OGH 8Ob41/89

OGH8Ob41/897.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der beim Kreisgericht Wels zur AZ S 31/84 anhängigen Konkurssache über das Vermögen der H***-Werke Maschinenbau und Bestecke Gesellschaft mbH & Co (in der Rechtsform einer Kommanditgesellschaft), 4600 Wels, Salzburgerstraße 149, infolge Revisionsrekurses des Masseverwalters Dr. Maximilian G***, Rechtsanwalt, 4600 Wels, Dr. Koss-Straße 1, gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 21. Juni 1989, GZ. 2 R 137-140/89-147, womit der Beschluß des Kreisgerichtes Wels vom 4. April 1989, GZ. S 31/84-136, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

In Abänderung des angefochtenen Beschlusses wird der Beschluß des Erstgerichtes wieder hergestellt.

Text

Begründung

Über das Vermögen der Gemeinschuldnerin wurde mit Beschluß des Kreisgerichtes Wels vom 14. Mai 1984, GZ. S 31/84-1, der Anschlußkonkurs eröffnet. Davon wurden gemäß § 78 Abs 2 KO unter anderem die Post- und Telegraphendirektion in Linz sowie die Post- und Telegraphenämter Wels und Steyr benachrichtigt. Demgemäß wurden in der Folge sämtliche Postsendungen, die sonst der Gemeinschuldnerin auszufolgen gewesen wären, dem Masseverwalter ausgehändigt, sofern es sich nicht um gerichtliche oder sonstige amtliche Briefsendungen handelte, die mit einem auf die Zulässigkeit der Zustellung an die Gemeinschuldnerin trotz Postsperre hinweisenden amtlichen Vermerk versehen waren.

Mit am 30. Jänner 1989 beim Erstgericht eingelangtem Schriftsatz beantragte die Gemeinschuldnerin die Aufhebung der Postsperre mit der Begründung, fünf Jahre nach Konkurseröffnung sei - insbesondere mit Rücksicht auf die längst erfolgte gänzliche Vermögensverwertung - nicht mehr damit zu rechnen, daß beim Masseverwalter noch Schriftstücke einlangen könnten, die für den Konkurs irgendeine Bedeutung haben könnten.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Es folgte der Ansicht des Masseverwalters, bei Aufhebung der Postsperre sei eine ordnungsgemäße Konkursabwicklung nicht gewährleistet. Es sei in diesem Fall nämlich fraglich, ob für die Konkursmasse bestimmte Schriftstücke unverzüglich an ihn weitergeleitet würden. Das Gericht zweiter Instanz gab dem Rekurs der Gemeinschuldnerin statt und hob die gemäß § 78 Abs 2 KO verfügte Postsperre auf. Zweck der Postsperre sei es zu verhindern, daß die Gemeinschuldnerin Postsendungen zum Nachteil der Konkursmasse oder der Gläubiger dadurch auszunützen, daß sie etwa einlangende Poststücke den Gläubigern entziehe, oder daß sie diesbezüglch sonstige die Masse und die Gläubiger schädigende Verfügungen treffe. Auch ergäben sich aus den zufolge der Postsperre in den Besitz des Masseverwalters kommenden Schriftstücken oftmals Hinweise darauf, ob der Gemeinschuldner Vermögenswerte verschwiegen habe oder sonst mit seinem Vermögen - anfechtbar - zum Nachteil der Gläubiger verfahren sei. Nunmehr befinde sich aber das Konkursverfahren schon in einer Lage, in der der Postsperre eine solche Bedeutung nicht mehr zukomme. Bei der Entscheidung über die Aufhebung der Postsperre sei daher besonderes Augenmerk darauf zu legen, inwieweit die Postsperre noch Schutz vor einer nachteiligen Ausnützung der Posteingänge biete gegenüber der verfassungsgesetzlich geschützten Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses. Fünf Jahre nach Konkurseröffnung falle diese Abwägung bereits zu Gunsten des zu schützenden Briefgeheimnisses aus. Das Rekursgericht sprach aus, daß der Wert des Gegenstandes, über den es entschieden habe, S 15.000,--, nicht aber S 300.000,-- übersteige. Der Rekurs an den Obersten Gerichtshof sei zulässig, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes über Sinn und Zweck der Postsperre und die für den vorliegenden Fall daraus zu ziehenden Schlußfolgerungen fehle.

Gegen den Beschluß des Rekursgerichtes richtet sich der Revisionsrekurs des Masseverwalters mit dem Antrag, die Entscheidung dahin abzuändern, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt werde.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist aus den vom Gericht zweiter Instanz genannten Gründen zulässig; er ist auch berechtigt.

Entgegen der vom Masseverwalter vertretenen Rechtsansicht war der Rekurs der Gemeinschuldnerin gegen die Abweisung ihres Antrages auf Aufhebung der Postsperre zulässig, weil im Konkursverfahren Beschlüsse des Gerichtes erster Instanz grundsätzlich anfechtbar sind (vgl. Bartsch-Pollak KO3 I 372 iVm II 25), soweit nicht im Gesetz für einzelne Fälle etwas anderes bestimmt ist oder dem Rekurs das für die Zulässigkeit jedes Rechtsmittels erforderliche Rechtsschutzinteresse des Rechtsmittelwerbers mangelt (siehe EvBl 1968/165; SZ 45/106 ua.). Beide Ausnahmen sind nicht gegeben. Eine ausdrückliche, den Rekurs der Gemeinschuldnerin gegen die Abweisung ihres Antrages auf Aufhebung der Postsperre ausschließende Bestimmung fehlt. Im Hinblick auf den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Schutz des Briefgeheimnisses ist dem Gemeinschuldner ein Rechtsschutzinteresse daran zuzuerkennen, daß die in § 78 Abs 2 KO selbst vorgesehene Aufhebung der Postsperre während des Konkursverfahrens dann erfolgt, wenn keine Notwendigkeit mehr zu dem - im Gesetz vorgesehenen - Eingriff in das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht besteht. Demgemäß ist umgekehrt auch der Masseverwalter zum Revisionsrekurs gegen eine Verfügung nach § 78 Abs 2 KO berechtigt (siehe SZ 13/246).

Durch Artikel 8 MRK und Artikel 10 StGG in Verbindung mit

Artikel 149 B-VG wird die Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses geschützt, soweit nicht (wie in dem hier zu beurteilenden Fall) aufgrund eines richterlichen Befehles in Gemäßheit der bestehenden Gesetze etwas anderes zu geschehen hat (Artikel 10 StGG) bzw. soweit es sich nicht um eine Maßnahme handelt, die in einer demokratischen Gesellschaft u.a. für das wirtschaftliche Wohl des Landes oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 8 MRK). Es besteht also nach den genannten im Verfassungsrang stehenden Normen das geschützte Grundrecht (auf Unverletzlichkeit des Briefgeheimnisses) nicht unbeschränkt und unabhängig von Rechten anderer. In jedem einzelnen Fall ist daher zu prüfen, inwieweit die Postsperre bis zur Rechtskraft des Konkursaufhebungsbeschlusses aufrecht erhalten werden muß (Bartsch-Pollak, KO3, I 372), um deren Zweck zu erreichen, nämlich zu verhindern, daß der Gemeinschuldner einlangende Poststücke seinen Gläubigern entziehe oder diesbezüglich sonstige dieselben schädigenden Verfügungen treffe (Lehmann, Konkurs-, Ausgleichs- und Anfechtungsordnung, 501) und daß dem Masseverwalter, dem das Verfügungsrecht während des Konkurses anstelle des Eigentümers über das zur Konkursmasse gehörende Vermögen zukommt, keine wichtigen Hinweise, die aus der eingehenden Post entnommen werden könnten, vorenthalten bleiben, insbesondere nicht solche, die bisher noch unbekannte Vermögenswerte des Gemeinschuldners oder Verfügungen desselben über solche betreffen (siehe Kuhn-Uhlenbruck KO10 1453). Im Interesse dieser Umstände nimmt der Gesetzgeber in Kauf, daß die für den Gemeinschuldner eingehende sogenannte Privatpost ebenfalls vom Masseverwalter gelesen wird. Dem Rekursgericht ist daher darin zu folgen, daß in jedem Verfahrensstadium abzuwägen ist, ob das verfassungsgesetzlich geschützte Briefgeheimnis schwerer wiegt als die dargestellten Interessen der Konkursgläubiger.

In dem hier zu beurteilenden Fall ist der Gemeinschuldner eine Kommanditgesellschaft, deren existenzbedingende Tätigkeit sich vor der Auflösung durch die Konkurseröffnung auf den Betrieb eines Handelsgewerbes erstreckte, und die sich nun im insolvenzrechtlichen Liquidationsstadium befindet, so daß der Schutz einer "Privatsphäre" der Gesellschaft selbst von vornherein nicht in Betracht kommt (vgl. Kramer in Straube, HGB, Rz 14 zu §§ 343, 344 mwN); die für die Gesellschaft eingehende Post kann sich daher regelmäßig nur auf das vom Konkurs erfaßte Gesellschaftsvermögen beziehen, so daß die Kenntnis des entsprechenden Schriftverkehrs für den Masseverwalter zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm übertragenen Aufgaben auch notwendig ist.

Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.

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