Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Der am 31.8.1974 geborene Josef L***** stammt wie sein am 27.1.1973 geborener Bruder Hansjörg L***** aus der am 3.6.1986 geschiedenen Ehe der Theresia und des Johann L*****. Die Elternrechte des § 144 ABGB wurden im Einverständnis des Vaters der Mutter zugeteilt. Die Mutter ist Arbeitslehrerin, der Vater Hauptschullehrer. Die beiden Buben wuchsen bei der Mutter auf und besuchten zunächst das Gymnasium in H*****. Josef schloß im Sommer 1991 die 7.Klasse positiv ab. In der
8. Klasse brach er den Schulbesuch infolge Drogenmißbrauches ab. Im November 1992 meldete er sich im Bundesgymnasium für Berufstätige in W***** an und besuchte zunächst den 6. von insgesamt 9 Halbjahreslehrgängen. Er war wegen übermäßiger Fehlstunden nicht aufstiegsberechtigt. Im Wintersemester 1993/1994 meldete er sich erneut für das 6.Semester an. Bei rechtzeitigem und positivem Abschluß aller noch ausständigen Prüfungen könnte er frühestens am Ende des Sommersemesters 1995 maturieren. Sein Lernerfolg ist noch nicht abzuschätzen. Während der Woche hält sich Josef L***** in einer von seiner Mutter für ihn und seinen Bruder gemieteten Wohnung in Wien auf, deren Kosten die Mutter trägt. Die Wochenenden verbringt er bei der Mutter, die auch seine Wäsche besorgt, für ihn kocht und ihm Lebensmittel nach W***** mitgibt. Josef L***** wird seit Februar 1992 von einem Facharzt für Psychiatrie und Neurologie in Z***** behandelt. Er leidet an einem Zustand nach einer produktiven (paraphrenen) Psychose nach Elektrokrampftherapie und längerdauernder stationärer Behandlung im Krankenhaus M*****. Er ist aufgrund seiner Persönlichkeitsstörung erwerbsunfähig und gesundheitlich nicht in der Lage, seine Schulausbildung mit voller Kraft zu betreiben. Mitte September 1993 kam Josef L***** in das Krankenhaus E***** und wurde dort wegen starker Depressionen stationär behandelt. Nach Ansicht seines behandelnden Arztes ist der eingeschlagene Schulweg trotz der Mißerfolge im letzten Semester und der eingeschränkten Leistungsfähigkeit noch immer der prognostisch beste Weg zur Rehabilitation.
Der Vater verdient S 28.072,-- im Monatsschnitt und ist nach wie vor auch für seinen Sohn Hansjörg sorgepflichtig. Er war zuletzt aufgrund des Beschlusses des Erstgerichtes vom 4.7.1990 zu monatlichen Unterhaltsleistungen von S 4.270,-- für Josef verpflichtet. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 5.12.1993 wurde der Unterhaltsbeitrag dem vor Volljährigkeit von Josef eingebrachten Antrag der Mutter entsprechend auf S 5.400,-- monatlich erhöht und das Begehren des Vaters, den Unterhaltsbeitrag auf S 3.000,-- monatlich herabzusetzen, abgewiesen.
Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Ebenso wie ein Unterhaltspflichtiger nicht ohneweiteres zur Unterhaltsleistung herangezogen werden könne, selbst wenn er den Verlust seines Arbeitsplatzes bzw. seine Arbeitsunfähigkeit selbst verschuldet habe, dürfe auch die Annahme der Selbsterhaltungsfähigkeit nicht zur bloßen Fiktion werden, wenn diese aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes des Unterhaltsberechtigten nicht gegeben sei, möge dieser Gesundheitszustand auch schuldhaft herbeigeführt worden sein. Die Tatsache, daß Josef L***** bereits volljährig sei und während der Woche in einer eigenen Wohnung wohne, enthebe den Vater nicht seiner vollen Unterhaltspflicht. Der Revisionsrekurs sei zuzulassen, weil eine Rechtsprechung zur Frage fehle, ob und wie lange die Unterhaltsverpflichtung bei selbstverschuldeter Unfähigkeit, sich selbst zu erhalten, gegeben sei.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, aber nicht berechtigt.
Nach ständiger Rechtsprechung ist dem österreichischen Unterhaltsrecht eine Verwirkung des Unterhaltsanspruches des Kindes infolge mangelnden Wohlverhaltens fremd (ÖAV 1992, 94; JBl 1977, 594 ua). Wie der Oberste Gerichtshof aber bereits in seiner Entscheidung 6 Ob 652/90, veröffentlicht in EFSlg 61.954 und 61.960, ausgeführt hat, ist die Versagung eines Anspruches bei Erfüllung der Voraussetzungen eines Rechtsmißbrauches allerdings ein allgemeiner Grundsatz. Er gilt auch dort, wo er nicht ausdrücklich unter Klarstellung besonderer Anwendungsfälle (zB § 94 Abs.2 ABGB) hervorgehoben ist. Die Verneinung eines Unterhaltsanspruches wegen Rechtsmißbrauches greift auch beim Kindesunterhalt ein. Voraussetzung ist allerdings nach allgemeinen Grundsätzen ein vorsätzliches Verhalten, das die durch die Unterhaltsleistungen abzudeckenden Bedürfnisse erst schafft oder das Zulangen jener Mittel, die gemäß § 140 Abs.3 ABGB primär und vor der Fremdleistungspflicht heranzuziehen sind, beeinträchtigt. Soweit das unterhaltsberechtigte Kind seine eigene Erwerbsfähigkeit absichtlich beschränkt, ist es unterhaltsrechtlich so zu behandeln, als läge diese Beschränkung der Erwerbsfähigkeit nicht vor. In jedem Fall ist auf die konkreten Möglichkeiten des Kindes, für sich selbst zu sorgen, abzustellen.
Ein Verschulden des Kindes am Scheitern einer angemessenen Berufsausbildung hat daher in der Regel zur Folge, daß sich dieses Kind wie ein Selbsterhaltungsfähiger behandeln lassen muß (JBl 1979, 482; 1 Ob 506/93 ua).
Im vorliegenden Fall ist der Unterhaltsberechtigte deshalb nicht in der Lage, seine Ausbildung entsprechend zielstrebig weiterzuverfolgen und in angemessener Zeit zu Ende zu führen oder eine Erwerbstätigkeit anzunehmen, weil er an der von den Untergerichten dargestellten massiven psychischen Erkrankung leidet. Es ist ihm daher insoweit kein Verschulden am (bisherigen) Scheitern in der Schule und am Unterlassen der Arbeitsaufnahme anzulasten.
Der Revisionswerber verweist zwar zu Recht darauf, daß dieser die Selbsterhaltungsfähigkeit hindernde Zustand seines Sohnes letztlich darauf zurückzuführen ist, daß Josef Drogen nahm, und daß ungeklärt ist, ob diese an sich gesetzlich verpönte Handlung durch eine bereits vorhandene psychische Störung gefördert oder gar erst ausgelöst wurde. Selbst wenn aber der Drogenkonsum zunächst aus bloßem Leichtsinn erfolgt sein sollte, ändert dies nach Ansicht des erkennenden Senates nichts daran, daß die Unterhaltspflicht der Eltern zu bejahen ist. Diese besteht nach Ansicht des erkennenden Senates auch in jenen Fällen weiter, in denen der Unterhaltsberechtigte durch von ihm selbst zu vertretende Aktionen krank und außerstande gesetzt wurde, eine Berufsausbildung in angemessener Zeit abzuschließen oder einem Erwerb nachzugehen, außer es wäre ihm zu unterstellen, daß er diese Handlungen eben deshalb setzte, um weiterhin Unterhaltszahlungen zu erhalten. Wenn es auch keine gesetzliche Bestimmung gibt, die dem Kind die Pflicht auferlegt, nach seinen Kräften den Unterhaltspflichtigen zu entlasten und sich die sogenannte Anspannungstheorie daher nicht ohneweiteres auf den Unterhaltsberechtigten ausdehnen läßt (7 Ob 640/92; 1 Ob 524/93), so muß doch die Erwägung, daß die Unterstellung einer Erwerbsfähigkeit nicht zur bloßen Fiktion ausarten darf, genauso wie für den Unterhaltspflichtigten auch für den Unterhaltsberechtigten gelten. Es ist daher der Erwägung des Gerichtes zweiter Instanz beizupflichten, daß es - wie umgekehrt beim Unterhaltspflichtigen - darauf ankommt, ob die den Unterhaltspflichtigen liberierende Selbsterhaltungsfähigkeit des Unterhaltsberechtigten - so wie beim Unterhaltspflichtigen die Möglichkeit zur Erzielung eines entsprechenden Einkommens für eine angemessene Unterhaltsleistung - infolge einer physischen oder psychischen Erkrankung tatsächlich nicht gegeben ist. Dies muß für beide Fälle gleichermaßen unabhängig davon gelten, ob der Betreffende diesen Zustand - sei es durch Alkohol- oder durch Drogenmißbrauch - verschuldet oder unverschuldet herbeigeführt hat. Daß der Unterhaltsberechtigte im vorliegenden Fall gerade deshalb Drogen genommen hätte, um seine Leistungsfähigkeit auszuschalten, damit sein Vater möglichst lange Unterhalt zu zahlen hat, kann wohl nicht unterstellt werden. Nur dann wäre aber eine rechtsmißbräuchliche Geltendmachung des Unterhaltsanspruches anzunehmen. Josef L***** ist nach den Feststellungen der Untergerichte vielmehr ständig in ärztlicher Betreuung, sodaß ihm auch nicht vorzuwerfen ist, er würde sich vorsätzlich und damit in rechtsmißbräuchlicher Weise einer zumutbaren Behandlung entziehen (vgl. ebenfalls 6 Ob 592/90) und sich nicht bemühen, von seiner Sucht loszukommen. Es liegt vielmehr auf der Hand, daß der Weg aus einer derart massiven Krise in Verbindung mit einer Drogensucht langwierig und schwierig ist und Rückschläge einzukalkulieren sind. Es ist daher derzeit auch von einer zeitlichen Begrenzung der Unterhaltspflicht des Vaters Abstand zu nehmen.
Die weitere Argumentation des Vaters, daß die Mutter keine Betreuungsleistungen mehr erbringe und deshalb ebenfalls in einer den Vater entlastenden Weise verpflichtet sei, Geldunterhalt zu leisten, ist ebenfalls unberechtigt. Wie der Oberste Gerichtshof bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht hat, entspricht es der Absicht des Gesetzgebers (vgl. JA 587 BlgNR 14.GP 4 f), daß der betreuende Elternteil auch dann seine Beitragsleistung im Sinn des § 140 Abs.2
1. Satz ABGB voll erbringt, wenn das Kind zur Ausbildung wochentags auswärts leben muß - sei es in einem Internat oder in einer Mietwohnung - , sofern es nur während der Wochenenden und der sonstigen Freizeit überwiegend vom haushaltsführenden Elternteil betreut wird (EFSlg. 61.794/8 mwN). Daß bei einem Volljährigen die Erziehung immer mehr in den Hintergrund tritt, ändert nichts an der Tatsache, daß die Gewährung der Unterkunft, die Naturalverpflegung und die Besorgung der Kleidung unter Umständen weiterhin von einem Elternteil zu bewerkstelligen ist. Auch wenn das Schwergewicht der psychologisch-psychiatrischen Betreuung in diesem Sonderfall beim Krankenhauspersonal und bei Ärzten liegt, verbleibt der Mutter letztendlich zusätzlich zu ihren Naturalleistungen die schwierige Aufgabe der Fürsorge und des familiären Haltes für ihren Sohn, von der sich der Vater offenbar ganz zurückgezogen hat. Gerade ein derart negativer psychischer Zustand, wie er bei Josef aufgetreten ist, bedarf besonderer Geduld und Zuwendung, sodaß die Mutter zweifelsohne einer großen Belastung ausgesetzt ist, auch wenn sie sich nicht ständig und unmittelbar um das psychische und physische Wohl ihres Sohnes kümmern muß. Der im Revisionsrekurs aufgestellten Behauptung, die Mutter koche und wasche auch nicht mehr für Josef und erbringe überhaupt keine Naturalleistungen mehr, stehen die eingangs wiedergegebenen Feststellungen der Untergerichte entgegen.
Der zutreffende Beschluß der zweiten Instanz war daher zu bestätigen.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)