OGH 12Os113/08x

OGH12Os113/08x23.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. Oktober 2008 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Mayrhofer als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Hon.-Prof. Dr. Schroll, Dr. Schwab, Dr. Lässig und Dr. T. Solé als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Mag. Metz als Schriftführer, in der Strafsache gegen Muharrem S***** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Steyr als Geschworenengericht vom 11. Juni 2008, GZ 10 Hv 17/08k-18, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen, auf dem Wahrspruch der Geschworenen beruhenden Urteil wurde Muharrem S***** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. September 2007 in Steyr Renate W***** getötet, indem er ihr mit einem Küchenmesser mit einer Klingenlänge von ca 12,5 cm mehrfache Halsstich-Schnittverletzungen mit vordergründig tiefreichender Schnittverletzung und tiefreichender Durchtrennung sämtlicher Halsweichteile bis knapp vor der Wirbelsäule zufügte, wodurch sie an Blutverlust und dem daraus resultierenden Blutungsschock in Verbindung mit einer Luftembolie und einer Blutaspiration verstarb.

Die Geschworenen haben die an sie gerichtete Hauptfrage nach dem Verbrechen des Mordes bejaht und eine nach Zurechnungsunfähigkeit (§ 11 StGB) gestellte Zusatzfrage verneint. Die Beantwortung der nach dem Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung (§ 287 Abs 1 StGB) gestellten Eventualfrage ist demgemäß unterblieben.

Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Nichtigkeitsgrund des § 345 Abs 1 Z 6 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten; sie geht fehl.

Die Interrogationsrüge vermisst die Stellung einer Eventualfrage in Richtung des Verbrechens des Totschlags nach § 76 StGB, weil schon im schriftlichen Gutachten der Sachverständigen Prim. Dr. Adelheid K***** (ON 46/I) ein „genereller Affekt" beim Angeklagten nicht ausgeschlossen werde und mit einiger Wahrscheinlichkeit angenommen werde könne, er sei „durch die mit Frau W***** geführte Auseinandersetzung in Wut und Rage" geraten. In der Verantwortung des Angeklagten werde „eine erhebliche Unsicherheit bezüglich seiner eigenen sexuellen Orientierung" zum Ausdruck gebracht; es ergäben sich klare Hinweise darauf, dass er homosexuell sei. Aus dieser Unsicherheit, auf die im Gutachten „kaum" eingegangen worden sei, „könnte sich" jener Affekt ergeben haben, der schließlich zur Tat geführt habe, wobei es „keinesfalls unwahrscheinlich" sei, dass eine dieses Thema betreffende Meinungsverschiedenheit zwischen dem Angeklagten und Frau W***** zu einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung iS des § 76 StGB geführt habe. Inhalt der Auseinandersetzung sei „möglicherweise" die Einforderung sexueller Kontakte durch das Opfer gewesen und der Angeklagte habe „einem Eingeständnis homosexuell zu sein" nicht mehr ausweichen können.

Rechtliche Beurteilung

Damit orientiert sich die Beschwerde aber nicht an den Kriterien des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes:

Unabdingbare Voraussetzung für die Stellung einer Eventualfrage (§ 314 Abs 1 StPO) ist nämlich das Vorbringen von Tatsachen in der Hauptverhandlung, welche einen gegenüber der Anklage geänderten Sachverhalt und - im Fall ihrer Bejahung - die Basis für einen Schuldspruch wegen einer anklagedifformen gerichtlich strafbaren Handlung in den näheren Bereich der Möglichkeit rücken (Schindler in WK-StPO § 314 Rz 1). Bloß abstrakt denkbare Möglichkeiten und Mutmaßungen können indes nicht zum Gegenstand einer Eventualfrage gemacht werden (RIS-Justiz RS0102724).

Die - auch von der Sachverständigen Prim. Dr. K***** als wahrscheinlich bezeichnete - Möglichkeit, der im Rahmen seiner Verantwortung einen völligen Erinnerungsverlust an das Tatgeschehen und an ein hiefür ursächliches Motiv behauptende Beschwerdeführer sei zum Zeitpunkt der Tat „in Wut oder Rage" geraten (S 357/I), habe somit in sthenischem Affekt gehandelt, schließt zwar per se eine Privilegierung nach § 76 StGB nicht aus (Moos in WK2 § 76 Rz 11, 40), doch werden weder mit den in der Rüge angestellten Spekulationen über die sexuelle Orientierung des Angeklagten und seine daraus resultierende Unsicherheit noch mit der Hypothese, dass sich daraus eine neuerliche Meinungsverschiedenheit mit dem Tatopfer entwickelt haben könnte, im Verfahren hervorgekommene konkrete Tatsachen dargelegt, welche die Annahme nicht nur einer (im Tatzeitpunkt vorliegenden) heftigen, sondern - nach einem objektiv-normativen Maßstab beurteilt - auch allgemein begreiflichen Gemütsbewegung nach Art eines „Affektsturmes" indiziert hätten.

Überdies wurde ein solcher „Affektsturm" bereits von der Gutachterin Prim. Dr. K***** - sowohl in der schriftlichen als auch in ihrer in der Hauptverhandlung mündlich vorgetragenen Expertise unter eingehender Bezugnahme auf die im Verfahren geschilderte Beziehungsstruktur - mehrfach kategorisch ausgeschlossen und dies mit dem gänzlichen Fehlen einer „affektiven Einengung" des Angeklagten auf das spätere Opfer begründet (S 353 ff/I; S 79 f, 87 und 93 ff/III). Schließlich vermögen auch die auf reinen Hypothesen beruhenden Erwägungen des Beschwerdeführers keine Umstände aufzuzeigen, welche einen bei ihm anzunehmenden derart tiefgreifenden und mächtigen Erregungszustand der Gefühle nahelegen würden, der sogar stärkste sittliche Hemmungen, wie sie gegen die vorsätzliche Tötung eines Menschen bestehen, hinwegzufegen geeignet ist (RIS-Justiz RS0092338) und der auch für einen mit durchschnittlicher Rechtstreue sowie mit der geistigen und körperlichen Beschaffenheit des Täters ausgestatteten Menschen in der spezifischen Tatsituation vorstellbar wäre (RIS-Justiz RS0092271, RS0092087). Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 344, 285d Abs 1 StPO). Daraus folgt die Kompetenz des Oberlandesgerichts Linz zur Entscheidung über die Berufung (§§ 344, 285i StPO).

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 390a Abs 1 StPO.

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