OGH 3Nc37/09k

OGH3Nc37/09k3.9.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Hofrätin Dr. Lovrek als Vorsitzende sowie die Hofräte Hon.-Prof. Dr. Sailer und Dr. Jensik als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Nathalie L*****, geboren am 16. Februar 1994, und Florian L*****, geboren am 21. Dezember 1995, anhängig beim Bezirksgericht Reutte zu AZ 1 P 37/02d, infolge Delegierungsantrags der Mutter Manuela P*****, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Der Antrag, für diese Pflegschaftssache anstelle des Bezirksgerichts Reutte das Bezirksgericht St. Pölten als zur Verhandlung und Entscheidung zu bestimmen, wird abgewiesen.

Text

Begründung

Da nach dem Bericht des Pflegschaftsgerichts Bezirksgericht Reutte der Antrag der Mutter auf Übertragung der Zuständigkeit für die Pflegschaftssache mittlerweile rechtskräftig abgewiesen wurde, ist nunmehr über ihren hilfsweise gestellten Delegierungsantrag vom 19. Mai 2008 (ON 797 des Pflegschaftsakts) zu befinden, der ebenfalls darauf abzielt, das Bezirksgericht St. Pölten zur Verhandlung und Entscheidung zu bestimmen.

Die beiden mj ehelichen Kinder der Antragstellerin wurden am 19. November 2003 in der „Einrichtung" einer Familie im „angrenzenden" Deutschland (im Landkreis Lindau) untergebracht, zu der die Fahrzeit vom Gerichtsort etwa 1 ¼ Stunden beträgt.

Sowohl der Jugendwohlfahrtsträger als gesetzlicher Vertreter der Pflegebefohlenen (Obsorge zur Gänze übertragen durch Beschluss ON 708 des Pflegschaftsakts; rechtskräftig zufolge der Entscheidung 3 Ob 71/09a) als auch der zuständige Richter sprachen sich gegen eine Delegierung aus.

Rechtliche Beurteilung

Der Delegierungsantrag ist nicht berechtigt.

Zwar kann auch die Besorgung der pflegschaftsgerichtlichen Geschäfte nach § 31 Abs 1 JN aus Zweckmäßigkeitsgründen an ein anderes Gericht übertragen werden (4 Nd 510/89). Entscheidend ist bei solchen Rechtssachen für die Frage der Bewilligung aber stets wie im Fall der Zuständigkeitsübertragung nach § 111 JN das Wohl des Kindes (SZ 42/86 = EvBl 1969/410 ua, RIS-Justiz RS0046319). Die Mutter behauptet zwar eine erhebliche Gefährdung des Wohls ihrer Kinder, vermag dies aber nicht schlüssig zu begründen. Soweit sie zum wiederholten Mal die Unterbringung der Kinder in Deutschland kritisiert, ist ihr entgegenzuhalten, dass selbst allfällige Verfahrensverstöße des zuständigen Gerichts keine Delegierungsgründe wären (Mayr in Rechberger³ § 31 JN Rz 4 mwN). Auch nach § 111 JN ist aber maßgebend, dass ein örtliches Naheverhältnis zwischen dem Aufenthaltsort des Mündels und dem Pflegschaftsgericht als im Interesse jenes gelegen angesehen wird (Mayr aaO § 111 Rz 2 mwN). Schon dieser Umstand spricht gegen die Übertragung der Zuständigkeit an ein Gericht, das hunderte Kilometer weiter vom Unterbringungsort der Kinder entfernt ist, den auch der Pflegschaftsrichter wiederholt aufsuchen muss, als das bisher zuständige Gericht. Auch die große Entfernung des Dienstorts der örtlichen, mit den Umständen seit Jahren vertrauten Vertreter des obsorgeberechtigten Jugendwohlfahrtsträgers vom Sitz des von der Mutter gewünschten Gerichts spricht gegen eine Delegierung der Pflegschaftssache (so schon 3 Nc 8/07t in diesem Verfahren [ON 534]).

Soweit die Mutter mit einem abgeleiteten Wohnsitz der Kinder bei ihr argumentieren will, kann es zum einen auf diesen rein rechtlichen Gesichtspunkt für die nach § 31 JN anzustellenden Zweckmäßigkeitsüberlegungen nicht ankommen, zum anderen verkennt sie, dass nach § 71 erster Satz JN ein minderjähriges Kind (nur) den allgemeinen Gerichtsstand seines gesetzlichen Vertreters teilt, das wäre also der Jugendwohlfahrtsträger und nicht mehr sie selbst. Der erneut, wiederum ohne aktenmäßige Grundlage gegen den Vater geäußerte Verdacht eines sexuellen Missbrauchs ist ebenfalls nicht geeignet, die begehrte Delegierung an ein Bezirksgericht zu begründen, in dessen Sprengel allein die Mutter wohnt, der die Obsorge rechtskräftig entzogen wurde und deren jüngster Antrag auf Rückführung der Kinder zu ihr (zufolge 3 Ob 71/09a [ON 884] rechtskräftig) abgewiesen wurde (ON 688). Die Aktenlage bietet im Übrigen keinen Anlass für die Annahme, der derzeitige Zustand (Heimunterbringung, Ferienbesuchsrecht des Vaters) bedeute eine Gefährdung des Kindeswohls. Zudem ist seitens des Pflegschaftsgerichts nach dessen Stellungnahme beabsichtigt, die Kinder - bei aufrecht bleibender Obsorge des Jugendwohlfahrtsträgers - zum Vater (der im Sprengel des Erstgerichts wohnt) übersiedeln zu lassen. Das erforderliche Interesse der Pflegebefohlenen daran, für die vorliegende Pflegschaftssache ein anderes Gericht zu bestimmen, was ja nur im Ausnahmefall zu erfolgen hat und die gesetzliche Zuständigkeitsordnung nicht faktisch durchbrechen soll (4 Nd 510/89; Mayr aaO § 31 Rz 4 mwN), ist damit zu verneinen.

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