OGH 9ObA9/99k

OGH9ObA9/99k14.4.1999

Der Oberste Gerichtshof hat in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Maier als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Steinbauer und Dr. Spenling sowie die fachkundigen Laienrichter MR Dr. Richard Warnung und Wilhelm Hackl als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der Antragstellerin Wirtschaftskammer Österreich, Allgemeiner Fachverband des Gewerbes, 1045 Wien, Wiedner Hauptstraße 63, gegen die Antragsgegner 1) Bundeskammer für Arbeiter und Angestellte, 1040 Wien, Prinz Eugenstraße 20-22 2) Österreichischer Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft der Privatangestellten, 1010 Wien, Deutschmeisterplatz 2, über den gemäß § 54 Abs 2 ASGG gestellten Antrag auf Feststellung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Antrag, der Oberste Gerichtshof möge feststellen, daß der Arbeitgeber einem überlassenen Arbeitnehmer für die Zeitdauer der Überlassung neben dem kollektivvertraglichen Entgelt des für den Beschäftigerbetrieb anwendbaren Kollektivvertrages auch die in diesem Kollektivvertrag festgesetzten Aufwandersätze (Reisekosten, Montagezulagen, Auslösen, Wegegeld ua.) schuldet, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Die Antragstellerin und die Erstantragsgegnerin sind zur gesetzlichen Interessenvertretung der Arbeitgeber bzw. der Arbeitnehmer berufene Körperschaften im Sinne des § 4 Abs 1 ArbVG; die Kollektivvertragsfähigkeit der Zweitantragsgegnerin ergibt sich aus § 4 Abs 2 ArbVG. Antragstellerin und beide Antragsgegner sind daher im Sinne des § 54 Abs 2 letzter Satz ASGG als Parteien des besonderen Feststellungsverfahrens legitimiert.

Die Antragstellerin beantragt wie im Spruch ersichtlich und bringt dazu im wesentlichen vor wie folgt:

Durch die enge Verknüpfung von Entgelt und Aufwandersatz gewinne ein nicht ersetzter Aufwand zumindest teilweise den Charakter eines "negativen" Entgelts, indem dadurch unter Nichtberücksichtigung des durch die Arbeitsleistung veranlaßten Aufwandes das dem Arbeitnehmer verbleibende Entgelt geschmälert werde. Gehe eine Außendienstzulage über einen reinen Spesenersatz hinaus, gewinne der ersparte Betrag den Charakter echten Entgelts. Die Entgeltanteile von gemischten Aufwandsentschädigungen bzw. die ersparten Anteile derselben seien dem Entgeltbegriff zu unterstellen. Vielfach sei festzustellen, daß die Vertragsteile kollektivvertragliche Aufwandersätzen als ein dem Arbeitnehmer zukommendes Entgelt, das (teilweise) steuerlich und beitragsrechtlich "geschont" werde, verstünden. Häufig würden nach Kollektivverträgen für auswärtige Arbeiten diverse pauschalierte Zulagen gezahlt, die auch - bei entsprechender Sparsamkeit des Arbeitnehmers - einen mehr oder weniger hohen Entgeltanteil enthielten. Diese pauschalierten Zulagen seien im Steuer- und Beitragsrecht begünstigt (§ 26 EStG und § 49 Abs 3 Z 1 ASVG), wodurch im Ergebnis eine Erhöhung des ausgezahlten Nettoentgeltes eintrete.

Während der Überlassung gebühre der überlassenen Arbeitskraft ein sich nach dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes bestimmendes (Mindest-)Entgelt. Zahlreiche Finanzämter und Gebietskrankenkassen würden die früher auch für überlassene Arbeitnehmer anerkannten Reisekostenersätze bei Dienstreisen aufgrund des geänderten Wortlautes der Verordnung BGBl II Nr. 306/1997 nur mehr insoweit anerkennen, als der Arbeitnehmer aufgrund einer "lohngestaltenden Vorschrift" einen solchen Anspruch habe. Durch die Nichtberücksichtigung solcher Reisekostenersätze bei überlassenen Arbeitnehmern aufgrund eines verengten Entgeltbegriffes würden die überlassenen Arbeitnehmer gegenüber den "Stammarbeitnehmern" eines Betriebes in einer gegen § 10 Abs 1 3. Satz AÜG verstoßenden Weise benachteiligt. Überdies trete ein nicht gerechtfertigter Nachteil für die Arbeitskräfteüberlasser ein, die von Finanzämtern und Gebietskrankenkassen zufolge der geänderten Vorgangsweise zu nicht unbeträchtlichen Nachzahlungen herangezogen würden. Die Antragstellerin sei aber der Ansicht, daß einer den weiten Entgeltbegriff berücksichtigenden Auslegung zufolge auch ersparten Entgeltteile von pauschalierten Aufwandersätzen Entgeltcharakter iS § 10 Abs 1 AÜG zukomme und daß der "Aufwandersatz" durch den Ersatz eines Aufwandes, den anderenfalls der Arbeitnehmer selbst zu tragen hätte, einen Teil der Gegenleistung des Arbeitgebers bildet und somit Entgeltcharakter habe. Erfolge dieser "unechte" Aufwandersatz aufgrund des Kollektivvertrages des Beschäftigerbetriebes an dessen "Stammarbeiter", sei es nur folgerichtig, dieses Entgelt auch als aufgrund des Kollektivvertrages als lohngestaltende Vorschrift dem überlassenen Arbeitnehmer geschuldet anzusehen. Diese Frage betreffe eine Vielzahl von Arbeitgebern und Arbeitnehmern.

Das Rechtsschutzinteresse der Antragstellerin als Arbeitgebervertretung an der Feststellung einer Arbeitgeberpflicht sei wegen der reflektorischen Auswirkungen im Bereich des Steuer- und Beitragsrechtes gegeben. Eine unterschiedliche Vorgangsweise hinsichtlich der Lohnnebenkosten von Überlasserbetrieben im Vergleich zu anderen Betrieben wäre überdies iS Arb 7 B-VG sachlich nicht gerechtfertigt und würde gegen das Gebot der verfassungskonformen Auslegung verstoßen. Der Oberste Gerichtshof habe auch bei bereits beendetem Arbeitsverhältnis ein Rechtssschutzinteresse des Arbeitnehmers wegen der mit dem Arbeitsverhältnis verbundenen Auswirkungen im Bereich des Sozialversicherungsrechts anerkannt. Wegen der rechtlichen Auswirkungen für das Abzugsrecht des Arbeitgebers gemäß § 60 ASVG habe auch die Antragstellerin ein rechtliches Interesse an der Feststellung, daß die bisher erfolgten Leistungen von Reisespesen, Diäten, Auslösen ua an überlassene Arbeitnehmer nicht aus Freigiebigkeit der Überlasser, sondern aufgrund einer sich aus dem Kollektivvertrag des Beschäftigerbetriebes ergebenden Rechtspflicht erfolge.

Die Antragsgegner beantragen, den Antrag zurück- bzw. abzuweisen.

Die Erstantragsgegnerin führt im wesentlichen aus, mit der Antragstellerin darin übereinzustimmen, daß der Arbeitgeber einem überlassenen Arbeitnehmer für die Zeit der Überlassung neben dem kollektivvertraglichen Entgelt des für den Beschäftigerbetrieb anwendbaren Kollektivvertrages zumindest die in diesem Kollektivvertrag festgesetzten Aufwandersätze schulde. Trotzdem müsse dem Antrag entgegengetreten werden, weil er nicht den Voraussetzungen des § 54 Abs 2 ASGG entspreche. Die Antragstellerin habe nämlich - von unpräzisen Behauptungen über den Inhalt von Kollektivverträgen und von Vorbringen über die Praxis von Finanzämtern und Gebietskrankenkassen abgesehen - keinen konkreten, einer rechtlichen Beurteilung zugänglichen Sachverhalt behauptet. Auch fehle es ihr am rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung, weil es ihr nicht um die Klärung der arbeitsrechtlichen Zahlungspflicht, sondern um die Klärung sozialversicherungs- und steuerrechtlicher Fragen gehe. Im übrigen verkenne die Antragstellerin, die wahllos Entgelt und Aufwandersatz vermenge - den in Lehre und Rechtsprechung einheitlich vertretenen Entgeltbegriff.

Die Zweitantragstellerin bringt ebenfalls vor, daß im Antrag kein konkreter Sachverhalt behauptet wird. Auch sie macht geltend, daß Ziel des Antrages die Klarstellung der Steuer- und Sozialversicherungsfreiheit von Aufwandsentschädigungen sei, die aus Anlaß von Dienstreisen anfallen, die der Beschäftiger angeordnet habe. Wenngleich die Zweitantragstellerin in dieser Frage mit der Antragstellerin konform gehe, sei die Antragstellung als unzulässiger Versuch zu qualifizieren, die Kompetenzverteilung zwischen den Höchstgerichten zu umgehen, weil vom Verwaltungsgerichtshof kein günstiger Entscheid zu erwarten sei. § 26 Z 4 EStG definiere einen steuerrechtlichen Dienstreisebegriff. Nach dieser Vorschrift könnten jedoch lohngestaltende Vorschriften iS des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG eine abweichende Regelung des Dienstreisebegriffs vornehmen. Lohngestaltende Vorschrift sei insbesondere ein Kollektivvertrag. Für das Gewerbe der Arbeitskräfte-Überlassung bestehe hinsichtlich überlassener Arbeiter kein Kollektivvertrag. Gemäß § 10 Abs 1 AÜG sei jedoch bei der Festsetzung des angemessenen Entgelts während der Dauer der Überlassung auf einen im Beschäftigerbetrieb gültigen Kollektivvertrag Bedacht zu nehmen. Zur Beantwortung der Frage, ob ein solcher Kollektivvertrag, wenn er einen eigenständigen Dienstreisebegriff enthalte, als "lohngestaltende Vorschrift" auch hinsichtlich der Leiharbeiter anzusehen sei, sei ausschließlich der Verwaltungsgerichtshof zuständig. Die von der Antragstellerin vorgenommene Reduktion dieser Frage auf die arbeitsrechtliche Vorfrage sei nicht zielführend, weil die rechtliche Zahlungspflicht in keiner Weise indiziere, daß eine lohngestaltende Vorschrift iS des EStG vorliege. Der Antrag, mit dem das Verfahren nach § 54 Abs 2 ASGG mißbraucht werde, sei daher unschlüssig.

Der Antrag ist aus folgenden Überlegungen abzuweisen:

Rechtliche Beurteilung

Ein Feststellungsantrag gemäß § 54 Abs 2 ASGG muß einen Sachverhalt enthalten, der ein Feststellungsinteresse begründet (8 ObA 57/97h, teilweise veröffentlicht in RdW 1998, 573; Kuderna, ASGG**2 Anm 12 zu § 54). § 54 Abs 5 ASGG, der normiert, daß Feststellungsanträge nach § 54 Abs 2 ASGG auch dann erhoben werden können, wenn der Berechtigte eine Leistungsklage erheben könnte, beseitigt nur die Notwendigkeit des Vorliegens dieser Voraussetzung des rechtlichen Interesses (Kuderna, ASGG**2 Anm 23 zu § 54), ändert aber sonst am Erfordernis des rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung nichts. Dieses rechtliche Interesse ist vom Obersten Gerichtshof auf der Grundlage des vom Antragsteller zu behauptenden Sachverhalts, der auch auf das rechtliche Interesse Bezug nehmen muß, von amtswegen zu prüfen. Sein Fehlen führt zur Abweisung des Feststellungsantrages (8 ObA 57/97h).

Nach der Rechtsprechung zur insoweit vergleichbaren Bestimmung des § 228 ZPO setzt das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung voraus, daß ein unmittelbarer aktueller Anlaß zur Klageführung gegeben ist. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn infolge Verhaltens des Beklagten eine erhebliche objektive Ungewißheit über den Bestand des Rechts entstanden ist. Die begehrte Feststellung muß überdies geeignet sein, die Unsicherheit für das Rechtsverhältnis zu beseitigen und künftige Rechtsstreitigkeiten zu verhindern (Fasching, Lehrbuch**2 Rz 1098, 1100, Rechberger, ZPO, Rz 11 zu § 228; SZ 70/186; SZ 70/84; RdW 1990, 407; RIS-Justiz RS0039202). Demgemäß ist das rechtliche Interesse an der begehrten Feststellung nicht gegeben, wenn das betroffene Recht oder Rechtsverhältnis zwischen den Parteien gar nicht strittig ist (SZ 70/186; 9 ObA 127/94). Nichts anderes gilt im Fall des Antrages nach § 54 Abs 2 ASGG, der - ebenso wie eine Feststellungsklage - der Prävention und der Prozeßökonomie dienen muß (8 Ob 57/97h).

Demgegenüber strebt die Antragstellerin - eine gesetzliche Interessenvertretung der Arbeitgeber - mit dem vorliegenden Antrag die Feststellung einer Arbeitgeberpflicht an, die von den Antragsgegnern nicht bestritten wird. Es fehlt daher am rechtlichen Interesse an der begehrten Feststellung.

Daß der Oberste Gerichtshof - wie die Antragstellerin zur Darlegung ihres rechtlichen Interesses an der begehrten Feststellung ausführt - auch bei bereits beendetem Arbeitsverhältnis ein Rechtsschutzinteresse des Arbeitnehmers an der Feststellung des (früheren) Bestandes eines Arbeitsverhältnis wegen der damit verbundenen sozialversicherungsrechtlichen Folgen bejaht hat, trifft zu. Daraus ist aber für die Antragstellerin nichts zu gewinnen, weil den von ihr dazu zitierten Entscheidungen sämtlich Fälle zugrunde liegen, in denen der Bestand bzw. die Dauer des beendeten Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien strittig war. Demgegenüber ist die von der Feststellung betroffene Arbeitgeberpflicht zwischen den Parteien nicht strittig, weshalb im Sinne der oben wiedergegebenen Rechtslage kein rechtliches Interesse an der begehrten Feststellung besteht. Wie die Antragsgegner zutreffend ausgeführt haben, wendet sich die Antragstellerin mit ihrem Antrag in Wahrheit gegen die von Finanzämtern und Gebietskrankenkassen vorgenommene Auslegung des Begriffes der "lohngestaltenden Vorschrift" iS des § 68 Abs 5 Z 1 bis 6 EStG bzw. um die aus dieser Auslegung gezogenen steuer- und sozialversicherungsrechtlichen Konsequenzen. Zur Überprüfung steuer- und sozialversicherungsrechtlicher Konsequenzen aus zwischen den Parteien nicht strittigen arbeitsrechtlichen Rechtsverhältnisses ist aber der Oberste Gerichtshof nicht berufen.

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