OGH 1Ob79/10i

OGH1Ob79/10i6.7.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann, Dr. E. Solé und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei L***** KG, *****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei Ing. Franz L*****, vertreten durch Dr. Anton Keuschnigg, Rechtsanwalt in Kitzbühel, wegen Duldung und Abgabe einer Willenserklärung (Streitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 8. März 2010, GZ 2 R 34/10g-15, mit dem das Urteil des Landesgerichts Innsbruck vom 30. November 2009, GZ 41 Cg 141/09t-11, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen die mit 6.464,08 EUR (darin enthalten 871,68 EUR USt und 1.234 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin eines Grundstücks, das an die im Eigentum des Beklagten stehende Liegenschaft anschließt. Auf der Liegenschaft der Klägerin befindet sich ein Gebäude, das als Fremdenpension benutzt wird, dem aber der Anschluss an das öffentliche Wassernetz fehlt. Der Beklagte plant auf seinem Grundstück die Errichtung zweier Häuser. Gegen das Bauansuchen des Beklagten erhob die Klägerin wegen einer Sichtbehinderung Einspruch.

Am 4. 7./11. 7. 2007 schlossen die Streitteile eine von der Klägerin verfasste Vereinbarung mit dem Ziel, einerseits dem Beklagten gegebenenfalls die Errichtung zweier neuer Häuser zu ermöglichen und andererseits die Aussicht vom Gebäude der Klägerin großteils zu erhalten, was durch eine „Verschiebung“ beider Häuser nach Süden erreicht werden sollte. Die Klägerin verpflichtete sich in Punkt 6 der Vereinbarung, die im Bauverfahren erhobenen Einwendungen zurückzuziehen, sofern der Beklagte das Bauansuchen vorerst so abändern würde, dass das Haus 2 um zumindest 5 m nach Süden versetzt werde. Darüber hinaus sollte der Beklagte hinsichtlich des anderen Hauses - nach Erteilung der Baubewilligung - das Bauansuchen so abändern, dass dieses Haus gegenüber der ursprünglich beantragten Lage um 1 m nach Süden verschoben würde.

In Punkt 7 des Vertrags räumte der Beklagte der Klägerin zu Gunsten deren Grundstücks die Dienstbarkeit der Wasserleitung ein, deren Zweck der Anschluss des Gebäudes der Klägerin an das öffentliche Wasserversorgungsnetz der Gemeinde war. Der Beklagte verpflichtete sich in diesem Zusammenhang, spätestens bei Beginn der Bauarbeiten hinsichtlich der auf seiner Liegenschaft zu errichtenden Häuser auf seine Kosten eine für die Verlegung der Wasserversorgungsleitung geeignete Künette herzustellen und diese ebenfalls auf seine Kosten wieder einzuebnen, nachdem die Klägerin auf ihre Kosten die Leitungen verlegt hätte.

Punkt 10 der Vereinbarung lautet auszugsweise:

„Diese Vereinbarung tritt außer Kraft, wenn das nach Maßgabe des Punktes 6 Abs 1 geänderte Bauansuchen ... infolge der vereinbarungsgegenständlichen Änderungen rechtskräftig abgewiesen werden sollte.“

Zu dieser Vereinbarung war es nach Gesprächen zwischen dem Geschäftsführer der Klägerin und dem Beklagten sowie nach einem E-Mail-Wechsel gekommen. Die Klägerin akzeptierte dabei Änderungswünsche des Beklagten, wies jedoch in einer Mail darauf hin, dass die vom Beklagten gewünschten Bestimmungen als auflösende Bedingung formuliert worden seien. Aufgrund dieser Vereinbarung wurde die Dienstbarkeit im Grundbuch einverleibt. Die Vereinbarung über das Ausheben und die Einebnung der Künette durch den Beklagten wurde deshalb getroffen, weil dieser als Bauunternehmer die Arbeiten auf seinem Grund selbst durchführen wollte. Die im Vertrag festgelegte Leitungsführung über das Grundstück des Beklagten erfolgte, um auch die vom Beklagten geplanten Häuser mit Wasser zu versorgen. An sich hätte die Klägerin die Wasserleitung auch entlang des öffentlichen Wegs südlich der beiden Grundstücke führen können. Überraschend für die Beteiligten lehnte die zuständige Stadtgemeinde mit Bescheid vom 16. 10. 2007 das geänderte Bauansuchen ab. Dieser Bescheid wurde in der Folge aufgehoben, die Bausache wurde zur neuerlichen Entscheidung an die Behörde erster Instanz verwiesen, eine weitere Entscheidung wurde bis jetzt noch nicht getroffen.

Strittig war zunächst, ob die Verpflichtungen des Beklagten im Zusammenhang mit der Errichtung der Wasserleitung von einer - wie die Klägerin meint - auflösenden oder - dem Standpunkt des Beklagten entsprechend - einer aufschiebenden Bedingung, nämlich der rechtskräftigen Baubewilligung - abhängig ist.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und verpflichtete den Beklagten, die Errichtung der Wasserleitung durch die Klägerin bzw durch die von dieser dazu beauftragten und hiezu befugten Unternehmen zu dulden und gegenüber den Stadtwerken der Gemeinde seine Zustimmung zur Errichtung dieser Wasserleitung entsprechend dem im Vertrag festgelegten Verlauf zu erteilen. Es wertete den Punkt 10 der Vereinbarung als eine eindeutig und unmissverständlich festgelegte auflösende Bedingung und verwies zusätzlich darauf, dass die Klägerin nach ihrem Begehren gar nicht die Herstellung einer für die Versorgungsleitung geeigneten Künette verlange.

Das Berufungsgericht folgte dem Standpunkt des Beklagten, dessen Duldungspflicht sei von einer aufschiebenden Bedingung der rechtskräftigen Erteilung der Baubewilligung abhängig gemacht worden, und wies daher das Klagebegehren ab. Unzweifelhaft hätten die Parteien beabsichtigt, die Duldungsverpflichtung des Beklagten mit der rechtskräftigen Erteilung der Baubewilligung für die Errichtung seiner beiden Häuser zu verknüpfen. Punkt 10 der Vereinbarung widerspreche der aus Punkt 7 ersichtlichen zeitlichen Verknüpfung des Beginns der Bauarbeiten mit jenem der Grabungsarbeiten. Redlichen Vertragspartnern könne in dieser Situation nicht die Absicht unterstellt werden, die Duldungsverpflichtung des Beklagten unter eine auflösende Bedingung zu stellen, wie dies Punkt 10 der Vereinbarung vorsehe. Im Falle einer rechtskräftigen Abweisung des Bauansuchens würde die Servitutsvereinbarung außer Kraft treten, was den Beklagten zur Entfernung der kurz zuvor unter anderem auch auf seine Kosten verlegten Wasserleitung berechtigen würde. Der Beklagte würde auf jeden Fall auf den nunmehr zwecklos gewordenen Kosten der Grabungsarbeiten „sitzen bleiben“. Gleiches würde auch für die Klägerin gelten, welche die Wasserleitung auf eigene Kosten wieder entfernen lassen müsste. Die Möglichkeit des Eintritts derartiger unwirtschaftlicher Konsequenzen sei mit einer redlichen Parteienabsicht nicht vereinbar. Dass die tatsächliche, der Klägerin erkennbare Absicht des Beklagten auf die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung gerichtet gewesen sei, ergebe sich aus der Feststellung des Erstgerichts zum Hinweis der Klägerin in ihrer Mail vom 29. 6. 2007, wonach die vom Beklagten gewünschte Bedingung als auflösende Bedingung formuliert worden sei. E contrario sei aus dieser Feststellung der Schluss zu ziehen, dass die Absicht des Beklagten auf die Vereinbarung seiner Duldungsverpflichtung unter einer aufschiebenden Bedingung gerichtet gewesen sei.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

Aufgrund der eingetragenen Dienstbarkeit muss der Beklagte als Eigentümer des dienenden Grundstücks die Arbeiten zur Herstellung der Wasserleitung, welche die Ausübung der Servitut erst ermöglichen, iSd § 497 ABGB dulden (1 Ob 2419/96h; 1 Ob 5/82 = RIS-Justiz RS0011812; vgl RS0011764). Obwohl der Servitutsverpflichtete grundsätzlich nur zur Duldung, nicht aber zu einem positiven Tun verpflichtet ist (Koch in KBB² § 472 ABGB Rz 1 mwN), ist der Beklagte klarerweise auch verpflichtet, der Errichtung der Wasserleitung zuzustimmen, wenn dies zwingende Voraussetzung für die Herstellung ist (vgl Koch aaO § 482 ABGB Rz 1). Dass diese - im Klagebegehren ausschließlich verlangte - Duldung bzw Handlung des Beklagten ihrem Inhalt nach schon durch die rechtskräftig einverleibte Servitut gedeckt wird, ist damit klar. Das Grundbuchsgericht hat hier offensichtlich den strittigen Punkt 10 als auflösende Bedingung interpretiert. Eine Einverleibung der Servitut unter einer aufschiebenden Bedingung wäre nämlich nicht zulässig (Weigand in Kodek Grundbuchsrecht § 31 GBG Rz 24 f). Bei seiner Prüfung iSd § 94 Abs 1 Z 3 GBG (Deckung des Begehrens durch die Urkunde) hat aber das Grundbuchsgericht keine komplizierten tatsächlichen oder rechtlichen Erwägungen zur Ermittlung des wahren Parteiwillens anzustellen, eine vom Text abweichende, ergänzende Vertragsauslegung ist im Grundbuchsverfahren ausgeschlossen (Kodek in Kodek aaO, § 94 GBG Rz 89). Damit wäre ungeachtet der eingetragenen Servitut zu prüfen, ob im - für dieses Verfahren maßgeblichen - Innenverhältnis zwischen den Parteien des Servitutsbestellungsvertrags vereinbart wurde, dass die Duldungspflicht des Servitusverpflichteten erst mit der rechtskräftigen Baubewilligung entsteht.

Die Frage der Auslegung eines Vertrags im Einzelfall stellt dann eine erhebliche Rechtsfrage dar, wenn infolge einer wesentlichen Verkennung der Rechtslage ein unvertretbares Auslegungsergebnis erzielt wurde (RIS-Justiz RS0042936). Das ist hier der Fall.

Maßgebliche Auslegungskriterien des § 914 ABGB sind der Wortsinn in seiner gewöhnlichen Bedeutung und die Absicht der Parteien im Sinn des objektiven Erklärungswerts - einfache Vertragsauslegung (RIS-Justiz RS0017915; RS0017797). Erst wenn feststeht, dass der schriftliche Vertragsinhalt die Absicht der Parteien nicht richtig wiedergibt, ist der - vom schriftlichen Vertragsinhalt abweichende - Parteiwille zu erforschen und der Vertrag zu ergänzen (RIS-Justiz RS0017791). Entspricht der Wortsinn dem Zweck der Vereinbarung, muss die Partei, die einen abweichenden Parteiwillen oder eine andere Verkehrssitte behauptet, diese Behauptung beweisen (RIS-Justiz RS0017915 [T7]).

Punkt 10 der Vereinbarung formuliert nach seinem Wortlaut eindeutig eine auflösende Bedingung: Der Vertrag tritt außer Kraft, wenn das geänderte Bauansuchen rechtskräftig abgewiesen wird. Dass die Vereinbarung einer aufschiebenden Bedingung im Widerspruch zu diesem Vertragspunkt steht, gibt nunmehr sogar der Beklagte in seiner Revisionsbeantwortung ausdrücklich zu. Allerdings hält er seinen Standpunkt, die Parteien hätten den Zeitpunkt des Beginns der Duldungsverpflichtung gesondert geregelt, aufrecht. Dafür bieten weder der (übrige) Vertragstext noch der festgestellte Sachverhalt eine ausreichende Grundlage:

Der vom Berufungsgericht angenommene Widerspruch zwischen Punkt 7 und Punkt 10 ist keinesfalls zwingend. Der erstgenannte Punkt verpflichtet den Beklagten, die für die Wasserleitung erforderliche Künette spätestens bei Beginn der Bauarbeiten der Häuser auf seinem Grundstück herzustellen, was einen früheren Grabungsbeginn nicht ausschließt. Die Argumente des Berufungsgerichts vernachlässigen eben den festgestellten Sachverhalt, insbesondere soweit es das Motiv für die Errichtung der Wasserleitung betrifft: Diese war auch im Interesse des Beklagten, weil damit die Versorgung der von ihm geplanten Häuser mit Wasser sichergestellt werden konnte. Die Vereinbarung stellt sich als klassischer Fall eines Interessenausgleichs dar: Der Klägerin wird die Errichtung der Wasserleitung ermöglicht, der Beklagte soll ebenfalls davon profitieren. Die geänderte Bauführung sollte eine für die Klägerin nachteilige Sichtbeeinträchtigung verhindern oder verringern, dafür sollte dem Beklagten durch die Zurückziehung der Einwendungen die Durchführung des Bauvorhabens erleichtert werden. Die Klägerin hat in ihrer E-Mail ausdrücklich auf die Formulierung der vom Beklagten gewünschten Bestimmungen als auflösende Bedingung verwiesen, was vom Beklagten ja insoweit akzeptiert wurde, als er diese grundbuchstaugliche Urkunde letztlich unterschrieb. Dass beide Parteien entgegen dieser Formulierung übereinstimmend die Duldungsverpflichtung erst mit der rechtskräftigen Baubewilligung beginnen lassen wollten, ist angesichts des festgestellten Sachverhalts zu verneinen. Nicht einmal der Beklagte hatte ja mit der Abweisung des Bauansuchens gerechnet, weshalb auch keine Notwendigkeit ersichtlich ist, den Beginn der Duldungsverpflichtung mit der Baubewilligung zu verknüpfen.

Das klagsstattgebende Urteil des Erstgerichts ist aus diesen Erwägungen wiederherzustellen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.

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