OGH 8ObA31/09f

OGH8ObA31/09f19.11.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Spenling und Mag. Ziegelbauer, die fachkundigen Laienrichter Dr. Albert Koblizek und ARin Angelika Neuhauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Betriebsrat der R***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Helga Hofbauer, Rechtsanwältin in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Tögl & Maitz Rechtsanwälte GmbH in Graz, wegen Feststellung und Unterlassung (Revisionsinteresse 50.000 EUR), über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 13. März 2009, GZ 9 Ra 17/09z-13, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Arbeits- und Sozialgericht vom 17. Dezember 2008, GZ 9 Cga 132/08z-9, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.997,28 EUR bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten 332,88 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei betreibt ein Busunternehmen, in dem neben anderen Gruppen von Arbeitnehmern ursprünglich neun Arbeitnehmer als Buslenker beschäftigt waren, auf deren Arbeitsverhältnisse der Bundeskollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben (KV) anzuwenden ist. Eine zwischen den Streitteilen getroffene schriftliche Vereinbarung zur Frage der Durchrechnung der Arbeitszeit über einen Zeitraum von einem Monat liegt nicht vor. Die beklagte Partei traf jedoch mit jenen neun Lenkern, die dem KV unterliegen, folgende, in jedem ihrer schriftlichen Dienstverträge enthaltene Vereinbarung zur Arbeitszeit:

„Die regelmäßige wöchentliche Normalarbeitszeit beträgt bei Vollzeitbeschäftigung 40 Stunden. Der Durchrechnungszeitraum ist ein Monat.

Die Aufteilung dieser Arbeitszeit auf die einzelnen Wochentage wird zwischen dem Arbeitgeber und dem Arbeitnehmer vereinbart. Der Arbeitnehmer erklärt sich ausdrücklich mit der jederzeitigen Änderung der vereinbarten Arbeitszeiteinteilung durch den Arbeitgeber unter Beachtung der arbeitszeitrechtlichen Grenzen und Beschränkungen des § 19c Abs 2 und 3 AZG (bei Teilzeitarbeit § 19d AZG) einverstanden. ..."

Entsprechend dieser Vereinbarung rechnet die beklagte Partei die Arbeitszeit dieser Arbeitnehmer über einen Zeitraum von einem Monat zusammen. Nur jene Stunden, die die im monatlichen Schnitt ermittelte Pflichtleistung übersteigen, werden als Überstunden bezahlt.

Mit Ausnahme eines Mitarbeiters, der sein Dienstverhältnis zur beklagten Partei zum 30. 11. 2008 aufgekündigt hat, wurde keiner der anderen von dieser Vereinbarung betroffenen Dienstnehmer vom Betriebsrat von der Einbringung der Klage vorab informiert. Die nicht informierten Dienstnehmer sprachen sich (nachträglich) gegen die Prozessführung aus, weil sie nicht in ihrem Interesse liege.

In seiner gemäß § 54 Abs 1 ASGG eingebrachten Klage begehrt der klagende Betriebsrat neben einem im Revisionsverfahren nicht mehr zu behandelnden (da rechtskräftig abgewiesenen) Unterlassungsbegehren die Feststellung, „dass die Einzelverträge, die die beklagte Partei mit Buslenkern, auf deren Dienstverhältnisse die Bestimmungen des Bundeskollektivvertrags für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben zur Anwendung gelangt, abgeschlossen hat und deren Inhalt die Durchrechnung der Normalarbeitszeit je Kalendermonat erlaubt, mangels Vorliegens einer Betriebsvereinbarung in Bezug auf den Durchrechnungszeitraum (Punkt 7. Arbeitszeit der Musterarbeitsverträge) nichtig sind." Das Verfahren betreffe neun Dienstnehmer, deren Arbeitszeit von der beklagten Partei über einen Zeitraum von einem Monat durchgerechnet werde. Diese Durchrechnung sei nach dem anzuwendenden KV nicht zulässig, eine entsprechende Betriebsvereinbarung existiere nicht. Daher würden lediglich jene Arbeitsstunden, die die monatlich ermittelte Pflichtleistung überschritten, als Überstunden bezahlt.

Die Beklagte wandte dagegen ein, dass mit sämtlichen im Unternehmen der beklagten Partei betroffenen Arbeitnehmern ein Durchrechnungszeitraum von einem Monat vereinbart worden sei, sämtliche Dienstnehmer seien damit einverstanden gewesen. Dem Klagebegehren fehle daher das rechtliche Interesse und überdies die Voraussetzung, dass Rechte von mehr als drei Arbeitnehmer betroffen seien. Die Einbringung der Klage sei gegen den Willen der betroffenen Arbeitnehmer erfolgt und geradezu sittenwidrig.

Das Erstgericht wies mit Urteil beide Klagebegehren zurück. Weder habe ein aktueller Anlass zur Einbringung der Klage bestanden, noch hätten acht von neun Arbeitnehmern Interesse an ihr. Es fehle daher am rechtlichen Interesse iSd § 228 ZPO, abstrakte Rechtsfragen seien nicht feststellungsfähig. Auch dem Unterlassungsbegehren fehle das Rechtsschutzbedürfnis.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des klagenden Betriebsrats teilweise Folge. Es bestätigte die Abweisung des Unterlassungsbegehrens und gab dem Feststellungsbegehren mit folgendem geänderten Wortlaut statt:

„Die beklagte Partei ist nicht berechtigt, in Dienstverhältnissen mit Buslenkern, auf die der Bundeskollektivvertrag für Dienstnehmer in den privaten Autobusbetrieben zur Anwendung gelangt, einen Durchrechnungszeitraum der Normalarbeitszeit von einem Kalendermonat anzuwenden."

Gemäß § 54 Abs 1 ASGG müsse bei wenigstens drei Arbeitnehmern ein unmittelbarer Anlass zur Klageführung gegeben sein, die Voraussetzungen des § 228 ZPO müssten bei diesen Arbeitnehmern vorliegen. Ein unmittelbarer aktueller Anlass sei gegeben, wenn infolge des Verhaltens des Arbeitgebers eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand eines Rechts entstanden sei. Ziel des Verfahrens gemäß § 54 Abs 1 ASGG sei auch die Möglichkeit der Durchsetzung von Interessen einzelner Arbeitnehmer, die sie nicht selbst verfolgten, um Nachteile für sich zu vermeiden. Weder sei die ausdrückliche Zustimmung der betroffenen Arbeitnehmer zur Einbringung der Klage erforderlich, noch hätten sich diese vor Gericht über deren Einbringung zu deklarieren. Das Feststellungsbegehren sei unabhängig vom konkreten Begehren der betroffenen Arbeitnehmer zulässig.

§ 4 Abs 6 AZG sei ein Anwendungsfall des § 1a AZG und räume den Parteien des Kollektivvertrags die Möglichkeit ein, für die Normalarbeitszeit einen Durchrechnungszeitraum von bis zu einem Jahr unter bestimmten Voraussetzungen festzulegen. Der anzuwendende KV sehe eine solche Durchrechnung jedoch weder vor, noch enthalte er dazu eine Ermächtigung zum Abschluss einer Betriebsvereinbarung. Die einzelvertraglich vereinbarte Regelung eines Durchrechnungszeitraums von einem Monat erweise sich als gesetzwidrig. Die begehrte Feststellung der Nichtigkeit einer Bestimmung des einzelnen Arbeitsvertrags komme zwar nicht in Betracht. Das Gericht sei jedoch berechtigt, dem Urteilsspruch eine dem Gesetz entsprechende, vom Feststellungsbegehren abweichende Fassung zu geben, wenn er sachlich nicht mehr oder weniger enthalte, als das Begehren. Der Berufung sei daher betreffend das Feststellungsbegehren im Sinn einer Teilstattgebung mit einem modifizierten Urteilsspruch Folge zu geben.

Die Revision wurde zugelassen, weil Rechtsprechung zur Frage fehle, ob die betroffenen Dienstnehmer ihre Zustimmung zur Einbringung der Feststellungsklage durch den Betriebsrat erteilen müssen bzw ob sie die strittigen Ansprüche individuell gegenüber dem Arbeitgeber vorher geltend machen müssen.

Gegen dieses Urteil im Umfang der Stattgebung des Feststellungsbegehrens richtet sich die auf den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung gestützte Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die bekämpfte Entscheidung im Sinne einer gänzlichen Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der klagende Betriebsrat beantragte in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil Rechtsprechung zur Frage fehlt, ob Erklärungen betroffener Arbeitnehmer wie die hier festgestellten Auswirkungen auf die Beurteilung des Feststellungsinteresses in einem Verfahren gemäß § 54 Abs 1 ASGG haben. Die Revision ist jedoch nicht berechtigt.

I. Die relevierte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Die Präzisierung des Feststellungsbegehrens durch das Berufungsgericht hält sich im Rahmen der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, wonach das Gericht auch noch in höherer Instanz berechtigt und sogar verpflichtet ist, dem Urteilsspruch - auch eines Feststellungsbegehrens - eine klare(re) und deutlichere, vom Begehren abweichende Fassung zu geben, sofern diese in den Behauptungen des Klägers ihre eindeutige Grundlage findet und sich im Wesentlichen mit dem Begehren deckt (RIS-Justiz RS0038852 [T16]). Für die Zulässigkeit des Feststellungsbegehrens ist nicht dessen Wortlaut, sondern der Sinn des Begehrens maßgeblich (RIS-Justiz RS0038852 [T13]), denn das Klagebegehren ist so zu verstehen, wie es im Zusammenhalt mit der Klageerzählung vom Kläger gemeint ist (Fucik in Fasching/Konecny² III § 405 Rz 7 aE).

Aus dem Vorbringen des klagenden Betriebsrats ist klar zu erkennen, dass er die - negative - Feststellung anstrebt, dass die beklagte Partei gegenüber den dem KV unterworfenen Arbeitnehmern bei der Abrechnung der Normalarbeitszeit nicht einen Durchrechnungszeitraum von einem Monat anwendet. Diese Frage ist der wesentliche Gegenstand des vorliegenden Prozesses, sodass das Berufungsgericht berechtigt war, dem Feststellungsbegehren eine im Sinn des Prozessergebnisses klare und deutliche Fassung zu geben (RIS-Justiz RS0039357; 10 Ob 209/02m mwN).

II. Die Revisionswerberin wendet sich nicht mehr gegen die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichts in der Sache selbst, wonach der hier anzuwendende KV einen Durchrechnungszeitraum hinsichtlich der Normalarbeitszeit weder erwähnt noch eine diesbezügliche Ermächtigung an die Parteien der Betriebsvereinbarung enthält. Sie bestreitet ausschließlich das Vorliegen eines Feststellungsinteresses des klagenden Betriebsrats. Mit einer Ausnahme habe keiner der betroffenen Arbeitnehmer dieses Verfahren gewünscht, alle hätten eine Einigung mit der beklagten Partei gefunden. Es fehle daher nicht nur an einem aktuellen Anlass zur Klageführung, die Prozessführung sei auch nicht ökonomisch.

II.1 Dem ist entgegenzuhalten, dass dem besonderen Feststellungsverfahren der Gedanke des kollektiven Klagerechts zugrunde liegt. Dieses beruht auf der Überlegung, dass es den Organen der Arbeitnehmerschaft (und gemäß § 54 Abs 2 ASGG den kollektivvertragsfähigen Körperschaften) möglich sein soll, Verfahren selbst durchführen zu können, die im Interesse einzelner oder mehrerer Arbeitnehmer gelegen sind, von diesen aber nicht geführt werden, weil sie Nachteile - insbesondere die Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses - fürchten (Kuderna, ASGG² § 54 Anm 1). § 54 Abs 1 ASGG normiert eine gesetzliche Prozessstandschaft, die Organe der Arbeitnehmerschaft machen im eigenen Namen Rechte der Arbeitnehmer bzw der Belegschaft geltend (Eypeltauer, Das besondere Feststellungsverfahren (Schluss), JBl 1987, 561 ff [565 f]; Gamerith, Die besonderen Feststellungsverfahren nach § 54 ASGG, DRdA 1988, 303 ff [305]; Kuderna aaO Anm 4). Dementsprechend wirkt ein in einem Verfahren gemäß § 54 Abs 1 ASGG gefälltes Feststellungsurteil nur zwischen den Parteien des Verfahrens (ihren Rechtsnachfolgern) und nur deklarativ (Kuderna aaO Anm 6). Das Urteil wirkt aber weder zum Vorteil noch zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer (RIS-Justiz RS0085545), die Entscheidung kann nur auf faktischer Ebene von Bedeutung sein (Neumayr in ZellKomm § 54 ASGG Rz 11).

II.2 Das Vorliegen eines rechtlichen Interesses an der alsbaldigen Feststellung des begehrten Rechts oder Rechtsverhältnisses iSd § 54 Abs 1 ASGG setzt insbesondere voraus, dass dieses Rechtsverhältnis eine unmittelbare rechtliche (nicht bloß wirtschaftliche oder ideelle) Wirkung auf die Rechtsstellung der betroffenen Arbeitnehmer ausübt und dass bei wenigstens drei Arbeitnehmern ein unmittelbarer (aktueller) Anlass zur Klageführung besteht. Die begehrte Feststellung muss überdies geeignet sein, die Unsicherheit für das Rechtsverhältnis zu beseitigen und künftige Rechtsstreitigkeiten zu verhindern (RIS-Justiz RS0085548, RS0085568, RS0039202, RS0037422 [T7]; Kuderna aaO Anm 6, 7 aE). Voraussetzung ist daher eine tatsächliche Gefährdung der Rechtssphäre der betroffenen Arbeitnehmer, die, wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, schon darin gelegen ist, dass die beklagte Partei den Anspruch verneint (vgl RIS-Justiz RS0039007). Auch aus dem Abschluss der einzelvertraglichen Vereinbarungen über die Durchrechnung ergibt sich daher der unmittelbare Anlass zur Klageführung, weil infolge des Verhaltens der beklagten Partei eine erhebliche objektive Ungewissheit über den Bestand des Rechts entstanden ist (9 ObA 9/99k). Damit liegt aber weder eine bloß abstrakte Rechtsfrage noch ein Anspruch der Arbeitnehmer vor, der von der Arbeitgeberseite bisher ohne Vorbehalt erfüllt worden wäre (9 ObA 9/99k; 8 ObA 332/99b = DRdA 2001/4, 40 mit Anm von Schindler).

II.3 Einer Auseinandersetzung mit den vom Berufungsgericht in seinem Zulassungsausspruch aufgeworfenen weiteren Fragen bedarf es nicht. Denn im vorliegenden Fall sind ausschließlich Erklärungen zu prüfen, die betroffene Arbeitnehmer im Verfahren als Zeugen abgegeben haben. Die betroffenen Arbeitnehmer haben im Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG wie ausgeführt weder eine Rolle als Parteien noch entfaltet das Urteil für oder gegen sie unmittelbare Wirkung. Weder erwerben sie daher aufgrund eines gemäß § 54 Abs 1 ASGG ergangenen Urteils Rechte, noch verlieren sie solche (Kuderna aaO Anm 6). Ihre Rechte bleiben vielmehr unberührt, deren Geltendmachung wird durch § 54 Abs 5 ASGG in gewisser Hinsicht erleichtert.

Klagende Partei im Verfahren nach § 54 Abs 1 ASGG ist - mögen materiell auch Rechte der Arbeitnehmer geltend gemacht werden - das zuständige Belegschaftsorgan, das aufgrund der von § 54 Abs 1 ASGG gewählten Konstruktion insofern auch ein eigenes Interesse an der Verfahrensführung hat, die ja im Ergebnis „nur" faktische Wirkung für die betroffenen Arbeitnehmer entfaltet. Daher kommt einer im Rahmen einer Zeugenaussage im Verfahren gemäß § 54 Abs 1 ASGG abgegebenen Erklärung des betroffenen Arbeitnehmers, er sei an diesem vom Betriebsrat eingeleiteten Verfahren nicht interessiert, keine Bedeutung für die Beurteilung des rechtlichen Interesses gemäß § 228 ZPO zu.

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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