OGH 9Ob88/09w

OGH9Ob88/09w15.12.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Rohrer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Spenling, Dr. Hradil und Dr. Hopf sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Glawischnig als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E***** C*****, Arbeiterin, *****, vertreten durch amwak Rechtsanwälte GmbH in Feldkirch, gegen die beklagte Partei R***** C*****, Arbeiter, FL-*****, wegen 57.268,04 CHF (36.053,70 EUR) sA, über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Feldkirch als Rekursgericht vom 22. September 2009, GZ 3 R 272/09m-6, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Feldkirch vom 10. August 2009, GZ 20 C 667/09h-2, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird, insoweit er die Bestätigung der Abweisung des Antrags auf Bewilligung der Verfahrenshilfe betrifft, zurückgewiesen.

Darüber hinaus wird ihm nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Mit ihrer beim Bezirksgericht Feldkirch eingebrachten Klage, mit der auch ein Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe verbunden wurde, begehrt die Klägerin, den Beklagten zu verpflichten, ihr (eventualiter: zu Handen ihrer Mutter) 57.268,04 CHF sA, zu zahlen.

Die Klägerin sei mit dem Beklagten verheiratet gewesen. Anlässlich der am 30. 11. 2007 erfolgten einvernehmlichen Scheidung der Ehe gemäß § 55a EheG habe sich der Beklagte im Scheidungsvergleich verpflichtet, einen von den Streitteilen gemeinsam aufgenommenen Kredit zu übernehmen. Die Streitteile seien Kreditnehmer der Mutter der Klägerin, die zu diesem Zweck einen Kredit bei einem Kreditinstitut aufgenommen habe. Der Beklagte habe sich sowohl im Innenverhältnis, als auch gegenüber der Mutter der Klägerin zur alleinigen Rückzahlung und Tilgung dieses Kredits verpflichtet. Er sei dieser Verpflichtung aber nicht nachgekommen, sodass die Klägerin „respektive deren Mutter" bislang den Kredit allein zurückgezahlt haben. Zur Begründung der Zuständigkeit des Erstgerichts berief sich die Klägerin auf „§ 49 Abs 2 lit 2c JN".

Das Erstgericht wies die Klage a limine wegen sachlicher Unzuständigkeit zurück. Den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wies es ab.

Nach § 49 Abs 2 Z 2b JN gehörten die aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringenden Rechtsstreitigkeiten ohne Rücksicht auf den Wert des Streitgegenstands vor das Bezirksgericht. Diese Bestimmung erfasse Streitigkeiten, die ohne das Eheverhältnis nicht denkbar seien. Klagen aus einer anlässlich der Scheidung geschlossenen Vereinbarung seien hingegen nicht erfasst, weil für die Beurteilung der insoweit aufgeworfenen schuldrechtlichen Fragen nicht mehr die dem Eheverhältnis eigentümlichen Rechte und Pflichten maßgebend seien. Dies gelte auch für die vorliegende Regressklage. Dass - wie die Klägerin ins Treffen führe - die Ehe zwischen den Streitteilen das einzige Argument für die Klägerin gewesen sei, die mitschuldnerische Haftung für den Kredit zu übernehmen, reiche für die Annahme einer familienrechtlichen Streitigkeit nicht aus. Das Bezirksgericht Feldkirch sei daher sachlich unzuständig.

Mangels erfolgreicher Klageeinbringung bestehe auch kein Anlass für die Gewährung von Verfahrenshilfe.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Es wies darauf hin, dass der Beklagte nach den Angaben der Klägerin in der Klage seinen Wohnsitz im Fürstentum Liechtenstein habe. Dort sei ihm der angefochtene Beschluss auch zugestellt worden. Abweichende Behauptungen im Rekurs (über seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Schweiz) seien als unzulässige Neuerung unbeachtlich. Da das Fürstentum Liechtenstein weder Mitgliedstaat des LGVÜ noch der EuGVVO bzw des EuGVÜ sei, seien für die Beurteilung der Zuständigkeit die Vorschriften der JN heranzuziehen.

Auf die Eigenzuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts könne sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Streitigkeiten aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten iSd § 49 Abs 2 Z 2b JN könnten nur solche sein, die ohne Berücksichtigung der den Ehegatten kraft Gesetzes auferlegten besonderen Rechte und Pflichten gar nicht zu lösen seien. Die Wurzel des Konflikts, der auch zwischen geschiedenen Ehegatten bestehen könne, müsse demnach in einem Meinungsstreit über Rechte und Pflichten liegen, die sich aus dem Eheband der Streitteile ergeben. Dabei komme es nicht auf die individuelle tatsächliche Ausgestaltung der Beziehungen der konkreten Streitteile an, sondern auf die abstrakte normative Regelung der Rechtsbeziehungen der Ehegatten. Für Klagen aus einer Scheidungsvereinbarung nach § 55a EheG werde von der Rechtsprechung nicht von vornherein eine Zuständigkeit nach § 49 Abs 2 Z 2b JN bejaht. Vielmehr werde auch hier im Sinne der dargestellten Kriterien differenziert. Die den Gegenstand des vorliegenden Verfahrens bildende Inanspruchnahme eines Darlehens oder der Regressanspruch für die Inanspruchnahme als Bürge aus einem Darlehen sei auch ohne das Eheverhältnis denkbar und habe keine familienrechtliche Wurzel. Das Erstgericht habe daher seine Eigenzuständigkeit zu Recht verneint.

Da die Einbringung einer Klage bei einem unzuständigen Gericht offenbar aussichtslos sei, habe das Erstgericht auch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu Recht zurückgewiesen.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil zur hier zu beurteilenden Konstellation Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der Revisionsrekurs der Klägerin, mit dem diese beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen aufzuheben und dem Erstgericht die Einleitung des gesetzlichen Verfahrens über die Klage aufzutragen. Ferner wird beantragt, die Entscheidungen der Vorinstanzen im Sinne der Bewilligung der beantragten Verfahrenshilfe abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

I. Zur Verfahrenshilfe:

Ungeachtet des nicht zwischen der Zuständigkeitsfrage und der Entscheidung über die Verfahrenshilfe differenzierenden Zulassungsausspruchs der zweiten Instanz ist der Revisionsrekurs, soweit er sich gegen die Entscheidung des Rekursgerichts über die Verfahrenshilfe wendet, im Hinblick auf § 528 Abs 2 Z 4 ZPO absolut unzulässig. In diesem Umfang ist das Rechtsmittel daher zurückzuweisen.

II. Zur sachlichen Zuständigkeit des Erstgerichts:

II.1. Der Oberste Gerichtshof judiziert in ständiger - in der Lehre überwiegend gebilligter (Mayr in Rechberger, ZPO² § 49 JN Rz 7; Simotta in Fasching² I § 49 JN Rz 38) - Rechtsprechung, dass aus dem gegenseitigen Verhältnis der Ehegatten entspringende Streitigkeiten gemäß § 49 Abs 2 Z 2b JN (früher § 49 Abs 2 Z 2c JN - siehe dazu Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 502 ZPO Rz 189 f) nur solche sind, die im Familienrecht wurzeln und ohne Berücksichtigung der den Ehegatten kraft Gesetzes auferlegten besonderen Rechte und Pflichten nicht lösbar sind. Die Streitigkeit darf ohne das Eheverhältnis nicht denkbar sein. Die Wurzel des konkreten Konflikts muss daher in einem Meinungsstreit über Rechte und Pflichten liegen, die sich spezifisch aus dem (ehemaligen) Eheband der Streitteile ergeben. Kann der geltend gemachte Anspruch auch in einem Rechtsverhältnis zwischen Personen bestehen, die nicht miteinander verheiratet sind oder waren, so liegt eine Streitigkeit aus dem Eheverhältnis nicht vor. Für den anspruchsbegründenden Sachverhalt muss somit das Eheverhältnis zumindest mitbestimmend sein (RIS-Justiz RS0044093, RS0046499). Allein der Umstand, dass Streitteile einmal miteinander verheiratet waren, reicht nicht aus (8 Ob 52/04m; 1 Ob 271/05t).

II.2. Der Revisionsrekurswerberin ist zuzugestehen, dass der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 1 Ob 160/01p und 2 Ob 227/03a die Rechtsauffassung vertreten hat, dass Streitigkeiten aus Vereinbarungen, die anlässlich einer Scheidung geschlossen worden sind, aus dem gegenseitigen Verhältnis der Eheleute stammen und insofern im Familienrecht wurzeln, als sie der vermögensrechtlichen Auseinandersetzung im Rahmen der Auflösung der ehelichen Gemeinschaft dienen. Daraus wurde in den zitierten Entscheidungen geschlossen, dass solche Streitigkeiten unter die familienrechtlichen Streitigkeiten des § 49 Abs 2 Z 2c JN fallen, und zwar auch dann, wenn sie nicht der Aufteilung nach § 81 EheG unterliegende Vermögensobjekte betreffen (vgl auch 1 Ob 46/08h, wo aber die Anwendbarkeit des § 49 Abs 2 Z 2b JN mit nicht auszuschließenden Einwänden der beklagten Partei gegen die zivilrechtliche Geltung des Scheidungsvergleichs begründet wurde).

Demgegenüber hat der Oberste Gerichtshof in den Entscheidungen 1 Ob 271/05t und 1 Ob 57/07z die Rechtsauffassung vertreten, dass Klagen, die sich aus einer aus Anlass einer (streitigen oder einvernehmlichen) Scheidung geschlossenen Vereinbarung ergeben, nicht unter § 49 Abs 2 Z 2b JN fallen. Dies wurde damit begründet, dass in derartigen Fällen für die Beurteilung der insoweit aufgeworfenen schuldrechtlichen Fragen nicht mehr die dem Eheverhältnis eigentümlichen Rechte und Pflichten maßgebend und keine spezifische, im Eheverhältnis wurzelnde Rechte und Pflichten mehr zu beurteilen seien.

II.3. Auch nach Simotta (in Fasching/Konecny² I, § 49 JN Rz 40) fallen Klagen, die sich aus einer aus Anlass einer (streitigen oder einvernehmlichen) Scheidung geschlossenen Vereinbarung ergeben, nicht unter § 49 Abs 2 Z 2b JN. Der klageweise geltend gemachte Anspruch stütze sich nicht auf das ehemalige Eheverhältnis, sondern auf den aus Anlass oder für den Fall der Eheauflösung geschlossenen Vertrag, Notariatsakt oder Vergleich. Dieser Anspruch sei aber kein familienrechtlicher, sondern ein vertraglicher. Zudem seien in derartigen Prozessen keine ehe- oder familienspezifischen Fragen, sondern ausschließlich Fragen zu lösen, die auch in Prozessen zwischen Personen denkbar seien, die nicht miteinander verheiratet waren. Meist gehe es um die Einhaltung der Vereinbarung oder um Schadenersatz wegen deren Nichterfüllung, das Verschulden an dieser sowie die Schadenshöhe. Es seien also nur schuldrechtliche Fragen zu klären. Ähnliches gelte, wenn die materiellrechtliche Gültigkeit einer Vereinbarung, die einen Anspruch aus dem Eheverhältnis zum Gegenstand hat - zB wegen eines Willens- oder Formmangels oder Sittenwidrigkeit - angefochten werde. Hier gehe es ebenfalls nicht um den Anspruch aus dem Eheverhältnis, sondern um die Wirksamkeit der Vereinbarung.

Mayr (in Rechberger³ § 49 JN Rz 7) referiert diese Argumentation Simottas zustimmend.

II.4. Jedenfalls für den hier zu beurteilenden Fall schließt sich der erkennende Senat der Argumentation Simottas und der vom Obersten Gerichtshof bereits in den Entscheidungen 1 Ob 271/05t und 1 Ob 57/07z vertretenen Rechtsauffassung an. Der in der Klage geltend gemachte Anspruch richtet sich nach dem Klagevorbringen auf die Zuhaltung der anlässlich der Scheidung - auch zu Gunsten der Mutter der Klägerin - geschlossenen Vereinbarung. Es wird die Zahlung des gesamten zum Zeitpunkt des Scheidungsvergleichs aushaftenden Kreditsaldos begehrt, wobei mangels Erfüllung der Vereinbarung durch den Beklagten die seither fällig gewordenen Raten von der „Klägerin, respektive deren Mutter" gezahlt worden seien. § 49 Abs 2 Z 2b JN findet aber - wie unter II.1. näher ausgeführt - nur auf Streitigkeiten Anwendung, die im Familienrecht wurzeln und ohne Berücksichtigung der den Ehegatten kraft Gesetzes auferlegten besonderen Rechte und Pflichten nicht lösbar sind. Dies trifft aber auf die vorliegende Streitigkeit nicht zu, die ausschließlich die Zuhaltung einer - wenn auch aus Anlass der Scheidung geschlossenen - Vereinbarung betrifft und in der die besonderen gesetzlichen Rechte und Pflichten der Ehegatten keinerlei Rolle mehr spielt.

III. Damit erweist sich die Zurückweisung der Klage durch die Vorinstanzen als zutreffend, sodass dem Revisionsrekurs ein Erfolg zu versagen war. Auf die in der Klage mit keinem Wort begründete örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts - die Anwendung der Gerichtsstände nach § 76 JN, nach § 76a JN und nach § 100 JN kommt nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen nicht in Betracht - braucht daher ebenso wenig eingegangen zu werden, wie auf die Frage der internationalen Zuständigkeit.

IV. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekurses gründen sich auf die §§ 40, 50 Abs 1 ZPO.

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