OGH 4Ob171/09i

OGH4Ob171/09i20.10.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** T*****, vertreten durch MMag. Dr. Erich Lackner, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagten Parteien 1. Gemeindeverband *****, vertreten durch Dr. G. Heinz Waldmüller und andere Rechtsanwälte in Innsbruck, sowie 2. Prof. Dr. E***** S*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen 8.000 EUR sA und Feststellung (Streitwert 2.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 24. Juli 2009, GZ 3 R 70/09d-23, mit welchem der Beschluss des Bezirksgerichtes Hall i.T. vom 21. Jänner 2009, GZ 4 C 720/08g-18, teilweise abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung des Erstgerichts auch in Bezug auf das Feststellungsbegehren wiederhergestellt wird.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 1.091,53 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 181,92 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Begründung

Die Klägerin hatte sich am 12. Juli 2000 im Krankenhaus der Erstbeklagten vom Zweitbeklagten an der Schilddrüse operieren lassen.

Im Oktober 2001 begehrte sie von den Beklagten zu 14 Cg 163/01t des Landesgerichts Innsbruck die Zahlung von 130.000 ATS sowie die Feststellung, „dass die Beklagten der Klägerin für alle zukünftigen Schäden aus dem Vorfall vom 12. 7. 2000 zur ungeteilten Hand haften". Sie habe bei der Operation eine Zwerchfelllähmung erlitten. Grund dafür sei ein Kunstfehler des Zweitbeklagten gewesen; zudem sei sie nicht über die Möglichkeit einer solchen Operationsfolge aufgeklärt worden. Ein konkretes Vorbringen zur Art des Kunstfehlers erstattete sie nicht; das rechtliche Interesse für das Feststellungsbegehren begründete sie mit einer allenfalls notwendigen Folgeoperation am Zwerchfell.

Das Gericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass den Beklagten kein Kunstfehler vorzuwerfen sei und wegen der äußerst geringen Wahrscheinlichkeit auch keine Pflicht bestanden habe, über das Risiko einer Zwerchfelllähmung aufzuklären. Die Entscheidung blieb unbekämpft. Eine auf ein Privatgutachten gestützte Wiederaufnahmsklage wurde rechtskräftig zurückgewiesen (14 Cg 146/06z des LG Innsbruck; 7 Ob 71/07b).

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Klägerin 8.000 EUR sA sowie (wiederum) die Feststellung, dass die Beklagten zur ungeteilten Hand „für alle zukünftigen Schäden aus dem Vorfall vom 12. 7. 2000 haften". Bei der Operation sei es auch zu einer Stimmbandlähmung gekommen, die erstmals 2005 diagnostiziert worden sei. Es seien daher (neben dem Zwerchfellnerv) auch der Kehlkopf- und der Stimmbandnerv verletzt worden. Auch insofern lägen ein Kunstfehler und eine Aufklärungspflichtverletzung vor. Das Feststellungsbegehren sei wegen des drohenden vollständigen Stimmverlusts gerechtfertigt. Der nun geltend gemachte Anspruch sei nicht Gegenstand des Vorprozesses gewesen und daher nicht von der Rechtskraft der dort ergangenen Entscheidung erfasst.

Die Beklagten erhoben die Einrede der entschiedenen Sache. Durch die Abweisung des Feststellungsbegehrens im Vorprozess sei rechtskräftig entschieden, dass die Beklagten nicht für Folgen der Schilddrüsenoperation hafteten. In der Sache bestreiten sie das Vorliegen eines Kunstfehlers und einer Aufklärungspflichtverletzung.

Das Erstgericht verwarf die Rechtskrafteinrede. Identität des Anspruchs liege nicht vor, da der Klagegrund der beiden Verfahren nicht übereinstimme. Die Klägerin habe im Vorprozess einen Behandlungsfehler des Zweitbeklagten behauptet, wodurch eine ganz bestimmte Folge (Zwerchfelllähmung) eingetreten sei. Im vorliegenden Fall behaupte sie zwar ebenfalls einen Behandlungsfehler, der jedoch einen anderen Nerv betroffen und damit auch zu einer anderen Folge (Beeinträchtigung der Stimmbänder) geführt habe. Die anspruchsbegründenden Tatsachen seien daher nicht ident. Die umfassende Formulierung des Feststellungsbegehrens müsse im Lichte der anspruchsbegründenden Behauptungen verstanden werden.

Das Rekursgericht bestätigte die angefochtene Entscheidung in Bezug auf das Leistungsbegehren, hob jedoch das Verfahren über das Feststellungsbegehren als nichtig auf und wies die Klage insofern zurück. Weiters sprach es aus, dass der Wert seines Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR überstiegen habe und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Identität des rechtserzeugenden Sachverhalts liege nur insofern vor, als sich die Klägerin auf Behandlungs- und Aufklärungsfehler im Zusammenhang mit der Operation vom 12. Juli 2000 stütze. Als Folge des „schadenstiftenden Ereignisses" habe sie jedoch im Vorverfahren eine Zwerchfelllähmung behauptet, während sie hier eine Verletzung des Kehlkopf- und Stimmbandnervs geltend mache. Derartige Schadensfolgen seien nicht Gegenstand des Vorprozesses gewesen, sodass der rechtserzeugende Sachverhalt nicht übereinstimme. In Bezug auf das Leistungsbegehren liege daher keine entschiedene Sache vor. Dabei sei nicht zu erörtern, ob die Abweisung des Feststellungsbegehrens insofern Bindungswirkung entfalte. Anders verhalte es sich bei den gleichlautenden Feststellungsbegehren. Hier habe sich die Klägerin in beiden Verfahren darauf gestützt, dass kein Endzustand vorliege und daher die Möglichkeit einer weiteren Verschlechterung bestehe. Auch wenn sich die Klägerin dabei im anhängigen Verfahren auf die Möglichkeit eines vollständigen Stimmverlusts beziehe, während sie im Vorprozess eine allenfalls erforderliche Zwerchfelloperation genannt habe, begründe die Entscheidung über das umfassende Feststellungsbegehren das Prozesshindernis der entschiedenen Sache. Wenn dem Feststellungsbegehren im Vorprozess stattgegeben worden wäre, wäre damit auch die Verjährung für Ansprüche aufgrund der nun geltend gemachten Stimmbandnervlähmung unterbrochen worden.

Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil keine gefestigte Judikatur zur Frage vorliege, ob und inwieweit bei einem rechtskräftig abgewiesenen Feststellungsbegehren ein weiteres „Leistungsbegehren" (gemeint wohl: Feststellungsbegehren) mit übereinstimmendem Wortlaut, aber anderen Anspruchsbehauptungen erhoben werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen gerichtete Revisionsrekurs der Klägerin ist zulässig und berechtigt.

1. Vorweg ist festzuhalten, dass eine gesonderte Bewertung des Feststellungsbegehrens nicht erforderlich war. Wird aus demselben schädigenden Ereignis neben Schadenersatz auch die Feststellung der Haftung für zukünftige Schäden begehrt, so sind die Streitwerte von Leistungs- und Feststellungsbegehren nach § 55 JN zusammenzurechnen (RIS-Justiz RS0042923). Damit liegt ein einheitlicher Entscheidungsgegenstand des Rekursgerichts vor (RIS-Justiz RS0053096), der für die Beurteilung der Anfechtbarkeit maßgebend ist. Da dieser Entscheidungsgegenstand nach dem grundsätzlich bindenden Ausspruch des Rekursgerichts zwischen 5.000 und 30.000 EUR liegt, ist der Revisionsrekurs zufolge Zulassung nicht jedenfalls unzulässig. Aus den nachstehend angeführten Gründen liegt auch eine erhebliche Rechtsfrage im Sinne von § 528 Abs 1 ZPO vor.

2. Die Vorinstanzen haben die Rechtsprechung zum Prozesshindernis der entschiedenen Sache richtig wiedergegeben. Es liegt bei übereinstimmendem Streitgegenstand der beiden Verfahren, somit dann vor, wenn der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt, also im Klagegrund, mit jenem des Vorprozesses übereinstimmt (1 Ob 217/75 = SZ 48/113; RIS-Justiz RS0039347; RS0041229; zuletzt etwa 10 Ob 11/08b mwN). Der prozessuale Begriff des Streitgegenstands wird durch den Entscheidungsantrag (Sachantrag) und die zu seiner Begründung erforderlichen, vom Kläger vorgebrachten Tatsachen (rechtserzeugender Sachverhalt) bestimmt (RIS-Justiz RS0037419; RS0039255; RS0037522).

3. Ob die Streitgegenstände zweier Verfahren übereinstimmen, hängt zwar von der Auslegung des jeweiligen Vorbringens und damit von den Umständen des Einzelfalls ab, weswegen im Regelfall keine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung vorliegt (RIS-Justiz RS0044453). Im hier zu beurteilenden Fall ist jedoch aus Gründen der Rechtssicherheit eine Korrektur der angefochtenen Entscheidung erforderlich.

3.1. Die Klägerin stützte sich im Vorprozess zum einen darauf, dass sie aufgrund eines Kunstfehlers des Zweitbeklagten eine Zwerchfelllähmung erlitten habe. Zum anderen warf sie den Beklagten vor, sie nicht über das diesbezügliche Risiko aufgeklärt zu haben. Klagegrund war daher ausschließlich ein auf die Zwerchfelllähmung bezogenes Fehlverhalten. Nur dieses Verhalten war daher im Vorprozess zu prüfen; auch das Feststellungsbegehren bezog sich ausschließlich auf dessen Folgen. Im vorliegenden Verfahren wirft die Klägerin den Beklagten demgegenüber vor, sie nicht über das Risiko einer Stimmbandlähmung aufgeklärt zu haben; dem Zweitbeklagten unterstellt sie einen Kunstfehler, der diese (behauptete) Lähmung verursacht habe. Damit unterscheidet sich der rechtserzeugende Sachverhalt von jenem des Vorprozesses. Ungeachtet des (formal) übereinstimmenden Feststellungsbegehrens liegt daher keine Identität des Anspruchs im Sinne der oben zitierten Rechtsprechung vor.

3.2. Im Übrigen stimmen auch die Begehren - ungeachtet des übereinstimmenden Wortlauts - in Wahrheit nicht überein. Sie beziehen sich zwar jeweils auf den „Vorfall" vom 12. Juli 2000. Was darunter zu verstehen ist, muss allerdings durch Rückgriff auf das Sachvorbringen ermittelt werden (RIS-Justiz RS0037440 [T4]). Dabei wird deutlich, dass die Klägerin als „Vorfall" im Vorprozess die durch die Operation verursachte Zwerchfelllähmung verstand, während sie sich im vorliegenden Fall auf die Folgen der (angeblichen) Verletzung des Kehlkopf- und des Stimmbandnervs bezieht. Richtig verstanden stimmen daher Klagegrund und Klagebegehren jeweils nicht überein.

3.3. Auf dieser Grundlage können die Argumente der Rechtsmittelbeantwortungen nicht überzeugen.

In der von der Erstbeklagten angeführten Entscheidung 2 Ob 63/06p (= SZ 2006/56 = ZVR 2007, 16 [Huber]) hatte das Berufungsgericht - nicht der damit nicht mehr befasste Oberste Gerichtshof - die Einmaligkeitswirkung der Rechtskraft trotz identen Wortlauts der Feststellungsbegehren verneint, weil der Kläger im zweiten Verfahren nicht einen Anspruch aufgrund des bereits im Vorprozess (umfassend) abgehandelten Verschuldens des Unfallgegners geltend gemacht, sondern sich auf ein Fehlverhalten des (neuerlich) geklagten Haftpflichtversicherers bei der Schadensregulierung gestützt hatte. Dieses Ergebnis beruht ebenfalls auf der Relevanz des Klagegrunds für die Reichweite der Rechtskraft und entspricht daher der oben (Punkt 2.) dargestellten Rechtsprechung. Daraus kann aber nicht der (Gegen-)Schluss gezogen werden, dass es für die Rechtskraft im vorliegenden Fall nicht auf das konkrete Klagevorbringen, sondern auf das (umfassend verstandene) „Operationsgeschehen" ankäme. Maßgebend ist vielmehr auch hier, ob sich der konkrete Klagegrund des Vorprozesses von jenem unterscheidet, den der Kläger im späteren Verfahren geltend macht. Das trifft aus den oben genannten Gründen zu (zunächst Kunstfehler und Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf eine Zwerchfelllähmung; dann Kunstfehler und Aufklärungspflichtverletzung in Bezug auf eine Stimmbandlähmung).

Der Zweitbeklagte bringt vor, dass die Abweisung des Feststellungsbegehrens auch ein neuerliches Leistungsbegehren unzulässig mache, weil damit das Nichtbestehen jeglichen Anspruchs feststehe. Das mag zwar in sich schlüssig sein, ist aber aus mehreren Gründen unerheblich. Zum einen hat der Zweitbeklagte den auf das Leistungsbegehren bezogenen (bestätigenden) Teil der Rekursentscheidung nicht bekämpft; es kann daher auch offen bleiben, ob insofern die Rechtsmittelbeschränkung des § 528 Abs 2 Z 2 ZPO eingreift. Zum andern kommt es auf diese Argumentation schon deswegen nicht an, weil wegen des unterschiedlichen Streitgegenstands ohnehin jegliche Rechtskraftwirkung zu verneinen ist.

4. Aus diesen Gründen ist der die Einrede verwerfende Beschluss des Erstgerichts auch in Bezug auf das Feststellungsbegehren wiederherzustellen. Ob die Ansprüche der Klägerin berechtigt sind (Vorliegen und allfällige Kausalität eines Kunstfehlers oder einer Aufklärungspflichtverletzung; Verjährung), ist im gegenwärtigen Verfahrensstadium nicht zu prüfen.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 52 Abs 1 Satz 2, 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat (auch) im Rechtsmittelverfahren des Zwischenstreits über die Rechtskrafteinrede zur Gänze obsiegt.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte