OGH 15Os92/09g

OGH15Os92/09g19.8.2009

Der Oberste Gerichtshof hat am 19. August 2009 durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schmucker als Vorsitzende sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Danek, Dr. T. Solé und Mag. Lendl sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Krajina als Schriftführerin in der Strafsache gegen Peter D***** wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerden und die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts St. Pölten als Schöffengericht vom 20. Februar 2009, GZ 20 Hv 134/08g-22, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Knibbe, des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Gallauner, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerden werden verworfen.

Den Berufungen wird nicht Folge gegeben.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Peter D***** des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 10. August 2008 in Langmannersdorf die 18-jährige Tochter seiner Lebensgefährtin, Barbara W*****, die wegen einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung unfähig war, die Bedeutung des Vorgangs einzusehen oder nach dieser Einsicht zu handeln, unter Ausnützung dieses Zustands dadurch missbraucht, dass er an ihr geschlechtliche Handlungen vornahm, indem er an der stark alkoholisierten und schlaftrunkenen Barbara W***** einen Vaginalverkehr vollzog.

Rechtliche Beurteilung

Gegen diesen Schuldspruch richten sich Nichtigkeitsbeschwerden des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft; beide schlagen fehl. Zur Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten (§ 281 Abs 1 Z 5 und 9 lit a StPO):

Die (aus Z 5 dritter Fall schon mangels eines Vergleichs jeweiliger Tatsachenannahmen [Ratz, WK-StPO § 281 Rz 436 f] verfehlte) Rüge einer rechtsirrigen rechtlichen Annahme einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung des nach den Urteilsfeststellungen zur Tatzeit (bloß) im Ausmaß von rund 1,6 Promille alkoholisierten Tatopfers (Z 9 lit a) verkennt, dass die Verwirklichung dieses Tatbestandselements eine volle Berauschung des Opfers nicht erfordert. Denn trotz der Anlehnung des Wortlauts an die Bestimmung des § 11 StGB (Zurechnungsunfähigkeit) ist das objektive Tatbild der zweiten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB bereits dann erfüllt, wenn die sexuelle Selbstbestimmungsfähigkeit des Opfers, etwa durch übermäßigen Alkoholkonsum, insoweit aufgehoben ist, als es unfähig ist, die Bedeutung des sexuellen Vorgangs zu erkennen und sich entsprechend zu verhalten. Dazu muss die Willenstätigkeit nicht vollständig ausgeschaltet sein; es genügt vielmehr, wenn das Opfer nicht in der Lage ist, durch verstandesmäßige Erwägungen über das an es gestellte Verlangen frei zu entscheiden. Dies kann - insbesondere unter Berücksichtigung des Lebensalters des Opfers - bereits bei mittelgradiger Berauschung der Fall sein (RIS-Justiz RS0095091 [T6, T7 = 15 Os 94/08z]).

Im konkreten Fall hat das Schöffengericht die Verwirklichung der zweiten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB im Hinblick auf die konstatierte höhergradige Alkoholisierung des erst 18-jährigen, nicht an den Konsum von Alkohol gewöhnten und überdies zur Tatzeit schlaftrunkenen Mädchens (US 7, 10) somit zutreffend bejaht. Im Übrigen betrifft das auf die psychische Beeinträchtigung der zweiten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB abstellende Beschwerdevorbringen gar keinen entscheidungswesentlichen Umstand, weil das Schöffengericht die schon allein durch den konstatierten (US 7) - in der Beschwerde insoweit übergangen, tiefen und festen - Schlafzustand sowie die folgende Schlaftrunkenheit (im Zusammenhalt mit der weiterhin bestandenen höhergradigen Alkoholisierung) des Mädchens begründete, nach der ersten Deliktsvariante des § 205 Abs 1 StGB geforderte Wehrlosigkeit des Tatopfers rechtsrichtig bejaht hat (vgl RIS-Justiz RS0095097 [insbesondere T2]).

Zur Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft (§ 281 Abs 1 Z 5 und Z 9 lit a StPO):

Die nominell auf Z 5 zweiter Fall und Z 9 lit a gestützte Nichtigkeitsbeschwerde rügt der Sache nach (insgesamt) aus Z 10 das Unterbleiben eines weiteren Schuldspruchs wegen des Verbrechens des sexuellen Missbrauchs einer wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Person nach § 205 Abs 1 StGB in Bezug auf eine nach den Verfahrensergebnissen indizierte Vornahme (auch) eines (vollendeten) Anal- sowie Oralverkehrs.

Die Beschwerde verkennt, dass die wiederholte Verwirklichung des gleichen Tatbestands in kurzer zeitlicher Abfolge, also unter nur quantitativer Steigerung (einheitliches Unrecht) bei einheitlicher Motivationslage (einheitliche Schuld) als tatbestandliche Handlungseinheit - mit der Konsequenz nur einmaliger Tatbestandsverwirklichung - aufzufassen ist (RIS-Justiz RS0120233 [T2]; 13 Os 1/07g = EvBl 2007/114). Dies trifft in Anbetracht der nach den Urteilsfeststellungen (US 7 f, 12) und der von der Staatsanwaltschaft bezeichneten Tatschilderung der Zeugin Barbara W***** (ON 3 S 9) von einem einheitlichen Vorsatz des Angeklagten getragenen unmittelbar aufeinander folgenden Tatangriffe hier zu. Das Fehlen von Feststellungen zu weiteren geschlechtlichen Handlungen ist somit nicht nichtigkeitsbegründend, weil ein gesonderter Schuldspruch wegen der von der Zeugin geschilderten Oral- und Analpenetration nicht in Frage kam. Die Art und Anzahl der einem einheitlichen Tatgeschehen zuzurechnenden Tathandlungen, die zu einem und demselben Deliktserfolg führen (hier: neben dem festgestellten Vaginalverkehr auch noch ein Oral- und ein Analverkehr) betrifft weder die Schuldfrage noch die Wahl des anzuwendenden Strafsatzes, sondern nur die - bloß für die Strafbemessung relevante (§ 32 StGB) - Intensität der Tatbegehung (vgl RIS-Justiz RS0100023, RS0099772). Die Nichtigkeitsbeschwerden waren daher zu verwerfen. Das Schöffengericht verhängte über den Angeklagten nach § 205 Abs 1 StGB eine Freiheitsstrafe in der Dauer von 18 Monaten, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil der Strafe von 14 Monaten unter Bestimmung einer dreijährigen Probezeit bedingt nachgesehen wurde. Dabei wertete es eine einschlägige Vorstrafe wegen des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung als erschwerend, als mildernd hingegen keinen Umstand.

Dagegen richten sich die Berufungen des Angeklagten und der Staatsanwaltschaft. Während der Angeklagte die bedingte Nachsicht der gesamten Strafe anstrebt, begehrt die Anklagebehörde deren Erhöhung. Der Berufung des Angeklagten zuwider wirkte dessen Alkoholisierung im Tatzeitpunkt nicht mildernd. Nach den Feststellungen konsumierte der Angeklagte regelmäßig Alkohol (US 10), äußerte bereits vor Beginn seines Konsums, dass er einem Geschlechtsverkehr mit dem Tatopfer „nicht abgeneigt" sei, und konsumierte in der Folge gemeinsam mit diesem „reichlich" Alkohol (US 5). Bei dieser Konstellation wird aber die durch den Rauschzustand des Angeklagten bedingte Herabsetzung der Zurechnungsfähigkeit durch den Vorwurf aufgewogen, den der Genuss des berauschenden Mittels den Umständen nach begründete (§ 35 StGB). Der Berufung der Staatsanwaltschaft zuwider liegt der Erschwerungsgrund der Ausnützung des Vertrauensverhältnisses zum Opfer nicht vor, weil dieses zu Beginn der Tathandlung noch schlief (US 7) und wehrlos war (US 9). Die Ausnützung der Wehr- oder Hilflosigkeit des Opfers (§ 33 Z 7 StGB) wiederum ist bereits Tatbestandsvoraussetzung nach § 205 Abs 1 StGB, sodass eine Berücksichtigung dieses Umstands als erschwerend aufgrund des Doppelverwertungsverbots nicht in Frage kommt (vgl Ebner in WK2 § 32 Rz 59 ff).

Unter Berücksichtigung aller für und wider den Angeklagten sprechenden Umstände ist die vom Schöffengericht ausgemessene 18-monatige Freiheitsstrafe tat- und tätergerecht und bedarf daher weder einer Erhöhung noch einer Reduktion. Die vom Erstgericht gewählte Lösung einer bedingten Nachsicht nur eines 14-monatigen Strafteils ist - der Berufung des Angeklagten zuwider - aus spezial- und generalpräventiver Sicht nicht zu beanstanden; die begehrte Umwandlung des unbedingten Strafteils in eine Geldstrafe iSd § 43a Abs 2 StGB hätte weder für den im erstinstanzlichen Verfahren schulduneinsichtigen Angeklagten noch für die Allgemeinheit entsprechend abschreckende Wirkung.

Demnach hatten beide Berufungen erfolglos zu bleiben. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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