OGH 5Ob225/08m

OGH5Ob225/08m13.1.2009

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Floßmann als Vorsitzenden und durch die Hofrätinnen/Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hurch, Dr. Höllwerth, Dr. Roch und Dr. Tarmann-Prentner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Aloisia E*****, vertreten durch Stolz & Schartner Rechtsanwälte GmbH in Radstadt, gegen die beklagte Partei Agrargemeinschaft S*****, vertreten durch den Obmann Michael T*****, dieser vertreten durch Mag. Wilfried Huber, Rechtsanwalt in Fügen, wegen Urkundenvorlage (Streitwert 21.800 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 15. Juli 2008, GZ 3 R 88/08b-14, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung

Die Parteien sind Miteigentümer einer Liegenschaft, über deren Nutzung Uneinigkeit herrscht. Am 17. 4. 1991 kam es zu einer Besprechung der Streitteile, bei der Hans G***** von der beklagten Agrargemeinschaft ein Protokoll verfasste mit folgendem auszugsweisen Inhalt:

„Grund der Zusammenkunft ist die gänzliche Nutzungsteilung zwischen Agrargemeinschaft S***** und Familie E*****. Es umfasst dies den K*****-Niederleger bis zur Grenze des Hochlegers. Die Parteien der Zusammenkunft kommen dahin überein, dass die gänzliche Nutzungsteilung des K*****-Niederlegers in der die Nutzungsgrenze wie laut Katasterplan festgelegt wird, vertraglich festgesetzt wird. Der Vertrag der Nutzungsteilung soll verbüchert werden, um in Hinkunft Unklarheiten aus dem Weg zu gehen. In der Natur sind die notwendigen Grenzmarkierungen anzubringen. Der Vertrag zu diesem Grenzverlauf soll vorbereitet werden!"

Am 4. 6. 1991 hielt die Beklagte eine ordentliche Vollversammlung ab, bei welcher die Niederschrift der Besprechung vom 17. 4. 1991 vorlag. In dem bei der Beklagten seit Jahrzehnten geführten Protokollbuch findet sich über die Sitzung am 4. 6. 1991 (ua) Folgendes:

„Der Vollversammlung wurde die Niederschrift vom 17. 4. 1991 mit Familie E***** - Agrargemeinschaft S***** zur Kenntnis gebracht! Einer Nutzungsteilung wird erst nach vertraglicher Einigung zugestimmt!"

Die Klägerin begehrte im Verfahren zu 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck, die Beklagte zu einer näher bezeichneten Vereinbarung über die Nutzung der Liegenschaft zu verpflichten. In diesem Verfahren wurde das Original des Protokollbuchs vorgelegt und dem seinerzeitigen Klagevertreter (ca eine Minute lang) zur Einsicht ausgehändigt. Dieser äußerte den Verdacht, dass der letzte Satz der oben wiedergegebenen Passage („Einer Nutzungsteilung wird erst nach vertraglicher Einigung zugestimmt!") erst später dazugeschrieben worden sei. Eine von der Klägerin darauf gestützte Strafanzeige legte die Staatsanwaltschaft Innsbruck zurück. Im Verfahren 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck blieb die Klägerin erfolglos; den dort ergangenen Entscheidungen lag in tatsächlicher Hinsicht zugrunde, dass beim Vertreter der Beklagten bei der Besprechung am 4. 6. 1991 noch kein Parteiwille zum Abschluss der Nutzungsvereinbarung bestanden habe, sondern dazu erst die Vollversammlung der Beklagten habe befragt werden müssen. Einem Beweisantrag der Klägerin auf Einholung eines graphologischen Gutachtens betreffend eine allfällige nachträgliche Ergänzung des Protokollbuchs wurde nicht entsprochen, weil dieser im Sinn des § 179 ZPO verspätet gestellt worden sei.

Eine von der Klägerin erhobene Klage auf Wiederaufnahme des Verfahrens 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck wies dieses Gericht zurück.

Die Klägerin begehrte nunmehr von der Beklagten - soweit hier noch wesentlich - die Herausgabe des Protokollbuchs, in eventu die Gewährung der Einsicht unter Einbeziehung eines graphologischen Sachverständigen mit der wesentlichen Begründung, das Protokollbuch stelle eine den Parteien gemeinschaftliche Urkunde im Sinn von § 304 Abs 2 ZPO, Art XLIII EGZPO dar.

Die Beklagte beantragte Abweisung der Klagebegehren, weil der Klägerin kein Recht auf Einsicht in das Protokollbuch zustehe und ihr dieses ohnehin schon im Verfahren 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck zugänglich gewesen sei.

Das Erstgericht wies die Klagebegehren ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin teilweise Folge und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin unter Beiziehung eines graphologischen Sachverständigen binnen 14 Tagen Einsicht in das im Protokollbuch der Beklagten enthaltene Protokoll vom 4. 6. 1991 zu gewähren; die Abweisung der Mehrbegehren bestätigte das Berufungsgericht.

Die Entscheidung des Rekursgerichts enthält den Ausspruch, der Wert des Entscheidungsgegenstands übersteige 20.000 EUR und der ordentliche Revisionsrekurs sei nicht zulässig.

In ihrer außerordentlichen Revision macht die Beklagte gegen den klagsstattgebenden Teil der Entscheidung des Berufungsgerichts zusammengefasst geltend, das Protokollbuch sei keine den Parteien gemeinschaftliche Urkunde und selbst gegebenenfalls habe die Beklagte einer allfälligen Vorlagepflicht bereits im Verfahren 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck entsprochen. Das Begehren der Klägerin auf neuerliche Einsichtgewährung sei überdies schikanös, weil diese bereits im Verfahren 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck - rechtzeitig - die Einholung des graphologischen Gutachtens beantragen hätte können und die von der Klägerin erstattete Strafanzeige sowie deren Wiederaufnahmsklage erfolglos geblieben seien.

Rechtliche Beurteilung

Mit ihren Revisionsausführungen macht die Beklagte keine erhebliche Rechtsfrage geltend:

1. Gemäß § 304 Abs 1 ZPO kann die Vorlage einer Urkunde (ua) dann nicht verweigert werden, wenn diese ihrem Inhalt nach eine beiden Parteien gemeinschaftliche ist. Nach Art XLIII EGZPO kann die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreits im Wege der Klage gefordert werden. Ein Anspruch auf Urkundenvorlage gemäß Art XLIII EGZPO setzt nur voraus, dass es sich bei der streitverfangenen Urkunde um eine gemeinschaftliche nach § 304 ZPO handelt (vgl Konecny in Fasching/Konecny² Art XLIII EGZPO Rz 2 ff). Die Abweisung eines Vorlagebegehrens kommt daher bloß dann in Betracht, wenn die Pflicht zur Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde bereits erfüllt wurde oder das Recht auf Vorlage schikanös ausgeübt wird (2 Ob 267/04k = JBl 2005, 392; 1 Ob 94/06i = SZ 2006/74 = EvBl 2006/181, 956 = EFSlg 114.856).

2. Nach § 304 Abs 2 ZPO gilt eine Urkunde als gemeinschaftlich insbesondere für jene Personen, in deren Interesse sie errichtet ist oder deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin beurkundet sind. Was als gemeinschaftliche Urkunde zu verstehen ist, demonstriert § 304 Abs 2 ZPO an zwei Beispielsgruppen. Nach der ersten Alternative muss die Urkunde jedenfalls auch im Interesse des deren Vorlage Verlangenden geschaffen worden sein. Ausschlaggebend dafür ist, ob die Urkunde dem ihre Vorlage Begehrenden als Beweismittel dienen oder seine rechtlichen Beziehungen auf andere Weise sichern, klären oder auf sie fördernd einwirken soll. Ob sie diese Funktion erfüllt, hängt vom Zweck der Urkundenerrichtung ab (RIS-Justiz RS0035021; 2 Ob 151/97p = ZVR 1999/122, 410 = VersE 1772; 1 Ob 2151/96x = JBl 1996, 733). Liegt nicht dieser Regelfall vor, in dem der Anspruchsteller und der Urkundenbesitzer durch das beurkundete Rechtsverhältnis verbunden sind, kommt es nach der zweiten Alternative des § 304 Abs 2 ZPO für die Beurteilung der Gemeinschaftlichkeit einer Urkunde nicht auf deren Zweck, sondern allein auf deren Inhalt an. In solchen Fällen genügt es, wenn der beurkundete Vorgang mit dem Rechtsverhältnis, an dem der die Vorlage Begehrende beteiligt ist, - objektiv betrachtet - in einer unmittelbaren rechtlichen Beziehung steht (9 ObA 153/88 = SZ 61/208). Bei Fehlen einer Verbindung des Anspruchstellers und des Urkundenbesitzers durch ein ihnen gemeinsames Rechtsverhältnis ist somit die Frage nach der Gemeinschaftlichkeit einer Urkunde nach deren Inhalt zu lösen (4 Ob 519/94) und dazu reicht es aus, dass die Urkunde eine objektive und unmittelbare Beziehung zu dem Rechtsverhältnis aufweist, an dem der die Vorlegung Begehrende beteiligt ist (1 Ob 2151/96x = JBl 1996, 733; zum weiten Begriff der „gemeinschaftlichen" Urkunde s auch E. Kodek in Fasching/Konecny² § 304 ZPO Rz 13 ff).

3. Im vorliegenden Fall hatten die Streitteile am 17. 4. 1991 eine Besprechung, deren Gegenstand die (künftige) Vereinbarung der Nutzungsteilung einer gemeinschaftlichen Liegenschaft war. Über diese Besprechung fertigte ein Vertreter der Beklagten eine Niederschrift an. Am 4. 6. 1991 hielt die Beklagte eine ordentliche Vollversammlung ab. Die (künftige) Vereinbarung der Nutzungsteilung der gemeinschaftlichen Liegenschaft der Streitteile und die Zustimmung der Beklagten dazu waren Beratungsgegenstand und fanden folglich Eingang in das Protokollbuch der Beklagten. Wenn das Berufungsgericht in dem gerade die seinerzeitige Besprechung der Streitteile über die (künftige) Vereinbarung der Nutzungsteilung betreffenden Teil des Protokollbuchs eine den Streitteilen gemeinschaftliche Urkunde erkannte, dann liegt darin keine unvertretbare Anwendung der oben (zu Punkt 2.) wiedergegebenen Judikaturgrundsätze. Die maßgebliche Passage des Protokollbuchs bezieht sich direkt auf die Nutzung der im Miteigentum der Streitteile stehenden Liegenschaft, die darüber zu treffende Nutzungsvereinbarung und deren Genehmigung durch die Beklagte, womit der notwendige objektive und unmittelbare Bezug zu einem gemeinsamen Rechtsverhältnis der Streitteile ausreichend ausgewiesen ist.

4.1. Schikane, die dem Begehren der Klägerin auf Urkundeneinsicht entgegen stehen könnte, liegt dann vor, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten fremden Interessen ein ganz krasses Missverhältnis besteht (RIS-Justiz RS0026265). Beweispflichtig dafür, dass der Rechtsausübende kein anderes Interesse hat als zu schädigen oder dass doch der Schädigungszweck und unlautere Motive so augenscheinlich im Vordergrund stehen, dass andere Ziele der Rechtsausübung völlig in den Hintergrund treten, ist die den Rechtsmissbrauch behauptende Beklagte (RIS-Justiz RS0026265 [T5 und T14]). Das krasse Missverhältnis zwischen eigenen und den beeinträchtigten Interessen ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu beurteilen (RIS-Justiz RS0026265 [T3]) und stellt daher im Allgemeinen keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO dar (RIS-Justiz RS0026265 [T12]).

4.2. Dass die Klägerin bei umsichtiger Prozessführung im Verfahren 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck allenfalls die Einholung eines graphologischen Gutachtens über die betreffende Passage des Protokollbuchs erreichen hätte können und auch die auf eine nachträgliche Ergänzung des Protokolleintrags gegründete Strafanzeige sowie eine Wiederaufnahmsklage der Klägerin erfolglos geblieben sind, macht deren nunmehriges Begehren auf Urkundeneinsicht nicht schikanös. Einerseits ist die Vorlage des Protokollbuchs, wie dessen bereits erfolgte Verwendung als Beweisurkunde belegt, faktisch unschwer möglich, und andererseits zeigt die Beklagte überhaupt keine für sie mit der Urkundenvorlage verbundenen Nachteile auf.

5. Auf welche Art und Weise die Urkundenvorlage zu erfolgen hat, wird sich regelmäßig an der Beschaffenheit und dem Umfang der betreffenden Urkunde sowie am legitimen Zweck der Urkundeneinsicht und damit typischerweise an den Umständen des Einzelfalls orientieren müssen; schon deswegen sind dazu generalisierende Aussagen nicht angezeigt und im vorliegenden Fall überdies deshalb nicht geboten, weil sich die Beklagte in ihrer Revision mit dieser Frage nicht substanziell auseinandersetzt. Dass die Einsicht in eine Urkunde im Fall ihrer fraglichen Manipulation die Beiziehung eines graphologischen Sachverständigen erforderlich machen kann, bezweifelt selbst die Beklagte nicht grundsätzlich, und dieser Standpunkt findet auch in der Lehre Deckung (vgl Konecny in Fasching/Konecny² Art XLIII EGZPO Rz 8), sodass in diesem Punkt ebenfalls keine aufzugreifende Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts vorliegt.

6. Die vom Berufungsgericht mit Beiziehung eines graphologischen Sachverständigen bewilligte Urkundeneinsicht hat die Klägerin bislang tatsächlich noch nicht erhalten; damit geht auch das Argument der Beklagten fehl, sie habe einer allfälligen Vorlagepflicht bereits im Verfahren 40 Cg 93/02s des Landesgerichts Innsbruck entsprochen.

Die Beklagte macht insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO geltend; die Revision ist daher unzulässig und zurückzuweisen.

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