OGH 10Ob59/10i

OGH10Ob59/10i5.10.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj L*****, geboren am 4. Dezember 2008, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Steiermark (Bezirkshauptmannschaft Mürzzuschlag, Jugendwohlfahrt, 8680 Mürzzuschlag, DDr. Schachner-Platz 1), über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Leoben als Rekursgericht vom 22. Juni 2010, GZ 2 R 184/10y-19, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mürzzuschlag vom 4. Mai 2010, GZ 1 PU 234/09v-11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts als Teilbeschluss zu lauten hat:

„Der Antrag des Minderjährigen auf Gewährung eines Unterhaltsvorschusses für die Zeit vom 1. 4. 2010 bis 30. 4. 2010 wird abgewiesen“.

Im Übrigen, also hinsichtlich des Zeitraums ab 1. 5. 2010, werden die Beschlüsse der Vorinstanzen aufgehoben. Dem Erstgericht wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung

Der Minderjährige ist der Sohn von S***** und D*****. Er ist in Obsorge seiner Mutter.

Mit Beschluss vom 23. 3. 2010 verpflichtete das Erstgericht den Vater, für seinen Sohn ab 1. 8. 2009 monatlich 177 EUR Unterhalt zu zahlen, wobei die künftig fällig werdenden Beträge jeweils am Ersten eines jeden Monats im vorhinein zu leisten seien. Dieser Beschluss wurde dem Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Minderjährigen in Unterhaltsangelegenheiten am 29. 3. 2010, dem Vater am 30. 3. 2010 zugestellt. Der Beschluss erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.

Am 30. 4. 2010 beantragte der Jugendwohlfahrtsträger als Vertreter des Minderjährigen beim Erstgericht die Gewährung eines monatlichen Unterhaltsvorschusses in Titelhöhe.

Mit Beschluss vom 4. 5. 2010 gewährte das Erstgericht dem Minderjährigen Unterhaltsvorschüsse gemäß § 3, 4 Z 1 UVG in Titelhöhe vom 1. 4. 2010 bis 31. 3. 2015. Zur Begründung wurde angegeben, der Unterhaltsschuldner habe nach der am 15. 4. 2010 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbetrag nicht zur Gänze geleistet und beim Bezirksgericht Fünfhaus sei eine Forderungsexekution gegen den Unterhaltsschuldner eingebracht worden.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Bundes keine Folge. Vorschüsse seien nach § 8 Satz 1 UVG vom Beginn des Monats, in dem das Kind sie beantrage, zu gewähren. Bevorschusst werden könne daher nur der ab diesem Monat „laufende Unterhalt“; als „laufender Unterhalt“ sei auch der Unterhalt für den Monat anzusehen, in dem der Vorschussantrag gestellt werde.

Im konkreten Fall sei der letzte Tag für die Erhebung eines Rekurses gegen den Beschluss vom 23. 3. 2010, mit der die Unterhaltspflicht des Vaters festgelegt worden sei, der 13. 4. 2010 gewesen. Der Unterhaltstitel sei daher am 14. 4. 2010 rechtskräftig und vollstreckbar geworden. Ab diesem Tag sei festgestanden, dass der Vater für seinen Sohn (rückwirkend ab 1. 8. 2009) einen monatlichen Unterhalt von 177 EUR zu leisten habe. Nach Eintritt der Vollstreckbarkeit, also nach dem 14. 4. 2010, sei der Vater nach dem Antragsvorbringen auch seiner Zahlungspflicht für April 2010 nicht nachgekommen. Da die von § 3 Z 2 UVG geforderte Voraussetzung daher am Tag des Vorschussantrags, dem 30. 4. 2010, bereits vorgelegen sei, bestehe ein Vorschussanspruch ab 1. 4. 2010.

Der Revisionsrekurs sei zulässig, weil auch eine Auslegung des Ausdrucks „laufender Unterhaltsbeitrag“ in § 3 Z 2 UVG im Sinne des Standpunkts des Bundes denkbar sei und höchstgerichtliche Rechtsprechung zu der Frage noch nicht vorliege.

Gegen die Entscheidung des Rekursgerichts richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag auf Abänderung im Sinne einer Antragsabweisung, in eventu einer Gewährung der Unterhaltsvorschüsse erst ab 1. 5. 2010. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.

Der Jugendwohlfahrtsträger beantragt in seiner Revisionsrekursbeantwortung, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben. Der Vater und die Mutter des Minderjährigen haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil die Entscheidung des Rekursgerichts im Widerspruch zu der mittlerweile vorliegenden Rechtsprechung des erkennenden Senats zur Frage der Auslegung des § 3 Z 2 UVG idF FamRÄG 2009 steht. Er ist - zum Teil im Sinne des Aufhebungsbegehrens - auch berechtigt.

In den Rechtsmittelausführungen des Bundes wird im Wesentlichen geltend gemacht, die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Z 2 UVG nF lägen erst dann vor, wenn der Unterhaltsschuldner nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit des Exekutionstitels den fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeitrag nicht leiste und das Kind (spätestens zugleich mit dem Vorschussantrag) einen tauglichen Exekutionsantrag eingebracht habe. Da die Vollstreckbarkeit des Titels am 14. 4. 2010 eingetreten sei, könnten die Anspruchsvoraussetzungen frühestens ab Mai 2010 vorliegen, wenn nämlich der Schuldner den für Mai 2010 fällig werdenden Unterhaltsbeitrag nicht bezahle. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeträge seien unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Zum Zeitpunkt des Vorschussantrags (30. 4. 2010) könne noch nicht festgestanden haben, ob der Vater überhaupt säumig sei oder den für Mai 2010 fällig werdenden Unterhalt ohnehin leisten werde.

Diesen Ausführungen kommt grundsätzlich Berechtigung zu.

Der erkennende Senat hat in der einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung 10 Ob 39/10y vom 17. 8. 2010 Folgendes ausgeführt:

„Bis zum Inkrafttreten der Novellierung des UVG mit dem FamRÄG 2009, BGBl I 2009/75, setzte § 3 UVG neben dem Bestehen eines im Inland vollstreckbaren Unterhaltstitels (Z 1) voraus, dass eine wegen der laufenden Unterhaltsbeiträge geführte Exekution nach § 291c Abs. 1 EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder eine andere in fortlaufenden Bezüge bestehende Forderung hat, eine Exekution nach § 372 EO auch nur einen in den letzten sechs Monaten vor Stellung des Antrags auf Vorschussgewährung fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht voll gedeckt hat“.

Während § 3 Z 1 UVG unverändert blieb, wurde § 3 Z 2 UVG mit dem FamRÄG 2009 novelliert. Die Norm erhielt in ihrem ersten (auf Inlandsverhältnisse bezogenen) Teil folgende Fassung: „Vorschüsse sind zu gewähren, wenn … 2. der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet sowie das Kind glaubhaft macht (§ 11 Abs. 2), einen Exekutionsantrag nach § 294a EO oder, sofern der Unterhaltsschuldner offenbar keine Gehaltsforderung oder keine andere in fortlaufenden Bezügen bestehende Forderung hat, einen Exekutionsantrag auf bewegliche körperliche Sachen unter Berücksichtigung von § 372 EO eingebracht zu haben“.

Nach dem unverändert gebliebenen § 4 Z 1 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn zwar die Voraussetzungen des § 3 Z 1 UVG gegeben sind, aber die Führung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG aussichtslos erscheint, besonders, weil im Inland ein Drittschuldner oder ein Vermögen, dessen Verwertung einen die laufenden Unterhaltsbeiträge deckenden Ertrag erwarten lässt, nicht bekannt ist.

Da § 3 Z 2 UVG auf die nicht vollständige Leistung des laufenden Unterhaltsbeitrags nach Eintritt der Vollstreckbarkeit abstellt, ist es für die Gewährung von Unterhaltsvorschuss unerheblich, ob allenfalls bestehende Unterhaltsrückstände nicht gezahlt werden. Nach der Neufassung des § 3 Z 2 UVG kommt es weiters nicht mehr auf eine erfolglose Exekutionsführung an, sondern es genügt, dass das Kind „taugliche“ Exekutionsmaßnahmen eingeleitet hat (vgl IA 673/A BlgNR 24. GP 36).

§ 4 Z 1 UVG regelt den Titelvorschuss bei Aussichtslosigkeit der Exekution. Es handelt sich um einen Sonderfall zu dem in § 3 UVG geregelten Grundfall (2 Ob 5/07k = SZ 2007/111 mwN). Der Unterschied liegt nur darin, dass im Fall des § 4 Z 1 UVG die Einleitung einer Exekution nach § 3 Z 2 UVG entbehrlich ist, weil bereits aufgrund der objektiven Lage zur Zeit der Beschlussfassung erster Instanz eine Exekutionsführung für jedermann aussichtslos erscheinen muss (vgl 2 Ob 5/07k = SZ 2007/111; RIS-Justiz RS0108900 [T2]). Auch bei einer Unterhaltsvorschussgewährung nach § 4 Z 1 UVG ist - neben dem Vorliegen eines vollstreckbaren Unterhaltstitels - Voraussetzung, dass der Unterhaltsschuldner nach Eintritt der Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze leistet (Neumayr in Schwimann, ABGB3 I § 4 UVG Rz 1). Darunter ist zu verstehen, dass die nach Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeiträge nicht bezahlt werden. Die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge sind insoweit unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich. Damit soll der Charakter der Vorschussleistung als Substitut für fehlende laufende Unterhaltsleistungen zum Ausdruck kommen, während Rückstände einer Bevorschussung nach dem UVG weiterhin nicht zugänglich sind (vgl Neuhauser, Änderungen beim Unterhaltsvorschuss, iFamZ 2009, 275 [276]).

Der im Außerstreitverfahren ergangene Unterhaltsfestsetzungsbeschluss wird - mangels einer Sonderregelung - mit dem Eintritt der formellen Rechtskraft vollstreckbar (§ 43 Abs 1 AußStrG). Formelle Rechtskraft (§ 42 AußStrG) bedeutet Unanfechtbarkeit der Entscheidung in dem Verfahren, in dem sie ergangen ist. Sie tritt ein mit

- Zustellung der Entscheidung, wenn gegen die Entscheidung kein Rechtsmittel (mehr) zulässig ist,

- ungenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist,

- Abgabe eines Rechtsmittelverzichts,

- Zurücknahme eines eingebrachten Rechtsmittels (Fucik/Kloiber, Außerstreitgesetz § 42 Rz 1). Die Rekursfrist beginnt mit der Zustellung der schriftlichen Ausfertigung der Entscheidung (§ 46 Abs 1 AußStrG).

Diese dargelegten Grundsätze hat der erkennende Senat auch in weiteren die Auslegung des § 3 Z 2 UVG nF betreffenden Entscheidungen vom 17. 8. 2010 vertreten (vgl 10 Ob 38/10a, 10 Ob 40/10w, 10 Ob 52/10k ua).

Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze ist im vorliegenden Fall die Vollstreckbarkeit des Unterhaltsfestsetzungsbeschlusses vom 23. 3. 2010 am 14. 4. 2010 eingetreten, weil der Beschluss dem Vater am 30. 3. 2010 zugestellt wurde und die 14-tägige Rechtsmittelfrist ungenützt am 13. 4. 2010 abgelaufen ist.

Maßgeblicher Stichtag für das Vorliegen der Voraussetzungen für die Vorschussgewährung ist im Unterhaltsvorschussverfahren das Datum der Entscheidung erster Instanz (RIS-Justiz RS0076052 [T5]). Im vorliegenden Fall war an diesem Tag (4. 5. 2010) zwar der Unterhaltstitel vollstreckbar. Wie der Revisionsrekurswerber jedoch zutreffend ausführt, ist für die vom Minderjährigen beantragte Vorschussgewährung nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG idF FamRÄG 2009 weiters Voraussetzung, dass der Schuldner den nach dem Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig werdenden laufenden Unterhaltsbeitrag nicht zur Gänze bezahlt. Da, wie bereits dargelegt, die bis zum Eintritt der Vollstreckbarkeit fällig gewordenen Unterhaltsbeiträge unterhaltsvorschussrechtlich unbeachtlich sind, kann der Vorschuss frühestens ab dem Monat, der dem Eintritt der Vollstreckbarkeit folgt, gewährt werden, wenn der Unterhaltsschuldner mit der laufenden Unterhaltsleistung säumig wird. Da die Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels im gegenständlichen Fall erst am 14. 4. 2010 eingetreten ist, kommt eine Unterhaltsvorschussgewährung für den Monat April 2010 nicht in Betracht. Insoweit erweist sich daher das Begehren des Minderjährigen entgegen der Rechtsansicht der Vorinstanzen als nicht berechtigt.

Die Anspruchsvoraussetzungen können nach zutreffender Rechtsansicht des Revisionsrekurswerbers frühestens ab Mai 2010 vorliegen, wenn der Unterhaltsschuldner den am 1. 5. 2010 für Mai 2010 fällig gewordenen Unterhaltsbeitrag nicht vollständig geleistet hat. Es trifft zwar zu, dass zum Zeitpunkt des Vorschussantrags (30. 4. 2010) noch nicht absehbar sein konnte, ob der Unterhaltsschuldner mit der für Mai 2010 fällig werdenden Unterhaltszahlung überhaupt säumig wird. Auch wenn nach § 11 Abs 1 UVG Unterhaltsvorschüsse nur auf Antrag zu gewähren sind, hat das Gericht im Rahmen der allgemeinen Anleitungs- und Belehrungspflicht (§ 14 AußStrG) auch gegenüber einem gesetzlichen Vertreter des Kindes die Verpflichtung, die Verbesserung eines ungenügenden Sachantrags zu veranlassen (vgl 9 Ob 308/97b; 1 Ob 643/94; 9 Ob 506/94 ua). Auch im vorliegenden Fall hätte daher der Jugendwohlfahrtsträger vom Erstgericht angeleitet werden müssen, den für die Beurteilung seines Antrags auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG erforderlichen Sachverhalt vollständig zu behaupten. Da eine solche Anleitung unterblieb, ist eine verlässliche Beurteilung des Anspruchs des Minderjährigen auf Unterhaltsvorschüsse ab 1. 5. 2010 derzeit noch nicht möglich (vgl 10 Ob 40/10w).

Es waren daher in Stattgebung des Revisionsrekurses die Entscheidungen der Vorinstanzen in diesem Umfang aufzuheben. Das Erstgericht wird im fortgesetzten Verfahren den Vertreter des Minderjährigen zur vollständigen Behauptung des für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalts anzuleiten und sodann allenfalls zu klären und festzustellen haben, ob der Unterhaltsschuldner den nach Eintritt der Vollstreckbarkeit des Unterhaltstitels laufenden Unterhaltsbeitrag zur Gänze geleistet hat oder nicht. Auf dieser Grundlage wird das Erstgericht neuerlich über den Vorschussantrag des Minderjährigen für den Zeitraum ab 1. 5. 2010 zu entscheiden haben.

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