OGH 9Ob20/10x

OGH9Ob20/10x24.3.2010

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil, Dr. Hopf, Hon.-Prof. Dr. Kuras und Dr. Brenn als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Schuppich Sporn & Winischhofer, Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Gernot Murko und Mag. Christian Bauer, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen 1.041.115,19 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 4. September 2009, GZ 1 R 133/09t-83, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 27. März 2009, GZ 14 C 7/05m-74, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst:

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 3.759,57 EUR (darin enthalten 626,60 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

B e g r ü n d u n g :

Im Jahr 1985 vermietete die Rechtsvorgängerin der Klägerin an die Rechtsvorgängerin der Beklagten Geschäftsräumlichkeiten in einem Ausmaß von zuletzt etwa 400 m² auf einem Grundstück in Klagenfurt. Im Jahr 2000 nahm die Beklagte umfangreiche Investitionen vor. Mit Vertrag vom 10. 7. 2002 räumte die Klägerin einer dritten Errichtungs- und Betriebsgesellschaft die Option ein, (unter anderem) das genannte Grundstück käuflich zu erwerben. Für den Fall der Ausübung der Option verpflichtete sich die Klägerin als Optionsgeberin zur Entmietung der Bestandobjekte innerhalb einer Frist von neun Monaten ab schriftlicher Räumungsaufforderung durch die Optionsnehmerin. Am 7. 10. 2002 erfolgte die Aufforderung zur Räumung. Im Zuge der Verhandlungen zwischen den Streitteilen forderte die Beklagte zunächst (bis Mitte September 2003) einen Ablösebetrag von 500.000 EUR. Eine Einigung konnte nicht erzielt werden. Im Zeitraum Ende Juni bis Ende August 2003 erhielt die Beklagte von einem aus Gegnern des von der Optionsnehmerin geplanten Projekts bestehenden Konsortium für die Aufrechterhaltung des Mietverhältnisses ernst gemeinte Zahlungsangebote über zunächst 600.000 EUR und schließlich 1 Mio EUR. Die Beklagte unterrichtete die Klägerin von diesen Angeboten. Nachdem die Klägerin eine Zahlung von 500.000 EUR bzw 550.000 EUR (ab 18. 9. 2003) weiterhin abgelehnt hatte, forderte die Beklagte am 30. 9. 2003 eine Ablöse von 1 Mio EUR. Nach Rechtsbelehrung der Klägerin durch ihren Rechtsvertreter über eine allenfalls bestehende Rückforderungsmöglichkeit schlossen die Streitteile am 9. 10. 2003 einen gerichtlichen Vergleich, in dem sich die Beklagte gegen den Erhalt eines - in zwei Raten zu zahlenden - Betrags von 1,2 Mio EUR (inkl USt) zur Räumung des Bestandobjekts verpflichtete. Der Vergleichstext wurde vom Vertreter der Klägerin verfasst. Der Kaufpreis, den die Klägerin von der Optionsnehmerin erhielt, belief sich auf rund 3.969.000 EUR.

Die Klägerin begehrte - in Anfechtung des gerichtlichen Vergleichs - die Rückzahlung der Differenz zwischen dem Ablösebetrag (1,2 Mio EUR samt Zinsen) und dem aus ihrer Sicht angemessenen Betrag von 162.000 EUR, in eventu die Aufhebung des gerichtlichen Vergleichs und die Rückzahlung des Klagsbetrags. Da eine Rückabwicklung nicht mehr möglich sei, habe die Beklagte in Anpassung der Vereinbarung den die angemessene Ablösesumme übersteigenden Betrag zurückzuzahlen. Die Beklagte sei sich der Zwangslage der Klägerin bewusst gewesen, weil diese die letzte zu entmietende Bestandnehmerin gewesen sei und das geplante Projekt ohne deren Verzicht auf die Mietrechte gescheitert wäre. In diesem Fall wäre die Klägerin erheblichen Schadenersatzforderungen der Optionsnehmerin ausgesetzt gewesen. Der gerichtliche Vergleich werde daher wegen Wucher und Sittenwidrigkeit und ebenso wegen laesio enormis angefochten.

Die Beklagte entgegnete, dass ihr eine Zwangslage der Klägerin nicht bewusst gewesen sei, zumal sie vom Inhalt des behaupteten Optionsvertrags keine Kenntnis gehabt habe. Es liege auch kein auffallendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung vor. Mit Rücksicht auf die Angebote, die ihr von einer Interessengruppe gemacht worden seien, habe sich die Ablösesumme als marktkonform dargestellt. Tatsächlich sei das Verhalten der Klägerin sittenwidrig, weil diese zunächst die Rückabwicklung des Vergleichs unmöglich gemacht habe und nunmehr den Großteil des angebotenen Entgelts zurückfordere.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren samt Eventualbegehren ab. Mit Rücksicht auf den Umstand, dass für die Entmietung einer Ordination (auf demselben Areal) in einer Größe von etwa 100 m² eine Ablöse von 300.000 EUR gezahlt worden sei, erweise sich die an die Beklagte gezahlte Ablösesumme durchaus als nicht unverhältnismäßig. Die Beklagte könne sich zudem damit rechtfertigen, aufgrund der Gegenangebote nach rein kaufmännischen Gesichtspunkten gehandelt zu haben. Auch eine Zwangslage habe für die Klägerin nicht bestanden, weil ihr schon bei Abschluss des Optionsvertrags hätte klar sein müssen, dass allenfalls Aufkündigungsprozesse notwendig würden. Da der Beklagten der Inhalt des Optionsvertrags nicht bekannt gewesen sei, mangle es ebenso an einer Ausbeutung. Tatsächlich sei von einer Mentalreservation der Klägerin auszugehen, weil sie den Vergleich schon mit dem Willen der späteren Anfechtung abgeschlossen habe.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Klägerin habe das Risiko der Entmietung bewusst in Kauf genommen. In Anbetracht ihres Interesses am Zustandekommen des Kaufvertrags und des Umstands, dass für die Entmietung einer Ordination auf demselben Areal eine Ablösesumme von 300.000 EUR gezahlt worden sei, erweise sich die an die Beklagte gezahlte Ablösesumme mit Rücksicht auf die Gewagtheit des Geschäfts nicht als auffallend unangemessen. Zudem mangle es an einer Zwangslage der Klägerin, weil der Entgang einer Chance auf gewinnbringende Geschäfte nicht als solche gewertet werden könne. Die Revision sei zulässig, weil zur Frage, ob bei der Anfechtung eines Rechtsgeschäfts nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB wegen Störung der freien Willensbildung im Fall des Abschlusses des Vertrags durch einen (bevollmächtigten) Stellvertreter die gesetzlichen Tatbestandsmerkmale (hier Zwangslage) auch beim Vertreter vorliegen müssten, eine höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem - den Obersten Gerichtshof nicht bindenden - Ausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision mangels Vorliegens einer entscheidungsrelevanten erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig.

1. Die Vorinstanzen haben das Klagebegehren nicht mit dem Argument abgewiesen, dass bei dem für die Klägerin beim Vergleichsabschluss handelnden Klagsvertreter keine Zwangslage bestanden habe. Vielmehr gelangten sie zum Ergebnis, dass auf Seiten der Klägerin jede Zwangslage zu verneinen sei. Liegt aber schon bei der Partei keine Zwangslage vor, so stellt sich die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichnete Rechtsfrage, ob die fehlende Zwangslage beim Stellvertreter die Anfechtung des Rechtsgeschäfts ausschließt, nicht mehr.

2.1 Die Vorinstanzen haben die Grundsätze für die Beurteilung des Wuchertatbestands zutreffend dargestellt. Auch in Ansehung der Anwendung dieser Grundsätze vermag die Klägerin keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung aufzuzeigen.

Wucher hat zur Voraussetzung, dass ein auffallendes, leicht erkennbares Missverhältnis der objektiven Werte der Hauptleistungen vorliegt (RIS-Justiz RS0016947; RS0016912; Krejci in Rummel 3 § 879 ABGB Rz 214 und 224 ff; Bollenberger in KBB² § 879 ABGB Rz 18). In die Gegenüberstellung sind alle objektiv bewertbaren Vorteile einzubeziehen (vgl RIS-Justiz RS0016947; 2 Ob 341/98f; 6 Ob 281/00t).

Grundsätzlich ist weder im Versprechen noch in der Annahme einer Ablöse für die Aufgabe eines Mietrechts eine Sittenwidrigkeit gelegen (RIS-Justiz RS0024453). Im Geltungsbereich des Mietrechtsgesetzes ist allerdings die Verbotsnorm des § 27 Abs 1 MRG zu beachten; solche Ansprüche wären jedoch nicht im streitigen Verfahren zu verfolgen (vgl 2 Ob 341/98f). Nach dem Zweck dieser Bestimmung soll der dem Mieter durch besondere Mietzinsregelungen zugedachte Schutz nicht dadurch unterlaufen werden, dass der Mieter dem Vermieter oder einem anderen neben dem Mietzins etwas leisten muss, ohne dafür eine - nicht schon durch den Mietzins abgegoltene - gleichwertige Gegenleistung zu erhalten (5 Ob 136/95). Leistungen des Vermieters an den Mieter für dessen Aufgabe des Mietrechts unterliegen aber nicht dieser Bestimmung (6 Ob 258/98d). In diesem Fall besteht die Gefahr der Ausnützung der schwächeren Verhandlungsposition des Mieters gerade nicht.

Beim Bestandrecht des Mieters handelt es sich um ein Vermögensrecht (6 Ob 258/98d). In der freiwilligen Aufgabe dieses Rechts ist damit der Verzicht auf eine vermögenswerte Rechtsposition gelegen. Ein solcher Verzicht stellt - ebenso wie die Ausräumung der Prozessrisiken - eine im Leistungsaustausch als Entgelt zu veranschlagende Gegenleistung des Verzichtenden dar (vgl 5 Ob 136/95).

In der Berücksichtigung der nach den Feststellungen durchaus ernst gemeinten Gegenangebote an die Beklagte ist nach diesen Grundsätzen kein Beurteilungsfehler der Vorinstanzen gelegen. Aus diesem Grund ist die unter Hinweis auf diese Gegenangebote erhöhte Ablöseforderung der Beklagten auch nicht als auffallend unverhältnismäßig zu qualifizieren. Hinzu kommt, dass für eine Ordination in einer Größe von etwa 100 m² auf demselben Areal ein Ablösebetrag von 300.000 EUR gezahlt wurde.

Richtig ist, dass die Vorteile objektiv zu bewerten sind. Entgegen den Ausführungen der Klägerin ist das Berufungsgericht von diesem Grundsatz nicht abgewichen. Vielmehr hat es ausdrücklich darauf hingewiesen, dass Ausgangspunkt für die Beurteilung die Gegenüberstellung des objektiven Werts der beiderseitigen Leistungen sei und die Klägerin das Vorliegen einer objektiven Äquivalenzstörung nicht habe beweisen können. Dem Berufungsgericht ist darin zuzustimmen, dass bei dieser objektiven Wertbemessung die Interessen der Klägerin an der Entmietung zu berücksichtigen sind. Damit wird die Stellung der Klägerin als Vermieterin und deren wirtschaftliches Interesse an der Aufgabe der Mietrechte angesprochen. Auf diese Weise wird die in der konkreten Situation maßgebliche Bewertungsgrundlage, die sich am Interesse beider Parteien des angefochtenen Rechtsgeschäfts zu orientieren hat, dargestellt. Dementsprechend ist auch der Hinweis des Berufungsgerichts nicht zu beanstanden, dass sich die Angemessenheit der Ablösesumme im vorliegenden Fall nicht nach den von der Klägerin herangezogenen Bewertungskriterien nach § 27 MRG richtet.

2.2 In der Verneinung einer Zwangslage der Klägerin durch die Vorinstanzen (vgl RIS-Justiz RS0104125; Krejci aaO Rz 218; Bollenberger aaO Rz 20) ist ebenfalls keine Fehlbeurteilung gelegen. Entgegen der Ansicht der Klägerin ist der Grund für ihre Bestrebungen, die einen Eingriff in die Mietrechte der Beklagten darstellende Entmietung zu erreichen, zu berücksichtigen. Die Ermöglichung des Verkaufs der Liegenschaft durch die Aufgabe der Mietrechte steht in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Optionsvertrag, weshalb dieser nicht außer Betracht bleiben kann. Durch die Erfüllung der Option wurde die Klägerin in die Lage versetzt, eine besondere Verkaufs- und Gewinnchance wahrzunehmen. Der Entgang eines solchen Sondervorteils kann aber nicht als ein für eine Zwangslage nach § 879 Abs 2 Z 4 ABGB relevanter wirtschaftlicher Nachteil angesehen werden (vgl 3 Ob 519/54; 4 Ob 543/67). Dass der Entgang einer Chance auf gewinnbringende Geschäfte nicht als Zwangslage gewertet werden kann, gesteht die Klägerin ausdrücklich zu. Aufgrund der wirtschaftlichen Einheit des Optionsvertrags und des gerichtlichen Vergleichs ist aber gerade dieser Umstand verwirklicht.

Entgegen der Ansicht der Klägerin stellt die Äußerung des Vertreters der Beklagten, in einem Kündigungsprozess alle Rechtsmittel ausschöpfen zu wollen, auch keine sittenwidrige oder rechtsmissbräuchliche Drohung dar, weil kein Anhaltspunkt dafür besteht, dass die Beklagte nach den Bestimmungen des Mietvertrags ihr Bestandobjekt innerhalb der „Entmietungsfrist“ hätte aufgeben müssen. Diese Beurteilung hat am Zeitpunkt des Abschlusses des angefochtenen Vergleichs (9. 10. 2003) anzuknüpfen. Nach dem zugrunde liegenden Optionsvertrag musste die Klägerin die Entmietung innerhalb von neun Monaten ab schriftlicher Räumungsaufforderung der Optionsnehmerin (vom 7. 10. 2002) bewerkstelligen.

3. Mangels relevanter Äquivalenzstörung kann sich die Klägerin - ungeachtet des noch anwendbaren § 351a HGB - weder auf eine Verkürzung über die Hälfte des wahren Werts noch auf eine Sittenwidrigkeit zufolge relevanter Äquivalenzstörung nach § 879 Abs 1 ABGB (vgl RIS-Justiz RS0016781; RS0016476) berufen.

4. Schließlich vermögen auch die Hinweise der Klägerin auf die schon im Berufungsverfahren gerügten Verfahrens- und Feststellungsmängel aus rechtlichen Gründen die Zulässigkeit der außerordentlichen Revision nicht zu begründen.

Die Frage, ob ein weiteres Sachverständigengutachten einzuholen ist bzw das eingeholte Gutachten die getroffenen Feststellungen rechtfertigt, betrifft die nicht revisible Beweiswürdigung (RIS-Justiz RS0043320). Das Berufungsgericht hat sich mit dieser Frage ausführlich auseinandergesetzt und überdies den von der Klägerin im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Sachverständigengutachten geltend gemachten Verfahrensmangel mit eingehender Begründung ausdrücklich verneint (vgl RIS-Justiz RS0042963; RS0030748). Entgegen den Behauptungen der Klägerin hat sich das Berufungsgericht auch mit ihrer Beweisrüge ausführlich auseinandergesetzt und nachvollziehbar begründet, warum es die Feststellungen des Erstgerichts übernommen hat (vgl RIS-Justiz RS0043162). Soweit sich die Klägerin auch im Revisionsverfahren gegen die von den Vorinstanzen ermittelte Tatsachengrundlage wendet, ist darauf hinzuweisen, dass die Beweiswürdigung nicht mehr überprüfbar ist (RIS-Justiz RS0042903). Weitere von der Klägerin begehrte Feststellungen waren mangels Entscheidungserheblichkeit nicht zu treffen.

5. Insgesamt gelingt es der Klägerin nicht, eine erhebliche Rechtsfrage, die die Revision zulässig machen würde, aufzuzeigen. Die Revision war daher als unzulässig zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten der Revisionsbeantwortung gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO; die Beklagte hat in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen. Der verzeichnete Zuschlag nach § 21 RATG gebührt der Beklagten allerdings nicht, weil sie nicht bescheinigt hat, inwieweit ihr Vertreter für die Verfassung der Revisionsbeantwortung eine nach Umfang oder Art den Durchschnitt erheblich übersteigende Leistung erbracht hat. Die Frage, ob eine solche Mehrleistung vorliegt, ist stets unter Rücksichtnahme auf die Kostenbemessungsgrundlage zu beantworten. Durch den entsprechend hohen Tarifansatz ist bereits ein hoher Aufwand abgegolten. Auch aus diesem Blickwinkel kann angesichts des Inhalts der Revisionsbeantwortung von einer den Durchschnitt erheblich übersteigenden Leistung nicht gesprochen werden.

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