden, sehe sich die Antragstellerin außer Stande, den Kaufpreis ohne weiteres an den Zweitantragsteller auszuzahlen. Zwischenzeitig sei auch Klage gegen ihn eingebracht worden.

Die Erstantragsgegnerin beteiligte sich nicht am Verfahren, der Zweitantragsgegner sprach sich gegen den Gerichtserlag aus.

Das Erstgericht nahm den Erlag in einem begründungslosen Beschluss gemäß § 1425 ABGB an.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Es verwarf die Rekursgründe der Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens und gelangte unter Hinweis auf die reine Schlüssigkeitsprüfung im Hinterlegungsverfahren nach § 1425 ABGB auf Basis der Antragsbehauptungen zum Ergebnis, dass bei Auftreten eines Konflikts zwischen den Treugebern der Treuhänder den strittigen Betrag bei Gericht erlegen dürfe, wenn - wie im vorliegenden Fall - unklar bzw bei zumutbarer Prüfung nicht zu klären sei, ob die nach dem Treuhandverhältnis gesetzten Ausfolgungsbedingungen erfüllt seien. Die Voraussetzungen für die Annahme des Gerichtserlags lägen daher vor.

In seinem dagegen erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs beantragt der Zweitantragsgegner die Abänderung der Entscheidung im Sinne einer Zurück- bzw Abweisung des Gerichtserlags; in eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin beantragt in der ihr freigestellten Revisionsrekursbeantwortung, das Rechtsmittel zurückzuweisen, in eventu ihm nicht Folge zu geben. Die Erstantragsgegnerin hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist zulässig und berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs hat das Erlagsgericht zu prüfen, ob der vom Antragsteller anzugebende Erlagsgrund zur Hinterlegung iSd § 1425 ABGB an sich taugt. Nicht zu prüfen ist hingegen, ob der Hinterlegungsgrund auch tatsächlich gegeben ist (RIS-Justiz RS0112198). Die Rechtmäßigkeit des Erlags ist also im Erlagsverfahren nicht zu prüfen (RIS-Justiz RS0033495), vielmehr obliegt dem Erlagsgericht nur eine Schlüssigkeitsprüfung. Nur insoweit kann der Annahmebeschluss auch im Rechtsmittelverfahren überprüft werden (1 Ob 2/00a; RIS-Justiz RS0112198 [T2; T4]). Die Schlüssigkeit ist im Hinblick auf die Aktenlage im Zeitpunkt des Erlagsbeschlusses zu prüfen (RIS-Justiz RS0112198 [T7]).

2. Bei einem mehrseitigen Treuhandverhältnis stehen zwei oder mehrere von gegensätzlichen Interessen geleitete Treugeber einem Treuhänder gegenüber. Der Treuhänder ist jedem der Treugeber gegenüber verpflichtet, das übertragene Recht im Sinne des Treugebers auszuüben. Er hat die gegensätzlichen Interessen aller Treugeber bestmöglich zu wahren (1 Ob 43/97y ua; RIS-Justiz RS0010415 [T3]; RS0107334).

3. Bei einer mehrseitigen offenen Treuhand zum Zwecke der Abwicklung eines Liegenschaftskaufs hat der Treuhänder für die ordnungsgemäße Erfüllung der vertraglich übernommenen Aufgaben einzustehen. Es kommt darauf an, wozu sich der Treuhänder im konkreten Fall verpflichtet hat. Der Inhalt der Treuhandschaft richtet sich also nach den getroffenen Vereinbarungen und der Parteienabsicht (RIS-Justiz RS0104573 [T2; T4]). Bei Auftreten eines Konflikts zwischen den Treugebern einer mehrseitigen Treuhand kann der Treuhänder bei unklarer Sach- oder Rechtslage bei Gericht erlegen, er ist hiezu jedoch nicht verpflichtet (7 Ob 523/91).

4. Obligatorische Beziehungen Dritter zu einem Treugeber verändern die Treuhandpflichten nicht, sie gewähren vor allem dem Dritten nicht eine Gläubigerstellung gegen den Treuhänder. Die Wahrung von Interessen des Dritten, dem - im Verhältnis zum Treuhänder - keinerlei Gläubigerrechte eingeräumt sind und damit auch kein Forderungsanspruch auf den Treuhanderlag zusteht, kommt daher nicht in Frage; ein Gerichtserlag aus diesem Grund ist nicht möglich (10 Ob 2058/96m). Zur Wahrung der Interessen Dritter kann deshalb die gerichtliche Hinterlegung nicht in Anspruch genommen werden (5 Ob 116/03z = SZ 2003/65; RIS-Justiz RS0118150). Eine Hinterlegung nach § 1425 ABGB durch einen Treuhänder ist daher dann nicht gerechtfertigt, wenn eine unklare Rechtslage nicht durch unterschiedliche Interessen der Treugeber, sondern durch Anspruchstellung Dritter an einen der Treugeber entsteht und ein entsprechendes Drittverbot nicht besteht (10 Ob 2058/96m).

5. Anders als bei einem Streit zwischen den Treugebern, der - ähnlich dem Prädentenstreit - die rechtliche Beziehung dieser zueinander betrifft, liegen beim Doppelverkauf die Umstände für die Gefahr einer doppelten Beanspruchung (Sachleistung oder Schadenersatz) aufgrund zweier verschiedener Rechtstitel auf Seiten eines Treugebers, sodass schon deswegen das Hinterlegungsrecht ausscheidet (Reischauer, Hinterlegung zugunsten mehrerer [potentieller] Gläubiger, JBl 2001, 541 [551 f]).

6. Da im vorliegenden Fall die Antragstellerin nicht einmal darlegt, aufgrund welcher Rechtsbeziehung sie selbst eine Schadenminderungspflicht gegenüber dem angeblichen Erstkäufer der Liegenschaften träfe, ist ihr Erlagsgesuch bereits aus diesem Grund unschlüssig. Worin der vom Rekursgericht offensichtlich angenommene Konflikt zwischen den Treugebern, der grundsätzlich zu einem Gerichtserlag berechtigen würde, nach dem Vorbringen der Antragstellerin im Erlagsgesuch gelegen wäre, ist nicht ersichtlich. Ihr erstmals in der Revisionsrekursbeantwortung in diesem Zusammenhang erstattetes Vorbringen ist unbeachtlich (§ 66 Abs 2 AußStrG).

Die gesetzlichen Voraussetzungen für einen gerichtlichen Erlag nach § 1425 ABGB liegen daher nicht vor.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 2 erster Satz AußStrG. Gerichtsgebühren nach TP 12a GGG waren für den Revisionsrekurs zu entrichten, weil die Entscheidung zweiter Instanz nach dem 30. Juni 2009 erging (Art VI Z 35 GGG).

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