OGH 3Ob69/10h

OGH3Ob69/10h30.6.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B***** AG, *****, vertreten durch Dr. Ludwig Beurle und andere Rechtsanwälte in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. L***** W*****, vertreten durch Dr. Josef Lachmann, Rechtsanwalt in Wien, wegen 68.062,80 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 26. Februar 2010, GZ 12 R 10/10v-17, womit das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom 23. November 2009, GZ 2 Cg 119/09y-13, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Vorinstanzen wiesen das gegen den Beklagten als Mithaftenden auf die Auflösung eines Bierbezugsvertrags gestützte Klagebegehren mangels Fälligkeit ab, weil die Auflösungserklärung der Klägerin gegenüber der Hauptschuldnerin infolge Konkurseröffnung über deren Vermögen unwirksam geblieben sei. Der Zugang des Kündigungsschreibens an den Masseverwalter habe nicht festgestellt werden können.

Die Klägerin macht als erhebliche Rechtsfrage geltend, es fehle Rechtsprechung dazu, ob die Zugangsvermutung bei einem Einschreibbrief auch die Zustellung an den Masseverwalter aufgrund der Postsperre des § 78 Abs 2 KO umfasse.

Rechtliche Beurteilung

Dieser von der Revisionswerberin aufgeworfenen Frage kommt in diesem Fall aber aus mehreren Gründen keine entscheidende Bedeutung zu:

Die Klägerin behauptete im erstinstanzlichen Verfahren lediglich den Zugang des Kündigungsschreibens an die Gemeinschuldnerin, nicht jedoch an den Masseverwalter. Die diesbezüglichen Berufungsausführungen beurteilte das Berufungsgericht - ohne vom Obersten Gerichtshof aufzugreifende Fehlbeurteilung - als Verstoß gegen das Neuerungsverbot. Entgegen dem Revisionsvorbringen handelt es sich dabei nicht um reine Rechtsfragen. In der letzten Tagsatzung äußerte der Richter die Ansicht, der Klageanspruch sei nicht fällig, weil die Vertragsauflösungserklärung dem Masseverwalter nicht zugestellt worden sei. Zu letzterer Tatfrage hätte sich die für den Zugang der empfangsbedürftigen Erklärung (§ 862a ABGB analog) behauptungs- und beweispflichtige Klägerin (RIS-Justiz RS0014065) zu äußern gehabt.

Ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, ist eine Frage des Einzelfalls, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung keine erhebliche Bedeutung zukommt (RIS-Justiz RS0042828).

Die von der Klägerin behauptete und auch festgestellte Tatsache, dass sie den Bierbezugsvertrag mittels eingeschriebenen Brief gegenüber der Gemeinschuldnerin aufkündigt, begründet mangels Zugangsvermutung nicht die Voraussetzung der Haftung des hier in Anspruch genommenen Mitschuldners.

Unter Hinweis auf deutsche Lehre und Rechtsprechung sprach der Oberste Gerichtshof zu 7 Ob 24/09v (= ecolex 2009/215 [zustimmend Friedl]; ebenfalls zustimmend Ertl in ecolex 2010, 332) - unter Abkehr von bisheriger Rechtsprechung - aus, dass es sich verbiete, den Nachweis der Aufgabe eines Schreibens (im Anlassfall: Qualifiziertes Mahnschreiben gemäß § 39 VersVG) bei Einschreiben „auf erste Sicht“ als für den Nachweis des Zugangs an den Versicherungsnehmer ausreichend anzusehen.

Nach allgemeinen Grundsätzen hat jede Partei die für ihren Rechtsstandpunkt günstigen Tatsachen zu beweisen (RIS-Justiz RS0037797). Eine Verschiebung der Beweislast kommt nur dann in Betracht, wenn ein allgemein, also für jedermann auf gleiche Weise bestehender Beweisnotstand vorliegt und wenn objektiv typische, also auf allgemein gültigen Erfahrungssätzen beruhende Geschehensabläufe für den Anspruchswerber sprechen (RIS-Justiz RS0039895). Auch wenn man davon ausgeht, dass nach allgemein gültigen Erfahrungssätzen eingeschrieben aufgegebene Briefsendungen typischerweise auch zugestellt werden, kann - jedenfalls solange eine Möglichkeit besteht, die Zustellung der Briefsendung durch das „TuT-System“ oder mittels Rückscheinzustellung zu beweisen - von einem Beweisnotstand im Sinn der Rechtsprechung zum prima facie-Beweis nicht gesprochen werden.

Nach dem derzeit noch in Geltung stehenden § 2 Z 9 PostG 1997 können „Einschreiben“ (entgeltpflichtige Sonderbehandlung einer Postsendung, die durch den Dienstanbieter pauschal gegen Verlust, Entwendung oder Beschädigung versichert wird und bei der dem Absender, gegebenenfalls auf sein Verlangen, eine Bestätigung über die Entgegennahme der Sendung und ihre Aushändigung an den Empfänger erteilt wird) in Verbindung mit den von der Österreichischen Post AG erlassenen „AGB Briefdienst Inland“ durch Inanspruchnahme der weiteren entgeltpflichtigen Zusatzleistung „TuT für Einschreiben“ vom Absender anhand der Aufgabenummer hinsichtlich ihres Sendestatus verfolgt werden. Überdies kann der Absender die weitere entgeltpflichtige Zusatzleistung „Eigenhändig“ oder „Rückschein“ wählen. Dadurch wird der Absender in die Lage versetzt, eine Bestätigung über die Abgabe der Sendung vorzuweisen. Es spricht nichts dagegen, einen Absender, der sich einer Übersendungsart bedient, die es ihm ermöglicht, sich per Nachforschungsauftrag ein objektives Beweismittel für den Zugang seiner Erklärung zu verschaffen, nicht auch zu verpflichten, diese Möglichkeit zu nutzen (Wukoschitz, Bringt die Post allen was?, ecolex 2005, 106).

Für den Anlassfall muss daher davon ausgegangen werden, dass allein die Tatsache der eingeschriebenen Aufgabe des Kündigungsschreibens noch keine Beweislastverschiebung zu Lasten des Beklagten bewirkt. Die Klägerin hätte vielmehr den Zugang an den Masseverwalter der Gemeinschuldnerin beweisen müssen. Damit stellt sich aber die Frage der Zugangsvermutung infolge der durch das Konkursverfahren bewirkten Postsperre (§ 78 Abs 2 KO) nicht. Die von der Klägerin angestrebte Vermutung des Zugangs von für den Gemeinschuldner bestimmten Sendungen an den Masseverwalter muss schon daran scheitern, dass die Klägerin wegen der diesbezüglichen Negativfeststellung der Vorinstanzen hier nicht einmal den Zugang an den Gemeinschuldner zu beweisen vermochte (zum Wesen der Postsperre 8 Ob 26/89 = SZ 62/115; 8 Ob 41/89).

Ausgehend von der die Klägerin in Ansehung des Zugangs des Kündigungsschreibens treffenden Behauptungs- und Beweislast und der vom Erstgericht getroffenen und vom Berufungsgericht ausdrücklich gebilligten Negativfeststellung geht die Rüge der Klägerin, die Vorinstanzen hätten aufgrund unrichtiger rechtlicher Beurteilung für die Lösung des Falls erforderliche Feststellungen unterlassen, von vornherein ins Leere. Dass die erstinstanzliche (Negativ-)Feststellung das Ergebnis eines mangelhaften Verfahrens gewesen wäre (mangelnde richterliche Prozessleitung iSd § 182 Abs 1 ZPO), hat die Klägerin in ihrer Berufung nicht geltend gemacht; dies in dritter Instanz nachzuholen, wäre unzulässig.

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