OGH 3Ob71/09a

OGH3Ob71/09a22.4.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Prückner als Vorsitzenden sowie die Hofräte und Hofrätinnen Hon.-Prof. Dr. Sailer, Dr. Lovrek, Dr. Jensik und Dr. Fichtenau als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Nathalie L*****, geboren am 16. Februar 1994, und Florian L*****, geboren am 21. Dezember 1995, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter Manuela P*****, vertreten durch Dr. Martin Leys, Rechtsanwalt in Imst, als Verfahrenshelfer gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck vom 25. Juni 2008, GZ 52 R 46/08h, 57/08a-800, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Reutte vom 30. Jänner 2008, GZ 1 P 37/02d-688, bestätigt sowie der Beschluss des Bezirksgerichts Reutte vom 15. Februar 2008, GZ 1 P 37/02d-708, teilweise bestätigt und der Rekurs der Mutter gegen diesen teilweise zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Das Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof wird fortgesetzt.

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Das Erstgericht wies mit Beschluss vom 30. Jänner 2008 (ON 688) die Anträge der Mutter (vom 19. Jänner und 7. April 2005) ab, 1. die vorläufige Maßnahme der Fremdunterbringung ihrer beiden minderjährigen Kinder aufzuheben und die beiden wieder in ihre Obsorge zu geben, und 2. die Maßnahme der Fremdunterbringung der beiden aufzuheben.

Mit Beschluss vom 15. Februar 2008 (ON 708) entzog es ihr die Obsorge für die beiden Minderjährigen zur Gänze und übertrug sie dem Land Tirol (Punkt 1.). Außerdem ordnete es die bereits früher angeordnete vorläufige Maßnahme der vollen Erziehung durch Unterbringung in einer stationären Einrichtung der freien „Jugendwohl" [gemeint:

Jugendwohlfahrt] als endgültige Maßnahme an (Punkt 2.). Das Gericht zweiter Instanz wies den Rekurs der Mutter gegen Punkt 2. des Beschlusses ON 708 zurück und gab dem Rekurs gegen Punkt 1. dieser Entscheidung sowie deren Rekurs gegen den Beschluss ON 688 nicht Folge. Dazu sprach es aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig sei.

Mit in Rechtskraft erwachsenem Beschluss vom 17. Februar 2002 (AZ 53 Nc 2/09f) wies das dasselbe dem Erstgericht im Instanzenzug übergeordnete Landesgericht den im Rechtsmittel ON 817 der Mutter enthaltenen Ablehnungsantrag gegen drei seiner Richter, von denen zwei an der nunmehr angefochtenen Entscheidung beteiligt waren, zurück.

Rechtliche Beurteilung

1. Das bis zur Entscheidung über die behauptete Befangenheit unterbrochene Revisionsrekursverfahren wird von Amts wegen fortgesetzt. Soweit wie beim Entzug der Obsorge das Verfahren auch von Amts wegen hätte eingeleitet werden können (Stabentheiner in Rummel³ 1. ErgBd § 176 Rz 5 mwN), ergibt sich das bereits aus § 26 Abs 3 AußStrG, weil nunmehr wegen der rechtskräftigen Entscheidung über die Ablehnung der Unterbrechungsgrund weggefallen ist (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP 38; Fucik/Kloiber, AußStrG § 26 Rz 4; Rechberger in Rechberger, AußStrG § 26 Rz 6). Davon abgesehen liegt hier keiner der im AußStrG geregelten Unterbrechungsgründe vor; die Unterbrechung beruht vielmehr auf richterlicher Rechtsfortbildung und erfolgte vor dem Hintergrund, dass vor Entscheidung über die erst nach Fällung des angefochtenen Beschlusses erklärte Ablehnung durch das hiefür zuständige Gericht (§ 23 JN) über das Rechtsmittel noch nicht entschieden werden kann. Erst das Vorliegen einer rechtskräftigen Entscheidung über die behauptete Befangenheit ermöglicht im streitigen Verfahren die Beurteilung ob der Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 1 ZPO vorliegt. In Verfahren außer Streitsachen wie dem vorliegenden wäre die angefochtene Entscheidung durch einen erfolgreich abgelehnten Richter zwar nicht nichtig, wohl aber nach § 66 Abs 1 Z 1 iVm § 58 Abs 4 Z 1 AußStrG mit einem derart schweren Verfahrensmangel behaftet, dass der angefochtene Beschluss jedenfalls aufgehoben werden müsste. Anders als bei einer Unterbrechung des Verfahrens in erster Instanz nach § 25 AußStrG, bei denen es nach der Natur der Unterbrechungsgründe möglich ist, dass eine Fortsetzung des Verfahrens von den Antragstellern oder deren Gegnern nicht mehr erwünscht ist, weshalb es gerechtfertigt ist, diese Fortsetzung (anders als nach der ZPO) ganz generell von einem Antrag abhängig zu machen, wird bei der Unterbrechung wegen einer noch unerledigten Ablehnung selbst für den Fall deren Zurückweisung der Rechtsmittelwerber fast in jedem Fall an einer Entscheidung interessiert bleiben, kommt es doch nahezu nicht vor, dass sich das Rechtsmittel ausschließlich auf die Befangenheit stützt. Dagegen muss in den Fällen des § 25 Abs 1 Z 1 - 4 AußStrG jeweils ein neuer Vertreter der Partei einschreiten, der zu einer ganz anderen Beurteilung der Verfahrenschancen kommen kann als der bisherige Einschreiter. Auch Vorfragenentscheidungen iSd § 25 Abs 2 AußStrG bergen eine gewisse Wahrscheinlichkeit in sich, dass sie eine Verfahrensfortsetzung überflüssig oder unerwünscht scheinen lassen. Diese Erwägungen rechtfertigen es, im Fall der Unterbrechung wegen einer nachträglichen Ablehnung das Revisionsrekursverfahren auch ohne entsprechenden Antrag einer Partei im vollen Umfang von Amts wegen fortzusetzen.

2. Der außerordentliche Revisionsrekurs ON 818 ist mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig.

2.1. In dritter Instanz müssen sich die Parteien in Außerstreitverfahren, in denen einander Anträge zweier oder mehrerer Parteien gegenüberstehen können, durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen (§ 6 Abs 1 AußStrG). Das trifft hier deshalb zu, weil die volle Erziehung nach § 15 Abs 3 TirJWG nur auf Antrag des Landes zu gewähren ist (s auch RIS-Justiz RS0048801). Die noch teilweise obsorgeberechtigte Mutter ist zu einem Antrag auf Aufhebung dieser Maßnahme legitimiert. Demnach liegt insoweit der Fall des § 6 Abs 1 AußStrG vor. Nichts anderes gilt aber für den Entzug der Obsorge, der von den in § 176 Abs 2 ABGB als eine der in Abs 1 dieser Norm genannten Verfügungen beantragt werden kann. Solchen Anträgen kann wiederum der bisher mit der Obsorge betraute Elternteil entgegentreten. Somit geht es wiederum um ein potentiell kontradiktorisches Verfahren (Fucik/Kloiber aaO § 6 Rz 2; Rechberger aaO § 6 Rz 2).

2.2. Mit der Rechtsanwaltspflicht im Sinnzusammenhang steht die Verpflichtung nach § 65 Abs 3 Z 6 AußStrG, in außerordentlichen Revisionsrekursen gesondert die Gründe anzuführen, warum entgegen dem Rekursgericht der Revisionsrekurs für zulässig erachtet wird. Solche gesonderte Ausführungen können von einem derartigen Fachmann erwartet werden.

2.3. Im vorliegenden Fall hat im Zuge eines Verbesserungsverfahrens ein der Mutter als Verfahrenshelfer bestellter Rechtsanwalt den von dieser zunächst selbst eingebrachten Schriftsatz (ON 818) mit dem Rechtsmittel unterfertigt und diesen unverändert wieder dem Erstgericht übermittelt (ON 835). Darin werden erhebliche Rechtsfragen iSd § 62 Abs 1 AußStrG ausdrücklich nicht angesprochen; immerhin wird aber in einigen Punkten ein Abweichen des Gerichts zweiter Instanz von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs geltend gemacht. Dennoch vermag die Mutter nicht aufzuzeigen, dass Rechtsfragen der angesprochenen Qualität zu beantworten wären.

2.3.1. Die Ablehnung zweier Richter des rekursgerichtlichen Senats wurde mittlerweile rechtskräftig zurückgewiesen (AZ 53 Nc 2/09f). Nur eine erfolgreiche Ablehnung würde aber den Aufhebungsgrund des § 58 Abs 4 Z 1 AußStrG herstellen.

2.3.2. Dass das Rekursgericht in der Frage zulässiger Neuerungen (§ 49 AußStrG) von Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs abgewichen wäre, ist schon deshalb zu verneinen, weil die Revisionsrekurswerberin die Wesentlichkeit der von ihr ins Treffen geführten Neuerungen nicht darzulegen vermag. Entgegen ihrer Ansicht war für die Heimunterbringung der Kinder nicht allein der - in der Folge nicht erhärtete - Verdacht sexuellen Missbrauchs der Tochter durch den Vater maßgeblich.

2.3.4. Mag es auch zutreffen, dass der Aktenvermerk des Erstgerichts über das sogenannte Hilfeplangespräch mit den Kindern am 7. November 2007 (ON 613) der Mutter nicht zugestellt wurde, waren die Stellungnahmen der Kinder bei diesem Gespräch (Wunsch nach Besuchskontakten) schon Gegenstand der der Mutter sehr wohl zugestellten Entscheidung dieses Gerichts vom 14. Dezember 2007 (ON 639a) und ihr somit inhaltlich bekanntgegeben worden. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs nach § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG ist im Übrigen dadurch gekennzeichnet, dass er nicht - wie die Nichtigkeitsgründe der ZPO - absolut wirkt (5 Ob 174/05g; RIS-Justiz RS0120213). Demnach hätte die Mutter darzulegen gehabt, welches konkrete (zusätzliche) Vorbringen sie erstattet beziehungsweise welche konkreten (weiteren) Beweismittel sie angeboten hätte, wäre sie dem Verfahren erster Instanz umfassend beigezogen worden (6 Ob 165/08w; 3 Ob 131/08y), hätte man ihr also auch eine Kopie des genannten Aktenvermerks übermittelt. Da sie dazu nichts ausführt, hat iSd § 58 Abs 1 AußStrG die bestätigende Sachentscheidung Vorrang. Wegen des ins Außerstreitverfahren übernommenen Modells der Zulassungsrevision (§ 62 Abs 1 AußStrG) ist im Verfahren dritter Instanz diesem Fall jener gleichzuhalten, dass der Oberste Gerichtshof zur Ansicht gelangt, dass ein - ordentlicher oder außerordentlicher - Revisionsrekurs mangels der Voraussetzungen der zuletzt genannten Norm zurückzuweisen ist (§ 71 Abs 2 und Abs 3 AußStrG), weil auch in diesen Fällen eine (eingeschränkte) Überprüfung der zweitinstanzlichen Entscheidung erfolgt und damit eine im gegebenen Zusammenhang einer Vollbestätigung gleichzuhaltende Entscheidung vorliegt (3 Ob 76/08k). Dass auch sonst erhebliche Rechtsfragen nicht aufgezeigt werden können, wie zu zeigen ist, steht eine allfällige Verletzung des rechtlichen Gehörs in diesem Punkt der Zurückweisung des außerordentlichen Revisionsrekurses nicht entgegen.

2.3.5. Im Rekurs gegen den erstgerichtlichen Beschluss ON 708 wird der Rekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung nicht ausgeführt. Demgemäß hielt insoweit das Rekursgericht auch nur fest, dass eine Rechtsrüge nicht erhoben worden sei. Eine in zweiter Instanz unterlassene Rechtsrüge steht aber dem nunmehr erhobene Vorwurf unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache (§ 66 Abs 1 Z 4 AußStrG) durch die zweite Instanz entgegen. Diese hatte sich eben mit materiellrechtlichen Fragen gar nicht zu befassen. Diese Beurteilung entspricht der Judikatur zum völlig gleich formulierten Revisionsgrund des § 503 Z 4 ZPO, wonach eine im Berufungsverfahren unterlassene Rechtsrüge im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden kann (E. Kodek in Rechberger³ § 503 ZPO Rz 23 mwN). Umso weniger können sich in diesem Zusammenhang erhebliche Rechtsfragen stellen. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

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