Spruch:
Der Rekurs wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 373,68 EUR (darin enthalten 62,28 EUR USt) bestimmten Kosten der Rekursbeantwortung zu ersetzen.
Text
Begründung
Die Klägerin ist Eigentümerin einer Liegenschaft mit einem darauf befindlichen Wohnhaus; die Beklagte bewohnt seit vielen Jahren eine darin gelegene Wohnung.
Die Klägerin begehrt (nach Klagsausdehnung) 1.857,76 EUR an rückständigem Mietzins sowie die Räumung der Wohnung. Sie bringt im Wesentlichen vor, sie habe am 17. April 2009 mit der Beklagten ein mit 1. Mai 2009 beginnendes Mietverhältnis auf unbestimmte Zeit abgeschlossen; als monatlicher Mietzins seien 428,34 EUR vereinbart worden. Die Beklagte sei mit den Mietzinszahlungen für Mai bis November 2009 teilweise säumig, sodass unter Berücksichtigung geleisteter Zahlungen und der Bankspesen 1.857,76 EUR sA aushaften.
Die Beklagte wendete ein, aufgrund einer Vereinbarung mit dem Voreigentümer der Liegenschaft (ihrem Sohn) habe sie lediglich die Betriebskosten zu entrichten. Im Gegenzug habe sie sich verpflichtet, im Haus Reinigungsarbeiten durchzuführen und als Ansprechpartner zwischen Hausverwaltung und Mieter zu fungieren. Nach Erwerb des Hauses durch die Klägerin habe sie diese zwar aufgefordert die Reinigungsarbeiten einzustellen; dennoch sei sie zu Vornahme dieser Arbeiten weiterhin bereit. Bei Unterzeichnung des ihr vom Geschäftsführer - ohne jegliche Aufklärung und Besprechung dessen Inhalts - vorgelegten Mietvertrags sei sie in der Annahme gewesen, es solle lediglich der bisherige Zustand der Schriftform zugeführt werden. Sie sei in Irrtum geführt worden und fechte aus diesem Grund den behaupteten Mietvertrag an. Bei Einzug in die Wohnung sei diese devastiert gewesen und habe komplett renoviert werden müssen, sodass der - am jetzigen Zustand der Wohnung orientierte - Mietzins jedenfalls zu hoch bemessen wäre. Es werde die Überprüfung des Mietzinses beantragt.
Das Erstgericht wies das Mietzins- und Räumungsbegehren ab.
Es traf im Wesentlichen folgende Feststellungen:
Als die Beklagte die Wohnung bezog, schloss sie mit der damaligen Eigentümerin der Liegenschaft einen Mietvertrag ab. Als sie die Mietzinszahlungen nicht mehr aufbringen konnte, kam sie mit dem neuen Eigentümer (ihrem Sohn) überein, lediglich die Betriebskosten zu entrichten, wofür sie im Gegenzug diverse Agenden im Haus (Ansprechperson für Hausverwaltung und Mieter) sowie Reinigungsarbeiten übernahm. Für letztere erhielt sie zuletzt 666 EUR monatlich, mit welchem Betrag sie Kreditraten ihres Sohnes tilgte. Im Jahr 2009 erwarb die Klägerin das Haus. Gemäß Punkt 4.5 des Kaufvertrags erklärten die Verkäufer, (S***** und R***** W*****) den Mietern weder Untervermietungs- noch Leerstehungs-, noch Weitergaberechte etc eingeräumt und keine mündlichen Nebenabreden, insbesondere mit ungewöhnlichem oder für den Vermieter nachteiligem Inhalt, abgeschlossen zu haben.
Bei einem nach Kaufvertragsabschluss Anfang April 2009 stattfindenden Treffen zwischen dem Geschäftsführer der klagenden Partei und der Beklagten wurde grundsätzlich über die Frage der Hausübergabe und auch eines Mietvertrags gesprochen; dies vor dem Hintergrund, dass der Klägerin bis zu diesem Zeitpunkt keine schriftliche Ausfertigung des Mietvertrags der Beklagten zur Verfügung stand. Der Geschäftsführer der Klägerin war deshalb der Ansicht, die Beklagte müsse einen neuen Mietvertrag schließen, wobei für die Bemessung des Mietzinses der aktuelle Wohnungszustand maßgeblich sein sollte. Demzufolge wurde auch über den Abschluss eines schriftlichen Mietvertrags gesprochen. Bei einem weiteren in der Wohnung der Beklagten stattfindenden Treffen unterfertigte diese die letzte Seite eines Mietvertrags in zweifacher Ausfertigung. Die Urkunde war vor Unterschriftsleistung nicht besprochen oder erörtert worden; auch über die Höhe des Mietzinses und das rechtliche Schicksal der bisher geltenden Vereinbarung wurde nicht gesprochen. Die Beklagte hatte die Urkunde vor Unterfertigung nicht gelesen und war sich nicht einmal darüber im Klaren, um welche Art von Dokument es sich hiebei handelt. Der Geschäftsführer ließ eine Ausfertigung des Mietvertrags bei der Beklagten zurück. Nach Beratung der Mietervereinigung verfasste die Klägerin ein an die Beklagte gerichtetes Schreiben mit dem Ersuchen um Bestätigung, dass die in der Wohnung befindliche Kücheneinrichtung - entgegen dem Inhalt des Mietvertrags - in ihrem Eigentum stehe. Diesem Ersuchen kam die Klägerin nach. Die Beklagte veranlasste in der Folge die Rückbuchung der mittels eines Abbuchungsauftrags von ihrem Konto eingezogenen Mietzinszahlungen für Mai und Juni 2009 und entrichtete ausschließlich die Betriebskosten.
Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, es liege ein vom Geschäftsführer der Klägerin veranlasster Erklärungsirrtum der Beklagten vor. Nach erfolgreicher Irrtumsanfechtung falle der mit der Klägerin abgeschlossene Mietvertrag rückwirkend weg, sodass kein Mietzinsrückstand und kein Anspruch auf Räumung bestehe.
Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es das Ersturteil aufhob. Rechtlich ging es zusammengefasst davon aus, die Beklagte habe keine genaue Vorstellung vom Inhalt der Urkunde gehabt, deren fremdbestimmten Inhalt daher bewusst in Kauf genommen und zum Inhalt ihrer Erklärung gemacht, weshalb ihr die Irrtumsanfechtung verwehrt sei. Die zwecks Beurteilung des gesetzlich zulässigen Hautpmietzinses nötigen Feststellungen zu der bei (ursprünglichem) Abschluss des Mietvertrags vorhandenen Ausstattungskategorie seien im fortzusetzenden Verfahren nachzuholen.
Rechtliche Beurteilung
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss zulässig sei, weil „für die gegenständliche Konstellation“ keine oberstgerichtliche Rechtsprechung bestehe und den behandelten Rechtsfragen über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.
Entgegen diesem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 526 Abs 2 ZPO) - Ausspruch des Berufungsgerichts ist der Rekurs mangels erheblicher Rechtsfragen nicht zulässig:
1. Ob eine Vereinbarung wegen eines Erklärungsirrtums gemäß § 871 ABGB erfolgreich anfechtbar ist, hängt von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Dass eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu einem vergleichbaren Einzelfall fehlt, bedeutet keineswegs, dass die Entscheidung von der Lösung einer iSd § 502 Abs 1 ZPO erheblichen Rechtsfrage des materiellen Rechts oder des Verfahrensrechts abhängt (RIS-Justiz RS0102181).
2. Die von der Rechtsprechung vertretenen maßgeblichen Grundsätze zur Anfechtung wegen Erklärungsirrtums lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Schon die Aufnahme des rechtsgeschäftlichen Kontakts lässt Sorgfalts- und Aufklärungspflichten entstehen, deren Verletzung auch durch Schweigen erfolgen kann (RIS-Justiz RS0108051). Auch in diesem Fall kann der Vertrag wegen eines vom anderen veranlassten Irrtums angefochten werden. Unterfertigt aber jemand eine ihm vorgelegte Urkunde „ungelesen“, macht er grundsätzlich den durch seine Unterschrift gedeckten Text selbst dann zum Inhalt seiner Erklärung, wenn er den Text nicht gekannt hat (RIS-Justiz RS0014893). Ist der Inhalt einer Vertragsurkunde anders, als ihn sich der Unterzeichnende vorstellte, so ist zu unterscheiden: Hatte der Unterfertigende eine klare Vorstellung vom Urkundeninhalt, war er daher überzeugt, dass darin das mündlich Abgemachte festgeschrieben sei, so unterlag er einem Erklärungsirrtum, der ihn bei Zutreffen der übrigen Voraussetzungen zur Anfechtung berechtigt. Hatte er dagegen keine genaue Vorstellung vom Inhalt des Schriftstücks, nahm er den (fremdbestimmten) Inhalt somit bewusst in Kauf, so ist ihm die Irrtumsanfechtung - abgesehen vom Fall ungewöhnlicher Bestimmungen - verwehrt (RIS-Justiz RS0014753 [T14]), außer der Urkundeninhalt wäre so außergewöhnlich, dass ein Einverständnis damit nicht angenommen werden kann (1 Ob 29/01y). Auch bei „ungelesenem“ Unterfertigen einer Urkunde ist es aber für die Geltung als Willenserklärung erforderlich, dass der die Erklärung Abgebende Rechtsfolgen herbeiführen will; ist das erkennbar nicht der Fall, kann keine wirksame Willenserklärung angenommen werden (10 Ob 26/08h mwN).
3. Von diesen Grundsätzen ist das Berufungsgericht nicht abgewichen. Dass keine mündliche Vereinbarung darüber zustande gekommen ist, der Mietzins solle weiterhin durch die Erbringung der Dienstleistungen abgegolten sein, ergibt sich einerseits aus dem Vorbringen der Beklagten, die Klägerin habe sie zur Einstellung ihrer Reinigungs- und sonstigen Tätigkeiten aufgefordert, sie sei aber zur Erbringung dieser Arbeiten dennoch weiterhin bereit gewesen, andererseits aus der Feststellung, über das rechtliche Schicksal der bisher geltenden Vereinbarung sei vor Unterfertigung des Mietvertrags nicht gesprochen worden. Die Beklagte konnte bei unbesehenem Unterfertigen der ihr vorgelegten Urkunde daher nicht damit rechnen, dass darin nur der „bisherige Zustand“ festgeschrieben werde, sondern musste sich bewusst sein, dass darin nicht zur Sprache gekommene Vertragspunkte enthalten waren. Da ihr nach eigenem Vorbringen bekannt war, dass der Vermieter zur Annahme ihrer bisher erbrachten Dienstleistungen nicht mehr bereit war, musste sie insbesondere davon ausgehen, dass der Vertrag einen Punkt enthält, nach dem der Mietzins nunmehr in bar zu entrichten sei (vgl den Barzahlungsanspruch des Vermieters nach der Bestimmung des § 28 MRG über die Anrechnung von Dienstleistungen auf den Hauptmietzins). Zudem steht fest, dass bereits beim ersten zwischen der Beklagten und dem Geschäftsführer der Klägerin stattfindenden Treffen darüber gesprochen wurde, dass ein schriftlicher Mietvertrag abzuschließen sein werde. Soweit die Revisionsausführungen die Richtigkeit dieser Feststellung in Zweifel ziehen, stellen sie den im Revisionsverfahren unzulässigen Versuch einer Bekämpfung der Beweiswürdigung dar. Der strittige Vertrag enthält auch keine unüblichen oder außergewöhnlichen Bestimmungen, sodass der Geschäftsführer nicht annehmen musste, die Beklagte wäre damit nicht einverstanden.
Die Ansicht des Berufungsgerichts, die Beklagte habe mit dem Unterfertigen des Mietvertrags dessen Inhalt zu ihrer Erklärung gemacht, weshalb ihr die Irrtumsanfechtung verwehrt ist, hält sich im Rahmen der zitierten Rechtsprechung und stellt demnach keine Fehlbeurteilung dar.
Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO. Die Klägerin hat in der Rekursbeantwortung auf die Unzulässigkeit des gegnerischen Rechtsmittels hingewiesen. Im Verfahren über den Rekurs findet ein Kostenvorbehalt nach § 52 ZPO nicht statt (RIS-Justiz RS0035976 [T2]; 3 Ob 105/09a).
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