OGH 2Ob267/04k

OGH2Ob267/04k25.11.2004

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Niederreiter als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schinko, Dr. Tittel, Dr. Baumann und Hon. Prof. Dr. Danzl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. Josef K*****, vertreten durch Dr. Michael Kinberger und andere Rechtsanwälte in Zell am See, wider die beklagte Partei S*****, vertreten durch Raits Ebner Rechtsanwälte GmbH in Salzburg, wegen Vorlage einer Urkunde, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgericht vom 23. August 2004, GZ 4 R 151/04k-12, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg vom 17. Mai 2004, GZ 3 Cg 256/03p-8, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit EUR 1.189,44 (darin enthalten USt von EUR 198,24, keine Barauslagen) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die beklagte Partei baute in den Jahren 2002 bis 2003 auf dem Nachbargrundstück des Klägers ein Bürohaus um. Der Kläger hatte im Bauverfahren dagegen Einwendungen erhoben und mit Schreiben vom 9. April 2002 verschiedene Bedingungen gestellt, unter denen er seine Einwendungen zurückziehen würde. Eine dieser Bedingungen war die Vornahme einer Beweissicherung vor Beginn der Baumaßnahmen durch einen unabhängigen Sachverständigen auf Kosten der beklagten Partei. Diese zeigte sich mit Schreiben vom 7. 5. 2002 dazu bereit, stellte jedoch ihrerseits die Bedingung, dass der Kläger gegen die aufgrund der Einreichplanung ergehenden baubehördlichen Bewilligungsbescheide keine Berufung erhebe. Eine Einigung kam nicht zu Stande. Die W***** Versicherung AG, mit der die beklagte Partei eine Bauwesenversicherung im Zusammenhang mit dem Bauprojekt abgeschlossen hatte, beauftragte DI M***** mit der Aufnahme eines Beweissicherungsbefundes. Die Befundaufnahme wurde auf der Liegenschaft und beim Haus des Klägers durchgeführt. Der Kläger hat die Befundaufnahme zugelassen. Er war der Annahme, dass er diesen Befund auch zur Kenntnis erhalten würde, er hat dieses Thema aber nicht releviert.

Mit Schreiben vom 24. 9. 2003 behauptete der Kläger erhebliche Rissbildungen bei seinem Objekt und ersuchte über Übermittlung einer Ausfertigung des Beweissicherungsbefundes. Die Beklagte verweigerte ihm dies. Sie verfügt über eine Ausfertigung des Befundes.

Der Kläger begehrt die Verurteilung der beklagten Partei zur Vorlage des Beweissicherungsbefundes und brachte vor, es handle sich um eine gemeinschaftliche Urkunde, die ausschließlich als Beweismittel beider Parteien für die Frage der Zuordnung von Bauschäden errichtet worden sei.

Die beklagte Partei wendete ein, Errichtungszweck des von ihrem Haftpflichtversicherer errichteten Beweissicherungsgutachtens sei ausschließlich ihre Absicherung gegen unberechtigte Inanspruchnahme gewesen. Es sei bei Errichtung der Urkunde nur der Zweck verfolgt worden, der beklagten Partei ein Beweismittel zur Abwehr unberechtigter Ansprüche zu verschaffen, nicht aber sollte dem Kläger eine Grundlage für dessen Beweisführung geschaffen werden. Rechtsverhältnisse könne ein "Beweissicherungsbefund" nicht begründen. Es fehle dem Kläger auch ein rechtliches Interesse an der Urkundenvorlage, weil diese nur dazu diene, sich ein Beweismittel gegen die beklagte Partei zur gerichtlichen Geltendmachung behaupteter Schäden zu sichern. Die beklagte Partei sei auch nicht passiv legitimiert, weil die Urkunde weder für sie noch für die W***** Versicherung AG im Verhältnis zum Kläger eine gemeinschaftliche sei.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, mangels einer Vereinbarung zur Durchführung einer Beweissicherung im gemeinsamen Interesse sei keine gemeinschaftliche Urkunde gegeben.

Das von der klagenden Partei angerufene Berufungsgericht änderte die angefochtene Entscheidung dahin ab, dass dem Klagebegehren stattgegeben wurde; es sprach aus, der Wert des Entscheidungsgegenstandes übersteige EUR 20.000, die ordentliche Revision sei zulässig.

Das Berufungsgericht führte in rechtlicher Hinsicht aus, gemäß Art XLIII EGZPO könne die Vorlage einer gemeinschaftlichen Urkunde (§ 304 ZPO) auch außerhalb eines anhängigen Rechtsstreites im Wege der Klage gefordert werden. Die Vorlagepflicht setze die Gemeinschaftlichkeit der Urkunde voraus. Als gemeinschaftlich gelte eine Urkunde insbesondere für Personen, in deren Interesse sie errichtet sei oder deren gegenseitige Rechtsverhältnisse darin beurkundet seien. Im Interesse beider Parteien sei eine Urkunde errichtet, wenn sie angefertigt worden sei, um den Streitteilen als Beweismittel zu dienen oder ihre rechtlichen Beziehungen zu fördern. Dass der Anspruchsteller und der Besitzer der Urkunde durch das Rechtsverhältnis verbunden seien, sei nicht notwendig. Es komme nicht auf den Zweck, sondern allein auf den Inhalt der Urkunde an. Es genüge, dass der beurkundete Vorgang zu den fraglichen Rechtsverhältnis in unmittelbarer rechtlicher Beziehung stehe. Es reiche aus, dass die Urkunde eine objektive und unmittelbare Beziehung zu dem Rechtsverhältnis aufweise, an dem der die Vorlegung Begehrende beteiligt sei.

Nach diesen Grundsätzen könne es nicht zweifelhaft sein, dass der Beweissicherungsbefund im Verhältnis zwischen den Streitteilen eine gemeinschaftliche Urkunde sei, weil sie als Grundnachbarn durch das Nachbarrecht verbunden seien und der Befund zu diesem Rechtsverhältnis in objektiver und unmittelbarer Beziehung stehe. Dass die Beweissicherung nicht von der beklagten Partei, sondern von deren Haftpflichtversicherung aufgenommen worden sei, sei unerheblich; Anspruchsgegner sei diejenige Person, für die die Urkunde gemeinschaftlich sei und diese innehabe.

Auch ein Vorlageinteresse des Klägers sei zu bejahen. Schließlich könne nicht unberücksichtigt bleiben, dass die Befundaufnahme ohne seine Mitwirkung nicht möglich gewesen wäre. Der Kläger hätte auch ohne ausdrückliche Vereinbarung nach Treu und Glauben davon ausgehen dürfen, dass ihm das Ergebnis der einvernehmlichen Befundaufnahme zur Verfügung gestellt werde.

Die ordentliche Revision erachtete das Berufungsgericht für zulässig, weil zur Rechtsfrage von allgemeiner Bedeutung, unter welchen Voraussetzungen in einem Fall wie diesem Anspruch auf Urkundenvorlage bestehe, keine unmittelbar anwendbare Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes aufgefunden worden sei.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der beklagten Partei mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahin abzuändern, dass das Urteil erster Instanz wieder hergestellt werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagende Partei hat Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, dem Rechtsmittel der beklagten Partei nicht Folge zu geben.

Die Revision ist zulässig aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft, er ist nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO).

Unter dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung macht die beklagte Partei geltend, die Versicherung habe die streitgegenständliche Urkunde nicht im Interesse der Streitparteien errichten lassen, sondern in ihrem eigenen Interesse als Haftpflichtversicherer der beklagten Partei. Errichtungszweck sei die in der Sphäre des Haftpflichtversicherers gelegene Abgrenzung des Deckungsrisikos gewesen. Dass der vom Haftpflichtversicherer der beklagten Partei beauftragte Beweissicherungsbefund keine gemeinsame Urkunde sei, ergebe sich daraus, dass zwischen den Streitteilen über eine gemeinsame Beweissicherung auf Kosten der beklagten Partei verhandelt worden sei, die beklagte Partei auch zu einer solchen bereit gewesen wäre, wenn der Kläger seine nicht gerechtfertigte Berufung gegen das von der beklagten Partei beabsichtigte Bauvorhaben zurückziehe. Da der Kläger aber dazu nicht bereit gewesen sei, sei es nicht zur Vereinbarung über die gemeinsame Beweissicherung gekommen. Der Haftpflichtversicherer der beklagten Partei habe daher für seine eigenen Zwecke einen Beweissicherungsbefund erstellen lassen. Bei richtiger rechtlicher Beurteilung hätte das Berufungsgericht zur Ansicht kommen müssen, dass der Beweissicherungsbefund keine gemeinsame Urkunde sei, weil er weder im gemeinsamen Interesse der Streitteile errichtet worden sei, noch darin ein fragliches Rechtsverhältnis beurkundet sei, weil die beklagte Partei die Erstellung einer gemeinsamen Urkunde ausgeschlossen und schließlich die Urkunde nicht von der beklagten Partei erstellt worden sei und sie über die Urkunde auch nicht verfügungsberechtigt sei. Letztlich fehle es auch an einem rechtlichen Interesse der klagenden Partei.

Hiezu wurde erwogen:

Art XLIII EGZPO räumt einen Anspruch auf Urkundenvorlage ein, der von weiteren rechtlichen Voraussetzungen unabhängig ist; die Vorlagepflicht setzt nur die Gemeinschaftlichkeit der Urkunde voraus (Konecny in Fasching/Konecny² II/1 Art XLIII EGZPO Rz 2 und 3). Was als gemeinschaftliche Urkunde iSd § 304 ZPO zu verstehen ist, wird zwar in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich ausgeführt, es werden allerdings zwei Beispielsgruppen angeführt (ZVR 1999/122).

Nach der ersten Alternative des § 304 Abs 2 ZPO gilt eine Urkunde insbesondere "für die Personen, in deren Interesse sie errichtet ist", als gemeinschaftlich. Voraussetzung ist, dass die Urkunde jedenfalls auch im Interesse des Vorlage Verlangenden geschaffen worden ist (Kodek in Fasching/Konecny² III § 304 ZPO Rz 17; Bienert-Nießl, Materiellrechtliche Auskunftspflichten im Zivilprozess, 129). Ausschlaggebend für das Vorliegen eines derartigen Interesses ist, ob die Urkunde dazu bestimmt ist, dem Vorlage Begehrenden als Beweismittel zu dienen oder auf andere Weise seine rechtlichen Beziehungen zu sichern, zu klären oder auf sie fördernd einzuwirken (Marburger in Staudinger, Komm z BGB [Neubearbeitung 2002] § 810 BGB Rz 10; Bienert-Nießl, aaO, 130; Kodek aaO, § 304 ZPO Rz 17; siehe auch ZVR 1999/122). Ob diese Funktion gegeben ist, hängt vom Zweck der Errichtung der Urkunde ab (RIS-Justiz RS0035021; SZ 56/117; Kodek, aaO, § 304 ZPO Rz 18; Bienert-Nießl, aaO, 130).

Im vorliegenden Fall wurde die strittige Urkunde über Auftrag des Versicherers der beklagten Partei geschaffen. Soweit der Beziehung zwischen der Versicherung und der beklagten Partei eine Bauwesenversicherung zugrunde liegt, erfolgte die Errichtung der Urkunde nicht im Interesse des Klägers, handelt es sich doch bei dieser Versicherung um eine Sachversicherung (RIS-Justiz RS0080911; 7 Ob 63/02v), die jedenfalls nicht die Liegenschaft und das Haus des Klägers erfasste.

Allerdings war die W***** Versicherung AG nach den Behauptungen der beklagten Partei selbst (auch) deren Bauherrenhaftpflichtversicherer. Bei dieser ist der Versicherer gemäß § 149 VersVG verpflichtet, dem Versicherungsnehmer die Leistung zu ersetzen, die dieser aufgrund seiner Verantwortlichkeit für eine während der Versicherungszeit einzutretende Tatsache an einen Dritten zu bewirken hat. Die Haftpflichtversicherung gibt dem Versicherten einen Befreiungs- und einen Rechtschutzanspruch (Schauer, Versicherungsvertragsrecht³, 401 f). Die Frage des Eintrittes oder Nichteintrittes eines Versicherungsfalles und des Entstehens eines Befreiungs- oder Rechtsschutzanspruches ist aber (unter anderem) davon abhängig, ob dem Kläger Ansprüche gegenüber der beklagten Partei zustehen, sohin ob auf der Liegenschaft des Klägers und auf dessen Haus Veränderung erfolgten, die auf die Bauführung am Nachbargrundstück (der beklagten Partei) zurückzuführen sind. Die Beweissicherung diente daher nach den maßgeblichen objektiven Kriterien zum Zeitpunkt ihrer Schaffung (Bienert-Nießl, aaO, 130) auch den Interessen des Klägers. Darüber hinaus ist die Urkunde auch im Interesse der Parteien des Versicherungsvertrages errichtet worden. Auf die Frage, ob ein Interesse beider Parteien erforderlich ist, oder ob das Interesse der begehrenden Person ausreicht (siehe hiezu Kodek, aaO, § 304 ZPO Rz 17; Bienert-Nießl, aaO, 129 f) braucht daher nicht eingegangen zu werden.

Dass die Urkunde von einem Dritten errichtet wurde, spielt keine Rolle (Kodek, aaO, § 304 ZPO Rz 19).

Daraus folgt, dass das Vorlagebegehren des Klägers berechtigt und der Revision der beklagten Partei nicht Folge zu geben ist.

Die Entscheidung über die Kosten gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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