OGH 4Ob98/09d

OGH4Ob98/09d9.6.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Fachverband der Buch- und Medienwirtschaft, Wien 4, Wiedner Hauptstraße 63, vertreten durch Tonninger Riegler Maierhofer Rechtsanwälte in Wien, gegen die beklagte Partei L***** Handelsgesellschaft mbH, *****, vertreten durch Dr. Georg Prantl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 35.000 EUR), infolge Revisionsrekurses der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 6. Juni 2006, GZ 1 R 216/06a, 230/06k-11, mit dem der Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt vom 27. September 2007, GZ 27 Cg 99/06f-4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluss wird dahin abgeändert, dass die Entscheidung nunmehr zu lauten hat:

„Der Antrag, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, gegenüber Letztverbrauchern für preisgebundene Bücher im Sinne des Bundesgesetzes über die Preisbindung bei Büchern (BPrBG) Preise anzukündigen, die den festgesetzten österreichischen Mindestpreis (Letztverkaufspreis zuzüglich Umsatzsteuer) für das jeweils angekündigte preisgebundene Buch unterschreiten, insbesondere

a) das preisgebundene Buch 'Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt' von Paulo Coelho, Diogenes Buchverlag, für EUR 19,90 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank 'Verzeichnis lieferbarer Bücher' ('www.buchmarkt.at ' sowie 'www.vlb.de ') festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 20,50 beträgt;

b) das preisgebundene Buch 'Die Arbeit der Nacht' von Thomas Glavinic, Verlag Hanser, Carl /VM, für EUR 21,50 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank 'Verzeichnis lieferbarer Bücher' ('www.buchmarkt.at ' sowie 'www.vlb.de ') festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 22,10 beträgt;

c) das preisgebundene Buch 'Gut gegen Nordwind' von Daniel Glattauer, Verlag Zsolnay, Paul /VM, für EUR 17,90 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank 'Verzeichnis lieferbarer Bücher' ('www.buchmarkt.at ' sowie 'www.vlb.de ') festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 18,40 beträgt; sowie

d) das preisgebundene Buch 'Terrorist' von John Updike, Verlag Rowohlt, für EUR 19,90 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank 'Verzeichnis lieferbarer Bücher' ('www.buchmarkt.at ' sowie 'www.vlb.de ') festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 20,50 beträgt,

wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.171,08 EUR (darin 195,18 EUR USt) bestimmten Äußerungskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen."

Die klagende Partei hat die Kosten des Rechtsmittelverfahrens einschließlich jener des Zwischenstreits vor dem Europäischen Gerichtshof endgültig selbst zu tragen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 18.880,02 EUR (darin 3.146,67 EUR USt) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens einschließlich jener des Zwischenstreits vor dem Europäischen Gerichtshof binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Begründung

Der klagende Verband ist der für die Buch- und Medienwirtschaft zuständige Bundesfachverband der Wirtschaftskammer Österreichs, dem über die Landesfachgruppen über 4.000 Buchhändler und Verleger als Mitglieder angehören. Als zuständiger Fachverband für die Bekanntmachung der Mindestpreise gemäß § 4 Abs 2 des Bundesgesetzes über die Preisbindung bei Büchern (BGBl I 45/2000 - in der Folge nur: BPrBG) veröffentlicht er - auf der Website www.buchmarkt.at - die von Buchhändlern einzuhaltenden Letztverkaufspreise gemäß § 3 Abs 1 BPrBG zuzüglich Umsatzsteuer (in der Folge: österreichischer Mindestpreis). Der Kläger überwacht auch, ob Letztverkäufer bei der Werbung für den Absatz preisgebundener Bücher den Mindestpreis unterschreiten. Die Beklagte handelt ua mit Büchern; sie betreibt in Österreich über 200 Filialen. Etwa 80 % der von ihr im Inland vertriebenen Bücher erwirbt sie von Verlagen, die ihren Sitz im Ausland haben. Sie bewarb ab August 2006 den Verkauf preisgebundener, in Deutschland verlegter Bücher im Inland gegenüber Letztverbrauchern zu Preisen unter den für Österreich festgesetzten Mindestpreisen. Darunter war etwa das im August 2006 im Verlag Rowohlt erschienene Buch „Terrorist" von John Updike. Diesen Titel hatte die Beklagte direkt aus Deutschland importiert; dafür war ein veröffentlichter österreichischer Mindestpreis von 20,50 EUR festgesetzt. Die Beklagte bot das Buch zum Letztverkaufspreis von 19,90 EUR an. Das im deutschen Verlag Hanser im August 2006 erschienene Buch „Die Arbeit der Nacht" von Thomas Glavinic (veröffentlichter österreichischer Mindestpreis 22,10 EUR) wurde von ihr etwa zum Letztverkaufspreis von 21,50 EUR angeboten. Dieser Titel war einer von jenen, den die Beklagte über einen österreichischen Zwischenhändler erwarb.

Zur Sicherung eines inhaltsgleichen Unterlassungsanspruchs beantragte der Kläger am 11. 9. 2006, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es bis zur Rechtskraft des über die Klage ergehenden Urteils im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen, gegenüber Letztverbrauchern für preisgebundene Bücher im Sinne des Bundesgesetzes über die Preisbindung bei Büchern (BPrBG) Preise anzukündigen, die den festgesetzten österreichischen Mindestpreis (Letztverkaufspreis zuzüglich Umsatzsteuer) für das jeweils angekündigte preisgebundene Buch unterschreiten, insbesondere

a) das preisgebundene Buch „Sei wie ein Fluss, der still die Nacht durchströmt" von Paulo Coelho, Diogenes Buchverlag, für EUR 19,90 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank „Verzeichnis lieferbarer Bücher" („www.buchmarkt.at " sowie „www.vlb.de ") festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 20,50 beträgt;

b) das preisgebundene Buch „Die Arbeit der Nacht" von Thomas Glavinic, Verlag Hanser, Carl /VM, für EUR 21,50 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank „Verzeichnis lieferbarer Bücher" („www.buchmarkt.at " sowie „www.vlb.de ") festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 22,10 beträgt;

c) das preisgebundene Buch „Gut gegen Nordwind" von Daniel Glattauer, Verlag Zsolnay, Paul /VM, für EUR 17,90 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank „Verzeichnis lieferbarer Bücher" („www.buchmarkt.at " sowie „www.vlb.de ") festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 18,40 beträgt; sowie

d) das preisgebundene Buch „Terrorist" von John Updike, Verlag Rowohlt, für EUR 19,90 anzukündigen, wenn der mittels Eintrag in der Datenbank „Verzeichnis lieferbarer Bücher" („www.buchmarkt.at " sowie „www.vlb.de ") festgesetzte Mindestpreis (Letztverkaufspreis + USt) für Österreich EUR 20,50 beträgt.

Die Beklagte bewerbe Bücher gegenüber Letztverbrauchern zu Preisen, die entgegen den Bestimmungen des BPrBG unter dem jeweils veröffentlichten Mindestpreis lägen. Sie verschaffe sich damit einen sittenwidrigen Wettbewerbsvorteil gegenüber gesetzestreuen Mitbewerbern (§ 1 UWG).

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Sicherungsantrags unter anderem mit dem Argument, § 3 Abs 2 BPrBG widerspreche der in der Gemeinschaft zu gewährleistenden Warenverkehrsfreiheit. Das Erstgericht gab dem Sicherungsantrag statt. Das BPrBG sei in seinen allfälligen mittelbaren Beschränkungen des freien Warenverkehrs aus kulturellen Gründen und zur Erhaltung der Medienvielfalt gerechtfertigt.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 20.000 EUR übersteige und der ordentliche Revisionsrekurs mangels höchstgerichtlicher Rechtsprechung zu den hier aufgeworfenen Rechtsfragen des BPrBG zulässig sei. Die von der Beklagten verletzten Bestimmungen des BPrBG seien mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar. Das BPrBG regle weder eine Einfuhr- noch eine Ausfuhrbeschränkung. Inländische Importeure könnten gemäß § 3 Abs 3 BPrBG überdies den im Ausfuhrmitgliedstaat erzielten Vorteil eines günstigeren Preises im Endverkaufspreis an Kunden weitergeben. Da die Preisbindung und die Rechtspflicht, sie zu beachten, nur die Gestaltungsfreiheiten beim Vertrieb deutschsprachiger Bücher in Österreich, aber nicht deren Herstellung beschränke, handle es sich um eine reine Verkaufsmodalität, die den freien Warenverkehr innerhalb der Gemeinschaft nicht behindere. Selbst im Fall einer Beurteilung der grenzüberschreitenden Buchpreisbindung als Eingriff in die Warenverkehrsfreiheit wäre sie aus kulturellen Gründen und zur Erhaltung der Medien- und Titelvielfalt gerechtfertigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Oberste Gerichtshof (OGH) erachtete den Revisionsrekurs der Beklagten als zulässig. Er legte mit Beschluss vom 13. 11. 2007, 4 Ob 172/07h, dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) gemäß Art 234 EG folgende Fragen zur Vorabentscheidung vor:

1. Ist Artikel 28 EG dahin auszulegen, dass er an sich der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegensteht, die lediglich Importeure von deutschsprachigen Büchern verpflichten, für die in das Inland eingeführten Bücher einen Letztverkäufer bindenden Verkaufspreis festzusetzen und bekannt zu machen, wobei der Importeur den vom Verleger für den Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Letztverkaufspreis oder den von einem Verleger mit Sitz außerhalb eines Vertragsstaats des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) für das Inland empfohlenen Letztverkaufspreis, abzüglich einer darin enthaltenen Umsatzsteuer, nicht unterschreiten darf, aber eine Ausnahme für den Fall besteht, dass der Importeur, der zu einem von üblichen Einkaufspreisen abweichenden niedrigeren Preis kauft, den vom ausländischen Verleger festgesetzten oder empfohlenen Preis - im Fall von Reimporten den vom inländischen Verleger festgesetzten Preis - im Verhältnis zum erzielten Handelsvorteil unterschreiten darf?

2. Bei Bejahung der Frage nach Punkt 1.:

Ist eine an sich Artikel 28 EG - allenfalls auch auf Grund einer in die Warenverkehrsfreiheit eingreifenden Verkaufsmodalität - widersprechende nationale gesetzliche Buchpreisbindung nach Punkt 1., deren Zweck ganz allgemein mit einer gebotenen Bedachtnahme „auf die Stellung von Büchern als Kulturgut, die Interessen der Konsumenten an angemessenen Buchpreisen und die betriebswirtschaftlichen Gegebenheiten des Buchhandels" umschrieben ist, nach Artikel 30 oder Artikel 151 EG etwa vor dem Hintergrund eines Allgemeininteresses an der Förderung der Buchproduktion, einer Titelvielfalt zu geregelten Preisen und einer Vielfalt an Buchhändlern - trotz des Mangels an empirischen Daten, die belegen könnten, dass sich das Mittel einer gesetzlichen Buchpreisbindung eigne, die damit angestrebten Ziele zu erreichen - gerechtfertigt?

3. Bei Verneinung der Frage nach Punkt 1.:

Ist die nationale gesetzliche Buchpreisbindung nach Punkt 1. mit den Artikeln 3 Abs 1 lit g, 10 und 81 EG vereinbar, obgleich sie zeitlich und sachlich nahtlos an die vorangegangene vertragliche Bindung der Buchhändler an die von Verlegern festgesetzten Preise für Verlagserzeugnisse (Sammelreverssystem 1993) anschloss und dieses vertragliche System ersetzte?

Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften erkannte mit Urteil vom 30. 4. 2009 in der Rechtssache C-531/07 im Anlassfall zu Recht:

1. Eine nationale Regelung, die Importeuren deutschsprachiger Bücher untersagt, einen vom Verleger im Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Letztverkaufspreis zu unterschreiten, stellt eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie eine mengenmäßige Einfuhrbeschränkung im Sinne von Art 28 EG dar.

2. Eine nationale Regelung, die Importeuren deutschsprachiger Bücher untersagt, einen vom Verleger im Verlagsstaat festgesetzten oder empfohlenen Letztverkaufspreis zu unterschreiten, kann weder durch Art 30 EG oder Art 151 EG noch durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden.

Der Senat hat nunmehr erwogen:

1. Die Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) entfaltet bindende Wirkung für das Ausgangsverfahren vor dem österreichischen Gericht in allen Instanzen, und zwar nicht nur in ihrem Tenor, sondern auch in den tragenden Entscheidungsgründen (vgl RIS-Justiz RS0111726 [T4]).

2. Die Beklagte macht im Revisionsrekurs ua geltend, selbst bei Vorliegen eines Gesetzesverstoßes wäre dieser unbeachtlich, weil das österreichische System der gesetzlichen Buchpreisbindung im Fall grenzüberschreitender Sachverhalte als gemeinschaftsrechtswidrig von den Gerichten nicht anzuwenden sei; das Gesetz verletze nämlich die Grundsätze der Warenverkehrsfreiheit und der Vertragstreue.

3. Nach der bindenden Auffassung des EuGH in der Rechtssache C-531/07 verstößt das österreichische System der gesetzlichen Buchpreisbindung gegen Art 28 EG und kann weder durch Art 30 EG oder Art 151 EG, noch durch zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses gerechtfertigt werden.

4. Der Vorrang des Gemeinschaftsrechts verlangt, eine ihm widersprechende nationale Norm nicht anzuwenden (EuGH 9. 12. 2003, Rs C-198/01 - CIF Rz 48; vgl RIS-Justiz RS0109951 [T3]).

5. Aus dieser Rechtslage folgt, dass die von der Beklagten nicht beachteten Bestimmungen des BPrBG mit dem Gemeinschaftsrecht nicht vereinbar und demnach nicht anzuwenden sind. Damit geht der Vorwurf des Klägers, die Beklagte habe sich gegenüber ihren Mitbewerbern durch die beanstandete Preisgestaltung einen sittenwidrigen Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch (§ 1 UWG idF vor der Nov 2007) verschafft, ins Leere. Der Sicherungsantrag erweist sich damit als nicht berechtigt.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 393 Abs 1 EO iVm 41 Abs 1 ZPO, für das Rechtsmittelverfahren iVm § 50 Abs 1 ZPO. Das Verfahren vor dem EuGH gemäß Art 234 EG ist als Zwischenstreit des Revisionsrekursverfahrens anzusehen, so dass die Bestimmung der darauf entfallenden Kosten dem vorlegenden nationalen Gericht vorbehalten ist (RIS-Justiz RS0109758). Mangels abweichender Bestimmung sind die Kosten der Beteiligung der Beklagten am Verfahren vor dem EuGH nach TP 3 C RATG zu bestimmen (1 Ob 332/97y). Der Ansatz nach TP 3 C RATG für den am 8. 8. 2007 eingebrachten Revisionsrekurs beträgt 974,90 EUR; eine Entlohnung über das Maß des Tarifs (§ 21 RATG) allein aus dem Grund der Anregung, ein Vorabentscheidungsverfahren einzuleiten, kommt nicht in Betracht. Der verzeichnete Aufwand für Postgebühren wurde nicht bescheinigt (§ 54 Abs 1 ZPO).

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