OGH 1Ob159/08a

OGH1Ob159/08a21.10.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden und die Hofräte Univ.-Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. E. Solé und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Familienrechtssache der Antragstellerin Angelika H*****, vertreten durch Dr. Maria Brandstetter, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Antragsgegner (Verlassenschaft nach) Manole N*****, vertreten durch Nemetz & Nemetz Rechtsanwalts-KEG in Wien, wegen Unterhalts, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 17. April 2008, GZ 48 R 3/08h-118, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Döbling vom 24. Oktober 2007, GZ 35 Fam 3/05x-109, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

1. Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Antragstellerin hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.

2. Die Revisionsrekursbeantwortung des Antragsgegners wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die nunmehr sechzigjährige Antragstellerin begehrte vom (mittlerweile verstorbenen) Antragsgegner, ihrem Vater, die Leistung eines monatlichen Unterhaltsbetrags von (zuletzt) 2.000 EUR ab 1. 3. 2005. Sie habe ihre Selbsterhaltungsfähigkeit unverschuldet und krankheitsbedingt verloren, weshalb die Unterhaltspflicht des Vaters wieder auflebe.

Der Antragsgegner wendete ein, die Antragstellerin verfüge über eine qualifizierte Ausbildung, welche ihr eine entsprechende Berufstätigkeit ermögliche. Die schuldhafte Unterlassung einer angemeldeten Arbeitstätigkeit könne nicht zu seinen Lasten gehen. Die Antragstellerin habe überdies mittels Notariatsakts ihre Unterhaltsansprüche mit Auszahlung des Heiratsguts als abgegolten erklärt.

Das Erstgericht wies den Antrag ab und traf folgende wesentliche Feststellungen:

Die Antragstellerin ist die außereheliche Tochter des Antragsgegners. Sie heiratete 1971 und wurde 1973 geschieden. Mit Notariatsakt vereinbarte sie im Jahr 1971 mit dem Antragsgegner, dass ihre Ansprüche auf Ausstattung und Heiratsgut durch Zahlung von insgesamt 85.000 ATS abgegolten seien. Dieser Betrag wurde auch ausbezahlt. Der Antragsgegner finanzierte ihr im Jahr 1980 zur Erlangung einer besseren beruflichen Qualifikation den Besuch einer Hotelfachschule in der Schweiz. Von 1981 bis 2004 lebte die Antragstellerin mit einem Lebensgefährten in Deutschland, welcher für ihren Unterhalt aufkam. Die Antragstellerin arbeitete überwiegend, ohne bei der Pensionsversicherung angemeldet zu sein. Sie verfügt über keinerlei soziale Absicherung oder Altersvorsorge und hat keine Ersparnisse. Aufgrund ihrer Rückenprobleme (Bandscheibenvorfälle) könnte sie nur Beschäftigungen mit leichter körperlicher Beanspruchung nachgehen. Auf Basis der Wiener Arbeitsmarktsituation, ihrer Qualifikation, ihrer gesundheitlichen Beeinträchtigung und ihres Alters ist es der Antragstellerin seit 1. 3. 2005 nicht möglich, ein Einkommen zu erzielen.

Rechtlich führte das Erstgericht aus, dass die Unterhaltspflicht des Antragsgegners mit „Erbringung" des Heiratsguts bzw mit der Eheschließung der Antragstellerin erloschen sei. Ihren eigenen Angaben nach sei sie lange Zeit hindurch selbsterhaltungsfähig gewesen. Bei ihrer letzten versicherungspflichtig gemeldeten Beschäftigung habe sie ein Einkommen von 1.290 EUR erzielt. Die Unterhaltsverpflichtung eines Vaters lebe nicht wieder auf, wenn das Kind die Aufnahme oder Fortsetzung einer Erwerbstätigkeit grundlos verweigere. Die Antragstellerin sei etwa 27 Jahre lang einer Beschäftigung nachgegangen, davon aber nur vier Monate (nachweislich) versicherungspflichtig gemeldet gewesen. Gemessen am Verhalten eines pflichtbewussten Bürgers treffe sie ein Verschulden im Hinblick darauf, dass sie es unterlassen habe, sich finanziell abzusichern, obwohl ihr eine Vorsorge zumutbar gewesen wäre. Dieses schuldhafte Verhalten könne keinesfalls dem Antragsgegner zur Last gelegt werden. Die Antragstellerin habe daher keinen Unterhaltsanspruch.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Revisionsrekurs zulässig sei. Aus dem 1971 geschlossenen Notariatsakt könne kein Unterhaltsverzicht für die Zukunft abgeleitet werden. Bei Wegfall der einmal erlangten Selbsterhaltungsfähigkeit könne es - altersunabhängig - zum Wiederaufleben der elterlichen Unterhaltspflicht kommen. Das „Kind" müsse sich jedoch nach Verlust des Arbeitsplatzes zielstrebig bemühen, eine neue Stelle zu finden. Es komme nicht darauf an, ob der Antragstellerin ihre derzeitige Arbeitslosigkeit vorzuwerfen sei. Allerdings sei das gesamte Arbeitsleben der Antragstellerin zu beleuchten und ihr daher der Vorwurf zu machen, dass sie nicht ausreichend „Jahre" durch Pensionsversicherung erworben habe. Sie habe auch sonst nicht durch eine Privatversicherung oder eine sonstige Absicherung „für Krankheit und Not gesorgt". Dies gehöre aber zu den Pflichten eines Selbsterhaltungsfähigen. Nur wenn jemand unverschuldet nicht in der Lage gewesen sei, derartige Absicherungen zu schaffen, würde die Unterhaltspflicht der Eltern unter Umständen wieder aufleben. Dabei sei auch zu bedenken, dass sich die Antragstellerin insgesamt hohe Beträge durch das Nicht-Abführen von Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen erspart habe. Sie habe sich nicht darauf verlassen dürfen, dass die Lebensgemeinschaft „ewig halten" werde. Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil es keine oberstgerichtliche Entscheidung dazu gebe, ob in Fällen wie hier der Unterhaltsanspruch wieder auflebe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Die Revisionsrekurswerberin führt aus, dass die Selbsterhaltungsfähigkeit voraussetze, dass grundsätzlich die Möglichkeit bestehe, einen angemessenen Unterhalt zu erzielen. Erst wenn diese ohne triftigen Grund nicht genutzt werde, sei dieses Verhalten vorwerfbar und relevant. Die Möglichkeit der Erzielung von Unterhalt müsse sich dabei stets auf die Gegenwart beziehen. Es widerspräche nämlich dem Wesen des Unterhalts, die Vergangenheit für die Beurteilung der Voraussetzungen in der Gegenwart heranzuziehen. So entspräche es auch nicht der herrschenden Judikatur, einen wegen Alters oder Krankheit nicht mehr arbeitsfähigen Vater ohne Einkommen und Vermögen nur deshalb zu Unterhaltszahlungen für ein Kind zu verhalten, weil er es in der Vergangenheit unterlassen habe, für ein Einkommen auch im Fall der Krankheit oder des Alters vorzusorgen. Dies müsse sinngemäß auch für die Antragstellerin gelten, zumal ihr in Anbetracht ihres Alters, ihres Gesundheitszustands und der aktuellen Situation auf dem Arbeitsmarkt nicht vorzuwerfen sei, dass sie kein entsprechendes Einkommen mehr erzielen könne. Die Antragstellerin sei nicht (mehr) selbsterhaltungsfähig. Der Antragsgegner sei ihr daher als Vater gemäß § 140 ABGB unterhaltspflichtig.

Hiezu wird erwogen:

1. Selbsterhaltungsfähig ist ein „Kind" dann, wenn es die zur Deckung seines Unterhalts erforderlichen Mittel selbst erwirbt oder aufgrund zumutbarer Beschäftigung zu erwerben imstande ist (RIS-Justiz RS0047567). Fällt die vom „Kind" erlangte Selbsterhaltungsfähigkeit weg (etwa infolge längerfristiger Unmöglichkeit der Berufsausübung wegen Krankheit, unverschuldeter Arbeitslosigkeit oder ähnlichen Gründen bei gleichzeitigem Fehlen ausreichender sozialer Absicherung, gerechtfertigter beruflicher Weiterbildung etc), kann es (altersunabhängig) zum Wiederaufleben der elterlichen Unterhaltspflicht kommen (RIS-Justiz RS0047533; Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht3, 93 mwN).

2. Ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht der Eltern ist aber etwa dann zu verneinen, wenn das „Kind" aufgrund unterlassener rechtzeitiger Krankmeldung und dadurch bedingten Verlusts des Arbeitsplatzes nicht nur einen Entgeltausfall erlitt, sondern es sich auch weitergehender Konsequenzen bewusst sein musste und dies den Schluss auf Arbeitsunwilligkeit rechtfertigt. Verliert ein „Kind" seinen Arbeitsplatz, kommt es darauf an, ob es sich zielstrebig bemüht, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, oder ob es passiv bleibt, obwohl ihm entsprechende Bemühungen möglich wären; ein Wiederaufleben der Unterhaltspflicht ist daher grundsätzlich nicht schon deshalb ausgeschlossen, weil das „Kind" den Arbeitsplatzverlust verschuldet hat (4 Ob 13/01t mwN). Die Unterhaltspflicht der Eltern besteht auch in jenen Fällen weiter, in denen der Unterhaltsberechtigte durch von ihm selbst zu vertretende Aktionen krank und außerstande gesetzt wurde, eine Berufsausbildung in angemessener Zeit abzuschließen oder einem Erwerb nachzugehen, außer es wäre ihm zu unterstellen, dass er diese Handlungen eben deshalb setzte, um weiterhin Unterhaltszahlungen zu erhalten (7 Ob 577/94). Im Allgemeinen kann aber ein Verschulden des „Kindes" am Scheitern einer angemessenen Berufsausbildung zur Folge haben, dass sich dieses „Kind" wie ein Selbsterhaltungsfähiger behandeln lassen muss (RIS-Justiz RS0047605). Wenn der Wegfall des Eigeneinkommens des „Kindes" seine primäre Ursache in der von ihm verschuldeten Entlassung hat, könnte fraglich sein, ob dies allein schon ein Wiederaufleben der Geldunterhaltspflicht des Vaters hindert oder ob eine allenfalls am Beginn des Berufslebens gesetzte Verfehlung noch nicht die Rechtsfolge einer bleibenden, nur hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit auslöst (6 Ob 11/99g). Einem kranken und deshalb nur beschränkt oder gar nicht erwerbsfähigen „Kind" obliegt es beispielsweise, sich einer nach Erfolgsaussichten, Gefährlichkeit und Kostendeckung zumutbaren Behandlung nicht vorsätzlich zu entziehen, sollte sein Unterhaltsbegehren nicht als Rechtsmissbrauch zu werten sein (6 Ob 652/90).

3. Aus dieser Judikatur zur Frage des Verlusts der Selbsterhaltungsfähigkeit lassen sich folgende Grundsätze ableiten:

Ein Verschulden des „Kindes" am Verlust des Arbeitsplatzes allein hindert grundsätzlich nicht das Wiederaufleben der Unterhaltspflicht der Eltern. Nachhaltiges Unterlassen von zumutbaren Bemühungen in Richtung einer Berufsausübung bzw Zukunftsvorsorge löst aber die Rechtsfolge einer bleibenden, nur hypothetischen Selbsterhaltungsfähigkeit aus und führt zur Rechtsmissbräuchlichkeit der Geltendmachung von Unterhaltsansprüchen gegen die Eltern. Wann von einer derartigen Nachhaltigkeit auszugehen ist, ist allerdings eine Frage des Einzelfalls und kann nicht generell beantwortet werden.

4. Damit erweist sich die Argumentation der Antragstellerin, wonach die „Vergangenheit für die Beurteilung der Voraussetzungen (für die Gewährung von Unterhalt) in der Gegenwart nicht heranzuziehen" sei, als unhaltbar. Der Antragstellerin ist ihre jahrzehntelange - und somit im Sinne der obigen Ausführungen „nachhaltige" - Untätigkeit in Richtung sozialversicherungsrechtlicher Absicherung und Begründung einer Altersversorgung als derart gravierende Sorglosigkeit anzulasten, dass die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegen den betagten Vater - bzw nunmehr gegen die Verlassenschaft nach dem Vater - als rechtsmissbräuchlich zu qualifizieren ist.

Dem Revisionsrekurs der Antragstellerin ist somit nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 78 Abs 3 AußStrG.

Die Revisionsrekursbeantwortung des Antragsgegners ist zurückzuweisen, weil sie erst nach Ablauf der vierzehntägigen Frist gemäß § 68 Abs 1 AußStrG erstattet wurde.

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