OGH 4Ob135/08v

OGH4Ob135/08v23.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin Dr. Schenk sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei U***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei L***** Netz GmbH, *****, wegen 24.823,11 EUR sA, über den ordentlichen Revisionsrekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz vom 6. Juni 2008, GZ 4 R 92/08i-6, mit welchem der Beschluss des Landesgerichts Linz vom 14. Mai 2008, GZ 4 Cg 98/08m-2, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Die Klägerin begehrt mit ihrer am 7. Mai 2008 eingebrachten Mahnklage die Zahlung von 24.823,11 EUR sA. Sie habe als Stromerzeugerin mit der Beklagten als Netzbetreiberin für die Verrechnung und Einhebung der von den Endkunden zu leistenden Netznutzungsentgelte ein „Vorleistungsmodell" vereinbart. Danach übermittle die Beklagte der Klägerin eine Rechnung für die Nutzungsentgelte. Die Klägerin verrechne diese Entgelte zusammen mit jenen für die Stromlieferung den Endkunden weiter, sodass diese nur eine einzige Rechnung erhielten. Rechtlich bestehe insofern ein Auftrags- und Vollmachtsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten, das den Endkunden gegenüber offen gelegt werde.

Weiters trete die Klägerin aufgrund dieser Vereinbarung gegenüber der Beklagten mit den Nutzungsentgelten in Vorleistung. Das führe aber zu keiner Verlagerung des Insolvenzrisikos. Vielmehr habe die Klägerin aufgrund des Auftragsverhältnisses einen Rückforderungsanspruch gegen die Beklagte, soweit Kunden die Nutzungsentgelte nicht zahlten. Konkret habe sie der Beklagten 55.017,61 EUR im Voraus gezahlt. Gegenüber den Endkunden seien 48.535,68 EUR uneinbringlich, wovon 30.098,46 EUR auf Netzentgelte inklusive Zinsen und Inkassospesen entfielen. Zinsen und Inkassospesen mache sie jedoch nicht geltend. Weiters fordere sie die uneinbringlichen Nutzungsentgelte nur anteilig für die letzten vier Monate vor Lieferende. Daraus ergebe sich der Klagebetrag von 24.823,11 EUR.

Die Klägerin gehe davon aus, dass die „gegenständliche Streitfrage" nicht unter das zwingende Schlichtungsverfahren nach § 21 Abs 2 ElWOG falle. Sie habe daher zu 1 Cg 215/07v des Landesgerichts Linz eine „direkte Klage" gegen die Beklagte erhoben. Das Landesgericht habe diese Klage jedoch wegen Unzulässigkeit des Rechtswegs zurückgewiesen, da zuvor ein Schlichtungsverfahren durchgeführt werden müsse. Über den dagegen erhobenen Rekurs sei noch nicht entschieden worden.

Entsprechend der Rechtsansicht des Landesgerichts Linz habe die Klägerin einen Antrag bei der Energie-Control Kommission gestellt. Diese habe ihn jedoch mit Bescheid vom 31. März 2008 zurückgewiesen. Damit sei die Klägerin zur Klage genötigt. Denn wer sich mit der Entscheidung der Energie-Control Kommission nicht zufrieden gebe, könne nach § 16 Abs 3a E-RBG die Sache binnen vier Wochen bei Gericht anhängig machen, sonst werde der Bescheid rechtskräftig. Eine Beschwerde bei den Gerichtshöfen des öffentlichen Rechts sei nicht zulässig. Die Klägerin erhebe die Klage, um den Bescheid der Energie-Control Kommission zu bekämpfen. Sie rege an, das Verfahren bis zur Entscheidung im Verfahren 1 Cg 215/07v des Landesgerichts Linz zu unterbrechen.

Das Erstgericht wies die Klage a limine zurück. Die Klägerin habe ausgeführt, dass sie den identischen Anspruch bereits zu 1 Cg 215/07v des Landesgerichts Linz eingeklagt habe. Die Zurückweisung dieser Klage aufgrund einer Einrede der (auch dort) Beklagten sei noch nicht rechtskräftig. Daher liege Streitanhängigkeit vor, was zur Zurückweisung der später eingebrachten Klage führe. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu. Die im Rekurs aufgestellte Behauptung, dass die Ansprüche nicht übereinstimmten, finde in den Akten keine Deckung. Die Klägerin habe in beiden Verfahren dieselben Beträge gefordert und auch ein identisches Vorbringen zur Höhe der Vorleistungen, der uneinbringlichen Kundenforderungen und des davon auf Netzentgelte entfallenden Anteils erstattet. Die Klagserzählung sei dahin zu verstehen, dass die Klägerin eine Sachentscheidung über den geltend gemachten Anspruch entweder durch das Gericht oder durch die Energie-Control Kommission erwirken wolle. Die sukzessive Zuständigkeit der Gerichte nach § 16 Abs 3a E-RBG erfasse zudem nur meritorische Entscheidungen; eine Unzuständigkeitsentscheidung könne nach § 20 Abs 2 E-RBG beim Verwaltungsgerichtshof bekämpft werden. Da die zuerst erhobene Klage noch nicht rechtskräftig zurückgewiesen sei, sei das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit noch immer gegeben. Eine erhebliche Rechtsfrage iSv § 528 Abs 1 ZPO liege vor, da höchstgerichtliche Rechtsprechung zu § 16 Abs 3a E-RBG fehle. Die Entscheidung 4 Ob 287/04s habe sich nur mit der Zulässigkeit des Rechtswegs befasst.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig, er ist aber nicht berechtigt.

1. Nach § 233 Abs 1 Satz 2 ZPO ist eine während der Streitanhängigkeit wegen des nämlichen Anspruchs angebrachte Klage auf Antrag oder von Amts wegen zurückzuweisen. Das Prozesshindernis der Streitanhängigkeit beginnt mit der Zustellung der Klage und endet mit der rechtskräftigen Beendigung des Rechtsstreits, mag diese durch Sachurteil, Zurückweisung der Klage oder aus einem anderen formellen Grund erfolgen (7 Ob 23/78; RIS-Justiz RS0039482; zuletzt etwa 3 Ob 28/06y = wobl 2007, 233; Mayr in Fasching/Konecny2 III § 232 ZPO Rz 8; Rechberger/Klicka in Rechberger3 §§ 232-233 Rz 8). Dass es auf die Rechtskraft eines Zurückweisungsbeschlusses ankommt, ergibt sich insbesondere aus einem Gegenschluss zu § 46 Abs 2 und 3 JN. Danach kann der Kläger bei bestimmten Zurückweisungsbeschlüssen schon vor deren Rechtskraft ein anderes Gericht anrufen. Damit ist der Einwand der Streitanhängigkeit in diesen Sonderfällen schon vor Rechtskraft des Zurückweisungsbeschlusses ausgeschlossen (Ballon in Fasching2 I § 46 JN Rz 11; vgl dazu R II 336/11 = GlUNF 5.446). Eine solche Regelung wäre nicht erforderlich, wenn sich diese Rechtsfolge bereits aus allgemeinen Grundsätzen ergäbe. Weiters ist aus diesen Bestimmungen abzuleiten, dass dem Gesetzgeber die Problematik noch nicht rechtskräftiger Zurückweisungsbeschlüsse durchaus bewusst war. Eine planwidrige Regelungslücke, die allenfalls durch eine Analogie zu Art 27 EuGVO gefüllt werden könnte, liegt daher nicht vor.

2. Auf dieser Grundlage haben die Vorinstanzen zureffend angenommen, dass die zuerst eingebrachte Klage bei Erlassung des erstgerichtlichen Beschlusses (Mayr aaO § 233 ZPO Rz 36 mwN) trotz ihrer (noch nicht rechtskräftigen) Zurückweisung noch anhängig war. Daher ist zu prüfen, ob die Klagen den „nämlichen Anspruch" betreffen. Dafür ist maßgebend, ob der in der neuen Klage geltend gemachte prozessuale Anspruch sowohl im Begehren als auch im rechtserzeugenden Sachverhalt, also im Klagegrund, identisch ist mit jenem des Vorprozesses (RIS-Justiz RS0039347; Mayr aaO § 233 ZPO Rz 8 mwN).

Im konkreten Fall brachte die Klägerin vor, dass sie in der „gegenständlichen Streitfrage" eine „direkte Klage" vor dem Landesgericht Linz erhoben habe. Schon daraus leitete das Erstgericht die Identität der Ansprüche ab. Das Rekursgericht stellt darüber hinaus fest, dass die Klägerin in beiden Verfahren dieselben Beträge gefordert und auch ein identisches Vorbringen zur Höhe der Vorleistungen, der uneinbringlichen Kundenforderungen und des davon auf Netzentgelte entfallenden Betrags erstattet habe. Auf dieser Grundlage ist die Annahme der Vorinstanzen nicht zu beanstanden, dass sowohl das Begehren als auch der anspruchsbegründende Sachverhalt der beiden Klagen übereinstimmen.

3. Soweit die Klägerin versucht, im Revisionsrekurs neuerlich das Unterbleiben eines Verbesserungsauftrags im erstinstanzlichen Verfahren geltend zu machen, muss sie scheitern. Denn das Rekursgericht hat durch den Hinweis auf die aus den Akten hervorgehende Identität der geltend gemachten Ansprüche die Notwendigkeit eines Verbesserungsverfahrens und damit das Vorliegen eines Verfahrensmangels verneint. Damit ist eine neuerliche Prüfung dieser Frage nicht mehr möglich (Zechner in Fasching/Konecny2 IV/1 § 528 ZPO Rz 44 mwN; vgl RIS-Justiz RS0043405 [T25]). Zudem hätte die Klägerin, selbst wenn Neuerungen im Rechtsmittelverfahren zulässig wären, auch im Revisionsrekurs nicht konkret dargestellt, auf welche unterschiedlichen Perioden sich die - in Höhe und Begründung übereinstimmenden - Klageforderungen beziehen sollen.

4. Die Klägerin wendet im Übrigen ein, dass die vorliegende Klage in Wahrheit als „Rechtsmittel" gegen den zurückweisenden Bescheid der Energie-Control Kommission zu werten sei. Daher stimmten die Streitgegenstände nicht überein. Zudem müsse es ihr schon aus verfassungsrechtlichen Erwägungen möglich sein, den Bescheid der Energie-Control Kommission zu bekämpfen.

4.1. Nach § 16 Abs 1 Z 5 E-RBG obliegt der Energie-Control Kommission „die Schlichtung von Streitigkeiten zwischen Marktteilnehmern in jenen Fällen, in denen der Netzzugangsberechtigte Ansprüche gegen den Netzbetreiber geltend macht (§ 21 ElWOG)". Diese „Schlichtung" erfolgt mit Bescheid. Nach § 16 Abs 3a E-RBG kann eine Partei, „die sich mit Entscheidungen gemäß Abs. 1 Z 5, 6 und 20 nicht zufrieden gibt, [...] die Sache innerhalb von vier Wochen nach Zustellung des Bescheides bei Gericht anhängig machen. Mit der rechtskräftigen Entscheidung des Gerichts tritt die Entscheidung der Energie-Control Kommission außer Kraft. Die Entscheidung über einen Antrag auf Bewilligung der Wiedereinsetzung gegen den Ablauf der Anrufungsfrist obliegt dem Gericht; der Wiedereinsetzungsantrag ist unmittelbar bei Gericht einzubringen". Damit korrespondierend ordnet § 21 Abs 2 Satz 2 ElWOG an, dass die Klage eines Netzzugangsberechtigten gegen einen Netzbetreiber „erst nach Zustellung des Bescheides der Energie-Control Kommission im Streitschlichtungsverfahren gemäß § 16 Abs. 1 Z 5 E-RBG oder innerhalb der in § 16 Abs. 3a E-RBG vorgesehenen Frist eingebracht werden" kann. Bei der Bezugnahme aus § 16 Abs 3a E-RBG handelt es sich um ein offenkundiges Redaktionsversehen; richtigerweise muss sich dieser Verweis auf die der Energie-Control Kommission gesetzte Entscheidungsfrist nach § 16 Abs 3 E-RBG beziehen (Oberndorfer in Hauer/Oberndorfer, ElWOG [2007] § 21 Rz 6). Im - hier strittigen - Anwendungsbereich des § 16 Abs 1 Z 5 E-RBG ist der Rechtsweg daher nur zulässig, wenn eine Entscheidung der Energie-Control Kommission vorliegt oder die Frist des § 16 Abs 3 E-RBG abgelaufen ist (vgl 4 Ob 287/04s = ecolex 2005, 616 [Rabl]).

4.2. Nach Auffassung der Klägerin begründet der im Verfassungsrang stehende § 16 Abs 3a E-RBG ein „Rechtsmittel" gegen Bescheide der Energie-Control Kommission. Bringe sie die Klage nicht ein, würde der Bescheid rechtskräftig. Damit wäre rechtskräftig festgestellt, dass keine Zuständigkeit der Energie-Control Kommission bestehe. Daher habe sie „zur Vermeidung eines negativen Kompetenzkonflikts" die vorliegende Klage erhoben.

Voraussetzung für die Schlüssigkeit dieser Argumentation wäre eine weite Auslegung von § 16 Abs 3a E-RBG. Der darin enthaltene Begriff „Sache" wäre danach nicht auf die Hauptsache (die geltend gemachte Forderung) beschränkt, sondern müsste auch verfahrensrechtliche Fragen wie die Zulässigkeit der Schlichtung erfassen. Träfe dies zu, könnte auch diese Frage („Sache") vor Gericht anhängig gemacht werden.

Die Klägerin wendet sich allerdings in ihrer Mahnklage nicht gegen die Zurückweisung des Schlichtungsantrags. Vielmehr begehrt sie - ebenso wie in der zuvor eingebrachten „direkten Klage" - die Zahlung des strittigen Geldbetrags. Damit nimmt sie in Wahrheit die Zurückweisung ihres Schlichtungsantrags zur Kenntnis und wiederholt das Begehren des Vorprozesses. Nur dieses Begehren ist hier zu beurteilen. Auf dieser Grundlage kommt es nicht darauf an, ob § 16 Abs 3a E-RBG auch ein „Rechtsmittel" gegen zurückweisende Bescheide ermöglichte, ob insofern eine Zuständigkeit der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts besteht oder ob derartige Bescheide die Zulässigkeitsfrage abschließend erledigen. Ebenso wenig ist zu entscheiden, ob ein zurückweisender Bescheid der Energie-Control Kommission nicht viel eher einer Nichterledigung des Schlichtungsantrags innerhalb der Frist des § 16 Abs 3 E-RBG gleichzuhalten ist, sodass die Anrufung des Gerichts nach der zweiten Alternative des § 21 Abs 2 ElWOG unabhängig von der Frist des § 16 Abs 3a E-RBG zulässig wäre.

4.3. Der Oberste Gerichtshof hat zwar in sozialgerichtlichen Verfahren ausgesprochen, dass keine Streitanhängigkeit vorliege, wenn über einen sozialversicherungsrechtlichen Leistungsanspruch ein zweiter Bescheid erlassen und beide Bescheide mit Klage bekämpft würden (RIS-Justiz RS0039503). Begründet wurde das jedoch mit der Sonderbestimmung des § 71 Abs 5 ASGG. Danach steht die Rechtskraft einer gerichtlichen Entscheidung einem weiteren Verfahren über denselben Anspruch nicht entgegen, wenn der Versicherungsträger wegen einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse mit einem neuen Bescheid die Leistung neu festgestellt hat und dieser Bescheid wegen Anrufung des Gerichts außer Kraft getreten ist.

Eine vergleichbare Anordnung ist den hier anwendbaren Regelungen nicht zu entnehmen. Vielmehr stünde die Rechtskraft einer Sachentscheidung im zuerst eingeleiteten Verfahren einer neuerlichen Beurteilung desselben Anspruchs zweifellos entgegen, und zwar nicht nur in Gerichts-, sondern auch in Schlichtungsverfahren vor der Energie-Control Kommission. Nichts anderes kann für die Streitanhängigkeit gelten.

4.4. Auch die in § 16 Abs 3a E-RBG enthaltene Frist für die Anrufung des Gerichts führt zu keinem anderen Ergebnis. Ihre Versäumung führte im konkreten Fall lediglich dazu, dass der zurückweisende Bescheid der Energie-Control Kommission aufrecht bliebe; eine rechtskräftige Aberkennung des Anspruchs wäre damit nicht verbunden. Zwar hat sich die Klägerin durch die verfrühte Anrufung der Energie-Control Kommission in eine verfahrensrechtlich unangenehme Lage gebracht, da nach einer rechtskräftigen Klagezurückweisung im Vorprozess zumindest bei formaler Betrachtungsweise (vgl aber oben 4.2.) ein neuerlicher Antrag bei der Energie-Control Kommission verlangt werden könnte. Der Grund dafür liegt aber allein darin, dass die Klägerin schon mit ihrem Schlichtungsantrag gegen die Streitanhängigkeitssperre verstoßen hat. Dieser allein ihr zuzurechnende Umstand rechtfertigt kein Abgehen von den allgemeinen Grundsätzen des Zivilprozessrechts.

5. Aufgrund dieser Erwägungen muss der Revisionsrekurs scheitern. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 40 ZPO.

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