OGH 1Ob29/01y

OGH1Ob29/01y27.11.2001

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schlosser als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schiemer, Dr. Gerstenecker, Dr. Rohrer und Dr. Zechner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Sparkasse S*****, vertreten durch a.o. Univ. Prof. Dr. Hubertus Schumacher, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Maria L*****, vertreten durch Dr. Bernd Schmidhammer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 834.218,37 S sA infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 27. November 2000, GZ 4 R 254/00k-12, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die klagende Sparkasse räumte der vormals erstbeklagten Tochter (im Folgenden nur Kreditnehmerin) der Beklagten mit Kreditvertrag vom 17. Mai 1995 (im Folgenden nur 1. Kreditvertrag) einen wiederholt ausnützbaren Kontokorrentkredit von 100.000 S ein. Mit Vertrag vom 6. November 1995 (im Folgenden nur 2. Kreditvertrag) stockte die klagende Partei der Kreditnehmerin den Kreditrahmen auf insgesamt 400.000 S auf. Am 9. Juli 1997 (im Folgenden nur 3. Kreditvertrag) räumte die klagende Partei der Kreditnehmerin einen weiteren Kredit von 400.000 S ein. Die 1920 geborene Beklagte, die von ihrer Tochter - neben deren Ehegatten, dem vormals Zweitbeklagten - zur Übernahme einer Bürgschaft überredet worden war, übernahm am 6. November 1995 für die Kreditbeträge von 100.000 S "bzw" (gemeint: und) 300.000 S die Haftung als Bürgin und Zahlerin gemäß § 1357 ABGB zur ungeteilten Hand (im Folgenden 1. Interzessionsvertrag) und am 9. Juli 1997 durch Mitfertigung des 3. Kreditvertrags die Mithaftung (im Folgenden 2. Interzessionsvertrag). Der Beklagten war zwar das Wesen einer Bürgschaft bekannt, sie wusste jedoch nicht, dass sie die Haftung für einen immer wieder ausnützbaren Kontokorrentkredit übernehmen sollte. Die Beklagte unterschrieb das von der klagenden Partei vorbereitete und sogleich angenommene Bürgschaftsanbot vom 6. November 1995, ohne vom Bankmitarbeiter weitere Erklärungen, insbesondere über das Vorliegen eines Kontokorrentverhältnisses, erhalten zu haben.

Die Vorinstanzen wiesen das auf beide Interzessionsvereinbarungen gestützte Klagebegehren der Kreditgeberin gegenüber der beklagten Interzedentin auf Zahlung von 834.218,27 S sA ab, weil sie von der Unwirksamkeit der Interzessionsvereinbarungen ausgingen.

Die außerordentliche Revision der klagenden Partei ist mangels Vorliegens erheblicher Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

a) Tatsächlich liegen entgegen der Auffassung der Vorinstanzen zwei Verpflichtungserklärungen der Beklagten vor, nämlich die 1. Interzessionserklärung vom 6. November 1995 als Übernahme der Haftung als Bürgin und Zahlerin nach § 1357 ABGB für den 1. und 2. Kreditvertrag sowie die 2. Interzessionserklärung vom 9. Juli 1997 als Übernahme einer mitschuldnerischen Haftung für den 3. Kredit. Zutreffend erkennt die außerordentliche Revision, dass die Beurteilung der Interzessionsverträge gesondert vorzunehmen ist. Gemäß § 41a Abs 4 Z 2 KSchG sind die §§ 25b ff KSchG idFd BGB I 1997/6 nicht auf (Interzessions-)Verträge anzuwenden, die vor dem 1. Jänner 1997 geschlossen wurden. Für die Beurteilung des 1. Interzessionsvertrags vom 6. November 1995 könnten daher nur die Erwägungen der Leitentscheidung des erkennenden Senats 1 Ob 544/95 (SZ 68/64 = ÖBA 1995, 804 [Graf, Verbesserter Schutz vor riskanten Bürgschaften in ÖBA 1995, 776] = JBl 1995, 651 [Mader] = ecolex 1995, 638 = ZIK 1995, 124) und der folgenden Rsp maßgebend sein. Die 2. Interzessionserklärung der Beklagten im 3. Kreditvertrag ist bereits nach der neuen Rechtslage zu beurteilen.

b) Zum 1. Interzessionsvertrag: Die Beklagte trug in erster Instanz (auch) vor, sie sei in keiner Weise darüber aufgeklärt worden, dass sie für einen Kontokorrentkredit bürge, der immer wieder ausnützbar sei und der trotz allfälliger Zahlungen auch nicht in deren Umfang erlösche. Diesen Irrtum habe die klagende Partei verursacht und dieser Irrtum sei auch wesentlich gewesen. Hätte die Beklagte nur ansatzweise gewusst, um welches Kreditverhältnis es sich handle, und hätte man sie über den Charakter eines Kontokorrentverhältnisses aufgeklärt, so hätte sie die Bürgschaft nicht übernommen. Das Erstgericht führte dazu aufgrund entsprechender Feststellungen aus, die Beklagte sei nicht darüber aufgeklärt worden, dass der Kreditnehmerin ein Kontokorrentkredit bzw über dessen Wesen eingeräumt worden sei. Sie sei daher einem von der klagenden Partei veranlassten und von dieser auch nicht rechtzeitig aufgeklärten Irrtum unterlegen; die klagende Partei könne daher schon aus diesem Grund keine weiteren Zahlungen fordern.

Wer eine Urkunde ungelesen unterfertigt, macht ihren durch die Unterschrift gedeckten Text zum Inhalt seiner Erklärung, es sei denn, der Urkundeninhalt wäre so außergewöhnlich, dass ein Einverständnis damit nicht angenommen werden kann (SZ 53/128; SZ 58/69 uva). Die Bank trifft bei Abschluss von Verträgen auf Grund von ihr verfasster Formulare - wie hier - die Pflicht zur Aufklärung geschäftlich unerfahrener Kunden dahin, dass diese über den Umfang der sie persönlich treffenden Leistungsverpflichtungen nicht in einem Irrtum befangen sein können (SZ 58/69 ua; RIS-Justiz RS0016182). Die Anforderungen an die Bank bei der ihr obliegenden Aufklärungspflicht, die auch durch deren Schweigen verletzt werden kann, dürfen zwar nicht überspannt werden, weil dem Bankkunden zugemutet werden kann, selbst seine wirtschaftlichen Interessen ausreichend zu wahren (4 Ob 61/99w, 6 Ob 145/00t ua; RIS-Justiz RS0026488), vom Kreditinstitut ist aber zu fordern, dass es keine Vertragsgestaltung wählt, die das Ausmaß der Verpflichtungen unklar lässt und damit zu Irrtümern Anlass gibt (SZ 58/69 mwN; 8 Ob 303/99). Eine für die Beklagte unklare Formulierung wurde im hier zu entscheidenden Fall verwendet. Denn angesichts des Alters der Beklagten, ihrer geschäftlichen Unerfahrenheit und ihres Wissenstands, von dem sich der Erstrichter in der Verhandlung ein persönliches Bild machen konnte, wovon sich aber auch der involvierte Mitarbeiter der klagenden Partei hätte überzeugen können, kann nicht angenommen werden, sie hätte bei sorgfältigem Lesen des Bürgschaftsanbots erkennen müssen, um welche Art von Kredit es sich dabei handelte. Gerade dass sie und ihr Ehegatte auf die Kreditschuld 400.000 S - was ihren gesamten Ersparnissen entsprach - zahlten, mit der sie die ersten beiden, ihrer Tochter gewährten Kredite zurückführen wollten, spricht entschieden dagegen.

Angesichts der ganz einzelfallbezogenen Frage nach dem Vorliegen der Voraussetzungen des § 871 Abs 1 ABGB (Erklärungsirrtum) - wozu im Rechtsmittel die Verjährungsreplik nicht aufrecht erhalten wurde - kann der in der außerordentlichen Revision besonders herausgearbeitete Punkt, im vorliegenden Fall lägen die in der Entscheidung SZ 68/64 und der folgenden Rsp entwickelten Kriterien für die Annahme der Sittenwidrigkeit der von der Beklagten übernommenen Bürgschaft nicht vor, auf sich beruhen. Insoweit erweist sich nämlich schon die gleichfalls einredeweise geltend gemachte Irrtumsanfechtung als relevant, zu der die klagende Partei indes Ausführungen vermissen lässt, geschweige denn erhebliche Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt hat.

c) Zum 2. Interzessionsvertrag: Der Gesetzgeber hat die Regelung des § 25c KSchG auf solche Verträge beschränkt, die der Interzedent - wie hier die Beklagte - als Verbraucher eingeht. Den Gläubiger, der bis zu dem dafür maßgeblichen Zeitpunkt des Zustandekommens der Interzession (Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer, KSchG, § 25c Rz 11) erkennt oder erkennen muss, dass der Hauptschuldner seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht oder nicht vollständig erfüllen wird, trifft eine Informationspflicht: Er hat den interzedierenden Verbraucher auf die wirtschaftliche Lage des Schuldners auch dann hinzuweisen, wenn dieser über die finanzielle Situation des Hauptschuldners Bescheid weiß. Dies soll das Risiko des Einstehenmüssens für eine (materiell) fremde Schuld verringern und den Interzedenten nachdrücklich warnen: Die Auskunft soll diesem die wirtschaftlichen Gründe des Gläubigers vor Augen führen, aus denen dieser neben der Haftung des Hauptschuldners auf der Haftung einer weiteren Person besteht. Demzufolge hat der Gläubiger den Interzedenten darüber zu informieren, inwiefern die wirtschaftliche Lage des Hauptschuldners erwarten lässt, dass dieser seine Verbindlichkeit voraussichtlich nicht (vollständig) erfüllen wird, sodass die Haftung des Interzedenten schlagend wird (RV, 311 BlgNR 20. GP, 25; 7 Ob 261/99d = ÖBA 2000, 527; dazu auch zustimmend Rabl in ecolex 2000, 271; 1 Ob 107/00t = ÖBA 2001, 166 [Graf] = EvBl 2001/10 = RdW 2001, 15 = ecolex 2001, 44 [Wilhelm]; Apathy in Schwimann2 § 25c KSchG Rz 3). Die Rechtsfolge der unterbliebenen Aufklärung durch den Kreditgeber nach § 25c KSchG, nämlich die Haftungsbefreiung des Interzedenten, tritt aber bei Unterbleiben der Information nicht schon jedenfalls, sondern nur dann ein, wenn der Kreditgeber bei Abschluss des Interzessionsvertrags erkannte oder erkennen musste, dass der Kredit wahrscheinlich notleidend werden wird. Nur dann ist ein Verstoß gegen die Informationspflicht denkbar (3 Ob 312/00d; Jesser/Kiendl/Schwarzenegger, Das neue Konsumentenschutzrecht 45f). Dass die klagende Partei dies tatsächlich erkannt hätte, wurde nicht festgestellt. Damit bleibt zu prüfen, ob sie angesichts des vorliegenden Sachstands hätte erkennen müssen, dass die Kreditnehmerin ihre Verbindlichkeiten nicht oder nicht vollständig werde erfüllen können. Je nach Art und Ausmaß der Verbindlichkeit wird der Gläubiger eine sorgfältige Bonitätsprüfung unter Verwendung der ihm zugänglichen Instrumente vorzunehmen, sich somit in jenem Umfang Kenntnis von der wirtschaftlichen Lage des Hauptschuldners zu verschaffen, wie dies ein sorgfältiger Kreditgeber üblicherweise tut (Apathy aaO § 25c KSchG Rz 4; Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer aaO § 25c Rz 6). Die Beantwortung der Frage, ob der Kreditgeber dem Interzedenten ausreichende Informationen über die wirtschaftliche Lage des Schuldners iSd genannten Gesetzesstelle erteilt hat oder ihm solche hätte erteilen müssen, ist naturgemäß von der Beurteilung ganz konkreter Individualumstände abhängig (vgl 7 Ob 261/99d = ÖBA 2000, 527). Denn der Umfang dieser Nachforschungs- und der daraus resultierenden Informationspflicht hängt davon ab, in welcher Höhe Kredit gewährt wurde und vor allem davon, unter welchen Umständen es zum Abschluss des Kreditvertrags gekommen ist. Wurde die Gläubigerin einer bereits bestehenden Verbindlichkeit - wie hier - selbst aktiv, um die Einbeziehung des Interzedenten in das Schuldverhältnis zu erreichen, so weist dies prima facie darauf hin, dass die Gläubigerin die Einbringung der Forderung beim Hauptschuldner als nicht gesichert ansah (1 Ob 107/00t, zuletzt 1 Ob 132/01w; RIS-Justiz RS0113882; Kosesnik-Wehrle/Lehofer/Mayer aaO § 25c Rz 8). Daher wäre es in Ansehung des 3. Kreditvertrags an der klagenden Partei gelegen, zu behaupten, wieso sie ungeachtet dessen die Einbringung ihrer Forderung bei der Tochter der Beklagten als gesichert ansah. Das hat sie nicht getan.

Nach § 25c zweiter Satz KSchG bleibt die Haftung des Interzedenten nur dann bestehen, wenn er seine Verpflichtung auch nach vollständiger Information übernommen hätte. Dies zu beweisen, obliegt dem Gläubiger (Apathy aaO § 25c KSchG Rz 6; Kosesnik-Wehrle aaO § 25c Rz 18). Dem Gläubiger soll die Möglichkeit eröffnet werden, sich auf die fehlende Kausalität seiner Pflichtwidrigkeit (unterlassene oder fehlerhafte Hinweise) zu berufen (vgl P. Bydlinski, Die Sittenwidrigkeit von Haftungsverpflich- tungen, in ZIK 1995, 135 [139]) und zu beweisen. Diesen Beweis hat die klagende Partei nicht angetreten. Daran muss eine Haftung der Beklagten für ihre 2. Interzessionserklärung scheitern.

Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

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