OGH 10Ob35/09h

OGH10Ob35/09h16.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schinko als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Fellinger, Dr. Hoch, Hon.-Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Sascha-Sebastian P*****, geboren am 29. September 1998, und Sandro Friedrich P*****, geboren am 28. April 2002, beide vertreten durch das Land Kärnten als Jugendwohlfahrtsträger (Jugendamt der Stadt Villach, 9500 Villach, Gerbergasse 6), über den Revisionsrekurs des Jugendwohlfahrtsträgers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 16. März 2009, GZ 4 R 78/09a-17, womit infolge Rekurses des Jugendwohlfahrtsträgers der Beschluss des Bezirksgerichts Hermagor vom 20. Oktober 2008, GZ 1 P 59/04v-6, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Beide Minderjährigen und ihre Mutter Sabine G***** (vormals P*****) sind österreichische Staatsbürger, der Vater Sebastian P***** ist deutscher Staatsbürger. Die beiden Minderjährigen bezogen Unterhaltsvorschüsse zunächst nach § 4 Z 5 UVG und zuletzt nach den §§ 3, 4 Z 1 UVG.

Mit Eingabe vom 16. 7. 2008 beantragte das Jugendamt der Stadtgemeinde Villach seine Enthebung als Unterhaltssachwalter nach § 9 Abs 2 UVG, weil die beiden Minderjährigen mit ihrer Mutter nunmehr in Deutschland leben und daher die Zuständigkeit des Jugendamts zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der Minderjährigen nicht mehr gegeben sei.

Das Erstgericht stellte mit Beschluss vom 20. 10. 2008 (ON 6) die den beiden Minderjährigen gewährten Unterhaltsvorschüsse mit Ablauf des Monats Mai 2006 ein und wies gleichzeitig den Antrag des Jugendamts der Stadt Villach auf Enthebung vom Amt eines Vertreters nach § 9 Abs 2 UVG ab. Da die beiden Minderjährigen und ihre Mutter seit Mai 2006 in Österreich keinen gewöhnlichen Aufenthalt mehr hätten und auch der Vater als Unterhaltsschuldner in Deutschland wohne, seien die Voraussetzungen für die Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nach dem österreichischen Unterhaltsvorschussgesetz weggefallen. Die Einstellung der Vorschüsse sei jedoch kein Grund für die Beendigung der Vertretung der Minderjährigen durch den Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 9 Abs 2 UVG, weil dieser weiterhin mit der Einbringung der ausbezahlten Vorschüsse und der Rückabführung an den Präsidenten des Oberlandesgerichts betraut sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Unterhaltssachwalters gegen die Abweisung seines Antrags auf Enthebung keine Folge. Der Jugendwohlfahrtsträger sei gemäß § 9 Abs 2 UVG ex lege Vertreter der mj Kinder zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche. Nach § 9 Abs 3 erster Satz UVG sei die Einstellung der Vorschüsse kein Grund für die Beendigung der Sachwalterschaft nach § 9 Abs 2 UVG. Nur für den - hier nicht vorliegenden - Fall der Vorschussgewährung nach § 4 Z 2, 3 und 4 UVG bestimme § 9 Abs 3 zweiter Satz UVG, dass der Jugendwohlfahrtsträger zu entheben sei, wenn er zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs des Kindes nach der Lage des Falls nichts beitragen könne. Die Bestimmung des § 9 Abs 3 UVG erfasse nur Aspekte der Enthebung, welche sich aus dem UVG selbst ergäben. Es könne darüber hinaus aber auch dann zu einer Enthebung des Jugendwohlfahrtsträgers kommen, wenn andere Gründe, die sie rechtfertigen könnten, hinzukämen. Dies sei hier jedoch nicht der Fall. So seien gemäß § 215a ABGB die Voraussetzungen für eine weitere Vertretungstätigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers gegeben, weil beide Kinder österreichische Staatsbürger seien und ihren letzten inländischen Aufenthalt im Sprengel des Erstgerichts gehabt haben. Sei - wie hier - der Unterhaltsschuldner bekannten Aufenthalts, werde im Allgemeinen kein Grund für eine Enthebung vorliegen. Über seine Verhältnisse seien vom Jugendwohlfahrtsträger in angemessenen Zeitabständen Erkundigungen, vor allem auch bei den Sozialversicherungsträgern, den öffentlichen Arbeitsvermittlungsstellen, Fürsorgestellen und im persönlichen Umfeld oder bei Familienangehörigen einzuholen. Erst wenn eine reelle Rechtsverfolgung ausscheide, der Unterhaltsschuldner etwa dauernd arbeitsunfähig sei und nur von geringen Unterstützungsgeldern seinen Lebensunterhalt bestreite, könne eine Enthebung als Sachwalter in Betracht kommen.

Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs nach § 62 Abs 1 AußStrG zulässig sei, weil - soweit überblickbar - eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur strittigen Rechtsfrage der Enthebung eines Unterhaltssachwalters nach Inkrafttreten des KindRÄG 2001 fehle.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Unterhaltssachwalters mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinn einer Stattgebung seines Antrags auf Enthebung abzuändern. Der Bund, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz beantragt, dem Rechtsmittel keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zwar zulässig, aber nicht berechtigt. Der Revisionsrekurswerber räumt in seinen Rechtsmittelausführungen zunächst ein, dass die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse kein Grund für die Beendigung der Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 9 Abs 2 UVG sei, insbesondere wenn - wie im vorliegenden Fall - vom Unterhaltsschuldner noch rückständige Unterhaltsvorschüsse hereinzubringen und an den Bund abzuführen seien. Die Zuständigkeit des Jugendwohlfahrtsträgers richte sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Minderjährigen und liege daher im gegenständlichen Fall nicht mehr vor. Ein Weiterbestehen der gesetzlichen Vertretung des Jugendwohlfahrtsträgers nach § 9 Abs 2 UVG sei problematisch, da damit auch die Geltendmachung der laufenden Unterhaltsbeträge verbunden sei und im gegenständlichen Fall diesbezüglich bereits Ersuchen der anspruchsberechtigten Kinder auf Übermittlung der Exekutionstitel zur Hereinbringung der allfälligen ab Ende der Unterhaltsvorschussgewährung anerlaufenen Rückstände sowie der laufenden Unterhaltsbeträge vorlägen. Der Jugendwohlfahrtsträger könne daher nach der Lage dieses Falls zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der Kinder sinnvoll nichts mehr beitragen, weshalb sein Antrag auf Enthebung berechtigt sei.

Diesen Ausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

Mit der wirksamen Zustellung des (die Titel- oder Richtsatzvorschüsse zumindest teilweise bewilligenden) Beschlusses an ihn wird der Jugendwohlfahrtsträger ex lege zum ausschließlichen gesetzlichen Vertreter des Kindes in Unterhalts- und Unterhaltsvorschussangelegenheiten bestellt (vgl § 9 Abs 2 UVG). Der Zweck dieser Regelung liegt weniger in einer Wahrung der Interessen des Kindes als in der Eintreibung des Unterhalts, auf den Vorschüsse gewährt wurden. In den Aufgabenbereich des Jugendwohlfahrtsträgers als Vertreter des Kindes fällt - bis zu seiner Enthebung - somit insbesondere auch die Einbindung der Regressinteressen des Bundes (§ 26 UVG). Durch die zwingende Vertretung des Kindes durch den Jugendwohlfahrtsträger zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche soll eine unerwünschte Aufspaltung der Vertreterrolle in Unterhalts- und Vorschussangelegenheiten vermieden werden (Neumayr in Schwimann, ABGB3 § 9 UVG Rz 2 ff; 1 Ob 57/01s jeweils mwN ua). Gemäß § 9 Abs 3 erster Satz UVG ist die Einstellung der Vorschüsse kein Grund zur Beendigung der Vertretung nach § 9 Abs 2 UVG. Im Fall der Vorschussgewährung bloß nach § 4 Z 2, 3 oder 4 UVG ist der Jugendwohlfahrtsträger zu entheben, wenn er zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs nach der Lage des Falls nichts beizutragen vermag. Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass eine Beendigung der alleinigen gesetzlichen Vertretung im Hinblick auf die zu vermeidende Doppelgleisigkeit bei der Hereinbringung von Titelvorschüssen nach § 4 Z 1 und 5 UVG solange nicht gerechtfertigt ist, als die Eintreibung des rückständigen bevorschussten Unterhalts nicht zur Gänze erfolgt ist (vgl 1 Ob 565/90, 5 Ob 526/90 ua). Begründet wurden diese Entscheidungen unter Hinweis auf die entsprechenden Gesetzesmaterialien (vgl EB zur RV 276 BlgNR 15. GP 12) im Wesentlichen damit, dass nur so eine unerwünschte Aufspaltung der Vertreterstellung vermieden und gesichert werden könne, dass rückständige titulierte Beträge, auf die schon dem Kind Vorschüsse gewährt worden seien, vom Unterhaltspflichtigen eingetrieben und auftragsgemäß an den Bund abgeführt würden. Aus diesem Grund habe der Gesetzgeber in § 9 Abs 3 erster Satz UVG ausdrücklich angeordnet, dass die Einstellung der Vorschüsse kein Grund für eine Beendigung der Sachwalterschaft sei. Im vorliegenden Fall ist nicht strittig, dass aus der Gewährung der Unterhaltsvorschüsse noch offene Forderungen aushaften, welche Beträge hereinzubringen und an den Bund abzuführen sind.

Aus § 9 Abs 3 zweiter Satz UVG ergibt sich der allgemeine Grundsatz, dass eine Sachwalterschaft nur bei gegebener Notwendigkeit aufrecht bleiben soll. Auch wenn man mit den Ausführungen des Revisionsrekurswerbers davon ausginge, dass dieser Grundsatz nicht nur für die sogenannten Richtsatzvorschüsse nach § 4 Z 2, 3 oder 4 UVG zu gelten habe, sondern der Jugendwohlfahrtsträger auch bei Titelvorschüssen zu entheben sei, wenn er nichts zur Durchsetzung des Unterhaltsanspruchs des Kindes beitragen könne (vgl in diesem Sinne auch Neumayr aaO § 9 UVG Rz 21 mwN und Knoll, Die Sachwalterschaft des Jugendwohlfahrtsträgers aus der Perspektive des Unterhaltsvorschussgesetzes, RZ 1994, 202 ff [205 f]), wäre dadurch im Ergebnis für den Rechtsstandpunkt des Revisionsrekurswerbers nichts gewonnen. So fallen gemäß § 215a zweiter Satz ABGB die Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers für im Inland zu besorgende Aufgaben, wenn das mj Kind - wie im vorliegenden Fall - österreichischer Staatsbürger ist und im Ausland lebt, weiterhin demjenigen Bundesland zu, in dem das Kind seinen letzten Aufenthalt gehabt hat. Die Befugnis und die Verpflichtung des hier einschreitenden Jugendwohlfahrtsträgers, die Aufgaben des Jugendwohlfahrtsträgers für die beiden im Ausland befindlichen Minderjährigen wahrzunehmen, sind daher weiterhin gegeben. Der Revisionsrekurswerber vermag auch nicht die Unrichtigkeit der weiteren Rechtsansicht des Rekursgerichts darzutun, wonach im Hinblick auf den bekannten Aufenthalt des Unterhaltsschuldners in der Bundesrepublik Deutschland im vorliegenden Fall zumindest derzeit eine reelle Rechtsverfolgung durch den Jugendwohlfahrtsträger möglich sei, zumal von ihm auch gar nicht behauptet wurde, dass die Interessen der beiden Minderjährigen in Bezug auf ihre laufenden Unterhaltsansprüche von der obsorgeberechtigten Mutter geltend gemacht würden. Eine Enthebung des Jugendwohlfahrtsträgers als Unterhaltssachwalter kommt derzeit daher noch nicht in Betracht, weshalb der angefochtene Beschluss zu bestätigen war.

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