OGH 17Ob4/10b

OGH17Ob4/10b31.8.2010

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.‑Prof. Dr. Griss als Vorsitzende sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte KG in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Mag. Dr. Lothar Wiltschek und andere Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Auskunft und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 40.000 EUR), über den außerordentlichen Revisionsrekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 25. März 2010, GZ 3 R 16/10k‑13, womit der Beschluss des Handelsgerichts Wien vom 10. Jänner 2010, GZ 18 Cg 198/09w‑7, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2010:0170OB00004.10B.0831.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.083,12 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 602,52 EUR USt und 2.468 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Die Klägerin erzeugt und vertreibt weltweit Haushaltswaren, unter anderem auch doppelwandige Trinkgläser. Die Doppelwandgläser der Klägerin sind auf dem Boden mit ihrem Firmennamen gekennzeichnet.

Die Beklagte erzeugt und vertreibt ebenfalls doppelwandige Gläser, hauptsächlich für die Gastronomie. Diese sind auf dem Boden mit ihrem Firmenschlagwort gekennzeichnet.

Die Klägerin ist ausschließliche Lizenznehmerin jener Gesellschaft, die Inhaberin der im Folgenden dargestellten Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist, die jeweils doppelwandige Gläser schützen. Die Gesellschaft erteilte der Klägerin die Zustimmung, das Verfahren anhängig zu machen.

 

 

 

 

 

 

Die Idee und die Technik, doppelwandige Gläser herzustellen, ist zumindest seit dem 17. Jahrhundert bekannt. Ebenso bekannt ist die Tatsache, dass doppelwandige Gefäße einen Thermoeffekt haben.

Die Beklagte vertreibt unter anderem folgende Doppelwandgläser:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Das im Folgenden abgebildete Gemeinschaftsgeschmacksmuster Nr 000206545‑0002 wurde am 23. 7. 2004 eingetragen, bei der Anmeldung wurde die Priorität vom 18. 2. 2004 beansprucht (Beil ./EE).

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Nr 000206545‑0002

Zu diesem Prioritätszeitpunkt waren bereits die Gemeinschaftsgeschmacksmuster 136445‑0011 und 105929‑0008 mit den Prioritätszeitpunkten 24. 11. 2003 und 6. 2. 2004 registriert (Beil. /7 und ./8):

Die folgenden Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin Nr 000814439‑0001 und Nr 000814439‑0002 wurden am 24. 10. 2007 eingetragen. Dabei wurde jeweils die Priorität vom 8. 5. 2007 in Anspruch genommen (Beil ./HH und ./II):

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Nr 000814439‑0002

 

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Nr 000814439‑0001

Die Beklagte hält diesen Gemeinschaftsgeschmacksmustern die Gemeinschaftsgeschmacksmuster 690300‑0008 (Priorität 16. 3. 2007 ‑ Beil ./14), Gemeinschaftsgeschmacksmuster 136445‑0007 (Beil ./12) und ein Patent aus dem Jahr 1987 (Beil ./13) folgenden Aussehens entgegen:

 

Das im Folgenden abgebildete Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin 00232749‑0001 wurde am 28. 9. 2004 eingetragen und beansprucht die Priorität vom 15. 4. 2004 (Beil ./JJ).

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Nr 232749‑0001

 

 

Die Beklagte hält dem folgende Antiquitäten (Beil ./19 und ./20) sowie das prioritätsältere Gemeinschaftsgeschmacksmuster 136445‑0007 (Beil ./12) entgegen:

 

 

Das folgende Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin Nr 000627195‑0004 wurde am 14. 11. 2006 eingetragen und hat die Priorität von diesem Tag (Beil ./LL).

 

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Nr 000627195‑0004

Diesem Gemeinschaftsgeschmacksmuster hält die Beklagte ein altes französisches Weinprobenglas und einen nach ihrer Behauptung seit Jahrzehnten erhältlichen Plastikbecher folgenden Aussehens (Beil. /10 und ./11), sowie weiters das bereits oben dargestellte Gemeinschaftsgeschmacksmuster 136445‑0007 mit Priorität vom 6. 2. 2004 und das Patent aus dem Jahr 1987 entgegen.

Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin Nr 000491303‑0003 wurde am 7. 3. 2006 eingetragen und beansprucht die Priorität 14. 9. 2005 (Beil ./HH).

Gemeinschaftsgeschmacksmuster

Nr 000491303‑0003

Die Beklagte hält dem entgegen, die prägenden Merkmale dieses Gemeinschaftsgeschmacksmusters seien am Prioritätsstichtag bereits durch die Form des folgenden Glases sowie das Patent aus dem Jahr 1987 bekannt gewesen (Beil ./24, Beil ./13):

 

Zur Sicherung ihres inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs begehrt die Klägerin‑ soweit in dritter Instanz relevant ‑ der Beklagten weitere Eingriffe in ihre Gemeinschaftsgeschmacksmuster im geschäftlichen Verkehr mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, und zwar doppelwandige Gläser mit dem im Einzelnen dargestellten Design in der Europäischen Gemeinschaft anzubieten und/oder in Verkehr zu bringen und/oder zu bewerben und/oder herzustellen und/oder herstellen zu lassen, die keinen anderen Gesamteindruck erwecken, als die zu Gunsten ihrer Lizenzgeberin eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Die von ihr vertriebenen doppelwandigen Gläser vermittelten gegenüber herkömmlichen Trinkgläsern einen besonderen ästhetischen Eindruck und zeichneten sich durch ihr ansprechendes Design aus. Die Gestaltung und Ausformung dieser Gläser sei durch die einzelnen Gemeinschaftsgeschmacksmuster geschützt. Diese schützten jeweils doppelwandige Trinkgläser, die sich durch eine spezifisch gerade oder bauchförmige Ausformung eines Außenglases in Kombination mit der konkreten Ausgestaltung eines Innenglases auszeichneten. Dabei sei das Zusammenspiel zwischen Außen‑ und Innenglas von besonderer Bedeutung. Der Boden des Innenglases berühre bei allen Gemeinschaftsgeschmacksmustern das Außenglas nicht, das Innenglas schwebe daher über dem Außenglas. Diese prägenden Erscheinungsmerkmale seien nicht ausschließlich technisch bedingt. Die doppelwandige Ausführung habe zwar auch einen thermisch isolierenden Effekt, geschützt sei jedoch nicht dieser Effekt, der auch mit anderen Mitteln als mit doppelwandigen Gläsern erzielt werden könne, sondern die konkrete Ausgestaltung der Außen‑ und Innengläser. Sämtlichen Geschmacksmustern komme Neuheit und Eigenart zu; mit den klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmustern vergleichbare doppelwandige Gläser seien am Markt nicht vorhanden. Die Klägerin habe in der Branche wichtige Auszeichnungen erhalten, was die Eigenart ihrer Gemeinschaftsgeschmacksmuster unterstreiche.

Die Beklagte wendet ein, den klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmustern fehle die Eigenart, sie seien daher nichtig. Jedenfalls gewährten sie keinen sehr weitgehenden Schutz. Der Gestaltungsspielraum bei Doppelwandgläsern sei durch Gattungsmerkmale und durch technische Vorgaben beschränkt, weil mit diesen Gläsern sowohl ein optischer als auch ein thermischer Effekt erzielt werden solle. Die von der Klägerin für sich reklamierte Doppelwandtechnik sei bereits seit Hunderten von Jahren bekannt. Der zwischen Innen‑ und Außenglas einzuhaltende Abstand sei technisch bedingt. Ein Vergleich des Gesamteindrucks der Eingriffsgegenstände mit dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster ergebe aus der Sicht des informierten Benutzers erhebliche Unterschiede.

Das Erstgericht untersagte der Beklagten das Anbieten, Inverkehrbringen, Bewerben und die Herstellung des doppelwandigen Glases mit folgendem Design:

das keinen anderen Gesamteindruck erwecke als das folgende Gemeinschaftsgeschmacksmuster.

Das die weiteren von der Beklagten vertriebenen Gläser erfassende Unterlassungsbegehren wies es hingegen ab.

Nur das abgebildete Teeglas greife in das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin ein. Der Vertrieb der weiteren Gläser der Beklagten greife nicht in Rechte der Klägerin ein. Bei doppelwandigen Trinkgläsern sei ‑ schon im Hinblick auf den zu erzielenden Thermoeffekt ‑ der Gestaltungsspielraum eingeschränkter als bei einwandigen Trinkgläsern. Schon ein geringes Abweichen eines Gestaltungsmerkmals sei daher relevant. Ein Eingriff in weitere Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin sei wegen deutlicher Unterschiede in den Gestaltungsmerkmalen der Gläser der Beklagten zu verneinen.

Das Rekursgericht änderte den erstgerichtlichen Beschluss über Rekurs der Klägerin dahin ab, dass es dem Sicherungsbegehren zur Gänze stattgab (ein in dritter Instanz nicht relevantes, auf einen Lauterkeitsverstoß gestütztes Begehren verwies es zur Verfahrensergänzung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück). Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels erheblicher Rechtsfrage nach § 528 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei.

Vergleiche man den Gesamteindruck der klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit den Entgegenhaltungen der Beklagten, dann ähnelten sich zwar einzelne Merkmale, jedoch liege immer ein anderer Gesamteindruck vor. Die Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin seien daher eigenartig und somit rechtsbeständig. Der Gestaltungsspielraum bei doppelwandigen Trinkgläsern sei weit. Dies indiziere auch einen weiten Schutzumfang des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters. Hiefür sei dessen Wiedergabe bei Registrierung maßgebend, und zwar exakt in der Form wie eingetragen, ohne weitere Merkmale und ohne Berücksichtigung der Beschreibung. Die eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster seien nicht in Farbe, sondern bloß in Schwarz‑Weiß wiedergegeben. Farben spielten bei der Prüfung der Eigenart und des Schutzumfangs aber nur dann eine Rolle, wenn auch die Wiedergabe des eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters farbig erfolgt sei. Erscheinungsmerkmale, die in der Wiedergabe nicht zweifelsfrei erkennbar seien, dürften zur Beurteilung nicht herangezogen werden. Bei einer Wiedergabe in Schwarz‑Weíß werde der Schutzgegenstand und damit auch der Schutzumfang des Gemeinschaftsgeschmacksmusters unter Abstrahierung von Farben definiert. Jede Wiedergabe, die nicht in Farbabbildungen von allen sechs Seiten bestehe, sei verallgemeinernder Natur. Die Darstellung der klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Schwarz‑Weiß mit unterschiedlichen Helligkeitsstufen diene offenkundig der Veranschaulichung der „Doppelwandtechnik“, nicht aber der Erzielung besonderer optischer Effekte. Auf diese habe sich die Klägerin auch gar nicht berufen. Daraus folge, dass das Espressoglas der Beklagten C‑060‑080 einen mit dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin 000206545‑0002 übereinstimmenden Gesamteindruck aufweise. Wie das Geschmacksmuster zeichne sich auch das Erzeugnis der Beklagten durch eine bauchförmige Ausbuchtung der Außenwand und durch ein das Außenglas nicht berührendes U‑förmiges Innenglas aus. Der einzige nennenswerte, den übereinstimmenden Gesamteindruck aber nicht beeinflussende Unterschied bestehe in dem beim Glas der Beklagten gegenüber dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin abgeflachten Boden des Innenglases.

Die Gläser der Beklagten C‑001‑290‑C, T‑001‑340 und T‑003‑340 (richtig: C-004-340) erweckten keinen anderen Gesamteindruck als die Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin 000814439‑0001 und 000814439‑0002. Bei allen drei Erzeugnissen sei das Außenglas ebenso wie bei dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster trichterförmig gestaltet und das Innenglas ebenso trichterförmig in das Außenglas eingebettet. Bei den Gläsern der Beklagten C‑004‑290‑C, C‑004‑290‑L und C‑005‑150 ergebe sich ein mit dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin 000627195‑0004 übereinstimmender Gesamteindruck. Der Gesamteindruck der Gläser C‑002‑150, C‑003‑080 und C‑017‑200 der Beklagten unterscheide sich schließlich nicht von jenem des Gemeinschaftsgeschmacksmusters 000232749‑0001 der Klägerin. Die auf dem Boden der Gläser angebrachte Kennzeichnung mit dem Firmennamen beeinflusse den Gesamteindruck nicht entscheidend.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Beklagten, mit dem sie die Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses anstrebt, ist zulässig und berechtigt.

1. Zunächst macht die Beklagte eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens ‑ in Wahrheit des erstinstanzlichen Verfahrens ‑ geltend. Die Vorinstanzen hätten die Feststellungen zur Aktivlegitimation unzulässigerweise ausschließlich auf die eidesstättige Erklärung des Vorstands der Klägerin gestützt. Diesen Mangel hätte sie als in erster Instanz Obsiegende in der Rekursbeantwortung nicht rügen müssen und dürfe ihn daher (ausnahmsweise) nunmehr in dritter Instanz geltend machen.

Der Beklagten ist zwar zuzugestehen, dass eine im erstinstanzlichen Verfahren siegreiche Partei gemäß § 468 Abs 2 ZPO grundsätzlich nicht verpflichtet ist, Mängel des erstinstanzlichen Verfahrens in der Rekursbeantwortung zu rügen (RIS‑Justiz RS0042740); richtig ist auch, dass nach der Rechtsprechung eine eidesstättige Erklärung der gefährdeten Partei, mit der sie ihre Behauptungen bestätigt oder wiederholt, kein geeignetes Bescheinigungsmittel ist (zuletzt 4 Ob 40/04t; RIS‑Justiz RS0005298). Im vorliegenden Fall spricht aber Folgendes gegen den Standpunkt der Beklagten:

Das Erstgericht hat den Sicherungsantrag nicht zur Gänze abgewiesen, sondern die einstweilige Verfügung in Ansehung des Teeglases T-006-450 erlassen. Die Beklagte hat die einstweilige Verfügung nicht bekämpft.

Eine in erster Instanz teilweise unterliegende Partei kann in Bezug auf die Verpflichtung zur Rüge von Mängeln in der Rechtsmittelbeantwortung nicht einer in erster Instanz gänzlich obsiegenden Partei gleichgehalten werden. Wer zur Gänze obsiegt, wird nur daran interessiert sein, die Richtigkeit der angefochtenen Entscheidung zu bekräftigen. Wer hingegen teilweise unterliegt, dem ist auch zuzumuten, die Entscheidungsgründe im Detail nachzuvollziehen und allfällige Mängel in der Rechtsmittelbeantwortung zu rügen.

Wesentliche Voraussetzung des mit der einstweiligen Verfügung gesicherten Unterlassungsanspruchs war die Bejahung der Aktivlegitimation der Klägerin. Damit musste sich die Beklagte auseinandersetzen, um entscheiden zu können, ob sie die einstweilige Verfügung bekämpfen solle. Sie hätte ihre Einwendungen gegen die Aktivlegitimation daher bereits in der Rekursbeantwortung vorbringen müssen.

2. Die Klägerin stützt ihr in dritter Instanz zu prüfendes Sicherungsbegehren auf eine Verletzung ihrer Gemeinschaftsgeschmacksmuster. Gegenstand dieser Schutzrechte ist nicht ein Erzeugnis, sondern die Erscheinungsform eines Erzeugnisses oder eines Teils davon, die sich insbesondere aus den Merkmalen der Linien, Konturen, Farben, der Gestalt, Oberflächenstruktur und/oder der Werkstoffe des Erzeugnisses selbst und/oder seiner Verzierung ergibt (Art 3 lit a der VO [EG] Nr 6/2002 des Rates vom 12. 12. 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster [GGV]). Geschützt sind demnach weder das Original noch die entsprechend hergestellten Erzeugnisse an sich, sondern die sich am Erzeugnis zeigende Gestaltung (17 Ob 16/08i mwN; RIS‑Justiz RS0121789). Sie genießt dann Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster, wenn sie neu und eigenartig ist (Art 4 Abs 1 GGV).

Ein Geschmacksmuster hat Eigenart, wenn sich der Gesamteindruck, den es beim informierten Benutzer hervorruft, von jenem unterscheidet, den ein anderes, vorbekanntes Geschmacksmuster bei diesem Benutzer hervorruft (Art 6 Abs 1 GGV). Bei der Beurteilung der Eigenart von Geschmacksmustern kommt es nicht auf eine vollständige Übereinstimmung der Merkmale des Gemeinschaftsgeschmacksmusters und jener vorbekannter Geschmacksmuster an. Entscheidend sind nicht die Merkmale im Einzelnen, sondern der jeweilige Gesamteindruck der einander gegenüberzustellenden und auf ihre Unterschiede zu prüfenden Geschmacksmuster. Der Gesamteindruck kann durch prägende Merkmale bestimmt sein. Zur Ermittlung des Gesamteindrucks sind daher die einzelnen Merkmale des Geschmacksmusters nach ihrem Beitrag zum Gesamteindruck zu bewerten und zu gewichten; der so gewonnene Gesamteindruck ist mit jenem eines vorbekannten Geschmacksmusters zu vergleichen. Ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist jedenfalls dann eigenartig, wenn keines der vorbekannten Geschmacksmuster alle prägenden Merkmale aufweist oder wenn ein vorbekanntes Geschmacksmuster zwar prägende Merkmale zeigt, das Gemeinschaftsgeschmacksmuster diese Merkmale aber nicht besitzt. Tragen alle Merkmale im gleichen Maß zum Gesamteindruck bei, ist die Eigenart zu bejahen, wenn sich das Gemeinschaftsgeschmacksmuster und das vorbekannte Geschmacksmuster in mindestens einem Merkmal voneinander unterscheiden (17 Ob 16/08i mwN).

Diese Grundsätze hat das Rekursgericht seiner Beurteilung der von der Beklagten bestrittenen Eigenart der klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster zugrundegelegt. Der Oberste Gerichtshof schließt sich dem Ergebnis dieser Beurteilung an, wonach zwar einzelne Merkmale der vorbekannten Geschmacksmuster sich in den klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmustern wiederfinden, jedoch stets ein anderer Gesamteindruck vorliegt. Entgegen der Argumentation der Beklagten hat das Rekursgericht diese Beurteilung nicht bloß auf die „bauchige“ und „trichterförmige“ Form gestützt, sondern auf den Gesamteindruck, der sich aus den bildlich festgestellten klägerischen Geschmacksmustern einerseits und den von der Beklagten ins Treffen geführten Vorhaltungen andererseits ergibt. Die Entscheidung des Rekursgerichts stützt sich nicht auf die (rudimentäre) verbale Beschreibung, sondern auf die optische Wiedergabe. Einer näheren Befassung mit der von der Beklagten bestrittenen Eigenart der klägerischen Geschmacksmuster bedarf es im Übrigen nicht, weil ‑ wie noch weiter dargelegt wird ‑ ein Eingriff in die klägerischen Geschmacksmuster durch die von der Beklagten vertriebenen Doppelwandgläser ohnehin zu verneinen ist.

Der Umfang des Schutzes aus dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster erstreckt sich auf jedes Geschmacksmuster, das beim informierten Benutzer keinen anderen Gesamteindruck erweckt (Art 10 Abs 1 GGV). Diese Definition folgt im Wortlaut spiegelbildlich der Definition der Eigenart. Die Frage der Schutzfähigkeit und die Verletzungsfrage sind somit nach denselben Prüfungskriterien zu beurteilen. Die Verwendung der gleichen Terminologie für Schutzumfang und Eigenart führt zu gleichen Beurteilungsmaßstäben: Ein hohes Maß an Eigenart gibt Raum für einen großen Schutzumfang; umgekehrt führt geringe Eigenart auch zu einem kleinen Schutzumfang. Ist der informierte Benutzer des geschützten Gemeinschaftsgeschmacksmusters bereit, trotz geringer Unterschiede zwischen vorbekannten Formen und Gemeinschaftsgeschmacksmustern die Eigenart zu bejahen, muss er gleichermaßen im Verletzungsstreit bei derartigen Unterschieden zwischen dem Gemeinschaftsgeschmacksmuster und der angegriffenen Ausführungsform die Verletzung verneinen (17 Ob 32/09v mwN; RIS‑Justiz RS0122070). Es kommt nicht auf einen mosaikartig aufgespaltenen Vergleich von Einzelheiten an; maßgeblich ist vielmehr die Würdigung des Gesamteindrucks unter dem Blickwinkel, ob sich bei einer Gegenüberstellung zweier Formgebungen insgesamt der Eindruck einer Übereinstimmung ergibt (RIS‑Justiz RS0120720). Ob ein informierter Benutzer bei einem Vergleich der geschützten Gemeinschaftsgeschmacksmuster mit den behaupteten Eingriffsgegenständen einen unterschiedlichen Gesamteindruck gewinnt, ist nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (17 Ob 32/09v).

Auch die Farbe kann eines der Merkmale eines Gemeinschaftsgeschmacksmusters sein, das den Gesamteindruck prägt. Ob das der Fall ist, entscheidet der Anmelder bei der Anmeldung. Reicht er die Wiedergabe in Farbe ein, bildet die Farbe einen Teil der Erscheinungsform des Erzeugnisses (Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster2 Art 3 Rz 132 ff mwN). Das Merkmal der Farbe kann jedoch nur dann herangezogen werden, wenn die Wiedergabe als farbige Wiedergabe erkennbar ist. Erscheinungsmerkmale, die in der Wiedergabe nicht zweifelsfrei erkennbar sind, können zur Abgrenzung nicht herangezogen werden (Ruhl aaO Art 10 Rz 13 mwN). Erfolgt die Wiedergabe ‑ wie hier ‑ in Schwarz‑Weiß, so kommt es auf die Farbgestaltung nicht an. Denn aufgrund der Schwarz‑Weiß‑Darstellung des Musters in der Anmeldung ist eine besondere Farbgestaltung gerade nicht Gegenstand des Gemeinschaftsgeschmacksschutzes (Auler in Büscher/Dittmer/Schiwy, Gewerblicher Rechtsschutz Urheberrecht Medienrecht 2177 mwN).

Infolge verallgemeinernder Darstellung der klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster in Schwarz‑Weiß scheidet die Farbe als Gestaltungsmerkmal aus. Ungeachtet der Schwarz‑Weiß‑Darstellung bzw Abbildung in verschiedenen Graustufen lassen zwei der klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster (000491303‑0003 und 000206545‑0002) eindeutig einen klaren und durchsichtigen Werkstoff erkennen, während bei den anderen vier Gemeinschaftsgeschmacksmustern (000627195-0004, 000814439-0002, 000814439-0001 und 232749-0001) eindeutig ein bloß durchscheinender Werkstoff erkennbar ist. Diese Werkstoffart bildet zweifellos ein prägendes Gestaltungsmerkmal. Aufgrund der verallgemeinernden Darstellung in Schwarz‑Weiß bzw in Graustufen umfassen die vier zuletzt genannten Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin zwar alle Werkstoff‑ und Farbgestaltungen, welche einen gleichartigen Durchscheineffekt bewirken, nicht aber auch klare und durchsichtige Werkstoffe. Die im Zusammenhang mit diesen Gemeinschaftsgeschmacksmustern angegriffenen Gläser der Beklagten sind klar und durchsichtig. Auch wenn sie daher in Form und Gestaltung den Geschmacksmustern der Klägerin ähnlich sein mögen, so erwecken sie doch einen anderen Gesamteindruck, den dieser wird entscheidend davon geprägt, ob das Doppelwandglas durchsichtig oder bloß durchscheinend ist. Das schließt eine Verletzung der Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000627195-0004, 000814430-0002, 000814439-0001 und 232749-0001 aus.

Abgesehen von jenem Teeglas der Beklagten, das das Erstgericht (rechtskräftig) als Eingriff in das klägerische Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000491303‑0003 beurteilte, bedarf es daher nur noch einer Prüfung des behaupteten Eingriffs in das klägerische Gemeinschaftsgeschmacksmuster 000206545‑0002, welchen die Klägerin in Ansehung des Espressoglases C‑006‑080 der Beklagten behauptet. Dieses Glas stimmt insoweit mit dem klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster überein, als ein klarer und durchsichtiger Werkstoff Verwendung findet. Die Beklagte weist allerdings zu Recht darauf hin, dass erhebliche Gestaltungsunterschiede bestehen. Dies betrifft sowohl die Form des Außen‑ als auch die Form des Innenglases. Das Gemeinschaftsgeschmacksmuster der Klägerin weist eine bauchige Krümmung des Außenglases auf, das Glas wird von oben nach unten zunächst noch breiter, um sich dann erst im unteren Drittel deutlich zu verjüngen. Der behauptete Eingriffsgegenstand weist hingegen ‑ abgesehen von einer Abrundung der oberen Kante ‑ zunächst eine senkrechte Außenform auf, also keine bauchige Gestaltung. Das Innenglas des Gemeinschaftsgeschmacksmusters, das infolge der klaren und durchsichtigen Materialwahl deutlich erkennbar ist und dessen Gestaltung daher ein prägendes Merkmal bildet, weist einen durchgehend gerundeten Boden auf, der einen deutlichen Gegensatz zum flachen Boden des Außenglases bildet. Der behauptete Eingriffsgegenstand weist hingegen eine flache Gestaltung des Innenglases in Übereinstimmung mit dem flachen Boden des Außenglases auf, sodass deutlich die Parallelführung des Innen‑ und des Außenbodens zu erkennen ist. Durch diese Unterschiede entsteht ein anderer Gesamteindruck. Ein Eingriff in das klägerische Gemeinschaftsgeschmacksmuster ist daher zu verneinen.

In Ansehung des auf Eingriffe in die klägerischen Gemeinschaftsgeschmacksmuster gestützten Unterlassungsbegehrens ist daher die erstgerichtliche Entscheidung wiederherzsutellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 393 Abs 1 EO iVm §§ 41 und 50 ZPO.

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