OGH 4Ob18/09i

OGH4Ob18/09i24.2.2009

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei T***** AG, *****, vertreten durch Dr. Rudolf Hein, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Michael T*****, vertreten durch Marschall & Heinz Rechtsanwalts-Partnerschaft in Wien, wegen 7.698,72 EUR sA, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom 2. September 2008, GZ 37 R 355/08t-29, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Bezirksgerichts Hernals vom 17. Jänner 2008, GZ 5 C 333/07k-17, zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Das Erstgericht erließ am 17. 1. 2008 ein Versäumungsurteil. Mit weiterem Beschluss vom 26. 3. 2008, dem Beklagten durch Hinterlegung am 3. 4. 2008 zugestellt, wies es den Antrag des Beklagten auf Bewilligung der Verfahrenshilfe mit Beigebung eines Rechtsanwalts ab. Am 9. 5. 2008 brachte der frei gewählte Rechtsvertreter des Beklagten die Berufung gegen das Versäumungsurteil im elektronischen Weg ein. Der Schriftsatz selbst war an das Erstgericht (Bezirksgericht Hernals) adressiert; die Übermittlung mittels ERV erfolgte jedoch an das Bezirksgericht Leopoldstadt, welches die Berufung an das Erstgericht weiterleitete. Sie langte dort am 16. 5. 2008 ein. Das Berufungsgericht wies die Berufung als verspätet zurück. Die Rekursfrist gegen den Beschluss vom 26. 3. 2008 habe mit Ablauf des 17. 4. 2008 geendet. Letzter Tag der Berufungsfrist wäre daher der 15. 5. 2008 gewesen. Das am 16. 5. 2008 beim Erstgericht eingelangte Rechtsmittel sei verspätet.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss aufzuheben und dem Berufungsgericht die meritorische Erledigung der Berufung aufzutragen. Mit dem Rechtsmittel verband er einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsfrist.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist gemäß § 519 Abs 1 Z 1 ZPO jedenfalls zulässig (RIS-Justiz RS0042770, RS0098745); er ist aber nicht berechtigt.

1. Der Beklagte macht geltend, die Berufung sei richtig an das Erstgericht adressiert gewesen, weshalb sich die Rechtzeitigkeit nach jenem Zeitpunkt richte, zu dem die Daten zur Gänze beim Bundesrechenamt bzw bei der Übermittlungsstelle Datacom Austria GmbH eingelangt seien (§ 89d GOG). Der Schriftsatz sei aber über webERV „unrichtigerweise und aus nicht nachvollziehbaren Gründen" an das Bezirksgericht Leopoldstadt geleitet worden. Der Fehler, ein Programmfehler, sei nicht ihm zuzurechnen. Es könne nicht darauf ankommen, wohin das System „webERV" das Schriftstück unrichtig leite.

2. Zur Bescheinigung seiner Rechtsmittelbehauptungen beruft sich der Beklagte auf die eidesstättige Erklärung einer Kanzleikraft des Beklagtenvertreters. Diese bestätigt lediglich, dass sie den Auftrag hatte, die Berufung beim Erstgericht einzubringen, dass sie die Daten überprüft und deren Versendung vorgenommen hatte. Der behauptete Programmfehler ist somit nicht einmal ansatzweise bescheinigt. Nach Einsicht in den Berufungsschriftsatz ist vielmehr davon auszugehen, dass der Fehler in der (unrichtigen) elektronischen Eingabe des Adressatgerichts lag. Der Rechtsmittelschriftsatz war zwar an das Erstgericht (Bezirksgericht Hernals) gerichtet, die Eingabe aber fälschlicherweise mit dem „Dienststellenkürzel" des Bezirksgerichts Leopoldstadt als Empfangsgericht (082 anstatt 014 für das Bezirksgericht Hernals) versehen.

3. Nach ständiger Rechtsprechung liegt eine unrichtige Adressierung, die die Anwendung des § 89 GOG ausschließt, nicht nur bei Bezeichnung eines falschen Gerichts, sondern auch dann vor, wenn das zuständige Gericht zwar richtig bezeichnet, seine Anschrift aber falsch angegeben wurde (RIS-Justiz RS0041695). Die durch eine unrichtige Adresse ausgelöste Verzögerung des Postenlaufs geht zu Lasten des Rechtsmittelwerbers (RIS-Justiz RS0060177). Die Nichteinrechnung des Postenlaufs in die Rechtsmittelfrist (§ 89 Abs 1 GOG) hat zur Voraussetzung, dass die Anschrift der Postsendung an jenes Gericht lautet, bei dem die Eingabe gesetzmäßig zu überreichen ist, andernfalls entscheidet der Tag ihres Einlangens beim zuständigen Gericht (RIS-Justiz RS0041608).

Wird das Rechtsmittel beim unzuständigen Gericht eingebracht und erst von diesem dem zuständigen Gericht übersendet, ist die Zeit dieser Übersendung in die Rechtsmittelfrist einzurechnen (RIS-Justiz RS0041584). Die unrichtige Adressierung schadet nur dann nicht, wenn die Einlaufstellen des Gerichts, bei dem die Eingabe einlangt, und jenes, bei dem es hätte einlangen müssen, im Sinne des § 37 Abs 2 Geo vereinigt sind (RIS-Justiz RS0041726). Tragende Begründung dieser Rechtsprechung ist der Umstand, dass im Fall des fristgerechten Einlangens des Rechtsmittels bei der vereinigten Einlaufstelle beider Gerichte keine Verzögerung gegenüber dem Fall der richtigen Adressierung eintritt (RIS-Justiz RS0042726; 6 Ob 130/05v; 7 Ob 166/05w uva; Danzl, Geo § 37 Rz 6).

4.1. Der Beklagtenvertreter hat von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, das Rechtsmittel elektronisch einzubringen.

Der elektronische Rechtsverkehr (webERV) basiert auf der Übermittlung strukturierter Daten im XML-Format. Diese Daten werden in der Regel in geeigneten Softwareprodukten wie etwa Kanzleiverwaltungssoftware für Rechtsanwälte oder Notare bzw bei Gericht in der Verfahrensautomation Justiz erfasst und im Wege von sogenannten Übermittlungsstellen an die Bundesrechenzentrum GmbH weitergeleitet (Justiz-ERV, FAQs zum ERV [Stand 1. 7. 2008], Pt.5). Die Bundesrechenzentrum GmbH protokolliert Tag und Uhrzeit des Einlangens der Daten und leitet sie an das Gericht weiter (§ 4 Abs 2 ERV 1995). Bei Gericht wird dann erforderlichenfalls ein Ausdruck der elektronisch angebrachten Eingabe hergestellt, die für die weitere Erledigung Verwendung findet (§ 8 ERV 1995).

4.2. Gemäß § 89d Abs 1 GOG gelten elektronische Eingaben als bei Gericht angebracht, wenn ihre Daten zur Gänze bei der Bundesrechenzentrum GmbH eingelangt sind. Nach den Materialien zu § 89d Abs 1 GOG (RV 888 BlgNR 17. GP, 26) soll „das Bundesrechenamt die Funktion einer vorgelagerten Einlaufstelle des Gerichts erhalten". Dieses Verständnis ändert aber nichts daran, dass auch ein im Wege des ERV eingebrachtes Schriftstück - wegen Nichteinrechnung des Postenlaufs - nur dann als rechtzeitig angesehen werden kann, wenn es an das richtige Gericht adressiert war. Dazu reicht die richtige Bezeichnung des Gerichts im Schriftsatz selbst nicht aus, es muss auch die Anschrift der Postsendung an jenes Gericht lauten, bei dem die Eingabe zu überreichen ist (vgl RIS-Justiz RS0041608 zu § 89 GOG). Dies war hier nicht der Fall.

4.3. Die im vorliegenden Fall mittels „ERV-Folgeeingabe" eingebrachten Schriftsätze machen deutlich, dass die zur Vollständigkeit der Eingabe erforderliche Angabe des Aktenzeichens aus mehreren Bestandteilen besteht. Anzugeben sind Dienststellenkürzel des Gerichts, Geschäftsabteilung, Gattung, Aktenzahl, Jahr und Prüfzeichen. Das vollständige - richtige - Aktenzeichen des Prozessgerichts lautet daher im vorliegenden Fall „014 005 C 333/07 k" (vgl ON 26, ON 31). Die im elektronischen Rechtsverkehr übermittelte Berufung des Beklagten ON 24 wies hingegen die Bezeichnung „082 005 C 333/07 k" auf, enthielt somit - fälschlicherweise - das Dienststellenkürzel „082" des Bezirksgerichts Leopoldstadt anstelle jenes des Bezirksgerichts Hernals „014". Dies hatte zur Folge, dass die Berufung im Bezirksgericht Leopoldstadt einlangte und von dort als „Irrläufer" an den richtigen Adressaten, das Bezirksgericht Hernals weitergeleitet wurde (allerdings dort erst nach Ablauf der Berufungsfrist einlangte).

Das Schriftstück langte auf diese Weise bei einem „falschen Gericht" ein, wodurch es zu einer Verfahrensverzögerung kam. Eine sinngemäße Anwendung der zum Einlangen des Schriftstücks in einer vereinigten Einlaufstelle entwickelten Rechtsprechung auf die Bundesrechenzentrum GmbH kommt daher schon deshalb nicht in Frage. Davon abgesehen kann § 89d Abs 1 GOG nicht entnommen werden, dass damit eine „gemeinsame Einlaufstelle" für sämtliche österreichischen Gerichte iSv § 37 Abs 2 Geo geschaffen werden sollte. Gegen eine derartige Annahme spricht schon die für jedes Gericht unterschiedlich vergebene Kennziffer (das „Dienststellenkürzel").

4.4. Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass die in den Gesetzesmaterialien zu § 89d GOG vorgesehene Funktion der Bundesrechenzentrum GmbH als „vorgelagerte Einlaufstelle des Gerichts" nichts daran ändert, dass ein im Wege des ERV übermitteltes Schriftstück - unter Nichteinrechnung des Postenlaufs - nur dann als rechtzeitig eingebracht angesehen werden kann, wenn es durch Angabe des jeweils zutreffenden „Dienststellenkürzels" an das richtige Gericht adressiert war. Wurde hingegen die Dienststellenkennzeichnung des Adressatgerichts anlässlich der Eingabe des Rechtsmittels unrichtig angegeben, und langte der Schriftsatz deshalb beim falschen Gericht ein, das ihn (mit Zeitverzögerung) an das zuständige Gericht übermitteln musste, so ist die Eingabe nur dann als rechtzeitig anzusehen, wenn sie noch innerhalb der Rechtsmittelfrist beim zuständigen Gericht einlangt.

5. Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel des Beklagten zutreffend als verspätet zurückgewiesen. Seinem Rekurs ist der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Über den Wiedereinsetzungsantrag des Beklagten gegen die Versäumung der Berufungsfrist wird das Erstgericht zu entscheiden haben (vgl 2 Ob 96/07t).

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