OGH 17Ob30/08y

OGH17Ob30/08y23.9.2008

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Präsidentin Hon.-Prof. Dr. Griss als Vorsitzende und durch die Hofrätin Dr. Schenk sowie die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. E***** & Company, *****, 2. M***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Fiebinger Polak Leon & Partner Rechtsanwälte GmbH in Wien, wider die beklagte Partei 1***** GmbH, *****, vertreten durch Schwarz Schönherr Rechtsanwälte OEG in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Provisorialverfahren 36.000 EUR), infolge Rekurses der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien in Ablehnungssachen vom 1. August 2008, GZ 13 Nc 5/08x-4, womit der Ablehnungsantrag der klagenden Parteien zurückgewiesen wurde, den Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass sie zu lauten hat: „Patentanwalt KR DI Arnulf W***** als fachkundiger Laienrichter ist als Mitglied des 5. Senats im Verfahren über den Rekurs der beklagten Partei zur AZ 5 R 30/08f befangen. Die Prozesshandlungen, an denen der befangene Richter in diesem Verfahren mitgewirkt hat, insbesondere die Rekursentscheidung, werden als nichtig aufgehoben."

Die Kosten des für nichtig erklärten Verfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Begründung

Die Erstklägerin ist Inhaberin des österreichischen Patentes E 113 276 auf Grundlage des europäischen Patentes O 253 310 B1. Das Patent enthält in der für Österreich gültigen Anspruchsfassung 48 Patentansprüche betreffend blutdrucksenkende Verbindungen sowie Verfahren zu deren Herstellung. Das Patent umfasst auch das Erzeugnis Losartan-Kalium. Die Erstklägerin ist auch Inhaberin des auf dem genannten Grundpatent beruhenden Schutzzertifikates SZ 16/96 für das Erzeugnis Losartan-Kalium. Die Zweitklägerin ist exklusive Lizenznehmerin an diesem Schutzzertifikat.

Die Beklagte vertreibt das Medikament „Losartan 1A Pharma 50 mg Filmtabletten", das als aktiven Wirkstoff Losartan-Kalium enthält. Die Klägerinnen beantragen zur Sicherung ihres gleichlautenden Unterlassungsbegehrens, der Beklagten mit einstweiliger Verfügung aufzutragen, es zu unterlassen, in Österreich Losartan-Kalium enthaltende Arzneimittel betriebsmäßig in Verkehr zu bringen, feil zu halten oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, hilfsweise, solche Arzneimittel betriebsmäßig in Verkehr zu bringen, feil zu halten oder zu gebrauchen oder zu den genannten Zwecken einzuführen oder zu besitzen, sofern das Losartan-Kalium nach einem patentmäßigen Verfahren hergestellt worden ist. Das Handelsgericht Wien erließ mit Beschluss vom 7. 1. 2008, GZ 10 Cg 165/07f-5, die beantragte einstweilige Verfügung in ihrem Hauptbegehren. Dem dagegen erhobenen Rekurs der Beklagten gab das Oberlandesgericht Wien als Rekursgericht mit Beschluss vom 14. 5. 2008, GZ 5 R 30/08f-9, Folge und wies das Sicherungshauptbegehren ab. An dieser Rekursentscheidung wirkte Patentanwalt KR DI Arnulf W***** als fachkundiger Laienrichter mit.

Zusammen mit einem ordentlichen Revisionsrekurs gegen die Sachentscheidung stellten die Klägerinnen einen Antrag auf Ablehnung von Patentanwalt KR DI Arnulf W*****. Dieser sei Gesellschafter einer Patentanwaltskanzlei in der Gesellschaftsform einer OEG, die in einem Verfahren, das die Klägerinnen aufgrund einer gleichartigen Patentrechtsverletzung wie im Anlassfall gegen ein anderes beklagtes Unternehmen führten, die dortige Beklagte vertrete. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass innerhalb der betroffenen Patentanwaltskanzlei über die komplexen und innovativen Rechtsfragen, die gleichermaßen im Anlassverfahren und im Parallelverfahren zu behandeln seien, gesprochen werde; auch vertrete diese Patentanwaltskanzlei zahlreiche generische Unternehmen. Der abgelehnte Laienrichter gab in seiner Stellungnahme zum Ablehnungsantrag an, sich nicht befangen zu fühlen. Er habe vor der Entscheidung überprüft und festgestellt, dass keine der Streitparteien des Anlassfalls durch die betroffene Patentanwaltskanzlei vertreten wird. Zum Zeitpunkt der Entscheidung des Rekurssenats im Anlassverfahren habe er keine Kenntnis vom Parallelverfahren und die Vertretung der dort Beklagten durch einen Mitgesellschafter der Patentanwaltskanzlei gehabt. Sein Meinungsbildungsprozess sei nicht durch Verfahren beeinflusst worden, an denen Kanzleipartner beteiligt waren.

Das Oberlandesgericht Wien wies den Ablehnungsantrag zurück. Es stellte fest, dass im Verfahren 17 Cg 71/07h des Handelgerichts Wien die dortige Beklagte patentanwaltlich durch die Patentanwaltskanzlei S***** & Partner Patentanwälte OEG, namentlich den Patentanwalt DI Peter P*****, vertreten wird; neben diesem Patentanwalt und dem abgelehnten Laienrichter hat die genannte OEG fünf weitere Gesellschafter. Rechtlich führte das Oberlandesgericht Wien aus, die Ablehnungswerber behaupteten nicht, dass der abgelehnte Laienrichter tatsächlich befangen gewesen sei. Sie brächten auch keine Gründe vor, nach denen zu besorgen sei, der abgelehnte Laienrichter könne bei der Entscheidung andere als rein sachliche Motive gehabt haben. Allein der Umstand, dass ein Kanzleipartner des abgelehnten Laienrichters in einem Parallelverfahren (mit denselben Klägerinnen) die dort Beklagte vertrete, begründe keinen Anschein der Befangenheit des abgelehnten Laienrichters. Weder der abgelehnte Laienrichter noch dessen Partner hätten eine der Parteien des Anlassverfahrens vertreten; die Klägerinnen hätten auch nicht behauptet, der abgelehnte Laienrichter habe Kenntnis von der Vertretungstätigkeit seines Kanzleipartners im Parallelverfahren gehabt oder mit diesem Gespräche geführt, die abstrakt geeignet gewesen wären, seine unparteiliche Entscheidung durch unsachliche psychologische Motive zu beeinflussen. Weder der abgelehnte Laienrichter noch dessen Kanzleipartner oder die von ihm im Parallelverfahren vertretene Prozesspartei könnten aus der Entscheidung im Anlassverfahren einen Vorteil ziehen. Selbst wenn der abgelehnte Laienrichter bereits eine Rechtsmeinung zu den zu entscheidenden Rechtsfragen gehabt und geäußert hätte, wäre dies kein Grund, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen. Es sei insgesamt nicht erkennbar, aus welchen Gründen der abgelehnte Laienrichter im Anlassverfahren hätte gehindert gewesen sein sollen, seine Entscheidungen aus anderen als sachlichen Gründen zu treffen.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs der Klägerinnen gegen diese Entscheidung ist zulässig (§ 24 Abs 2 JN); das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1.1. Die Aktenwidrigkeit als Rechtsmittelgrund verwirklicht nur einen Widerspruch zwischen dem Akteninhalt und den die Entscheidung tragenden wesentlichen Tatsachen (Zechner in Fasching/Konecny² IV/1 § 503 Rz 159 mwN). Eine Aktenwidrigkeit ist daher von vornherein ausgeschlossen, wenn das Gericht aufgrund richtig dargestellter Beweisergebnisse zu Feststellungen oder rechtlichen Schlussfolgerungen in einer bestimmten Richtung gelangt (vgl RIS-Justiz RS0043324).

1.2. Eine Behauptung des Inhalts, der abgelehnte Laienrichter habe Kenntnis von der Vertretungstätigkeit eines Kanzleipartners in einem Parallelverfahren gehabt, haben die Klägerinnen nicht aufgestellt; sie haben einen solchen Sachverhalt vielmehr nur „nicht ausgeschlossen" bzw für „sehr wahrscheinlich" gehalten. Feststellungen zu diesem Thema hat das Oberlandesgericht Wien im Übrigen gar nicht getroffen. Ob aber der abgelehnte Laienrichter aus der Entscheidung einen Vorteil ziehen kann, fällt als Frage der rechtlichen Beurteilung nicht unter den Rechtsmittelgrund der Aktenwidrigkeit.

2. Der abgelehnte Richter hat sich nach § 22 Abs 2 JN zum Ablehnungsantrag zu äußern. Eine Stellungnahme der Partei zu dieser Äußerung ist nicht vorgesehen (RIS-Justiz RS0045962 [T9]); sie ist weder nach der JN noch nach § 183 Geo zwingend vorgeschrieben (6 Ob 616/91 = EvBl 1992/117; 9 ObA 370/97w; 9 Ob 90/04g = EFSlg 108.691). Dass den Klägerinnen die vom abgelehnten Richter eingeholte Äußerung zum Ablehnungsantrag nicht zur (Gegen-)Äußerung zugestellt wurde, verwirklicht daher keinen Verfahrensmangel. Entgegen der im Rechtsmittel vertretenen Auffassung wird von dieser Vorgangsweise auch der Grundsatz der Waffengleichheit nicht berührt, ist doch ein Ablehnungswerber ohnedies gehalten, schon in seinem Ablehnungsantrag Bescheinigungsmittel für den von ihm behaupteten Sachverhalt anzubieten. Im Übrigen hängt hier die Entscheidung nicht von strittigen Tatfragen ab.

3.1. Ein Richter ist nach § 19 Z 2 JN befangen, wenn Umstände vorliegen, die es nach objektiver Prüfung und Beurteilung rechtfertigen, seine Unbefangenheit in Zweifel zu ziehen (RIS-Justiz RS0046024 [T2]). Das Wesen der Befangenheit im Sinne des § 19 JN besteht in einer Hemmung zu einer unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive. Für das Erschließen einer solchen Hemmung wird dabei auch auf den äußeren Anschein besonders Wert gelegt (vgl RIS-Justiz RS0045975; Mayr in Kodek ZPO³ § 19 JN Rz 4). Im Interesse des Ansehens der Justiz ist bei der Beurteilung, ob Befangenheit vorliegt, grundsätzlich ein strenger Maßstab anzuwenden, soll doch schon der Anschein, ein Richter lasse sich bei der Entscheidung von anderen als rein sachlichen Gesichtspunkten leiten, jedenfalls vermieden werden (RIS-Justiz RS0045949, RS0046052). Es genügt, dass eine Befangenheit mit Grund befürchtet werden muss - auch wenn der Richter tatsächlich unbefangen sein sollte - oder dass bei objektiver Betrachtungsweise auch nur der Anschein einer Voreingenommenheit entstehen könnte (4 Ob 193/03s mwN). Die Befangenheit ist nicht restriktiv auszulegen, sodass im Zweifelsfall Befangenheit anzunehmen sein wird. Für die Annahme einer Befangenheit genügt schon die Besorgnis, dass unter Berücksichtigung der gegebenen Verhältnisse bei der Entscheidung dieses Richters andere als rein sachliche Erwägungen eine Rolle spielen könnten (4 Ob 193/03s mwN). Andererseits soll es aber auch durch die Regelungen über das Ablehnungsrecht nicht ermöglicht werden, sich nicht genehmer Richter entledigen zu können (RIS-Justiz RS0109379, RS0046087). Die Frage der Befangenheit lässt sich nicht abstrakt generell, sondern nur bezogen auf die jeweilige Rechtssache und den damit befassten Richter lösen (RIS-Justiz RS0045933).

3.2. Im Lichte dieser Rechtslage begründet der vom Ablehnungssenat zugrundegelegte Sachverhalt tatsächlich den Anschein einer Befangenheit des betroffenen Richters, weil der abgelehnte Laienrichter Gesellschafter einer in der Rechtsform einer OEG betriebenen Patentanwaltskanzlei mit sieben Gesellschaftern ist, von denen ein Mitgesellschafter in einem Parallelverfahren mit vergleichbarer Problemstellung die dort Beklagte gegen die Klägerinnen vertritt. Die darauf gestützte Vermutung der Klägerinnen als Verfahrensbeteiligte, der abgelehnte Richter könnte in seiner Willensbildung durch seinen am Verfahrensausgang interessierten Kanzleipartner beeinflusst werden, ist durch objektiv fassbare Umstände nicht widerlegbar. Zwar begründen berufliche Kontakte oder das Bestehen eines kollegialen Verhältnisses zu einem abgelehnten Richter keine Befangenheit (vgl RIS-Justiz RS0108696); anders als Richter haben aber Kanzleipartner regelmäßig gemeinsame wirtschaftliche Interessen. Damit liegen Umstände vor, die objektiv geeignet sind, den Eindruck zu erwecken, die Erwägungen des abgelehnten Richters in diesem Verfahren könnten durch Rücksichtnahme auf seinen Kanzleipartner beeinflusst werden.

4. Dem Rekurs ist Folge zu geben und die Befangenheit des betroffenen Richters festzustellen. Zugleich waren die vom abgelehnten Richter vorgenommenen Prozesshandlungen als nichtig aufzuheben (§ 25 JN).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 51 Abs 2 ZPO; an der Nichtigkeit des Berufungsverfahrens trifft keine der Parteien ein Verschulden.

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